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37 Seiten

Streicherseele

Nachdenkliches · Kurzgeschichten · Experimentelles
© Fraktal
Streicherseele


Comoedia Maiora


Personen

FRANCESCO, ein Landstreicher
ADALBERT, ein verbannter Novellist
SCHAFFNER
BAHNHOFSARBEITER
DER PRINZ, Sohn des Königs Theobald
VIOLETTA, die Gefährtin des Prinzen
MISTER BRONCCINI, ein reicher italienischer Kaufmann
GENDARM, Hüter von Recht und Ordnung
MAGNUS und
MAGDA BOHRTAU, ein Beamtenehepaar

sowie einige Bedienstete des Königs



Erster Aufzug


Erster Auftritt

Ein Streicher zum Bahnhof sich wandte,
auf der Suche nach verlor’nem Glück.
Gefunden hat er vielerlei,
doch was er suchte, war nicht dabei.


Ein Bahnhof am Morgen. FRANCESCO und
ADALBERT sitzend am Bahnsteig.

FRANCESCO. Zwar bin noch immer ich im halben Schlafe, doch mein Magen knurret schon. Wie lange mag’s vergangen sein, seit dem
letzten Mittagsmahle? Seit Längen verzehret der gestohlen’ Laib Brot, den vom Bäcker ich entwandte. Doch geschah sie rechtens, diese Tat? Ein nackter Mann, steht’s ihm nicht zu, den allzu gröbsten Hunger mit unredlicher Tat zu stillen? Kann von Redlichkeit dort noch überhaupt zu sprechen sein? Moral hat teuren Preis, den ich nicht zahlen kann. O, reich müsst’ er sein, der Mensch im Manne!

ADALBERT. Papperlapapp. Du redest gar allzu unnütz’ Geschwätz, welches besser Du der mein’gen Zunge überließest. Denn schließlich bin ich es, den sie verstießen. Du wollest mir doch dies’ zweifelhafte Ehr’ nicht streitig machen?

FRANCESCO. Dies ist nicht die Absicht, die ich verfolge. Vielmehr betrübt es mich, all diese Dinge hier zu erleben, Tag für Tag, und immer gleich, doch scheint sich der Mensch hinter alldem zu verbergen, und er erscheint mir erschreckend unveränderlich. Was ist dies für eine Welt, in der sowohl das lachende als auch das weinende Aug’ dem Edelmann ein Dorn im Selb’gen ist? (Ein Zug fährt ab.)

FRANCESCO. Die Meuten, der gemeine Pöbel, zu dem auch ich vom ein oder andren hinzugezählet werde, sie eröffnen den Tag für
mich auf so wundersame Weise. Und doch bin ich sicher, dass noch keiner je von ihnen einen Gedanken – und sei er noch so
klein und vergänglich – an mich verschwendet hat. Es ist diese Trostlosigkeit,die mich bedrücket. Ich seh es so, dass ich, wie kann man’s sagen, der Abguss von all dem bin.

ADALBERT. Ich kenn zu gut nur die Stimme der Besonnenheit, die stets versucht, die des Erdenbürgers zu übertönen. Lang genug
hab ich es zugelassen, vielleicht zu lang, denn meine Werke zeigen genug von solch Salbaderei.

FRANCESCO. Wahres sprichst Du, ich fand Deine Novellen schon immer gar zu hochgestochen. Der Ehrlichkeit halber: ich verschmähe sie, denn erst sie stießen mich auf diese Bahnen. Stets war ich der Meinung, Dich bei weitem zu übertreffen, und es erfüllte mich mit blankem Neid, Deinen Aufstieg zu betrachten und Dich vorbeiziehn zu sehn.

ADALBERT. Sprich weiter, Du beginnst mir zu gefallen. Sehen möcht’ ich, wie Du gedenkst, Dich aus dieser Einbahnstraße schmiegsam zu entziehn.

FRANCESCO. Dein Sturz erfüllte mit wonnendem Wohlmut mich, Blumen fingen an zu blühn, und ich muss gestehn, ich hasste
Dich von vollem Herzen. Doch als Du mich mitrissest, war’s um den Witz geschehn.

ADALBERT (sich umsehend). Mein Freund, ein bunter Hund bringt bei grauem Regenwetter nichts. Wir beide sitzen hier am Ende
unserer Welt, weiter geht es nicht. Jeglicher Versuch zu flüchten, zuentkommen,würd’unweigerlichunsscheiternlassen,denndie
Schienen sind für mich zur Wand geworden. Lass uns sehen, ob wir etwas Essbares aufzutreiben wissen. Dort hinten meinte ich,
den Geruch eines Fasanenbratens ausgemacht zu haben. (Ab.)


Zweiter Auftritt

Der Hunger war groß,
die Verzweiflung nah.
Sich bietende Aussicht zu nutzen,
die Stund’ ist nun da.


In der Bahnhofshalle. ADALBERT, bald darauf DER PRINZ.

ADALBERT. Wo sehe ich des guten Wohlgeruches Ursprung? Ach ja, dort! Hinten läuft er, er schreitet stolz von dannen, und sein
Gewande, es rauscht im Winde, wie ein Regenschauer, der kalt dahinrafft die Reste des vergangenen Gesterns, um Platz zu schaffen für ein Morgen. Seine roten Tücher, vorzüglich aus Samt und Seide, das muss ein wahrhaft königlicher Manne sein. Lass mich sehn, ob ich ihn noch schnappe! He, wart, wart!

