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Die Große Mutter

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Leises Geflüster erfüllte den Raum. Es wurde reflektiert von den uralten Gewölben und verschmolz zu einem steten, eindringlichen Säuseln. Niemand wagte ein lautes Wort zu sprechen aus Ehrfurcht vor den geheiligten Hallen in denen sie nun verweilen durften.
Es waren so viele gekommen, doch nirgends gab es ein Gedränge. Jeder bekam soviel Platz wie ihm zustand.
Jonas und seine Mutter befanden sich irgendwo am Rand der riesigen, unterirdischen Kathedrale. Sie hatten sich auf einen kleinen Felsvorsprung gesetzt, der aus der Höhlenwand hervorragte, denn sie waren sehr erschöpft von der langen Reise.
Jonas hatte noch niemals zuvor so viele Menschen gesehen.
Sein ganzes Leben hatte er in seinem kleinen Dorf, nahe der Grenze zum Wasteland verbracht. Sie hatten Takas gezüchtet und hatten eigentlich ganz gut davon leben können, soweit das in diesen Zeiten überhaupt möglich war. Doch nachdem nun all die schrecklichen Dinge passiert waren, das mit seinem Vater, den Echsen...
Nun waren sie hier, saßen auf dem blanken Stein und blickten erwartungsvoll und ein wenig furchtsam in die Menge. So viele waren gekommen, so viele auf der Flucht, wie sie selbst.
Irgendetwas tat sich. Jonas bestieg aufgeregt den Felsen, um die Menge besser zu überblicken. War das schon die Große Mutter? Würde sie wirklich kommen? Was würde sie sagen, wie würde ihre Stimme klingen? Hatte sie überhaupt eine Stimme, die ein gewöhnlicher Mensch hören konnte?
Ein Raunen lief durch die Massen. Es schwoll an, wurde vervielfältigt von den Höhlenwänden, verschmolz und verstreute sich wieder.
Doch dann verebbte es schlagartig.
Die Große Mutter betrat das Podium.
Redfrettchen am 31.08.2003: Die Lautsprecher gaben einen schrillen Ton von sich, bevor die Stimme der Großen Mutter den Saal erfüllte.
„Ich grüße euch, meine Kinder“, begrüßte sie die Menge mit kraftvoller, akzentloser Stimme. Die Kathedrale bebte von dem Geflüster der Leute, das aber verebbte, als sie zu sprechen begann.
„Lange habt ihr gewartet, lange habt ihr mir die Treue erwiesen, auf das endlich etwas geschehen wird. Und nun ist der Tag gekommen, an dem wir alle, meine Kinder, uns erheben werden. Ja, wir werden uns erheben gegen die Mächte, die uns hier gefangenhalten. Schon morgen beginnen meine Streitkräfte den Angriff auf die Protektoratshauptstadt Sichera, der Stadt, in dessen Palast der Diktator und Tyrann unseres Volkes, nein, der ganzen Bevölkerung dieses Planeten residiert.“
Das Gemurmel wurde lauter, Jonas blickte in die von einem großen Monitor über dem Podium gezeigten Augen der Großen Mutter, die selbstsicher die Beruhigung der Menge abwartete. Er hatte sie sich ganz anders vorgestellt.
Die Frau die an dem Sprecherpult stand, war keineswegs die alte Großmutter mit den langen silbergrauen Haaren, die sich Jonas vorgestellt hatte. Sie war jung, vielleicht etwas über fünfundzwanzig und stand stramm in ihrer Militäruniform vor der bunt zusammengewürfelten Menge ihrer vermeintlichen Anhänger.
Unter ihnen waren Viehzüchter, wie Jonas' Familie, Bauern, Bettler, aber auch in den vordersten Reihen ehemalige Protektorats-Mitglieder, Offiziere und Kaufmänner. Nicht alle waren wirklich Genossen in der geheimen Organisation der Großen Mutter, fast die Hälfte der Anwesenden waren Schaulustige und Neugierige. Auch Jonas und seine Mutter sind nur gekommen, um sie einmal zu sehen, die Frau, die sie befreien konnte.
„In einer lang geplanten Aktion haben wir die Stadt über Jahre hinweg infiltriert und die kennen nun die Schwachpunkte der Verteidigung. Ihr müsst wissen, meine Kinder, dass dies unsere einzige Möglichkeit ist, dass unsere Freiwilligen nur einmal sterben können. Heute haben wir uns hier zusammengefunden, um am Vorabend des Falls Ultar Vincek, unserem verhassten Feind, die letzte gefangene Nacht zu zelebrieren. Für den einzigen und finalen Angriff ist kein Krieger überflüssig, ihr alle werdet gebraucht. Nur mit der ganzen Kraft können wir siegen.“
 