DER PRINZ. Was wollet Ihr, niedrige Form des Seins, von einem wohlgenährten Manne wie dem Meinigen? Herab wandert mein Blick,
und was nimmt er wahr? Ein erbärmlicher Verbannter bist Du!

ADALBERT. Ihr redet erstaunlich keck und schneidig für einen königlichen Sohne! Einst zog ich vor, Personen wie die Ihrige in meine Novellen aufzunehmen. Verlangt es Euch danach, zu wissen, was mit ihnen geschah?

DER PRINZ. Kurzgesagt: Es interessiert mich nicht, und nun sag endlich, was Du wollest, oder räume mir den Pfad!

ADALBERT. Wahres redet des Königs Sprössling. Mein Freund und ich, wir aßen seit Tagen nicht. Uns begehret es nach kleiner Spende, um dies’ knurrende Behältnis gar halbwegs aufzufüllen, da nah am Herzen liegend, das Geräusche schon in Fleisch und Blute sich verewigt habend. Mir war, als läge ein dezentes Odeur in kalter Morgenluft?

DER PRINZ. Von meinem Fasanenbraten gebe ich nichts her, unmöglich! Husch, husch, entrücke! Ein sonderbarer Herr in grauem
Mantel wartet – ich möcht ihn nicht enttäuschen – um mit mir gemeinsam zu dinieren. Wissen muss man, es geht um wahre
Ehre hier, doch – ich vermute – dies’ Wort ist Dir nicht bekannt.

ADALBERT. Ich stell Euch vor die Wahl: Ich kehre um, zurückkommend mit dem Freunde im Schlepptau, oder Ihr müsset Euch einen andren Wege suchen.

DER PRINZ. Dann wähle ich das klein’re Übel. Kehre nun um,ich will Euch beide hier erwarten.

ADALBERT (ab).


Dritter Auftritt

Entschwundener Freund,
Deine Ferne macht so wehemutig!
Rückkehr steht in den Sternen,
die da droben so blauäugig funkeln.


Am Bahngleis 5. FRANCESCO und ADALBERT, später aus dem Zuge DER PRINZ.

FRANCESCO. Zu lang bereits ist er verschwunden. Möge ihm etwas zugestoßen sein, oder täuschen mich meine warnenden Sinne
der Gefahr des Andren? Einerseits sehnte ich’s mir seit Dekaden herbei, den Verbannten zu verstoßen, doch andrerseits wuchs er mir ans Herz, denn eine Streicherseele ist stets geöffnet, stets des Andren Freund, weil schließlich ich ja selbst mich nur verachten kann, bei dem, was ich verkörpre. Ah ja, da nahet er heran, gar zu schnellen Schrittes! Und er winket mir zu kommen! Auf, auf, es scheint Neues wohl zu geben.

ADALBERT. Mein Freund! Ich traf hier einen Prinzen, gekleidet in vorzüglichstem Stoffe, duftend so herrlich wie der erste Frühlingstag auf Erden. Meine Sinne täuschten mich diesmal nicht, hierin könnte unsre Rettung liegen!

FRANCESCO. Lass hören, was geschah! Was hast Du zu berichten?

ADALBERT. Nun, platterdings – er war gar keck – hab ich ihn in die Eng’ getrieben, ihn vor die Wahl gestellt, seinen eignen Reichtum für uns ausgenutzt. Sicher ist er noch recht verwirrt und wartetdrüben auf unser Kommen. Das klein’re Übel wählte er – so nach seiner Meinung – doch was ich ihm abzuknöpfen plane, wüsst er’s, wär’ er schon lang entschwunden, größtenteils verdutzt.

FRANCESCO. Ein Schlawiner bist Du, ein wahrer Tunichtgut! Geschickter hätt’s auch von mir nicht kommen können. (beiseite) He, he, dieser Adalbert, der Phrasendrescher, ist doch ein weis’rer Mensch als zuvor von mir gedacht. Gar vorzustellen, er böte gelegentlich das eine oder andere Lebrendo dar.

ADALBERT. Wie ich des Königs Sohne kenne, so wird der Köder nicht gerochen worden sein, denn der peinliche Gestank des Reichtums, süßlich doch zugleich, vermag stets die schlimmsten Befürchtungen zu übertünchen.

FRANCESCO. Pardauz! Sieh dort, ist’s er?

ADALBERT. Wo, wo? Ja, dort hinten, siehst Du die roten Tücher fächeln?

FRANCESCO. Was tut er dort? Er wird doch nicht!

ADALBERT. Er hintergeht uns, steigt gar in den Zug! Ich sah doch schon den königlichen Vogel, durch und durch schmackhaft und
nahrhaft, entzwei geteilet vor uns liegen! Und nun das, wie kann er’s tun? Beschmutzt er damit doch des Königs Banner!

DER PRINZ (ruft). Ehre steht dem meinigen Geschlechte von Geburt an zu! Verlust der Selb’gen ist unmöglich!

ADALBERT. Ich Dummerjan, ließ ich dies doch stets in meinen Novellen unbeachtet.

FRANCESCO. Nicht allein Moral ansich ist käuflich, auch dergleichen keine zu besitzen, bedarf der Gunste eines Grandseigneurs! Was geschieht hier, mein edler Freund? Bahnt sich nun das Ende an?

ADALBERT. Fürchte nicht das Ende, und selbst wenn’s kommt, ist’s unaufhaltbar. Doch verzweifle nicht, ein weit’rer Plan, den
ich stolz mein Eigen nennen darf, schlummert noch in dunkler Ecke.


Vierter Auftritt

Zum Scheitern verdammt,
die Rückbesinnung folget.
Suche in des inn’ren Selbst
vermag Wunder zu entfalten.


Am Bahnsteig. FRANCESCO und ADALBERT.

FRANCESCO. Nun lasset uns nicht Trübsal blasen und sinnlos verweilen, er fuchste alert sich aus der Falle. Gehen wir über zum nächsten Versuche, des Essens Beschaffen kann so schwer nichtsein! Überleben darf zum Luxus nicht verkommen!

ADALBERT. Wenn ich eines aus meinen Novellen lernte, dann ist dies gewiss, dass selbst der härteste Richter den Mundraubenden Milde spüren ließe.

FRANCESCO (spricht zu einem Bild, welches er aus seiner Tasche holt). Violetta, mein gehütetster Schatz, lang ist’s her, dass Du mir den Rücken kehrtest. O, denk ich an die glücklich’ Stunden, die ich mit Dir verbracht, so ist’s wahrlich eine Schande, wie das Volke uns verschmähte. Wie tags zuvor erscheinen mir die pöbelnden Streuner, die gehobnen Leute, wie sie das Haus belagerten und der Ruf, der Drang nach Trennung, zu entzweien, was geeint ward!

ADALBERT. Vertraut klingt mir dies’ unglaublich’ Bewandtnis. Ein gewisser Kurgunz von Trönchhausen – er trat in mehr’rer meiner Kuriosa auf – ging auf diese Weis’ zu Grunde, wie es auch einst seinem Vater zu widerfahren pflegte. Kurgunz war mein Spielball, ich ließ mit ihm geschehn, was mir zu Sinnen kam. Ferner weinte auch einmal ich mit ihm, als ich sein Todesurteil, in Gedanken nur, verfasste. Zwar hätt ich’s jederzeit verhindern können, doch tot war er, aus dem Kopfe gestrichen, für immer, unumkehrbar.

FRANCESCO. Schwer zu tragen ist die Last, die mit dem Verluste eines geliebten Weggefährten einhergeht. Aus Erfahrung hörest Du mich reden, doch ich merk es schon, ich fange an zu schwafeln.

ADALBERT. Dem Trübsinn zum Trotz, der in mir weilet, bei Gott, ich möcht es hören, teile mit, was Du mir zu sagen hättest, oder schweig auf Dauer.

FRANCESCO. Sie hörte auf den Namen Violetta van Castello, sei’s drum, es war der Name einer gar zu edlen Blume, denn von
höh’rer Würde stammte das Blute, wallend in ihren Adern pulsierend. Unsre Liebe glich einem ew’gen Bande, dessen Zerreißen
mit dem Ende aller Welten gleichzusetzen ward.

ADALBERT. O, Gutgütiger, berichte, was geschah! Ich will Betroffenheit vorzeigen, gar erwäge ich, dies in kommende Novellen aufzunehmen.

FRANCESCO. Es spielte sich ab am heiligen Abend. Die Nacht war klar, die Sterne zogen kreisend ihre himmlischen Bahnen, später erschien’s mir wie ein Tanz von Spott und Hohne. Am folgenden Tage ward unsre Hochzeit geplant. Befindlich in friedlichem Schlafe jedoch riss man uns grausam entzwei. Protestierender Pöbel stürmte unser Nest, entweihte die kostbarsten Dinge!

ADALBERT. Sie konnten’s nicht ertragen?

FRANCESCO. Gar zu wahr, mein Freund, gar zu wahr. Die Stadt war nicht bereit für uns – mich, den von je her zum Streicher
Auserkor’nen und sie, eines höh’ren Wesens Kindeskind, selbst gar noch um Stufen weiter angehoben. Ein zerbrechlich’ Dinglein war sie von Natur, sie glaubte des Pöbels Lügen und kehrte mir schließlich den Rücken. So geschah es, dass sich mein Leben schrieb, wie es nun kam – allein als Streicher, gemeinsam mit Andren. Ein Paradoxon, das mich prägte und sich tief in mir verankerte.

ADALBERT. Lass mich Dir berichten, von eben diesem Kurgunz, der vor langer Zeite gelebt. Er befand sich auf karger Steppe, die Vorräte teils verbraucht, teils verdorben. Mehr als einmal nur hatte er dem Tode spottend ins Gesicht gelacht, stets voll tiefer Zuversicht, den Trotze auf ewig zu bewahren. Doch just in dieser Stund’ der einen schicksalsträcht’gen Nachte – der Mond warf sein zittern-des Zwielicht auf die weiten Ebenen – geschah es, das unglaublichste aller Dinge.