Smith am 31.08.2003: Jonas sah sich verstohlen um. Die anderen schauten die große Mutter an, manche nickten zustimmend. Jonas erblickte einige, die in seinem Alter sein mussten.
" Wir werden siegen!", rief die Mutter laut und Jonas fiel einfach in dem Gebrüll der anderen mit ein.
Er wusste, was ihn erwarten würde, und er hatte lange mit seiner Mutter darüber gesprochen.
"Jonas", hatte seine Mutter gesagt, "Du musst es nicht tun. Du kannst hier bei mir bleiben, du bist jung und musst noch nicht in den Krieg ziehen."
Jonas hatte entschieden den Kopf geschüttelt. Er wollte kämpfen. Er wollte, dass der Kerl, der für den Tod seines Vaters verantworlich war, auf den Boden lag und in einer Lache aus seinem eigenen Blut langsam und qualvoll starb.
" Damit er weiß, wie es Vater ergangen war!", dachte Jonas und spürte wieder diesen Hass in sich.

Jonas blickte weiter durch die Menschenmenge. Tausene Gesichter und manche kannte er. Weiter vorne hatte er Lotti`s Bruder entdeckt.
Jonas spürte nun doch auch Trauer. Er hatte gehofft, dass es ihm genügen würde, einfach nur den Tod seines Vaters zu rächen, aber er wuste, dass er Lotti vermissen würde. Die liebe Lotti mit ihrem hübschen Gesicht.
Er seufzte.
Plötzlich erblickte Jonas ein Geicht, was er kannte. Er wustte nur nicht, woher.
" Momma!", sagte er und stubste seine Mutter leicht in die Seite, " Sieh mal!", sagte er und deutete unauffällig zu dem großen, hageren Kerl.
" Ich hab den schonmal gesehen! Aber wo?"
 
Redfrettchen am 06.09.2003: „Mmh. Mir kommt er auch bekannt vor“, sagte seine Mutter zögerlich.
Der Typ war trotz seiner stattlichen Kleidung ein Strich in der Landschaft. Sein Gesicht passte perfekt zu dem Eindruck, den man von ihm gewinnen konnte. Wie eine Ratte, leicht zu verbergen, unauffällig und verdammt hinterlistig.
Nervös tippelte der Mann hin und her, sein Blick sauste regelrecht durch den Raum. Sein Hände waren in den Taschen seiner leichten Jacke verstaut, die ihm bis zum Kinn ging. Abgesondert von den anderen Leuten, in einer kaum einzusehenden Ecke stand er, obwohl es lungern eher getroffen hätte.
Nach eingehendem Beobachten dieser Figur wurde Jonas klarer, woher er ihn kennen könnte. In seinen Gedanken kristallisierte sich ein Bild von dem Typen und Jonas konnte auch erkennen, wo er sich in diesem Bild befand. Dann erinnerte er sich wieder. In einer Gasse in einem der Außenbezirke von Sichera, in der er und seine Mutter vor kurzem waren, um sich über die neusten Ereignisse zu informieren.
Das war in diesen Zeiten notwendig. Es gab keine Zeitungen mehr, kein Fernsehen, kein Radio. Alles wurde von dem Protektorat abgeschirmt und umgeleitet. Millionen von Satelliten in der Umlaufbahn des Planeten sorgten für den reibungslosen Verlauf des Nicht-Sendens von Informationen außerhalb der Stadtgebiete. Ein Mittel, dass die Regierung schon seit über zehn Jahren mit Erfolg betreibt. Wer nicht im Dienste des Protektorats als Sklave arbeitete, war ein Ausgestoßener, jemand, der nur noch außerhalb der großen Städte sein durfte, ein Bewohner des Wastelands. Womit die Regierung jedoch nicht gerechnet hatte, waren organisierte Aktionen der Ausgestoßenen, dessen Zahl bald die der Bewohner der Städte übertraf.
Schon einmal hatten sie versucht, sich aufzurichten. Das war kläglich gescheitert. Aber es war keine Überraschung. Der Mob, der damals, vor fünf Jahren, fast einen halben Monat lang die Hauptstadt belagert hatte, war zum Scheitern verdammt. Die Bauern und Händler, unformiert und unstrukturiert, schlecht geschützt, ohne Kenntnisse über den Kampf, größtenteils nur mit Mistgabeln bewaffnet, zogen damals los und streiften durch den gesamten westlichen Arm des Kontinents, sammelten Anhänger für Anhänger, darunter auch Jonas Vater, und machten sich auf, ihre Welt zu befreien. Sie vernichteten damals fast die Hälfte der Außenposten der Regierung und verloren bei der Zerstörung nur eines Kernreaktors am Rande Sicheras mehr als eine halbe Millionen Mitstreiter. Daraufhin wurde die Menge bis zu dem Farmgebiet von Jonas Familie zurückgedrängt und schließlich in einem Kesselkampf besiegt.