FRANCESCO. Was war es? Es drängt und zieht mich gleichermaßen!

ADALBERT. Mit geschweiften Schwingen beflügelt sauste des Luzifers Bruder über die Savanne, und er hauchte und sog auf grausame Weise das Leben unter ihm aus. Kurgunz ward noch nicht erspähet. Fix bedachte er sich und hob eine Grube aus, deren Schutze ihn sicher durch die Nachte bringen sollt’.

FRANCESCO. Halt, halt. Wie könnt’ ein Stücklein Erde dem Blick des Dämons eisern Einhalt gebieten?

ADALBERT. He, lassest Du mich ausreden? Des Kurgunz Cousine Ottilie von Vladisbaach –nachts zuvor entschlafen– überreichte ihm nach seiner Geburt ein köstlich’ heil’ges Amulett. Geschmiedet in den geweihten Kammern des Klosters Regesbroich, um selbst die härt’ste Klinge abzuweisen, gewährte es dem Kurgunz Schutze. Am nächsten Morgen fand er des toten Getieres Fleische und labte sich ausgiebig daran. So kam es, dass vorerst er gerettet ward.

FRANCESCO. Gestehen muss ich, Du entlocktest mir die ein oder andre Träne, wenn an die armen Tiere und des Kurgunzes Cousine ich denk’. Womöglich ist die Pointe mir entgangen. Schau her, perlend die Träne abgetropft und doch im Fluge schon zu
Eis erstarrt.

ADALBERT. Gar zu verwunderlich, ich seh mein gespiegelt’ Bilde im Tropfen nicht mehr – die Welt scheint zu entschwinden.



Zweiter Aufzug


Erster Auftritt

Einen Pakte zu schließen,
sei er noch so königlich’ Natur,
ist stets zu genießen,
unter der Vorsicht Diktatur.


Im Speisewagen. Der Zug steht. DER PRINZ und der Kaufmann MISTER BRONCCINI, bald folgend der SCHAFFNER.

DER PRINZ. Willkommen heißen möchte ich den Reisenden aus fernem Lande, den durch seine Kleidung nur Bekannten – den sonderbaren Herrn im grauen Mantel. Es drängt sich mir die Frage auf nach Bewandtnis des Erscheinens.

MISTER BRONCCINI. Ihr ehrenwerter Vater, König Erwin-Theobald von Almenfelde, entsandte mich auf lange Reise – zu verlockend
die Offerte, als dass ich sie abzuschlagen verantworten könnte.

DER PRINZ. Mir wär’ darüber nichts bekannt, doch rede, schildre mir die Lage.

MISTER BRONCCINI. Der Entschluss ward schnell gefasset, es ist beschloss’ne Sache. Kurzum: Ich kaufe ihn, zahle zwölfhundert
dutzend güldne Unzen, lege zehn Zentner Zimt hinzu, obendrein verpacket in delikatstem Seidentuche. Nebenbei bemerket: Warum fahret der Zuge nicht? Welch garstige Umstände zwingen mich zum rastlos’ Halten? Möge der Schaffner doch endlich erscheinen und den Aufruhr klären!

SCHAFFNER (betritt den Speisewagen). Technisches Desaster, Achsenpleuel halb geborsten, Kolbenpuder ausgegangen, weit’re Fahrt zurzeit nicht möglich!

MISTER BRONCCINI. Das ist ein starkes Stück! O, Du Großgütiger im Himmel droben, man möge mich erretten aus dieser nicht mehr
feierlichen Konstellation. Solch ein Fauxpas bringt mich zum Grübeln, die zuvor noch fest gewes’ne Entscheidung gar noch
einmal wach zu prüfen.

SCHAFFNER. Türen gekreuzt verhakt, Ausstieg scheint unmöglich! Jedoch frohen Mutes, denn ein gewiefter Mechanikus tut bereits
den Dienste. Doch fehlt seit Stunden uns ein Kohleschaufler – er stürzte unglimpflich ins Verderben – ob die beiden Herren wohl volontierten?

MISTER BRONCCINI. Ihr wollet wahrhaftig zwei hohe Herren der Freiheit ihriger berauben, die Mischung edlen Blutes mit schmutzigem Ruß und verpesteter Asche erzwingen?
SCHAFFNER. Nun gut, ich suche denn ein’ Andren, ein wahres Raubein, welches den Dienst mit Anstand zu verrichten bereit ist.
(Ab.)

DER PRINZ. Genug der Schwätzerei, sage nun, was sei das Objekt der Begierde? Was auf Erden wär’ es wert, so hohen Preis dafür zu zahlen?

MISTER BRONCCINI. Blicke dort aus der Luke! Ich sehe, Dein Blick wandert ziellos umher. Doch schaue, der Bahnhof mein Eigen
wird bald sein. Freilich, ihn zu renovieren sei wesentlich erforderlich, betrachtet man doch die zahllosen Streicher, die ihr Unwesen hier zu treiben pflegen und alles mit ihrem Unrat zu besudeln wissen. Dieser Bahnhof ist des Monarchen nicht würdig, andren Ortes spottet man gar schon.

DER PRINZ. Wahrlich, noch im Morgengrauen begegnete ich einem dieser Sorte, abgesehen hatte er’s auf unsren Braten, drohte gar mit Verdoppelung der Bandenstärke. Ausgebufft wie ich stets bin, spielte lässig ich ihn aus. Doch nun, lasset uns prosten und grandios dinieren – ein wahrlich groß’ Geschäft bahnt sich vor uns an!


Zweiter Auftritt

Untergänge wallen heran,
die Tore des Abgrunds öffnen sich.
Doch noch ist nichts verloren,
wer kämpfet, ist wahrhaft königlich!


Am Bahngleis. FRANCESCO und ADALBERT, bald darauf ein BAHNHOFSARBEITER.

FRANCESCO. Sieh dort, mein Freund – wer kommet da im nassen Regen?

BAHNHOFSARBEITER. He, Ihr! Höret, ich bringe Kunde von gar wichtigem Geschehnis!

ADALBERT. Er siehet mir zu schurkenhaftig aus. Ich befürchte, er will uns hinter’s Lichte führen!

FRANCESCO. Lass nicht siegen das Misstrauen in den Fremdling. Sprich, wie lautet Deine Botschaft?

BAHNHOFSARBEITER. Zu Ohren kam mir, der Prinz sei angereiset, um großen Handel zu besprechen mit reichem Kaufmann aus fernem südlich’ Lande.

FRANCESCO. Worin bestehe nun der Handel?

BAHNHOFSARBEITER. Ihr werdet’s wohl nicht glauben, doch wahrhaftig: Diese heil’gen Hallen sollen gar veräußert werden, zu einem Preise, der ihnen im Geringsten nicht gerechte wird. Der reiche Handelsmann, er kündigt an, von Grunde auf den Hof zu
renovieren.

ADALBERT. In meinen Novellen sah ich dies stets kommen.

FRANCESCO. O, Schande, unser Dom der Geborgenheit, mein Zufluchtsorte seit Dekaden! Wähnen will ich nicht die Folgen, die dies wird mit sich ziehn.

BAHNHOFSARBEITER. Der Bahnhof ist der Obrigkeit ein Dorn im königlichen Auge. Man soll gar mit Stolz erfüllt verkünden dürfen: Dies ist unser Bahnhof, dies ist unser Lande! Doch die Streicherseelen, die hier hausen, gepaart mit unbeschreiblich bröckelnden Fassaden, wandeln ihn zum Spotte andrer Reiche. Die Forderung nach Arbeitskraft dröhnt seit Tagen uns in Ohren, man erwartet neuen Fleiß.

ADALBERT. Den Ihr nicht bieten könnet?

BAHNHOFSARBEITER. Fachgemäß erkannt! Neuer Hof geht einher mit frischen Gehilfen. Wir sind zu alt, zu routiniert geworden.

FRANCESCO. Was mag jenes für die Streicher heißen?

BAHNHOFSARBEITER. Um des Prinzen Worte zu gebrauchen: Räuchert aus das Rattennest, brennet nieder ohne Gnade!

ADALBERT. Unmenschlich! Stehet der Beschlusse fest?

BAHNHOFSARBEITER. Nahezu – das königliche Wappen muss gar noch gesetzet werden, um den Pakte mit dem Teufel zu besiegeln.
Ich sag’s Euch nun: Dies ist das Ende, unser Ende.

FRANCESCO. Lasst uns dies nicht kampflos billigen. Nehmen wir all unsren Mute zusammen! Ich rufe auf zum Aufstand der Streicher!

BAHNHOFSARBEITER. Ich stoße hinzu, um all die hilflos’ Genossen zu vertreten! Die Meuterei der Unterdrückten und Hintergang‘nen möge jetzt beginnen!

ADALBERT. Stürmt die Gleise!

ALLE. Stürmt die Gleise! Stürmt die Gleise!

FRANCESCO. Auf zum Zuge, um das Unheil abzuwenden!

ADALBERT. Ein zweites Male lassen wir uns nicht mehr linken, von dies’ verzognem Königsbengel!

ALLE. Stürmt die Gleise! (Marschierend ab.)


Dritter Auftritt

Bedrängnis macht kein’ Halt,
nicht vor warm, noch vor kalt.
Bedrängnis kennt kein Böse und kein Gut,
Bedrängnis kennt nur wahrhaft frommen Mut.


Auf den Gleisen vor dem stehenden Zuge. DER PRINZ und MISTER BRONCCINI.

DER PRINZ. Endlich befreiet aus dies’ stählern’ Büchse. Sie hielt uns gefangen viel zu lang.

MISTER BRONCCINI. Herrgott, und dieser Taugenichts, der Schaffner, empfand’s wohl als Vergnügen, mit Kohleschaufeln uns zu plagen. Vereitelt die Unterzeichnung des Vertrages, bei solch chaotischem Geschehen.

DER PRINZ. Bei all dem Dampfe, der hier herrscht, was mach ich aus, dort in der Ferne?

MISTER BRONCCINI. Heranwallende Mengen, pöbelnde Scharen! Massen der Apokalypse, höret Ihr sie brüllen? Zur Stürmung der
Gleise sie rufen auf!

DER PRINZ. Fast mir gar entschlüpfet durch die Meute, da fallet mir mein anvertrautes Weibe ein! Es befand sich auf dem Weg hierher, wo möge es nun stecken? Hurz, bei alldem Dampfe! Mein Weibe! Mein Weibe, finde Deinen Weg zum Prinzen!