In der Gasse hatte er gestanden und sich mit einer Sicherheitskraft unterhalten, die die Straßen sauber halten sollen, was ihnen nicht gelang. Noch eine Erinnerung weckte Jonas Neugier. Auch bei der Versammlung bei der sie waren, hatte er die magere Gestalt gesehen. Der Typ hatte was zu verbergen, das spürte Jonas.
 
Metevelis am 02.10.2003: Doch was war es? Eine Erinnerung schien ihn zu kitzeln, tief in seinem Hinterkopf verborgen. Angestrengt versuchte er ihr habhaft zu werden. Das vergaß er schlagartig, als der Typ ihn ansah. Er hatte Augen von der Farbe der Einheitskleidung, die die Bewohner von Wasteland trugen. Ein trübes Grau. Doch von einer Kälte, die er selbst in den schlimmsten Winternächten nie erlebt hatte.
Unwillkürlich erschauerte er und wandte den Blick ab. Als er wieder hinüber sah, war der Typ weg. Das beunruhigte ihn. Die Große Mutter sprach noch und nach der Ansprache sollte es ein Fest geben. Das würde sich kein Bewohner des Wastelands entgehen lassen. Sie hatten selten etwas zu feiern, deshalb war der heutige Abend so ein großes Ereignis für sie.

Aufmerksam ließ er seinen Blick über die Menge schweifen, doch er konnte den Kerl nicht finden. Flüchtig sagte er seiner Mutter Bescheid, das er austreten würde und kämpfte sich durch die Menge zum Ausgang. Dort standen weit weniger Leute und trotzdem konnte er den Kerl nicht sehen. Als er aus der Höhle trat, sah er den Typ gerade eben in einem Tunnel verschwinden. Er folgte ihm rasch und leise. Tief und tiefer führte der Tunnel in die Erde hinab. Die Stimme der Großen Mutter wurde hinter ihm leiser und leiser. Irgendwann konnte er sie nicht mehr hören. Sein Instinkt warnte ihn und er blieb abrupt stehen. Vor ihm war ein schwacher Lichtschein zu sehen. Leise schlich er sich heran. Da war der Typ. Doch er war nicht allein.
 
Redfrettchen am 05.10.2003: Hinter sich schloss sich eine Tür, die er gar nicht bemerkt hatte. Das war eine verdammt heikle Situation, dachte sich Jonas. Vorsichtig lugte er um die Ecke.
Dort war der Typ und unterhielt sich mit einem wahrscheinlich hochrangigen Uniformierten, der umgeben von Sicherheitskräften war.
Hinter ihnen war eine weitere Tür, also jedenfalls eine Metallplatte, von der Jonas annahm, dass es eine Tür war. Wo führte diese Tür hin, fragte er sich. Doch das war eigentlich unwichtig. Er musste hören, was sie zu bereden hatten.
„... bereit, anzugreifen. Weiteres wurde nicht gesagt, vermutlich werden die genauen Instruktionen erst kurz vor dem Überfall an die Kämpfer bekanntgegeben. Und das werden nicht wenige sein.“, hörte Jonas den Typen sagen.
„Gut, mein loyaler Freund. Unsere Kooperation ist einmal mehr hilfreich für das Protektorat. Auch dieser Anschlag wird vereitelt werden, genau wie der letzte. Das haben wir alles dir zu verdanken. Aber nun, ein für alle Mal, werden wir den Widerstand brechen“, sagte der Uniformierte. „Männer!“, fuhr er mit erhöhter Lautstärke fort, „Stürmt diese Versammlung und exekutiert die Große Mutter. Riegelt alle möglichen Fluchtwege ab, die Verstärkung wird diese ganzen Aufständigen verhaften. Los!“
„Zu Befehl, General!“, salutierten die Männer und verschwanden durch die vermeintliche Tür.
„Verdammt, ich muss sie warnen!“, dachte Jonas sich und schritt langsam zurück in die Richtung, aus der er kam.
„Nun, deine Dienste sind und waren mehr als nützlich. Es wird Zeit, dich zu entlohnen, mein Freund“, hörte er den General noch sagen, bevor ein donnernder Schuss die Höhle erzittern ließ.
Das Echo dieses überdeckte das Geräusch der sich öffnenden Tür, so dass man ihn nicht bemerken konnte. Jonas rannte nach einigen Metern so schnell er konnte zurück zum Eingang. Er stieß sich durch die Menge, zu dem Felsvorsprung, auf dem er ohne weiter nachzudenken durch die Halle schrie.
„Sie kommen! Sicherheitskräfte sind unterwegs!“, brüllte er mit aller Kraft.
 
Tom am 12.10.2003: Jonas Rufen hatte zuerst nicht die Wirkung, die er erwartet hatte. Die Feier hatte schon begonnen und aus den Lautsprechern drang rhytmische Musik aus längst vergangenen Zeiten. (Tatsächlich schallten Songs der Beatles und der Rolling Stones durch die heiligen Hallen).
Zuerst erstarrten jene, die in Jonas Nähe standen und seinen Ruf vernommen hatten. Dann begannen sie ebenfalls zu rufen, trugen die Schreckensmeldung weiter und weiter, bis sie die Menge durchquert hatte und schließlich bei der Großen Mutter angelangt war.
Die Musik verstummte mit einem Schlag. In die Stille hinein fielen nun immer mehr Rufe: " Die Sicherheitskräfte! Die werden uns alle umbringen!"
Das kurze Pfeifen einer Rückkopplung ertönte, dann die Stimme der Großen Mutter, nun nicht mehr so selbstsicher wie zuvor. Die Augen im Monitor zeigten Furcht, blickten hektisch von einer Seite der Höhle zur anderen, mußten zusehen, wie die Panik wuchs und überhand nahm.
"Hört mir zu, meine Kinder! Ihr müßt euch in Sicherheit bringen. Bewahrt Ruhe, dann wird euch nichts geschehen."
Selbst die riesigen Lautsprecher konnten nun die gellenden Rufe aus tausenden Kehlen kaum mehr übertönen.
Mit einem Mal ging das Licht aus. Monitore und Lautsprecher schwiegen und es war dunkel wie in einem Grab. Für viele von ihnen sollte es das auch werden.
Jonas hatte furchtbare Angst. Er wußte nicht, wo seine Mutter war, wußte nicht einmal, wo er selbst war. Er war eingepfercht in eine Masse, die in mit sich zog, konnte kaum atmen, hatte Angst erdrückt zu werden.
Die panischen Schreie der Menschen dröhnten in seinen Ohren. Jonas wollte nach seiner Mutter rufen, aber er konnte sich nicht einmal selbst hören in dem ganzen unglaublichen Lärm. Wie lange konnte er das wohl noch durchstehen? Krampfhaft versuchte er sich auf den Beinen zu halten. Er durfte bloß nicht hinfallen, dann wäre er verloren.
Auf einmal spürte er etwas hartes, unnachgiebiges an seiner Schulter. Es war blanker Stein. Er war irgendwie an die Wand der Höhle gekommen - zumindest irgendein Anhaltspunkt in dieser lichtlosen Hölle. Seine Hände tasteten sich am behauenen Fels entlang, während er stetig weitergestoßen wurde. Dann griff er plötzlich ins Leere, verlor das Gleichgewicht, wurde weggestoßen von der tobenden Menge.
Jonas fiel in eine Art Nische, sehr schmal, kaum mehr als ein Riß in der Wand. Dabei stieß er sich den Kopf am harten Felsgestein und verlor das Bewußtsein.
 