MISTER BRONCCINI. Sie nahen heran! Es sind zwei Streicher, der Abschaum durch sie angeführt! Winde bekamen sie wohl von
geplantem Bravourstück. Mir zu meinem Teile kommet hierbei keine Schulde zu, denn kein Wort verließ mein’ Munde.

DER PRINZ. Flucht ist vorerst unsre Rettung. Zum Portale lasst uns eilen, um die Braut dort zu empfangen, und dann lasset uns
schnell verschwinden, denn des Pöbels Herden könnten uns die Köpfe kosten. Der Dampfe wird uns Deckung spenden. (Alle ab.)


Vierter Auftritt

Wege zu gehen ohne Zwecke,
Worte zu durchschauen ohne Sinn,
dies ist wahrlich eine Tugend,
für die das Sterben zehnfach sich zahlt.


Am Bahnhofsportal. DER PRINZ, MISTER BRONCCINI und später die heraneilende VIOLETTA.

DER PRINZ. Vorüber endlich dies’ unwürdig’ Hetzejagd.

MISTER BRONCCINI. Aufgeschoben die Konfrontation um wenige Minuten!

DER PRINZ. Das Weibe, es muss hier sein, es muss! Weibe! Wo steckest Du? Gib Laut von Dir!

VIOLETTA (eilt herbei). Dort seied Ihr zu guter Letzt, ich wähnte bereits mich verschlungen vom Moloche tobender Massen!

DER PRINZ (küsst sie). Schließe den Munde, schwätze nicht, denn ich habe Dich nicht darum gebeten.

MISTER BRONCCINI. Ein prächtig’ Stück Weibe, was Ihr da führet, wenn ich dies zu sagen mir erlauben dürfte.

DER PRINZ. Fasset sie nur an, genieret Euch nicht. Ein wohlgeformtes Frauenzimmer ist sie ohne Zweifel, denn schon ihre Mutter bereitete mir einig’ glücklich’ Stunden. Doch nun, auf zurück zum Zuge, der da wartet, um königliche Frachte zurückzubringen zum väterlichen Prunkesschloss.

MISTER BRONCCINI. Nicht zu vergessen zum Unterzeichnen des Vertrages.

VIOLETTA. Mein Herr, der Boden dröhnet, zittert!

DER PRINZ. Husch! Welch’ Sensation in königlichen Ohren? Barbarisches Getrommle, der Abschaum naht! (Alle ab, in Eile.)

FRANCESCO. Hat uns’ dröhnender Marsch hier bereits sein End’ gefunden?

ADALBERT. Mitnichten! Sieh dort hinten, verschwindend im Dampfe! Dort denke ich, das Flattern roter Tücher erspähet zu haben! Die Tücher des Prinzen können’s nur sein.

FRANCESCO. Schärfet Eure Blicke! Wie mir scheinet, von bezaubernder Dame er wird begleitet. Doch wer ist der Dritte? Wem folgt sie durch den Dampfe?

BAHNHOFSARBEITER. Auf, auf, hinterher! (Alle ab, hurtig folgend.)


Fünfter Auftritt

Armeen marschieren,
Einzelne flüchten.
Zusammenprall, Kampf, Tod!
Verhindern ward unmöglich.


Vor dem stehenden Zuge. DER PRINZ, MISTER BRONCCINI, VIOLETTA, aus dem Zuge der SCHAFFNER, später FRANCESCO, ADALBERT und der BAHNHOFSARBEITER.

DER PRINZ. Lang dies mein Korpus nicht mehr erduldet.

MISTER BRONCCINI. Wahrhaftig: Für solch rastlos’ Laufe ist unser hohes Fleische nicht geschaffen. Eine einz’ge derart’ge Eskapade noch, und verschwinden werd’ ich gar unverrichteter Dinge. Dies’ hässlich’ alt’ Gemäuer wird all dem Aufwand hier im Mind’sten nicht gerecht.

DER PRINZ. Selbstredend, solch’ Eselei kam nun vor zum letzten Male, lasst dies Euch versichern, gnäd’ger Herr – geschwöret sei‘s bei den luft’gen roten Tüchern, die streng und starr verzieren des königlichen Burschen holdes Antlitz!

MISTER BRONCCINI. Nun gut, ein weit’res Mal das Auge zuzukneifen bin ich noch bereit, Christ.

DER PRINZ. Verflixt, die Tür zum Zuge ist verrammelt! Schaffner! Erlöse man uns doch endlich aus dies’ Malheur!

SCHAFFNER (aus dem Fenster des Zuges). Türen durch den Dampfe korrodiert – Einstieg scheint unmöglich! Doch letzter Ausweg
scheint sich zu öffnen durch dies’ Fenster, aus dem ich mit Euch schwatze!

DER PRINZ. Beim Leben nicht, ersterens völlig ausgelauget ich bin, zweiterens: Wie sollte ich als königlich gebor’ner Sohne durch dies’ ölig’ Loche passen, verschmieret schlott’rig wie’s doch ist!