Metevelis am 05.11.2003: Zuerst hörte er die Stimmen. Sie waren erst leise und wurden dann immer lauter, bis sie vor ihm standen. Jonas versuchte panisch die Augen aufzumachen, doch es ging nicht. Irgendetwas verklebte seine Augen. Als er sich mit den Fingern über das Gesicht tastete, fand er eine kleine Wunde an der Stirn, die vom Blut verkrustet war. Das war es wahrscheinlich, weswegen er seine Augen nicht mehr öffnen konnte.

Er drückte sich tiefer in die Felsnische und hoffte, das seine Wasteland-Kleidung mit der Umgebung verschmelzen würde und ihn den Stimmen nicht verraten würde.
"Hast du eine Spur von ihr gefunden?", fragte da eine Stimme genau vor ihm.
Angst flutete wie in Wellen durch Jonas. Der Sprecher hatte eine tiefe, fast schon angenehme Stimme, wie ein Sänger.
"Nein, die Schlampe ist wie immer entkommen. Irgendwann werden wir sie erwischen. Von wegen Große Mutter. Was bildet die sich eigentlich ein?" Dies war eine andere Stimme, die irgendwie verschlagen kann. Das erinnerte Jonas an eine Fabel, in der von einem Tier die Rede war, das sich Fuchs nannte.

Unmittelbar vor ihm knirschte es. Jonas konnte ein Zusammenzucken nicht vermeiden. Wie es schien, hatte sich einer der beiden gegen die Felsnische gelehnt. Offenbar wollten die beiden vorerst noch nicht gehen.
"Das wüsste ich auch gerne. Kennst du eigentlich die Gerüchte um diese "Große Mutter"? Sie soll angeblich ein illegitimer Sproß aus der "Familie" sein. Meinst du, da ist was Wahres dran?" Das war wieder der "Sänger". Er klang belustigt, als würde er selber nicht daran glauben.

"Pfh! Wenn es so wäre, ist sie ganz schön undankbar. Was würde ich darum geben, um wenigstens ein illegitimes Kind aus der "Familie" zu sein. Dann hätte ich ausgesorgt und müsste nicht ständig in der Nachtschicht für Corla und die Kinder zu schuften. Ach was, dann hätte ich Corla nicht am Hals, sondern könnte mir jede Nacht eine neue Gespielin suchen." Der "Fuchs" lachte. Der Gedanke schien ihm zu gefallen.

Der Sänger und der Fuchs spannen ihre Gedanken weiter, während von Jonas allmählich die Spannung abfiel. Seine Gedanken drifteten ab und er merkte nicht, wie er plötzlich einschlief.
 
Calvin am 29.10.2004: Er erwachte plötzlich aus seinen Träumen. Er war nass, Tropfen rannen über sein Gesicht. Jonas wusch sich das verklebte Blut aus dem Gesicht und versuchte abermals seine Augen zu öffnen. Es gelang.
Aus einer Felsspalte der Nische tropfte Wasser. "Wohl Regen der durch die Erde sickert", dachte Jonas. Vorsichtig spähte er aus seinem Versteck. Weder Fuchs noch Sänger waren zu sehen. Die Männer mussten also wieder auf der Suche nach der >Grossen Mutter< sein.
Jonas musste sich auf die Suche nach seiner eigenen machen. Hoffentlich war ihr bei der Unterwanderung der Versammlung nichts geschehen. Schleichend wie eine Wildkatze machte er sich auf den Weg aus der Höhle. Er nahm den Weg, auf dem er den Hageren verfolgt hatte. Wieder kam er in den Raum, in dem sich die Männer unterhalten hatten. Der Verräter hatte seine Belohnung und gerechte Strafe also wirklich erhalten. "Du Schwein", murmelte Jonas als er an ihm vorbei zur Metalltüre schritt.

Die Schauplätze der Intrige und der geheimen Versammlung - unterirdische Gänge, Höhlen und Räume - sahen nun unbedeutend aus. Doch was würde ihn hinter dieser Türe erwarten?

Jonas atmete tief durch und öffnete mutig die Türe. Er traute seinen Augen nicht, als er glaubte Lotti zu erblicken. "Du lebst?", schrie er aus heller Freude, da schaute sie um sich und wandte ihm ihr Gesicht zu.
 
tom am 30.10.2004: Es war nicht Lotti. Zumindest nicht die Lotti, die er einmal gekannt hatte.
Das Antlitz, in das er nun blickte hatte nicht mehr viel menschliches. Es war fürchterlich entstellt, überzogen von wulstigen Brandnarben. Der verdorrte Mund war zu einem endlosen, halbseitigen Grinsen verzerrt, die Nase unförmig und mit grotesk vergrößerten Nasenlöchern. Augenbrauen waren nicht mehr vorhanden.
Doch das war bei weitem nicht das Schlimmste. Das, was Jonas´ Herz vor Schreck und Schmerz erstarren ließ, waren Lottis Augen, die keine Augen mehr waren. In den lidlosen Höhlen saßen kleine Maschinen aus Metall und Drähten. Sie produzierten ein leises Summen, wenn sich die kalten, gläsernen Linsen bewegten, die ihn zu mustern schienen. Und das merkwürdigste daran war, dass Jonas in all der Monstrosität die Andeutung eines Vorwurfes zu erkennen glaubte. Furcht und Entsetzen packte Jonas, doch er konnte sich noch immer nicht bewegen.
„Ich, ich dachte...“
Seine Stimme klang irgendwie schrill und unnatürlich.
„Dachtest was? Ich wäre tot?“
Das Ding hörte sich an wie Lotti, aber auch wieder nicht. Viel zu kalt, zu mechanisch.
„Ja, mein lieber Jonas, ich war tot, ich bin gestorben, genau wie dein Vater. Aber sie haben mich wieder erweckt, haben mich an ihre Maschinen angeschlossen und mir den Lebensatem in den Körper gepumpt. Ich schrie tagelang vor Schmerzen, sonst existierte nichts mehr für mich. Nur noch Schmerz. Dann erinnerte ich mich daran, wer ich war und was mit mir geschehen war. Das war beinahe noch schlimmer als die Schmerzen.“