MISTER BRONCCINI. Nun dies war der letzte Tropfen, das zweite Fasse schon am überlaufen ist! Verzichten kann ich gern auf solchen Hofe – Halden voller Schutt und Tölpel!

DER PRINZ. Ruhigen Blutes, ehrenwerter Herr! Ich versich’re: Gnädig stimmen werden Euch die Dienste meines Weibes.

MISTER BRONCCINI. Abzulehnen dies’ Angebot wär’ gar unverzeihlich.

DER PRINZ. Sehet dort, der Dampfe wird zertrennet, von zornig durchschreitendem Mob! Noch einmal nun die Flucht zu wagen,
ein unmöglich’ Unterfangen dies wär’! Los, Weib! Verzieh Dich in hüllenden Schutze meiner wallenden Königstücher, denn nur
sie können Deckung Dir bieten vor des Pöbels schändlich’ Umgarnung!

FRANCESCO. Gefasset!

ADALBERT. Endlich Ihr könnet nicht mehr entkommen!

BAHNHOFSARBEITER. Der Zuge, als Instrument zur Fluchte gedacht, nun zur Falle für Euch geworden!

FRANCESCO. Welch grandioses Paradoxon! Das Glück tat gut, als es Euch verließ.

DER PRINZ. Tritt vor, elendiger Streicher, Dein Anliegen nenne mir. Hoffen will ich für Dich, es wär’ genügend gewichtig, um zwei hohe Männer mit Getöse von königlicher Arbeit fernzuhalten.

FRANCESCO. Worum es ging’, das wisset Ihr bereits seit Längen! Sagt, für welchen Preise habet Ihr dem Kaufmann die Seele dieses Landes angedreht?

ADALBERT. Ein dutzend Pfunde reinsten Goldes, oder zwei?

FRANCESCO. Sagt, oder waren’s drei, vier, fünf, gar ein halbes Dutzend?

MISTER BRONCCINI. Für solch lächerlichen Preise würde selbst der geistesärmste Strohkopf dies’ Gemäuer nicht veräußern.

ADALBERT. Täusch’ ich mich, oder seien’s Eure roten Tücher, die ungewohnet voluminös erscheinen täten? Gar dämmert’s mir itzo, Ihr habet mehr als einen Braten nur vor’m Pöbel zu verbergen.

DER PRINZ. Bei all dem Dampfe, er plusterte sie auf, ist dies’ Erscheinung mitnichten außerordentlich.

VIOLETTA (flüsternd). Mein Herr, dies’ Streicherstimme, seltsam bekannt und geachtet sie mir erscheint!

DER PRINZ (tritt sie, flüsternd in die Tücher). Still, Du kreuzesdumme Dirne!

FRANCESCO. Bei meinem Namen, der da Francesco sei, der Prinze scheint verrückt geworden – seht dort, er spricht zu seiner Kleidung!

VIOLETTA (lüftet die Tücher, tritt hervor). Große Freude erfüllet mein kleines Herze, den altbekannten Geiste längst vergang’ner Zeiten auf den Schienen hier zu treffen! Und doch beginnt die Wut in mir zu sieden auf Grunde des Betruges! Seiest Du glückelich geworden mit Deiner Rosamundella? Sei sie’s wert gewesen, sie an meiner statt liebend zu verwöhnen? Verzeihen kann ich’s nie, selbst nicht nach all den Jahren.

FRANCESCO. Dies sei nichts als Lüge, Lug und Trug, ludrig feige Verleumdung! Nichts an dies’ Geschichten ist je wahr gewesen.
Eine Rosamundella hat es nie gegeben, entsprungen der kranken Fantasie eines bösen Rachegeistes müsste sie gar sein.

ADALBERT. Gnäd’ge Dame, ich kenn’ dies’ Streicher hier seit Jahren. Ein solch’ Vergehen, was ihm vorgeworfen, mir beim besten Willen nicht zu Kopfe gehen vermag. Dies sind nicht Methoden eines Streichers, verstößt’s doch gegen jedwede Ehr’! Dies vielmehr mir erscheinet als die Tate eines neid’gen Mannes.

FRANCESCO. Der krampfhaft versuchet, zu erlangen, was er mit allem Golde nicht erstehen kann?

ADALBERT. Du hast’s erfasset!

DER PRINZ. Welch’ unmenschlich’ Monstrum, welch’ vermaledeit gegeißelte Seele, wär’ gar fähig zu solch schandenhafter Tat?

VIOLETTA. Mir scheint’s, dass Ihr selbst es gewesen seid, mein Herr! Ihr habt gewonnen mein kleines Herzchen, nach Vernichtung dieses Konkurrenten.

DER PRINZ. Seiest Du noch zu retten? Wahrhaft werfest Du mir vor, den Hass in den Pöbel eingespritzt zu haben? Welch’ unverfrorene Behauptung – o wart’, dies wird Schläge Dich kosten!

FRANCESCO. Es geschah in kalter Nacht, die Gräser blühten starr vor Frost. Nie zuvor sah ich den Pöbel in so aufgeschreckter Rage – eingepflanzet dies’ verrückte Idee, sie musste’s sein, dies war von vorn’rein klar. Doch des Königs Sohne, niemals hätt’ ich hinter allem ihn erwartet.