Jonas fühlte sich schwach, sein Gesicht war kreidebleich, ihm wurde schwindelig. Er konnte es nicht verstehen. Warum Lotti? Warum hatten sie ein Monster aus ihr gemacht?
„Oh Lotti, was haben die dir bloß angetan?“
„Ich bin nun nicht mehr Lotti, ich bin eine von ihnen. Lotti ist tot. Vor dir steht bloß ein Werkzeug. Eine Maschine.“
Jonas merkte nicht, wie ihm die Tränen übers Gesicht rannen.
„Lotti!“
„Ich sagte doch, Lotti ist tot. Und du solltest es auch sein. Es ist meine Aufgabe, dafür sorgen, dass kein Abtrünniger die Höhle lebendig verlässt. Doch ich kann dich nicht töten. Darum musst du jetzt verschwinden, schnell!“
„Aber wohin soll ich denn gehen? Ich bin ganz allein, ich weiß nicht was ich tun soll. Und meine Mutter...“ seine Stimme wurde von Tränen erstickt.
„Was ist bloß mit all den Leuten passiert? Wo sind sie hin? Bitte sag es mir! Wo ist meine Mutter?“
Die beiden Kameras in Lottis Augenhöhlen surrten nervös hin und her.
„Ich kann dir keine Auskünfte geben. Vermutlich ist sie getötet worden, wie so viele andere. Möglicherweise aber...“
„Was? Bitte Lotti, sag es mir, ich muss es wissen.“
„Sie könnte auch unter den Gefangenen sein, die nach Sal Akara gebracht wurden.“
„Was ist das? Wie komm ich dahin?“ Jonas Stimme überschlug sich vor Aufregung.
„Das ist ein Bergwerk in der Nordprovinz. Man sagt, von dort kommt keiner mehr zurück. Den Weg dorthin kenne ich nicht, aber es muss wohl irgendwo an der nördlichen Hauptroute liegen. Mehr kann ich dir nicht sagen. Geh jetzt. Geh durch diese Tür. Die Treppe dahinter führt ins Freie.“
Jonas konnte sich kaum aus seiner Erstarrung lösen. Nur widerwillig gehorchten seine Beine und als er an der Tür war blickte er sich noch einmal um. Lottis Gesicht war abgewandt.
„Schau nicht zurück!“
Ihre Stimme klang nun beinahe wie die der Freundin, welche er einmal gekannt hatte.
„Danke Lotti, ich werde dich nie vergessen.“
„Behalte mich in Erinnerung, wie ich früher war. Und erzähle niemandem, was aus mir geworden ist.“
So öffnete Jonas die Tür und verließ die heiligen Hallen, die nun für ihn zum Symbol des Schreckens geworden waren. Er fand eine Leiter aus Metall die ihn an die Erdoberfläche führte.
Es war inzwischen schon wieder Tag geworden und das gleißende Sonnenlicht stach ihm in die Augen. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Er blickte nach Norden, wo sich eine breite, sandige Straße, die nördliche Hauptroute bis zum Horizont erstreckte. Verzweiflung machte sich nun in seinem Herzen breit. Was sollte er tun? Er war hungrig und durstig und vollkommen allein. Wie sollte er in dieser Wüste überleben?
Plötzlich hörte er ein leises Brummen. Er blickte sich um und sah in südlicher Richtung, dort wo die Straße den Horizont berührte eine Staubwolke auftauchen, die schnell näher kam. Das Brummen wurde lauter und entpuppte sich als Motorengeräusch.
 
metastabil am 10.11.2004: Tatsächlich kam ein Aufklärungsfahrzeug des Protektorats direkt auf ihn zu. Geistesgegenwärtig warf sich Jonas zu Boden und schien unter seinem unauffälligen Mantel gänzlich im Sand zu verschwinden.
Das Fahrzeug fuhr an ihm vorbei. Um ein Haar hätte es ihn sogar überfahren, doch Jonas hatte Glück.
Als er dalag und wartete, bis er sich in sicherer Entfernung vom Gefährt wieder bewegen könne, dachte er an frühere Zeiten. Hier hatten hier Echsen gespielt, doch nun wurden sie gejagt und niedergemetzelt wegen ihrer Sohirash-Hörner. Hübsche Trophäen geben sie ab, darüber hinaus sind nur Projektile aus Sohirash fähig, die Echsenschuppen zu durchdringen, welche die Untergrundkämpfer unter ihrer grauer Wastelandkleidung zum Schutze tragen.
Doch für Jonas waren die Echsen mehr als bloßes Jagdwild. Sie hatten ihm und seiner Familie als Reittiere gedient, um auf dem weiten Weideland nach den Takas zu sehen. Es war schon eine sonderbare Symbiose, die Mensch, Echse und die Takapflanze hatten. Takas waren ihr täglich Brot gewesen, aber sogar lebenswichtig für die Echsen. Die Echsen wiederum warfen ihre Schuppen ab, um den Farmer Baumaterial und Werkstoff zu liefern. Vielleicht taten sie dies sogar absichtlich, um den Menschen ihren Tribut für den Takaanbau zu zollen.
So lebten die einfachen Leute in den Wastelands, weit außerhalb der Städte. Sie hatten nicht viel, aber das lag an der hohen Abgabequote, die sie an das Protektorat abliefern mussten.
Zu allem Überdruss wurden mehr und mehr ungewollte Stadtbürger in die Wastelands verbannt. Wer sollte sie ernähren? Die Farmer hatten Müh und Not die Takaquote zu erfüllen und nun sollten sie die Ausgestoßenen versorgen?
Das Protektorat präsentierte die Lösung: Die Echsen seien verbotene Tiere, sie würden einen zu großen Anteil der Ernte benötigen. Argumente der Wastelandbauern, dass sie die Schuppen benötigen würden und die Echsenkacke das Takawachstum positiv beeinflussen würde, wurden ignoriert. Und so kam es zum ersten großen Aufstand, bei dem Jonas’ Vater den Tod fand.
„Nur gut, dass dieses Verräterschwein tot ist!“, dachte Jonas bei sich, als er quer durch die Wastelands wanderte.
Doch wo war seine Mutter?
 
Wie soll es weitergehen? Diese Story kannst du selber weiterschreiben.
 
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Kommentare  

ich habe selten eine fortsetzungsgeschichte gelesen die, so gut funktioniert hat! ihr ergänzt euch in eurem schreibstil und es tauchen auch keine unstimmigkeiten auf! nur sind fortsetzungsgeschichten nicht so mein ding, sonst würde ich auch weiterschreiben:) schade, dass das so ein bisschen eingeschlafen ist...
lkg darkangel


darkangel (29.04.2007)

Hallo Ralf Bier

Danke für deinen Gästebucheintrag, bin im Gegenzug hier gelandet und finde es hochinteressant.
Die Große Mutter soll bitte fortgesetzt werden.
Alles paletti?

Liebe Grüße
Laura
http://myblog.de/laura-linn


Laura (01.11.2004)

Recht herzlichen Dank, lieber Calvin.
Wäre ja wirklich nett, wenn sich die Story wiederbeleben ließe. Tut euch bloß keinen Zwang an, Leute!

Grüße,


Tom (29.10.2004)

Ja hi. Nachdem an dieser Geschichte schon sooo lang nix mehr geschriben worden ist, dachte ich mir, ich schreib euch ein bissl was dazu, vielleicht weckt das wieder Lebensgeister....

Calvin (29.10.2004)

So, jetzt hab ich mir gedacht, ich muß mal wieder selbst was zu meiner Story beitragen. Habs aber noch nicht bestätigt, weil ich eure Meinung dazu wissen wollte.
Ich hoffe es finden sich noch viele, die dran weiterbasteln wollen.

Greetinx, Tom


Der Autor (12.10.2003)

Ahh! Mist, falscher Button! Letzteres bitte löschen!!! Danke!

Redfrettchen (05.10.2003)

Wow - die Geschichte ist wirklich spitze!!! Besonders für eine Fortsetzungsgeschichte ;-)
Trau mich nicht selbst weiter zu schreiben, aber freu mich schon auf die Fortsetzung!

Weiter so!


Meggie (08.09.2003)

hm, Redfrettchens teil ist gut. Er ist echt gut. Ich trau mich nicht weiterzuschreiben,a cuh wenn ich wollte. ich lasse anderen mal den vortritt.

aber ein ander mal schreib ich auch wieder was, die story mag ich!


Smith (06.09.2003)

Sehr schön, Leute. Nur weiter so! Bin gespannt, was da noch alles kommt. Ich find da auch gar nichts abgenutzt und man kann in alle Richtungen weiterbasteln.
Und verdammt, wer ist bloß dieser hagere Kerl?


Tom himself (01.09.2003)

Ich habs auch mal versucht. Hoffe es gefällt dir.

greetz


sMiThY (31.08.2003)

Es ist vielleicht ein wenig abgenutzt, mein Plot, aber ich hoff man kann noch was draus machen.

Greez,

Dat Redfrettchen


Redfrettchen (31.08.2003)

sei nicht neidisch. du lieferst auch nettes :) gruß von robert aus schwerin

Robert Zobel (22.08.2003)

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