DER PRINZ. Schwafele kein unbedächtig’ Zeug! Jeder Manne wär’ dies zu tun in der Lag’ gewesen – des Pöbels Seele lässt zu geringem Preise sich gar spielend kaufen. Nur ein’ einz’ge Nacht im königlichen Harem für die Männer und gleiches für’s Geweibs, dies ward bereits genügend!

FRANCESCO. Lüstling! Zum zweiten Male schon ertappet!

DER PRINZ. Adel hat Moral nicht nötig! Was mir nicht zum Kaufe steht, erwerbe ich mit andren Mitteln!

MISTER BRONCCINI. Fordert der Streicher nun sein Eigentum zurück?

DER PRINZ. Hach, solle er’s nur wagen! Dies’ prächtig’ Weibe geb’ ersatzlos ich nicht her! Wer meinem Leib zu nahe rücket, bekommt die Spieße königlicher Wach’ zu spür’n!

VIOLETTA (zu Francesco). Zu gut lernt’ ich ihn kennen – er würd’ es wahrlich tun, wie auch mich er öft’rens in die dunklen Kerker seines Schlosses sperren ließ!

FRANCESCO. O, Violetta, die größte meiner allen Lieben, lass uns ziehen fort von hier! Düst’res Lichte umgibt den Prinzen, er schändet Dich und unser Heimatlande! Folge mir nun, und rette, was zu retten ist!

BAHNHOFSARBEITER. Du wollest nun flüchten, vor dem Elend flieh’n? Bedenke, welch’ Verantwortung Du übernahmest, als zum Aufstand der Streicher Du gerufen hast!

FRANCESCO. Wahrhaftig, dies ließ ich unbedacht. Die Liebe, der Blick in grau’ Vergangenheit und wölkchenblaue Zukunft, ließ für ein’ Momente mich gefrier’n. Was einst angefangen, muss nun zum End’ geführet werden! (zu Violetta) Die Revolte kann ohne
ihren Führer nicht existieren, verstehe dies! Doch auch für uns beide werd’ eine Lösung ich finden – es sei Dir gegeben mein ehrenhaftes Worte darauf.

VIOLETTA (entreißt dem Prinzen den Kaufvertrag und eilt in des Francescos Arme). Kein’ weit’re Sekunde möcht’ ich verweilen hier mit dem Prinzen! Lieber ziehe ich mit den Kämpfern. Dies‘ Diebstahl nun sei Euch ein Zeichen meines Willens!

ADALBERT. Nun lasset schnell uns die Fluchte ergreifen, denn dies’ Vertrage mit des Königs Siegel wird so fix nicht zu ersetzen sein!

DER PRINZ. Voreilig, voreilig! Hochverehrter Herr Francesco, in den duftenden Gemächern meiner kostbaren Burge könnt jetztens
schon ein königliches Bade auf Euch warten. Auch mit Golde pflege ich zu geizen nicht!

FRANCESCO. Golde möge zwar ein mächtig’ Mittel sein, doch um den letzten Funken verblieb’ner Ehre Ihr habet Euch nun selbst
gebrachet – müsset Ihr doch wissen, dass die Seele eines Streichers ein Gute ist, welches mit allem Golde der Welt nicht zu erhandeln wär. Eure eigenen fadenscheinigen Prinzipien habet Ihr ad absurdum geführet. (Ab, mit der protestierenden Menge.)



Dritter Aufzug


Erster Auftritt

Paragraphen gehen ein und aus,
das Leben zu regeln, dies ist ihr Sinn.
Doch das wahre Gefüge der Vernunft
bleibt gänzlich ihnen unerschlossen.

In einem Bureaugebäude des Bahnhofes. MAGNUS und MAGDA BOHRTAU.

MAGNUS BOHRTAU. Ziffer 3, Absatz 25, mein Schatz?

MAGDA BOHRTAU. Die Zugverordnung. Übergemäße Abhandlung von unterverwerteten Arretierungen befindet sich seit Einführung des neuen Zentralregelwerkes in strikter Ablehnung.

MAGNUS BOHRTAU. Die Ausnahmen, Schatz, die Ausnahmen! Sie fehlen!

MAGDA BOHRTAU. Nein, sie befinden sich hinten im Anhang B II, unter der beigefügten Sonderseite 3, Du weißt schon, die Gelbe.

MAGNUS BOHRTAU. Ja, die Gelbe… einiges Kopfzerbrechen sie uns schon bereitete, doch missen möcht’ ich sie nicht. Los, lies sie noch einmal für mich!

MAGDABOHRTAU. Ah, hier kommt es: Zusatz der Zugverordnung Ziffer 3, Absatz 25. Ausnahmeregelungen treten selbsttätig in raft,
wenn der Tatbestand eines ungekoppelten Riemenhalters (vgl. Speisewagenverordnung, Unterabsatz »angemessene Benutzung des integrierten Mobiliars«) durch die vom Bahnhofsvorsitzenden als zuständig anerkannte Kommission einwandfrei nachgewiesen
ist.

MAGNUS BOHRTAU. Doch genug des Spaßes – lass uns nun unsere Arbeit fortsetzen.

MAGDA BOHRTAU. Richtig – die neue Verordnung zum Schutze der Angestellten bei partieller oder totaler Erstürmung des Bahnhofes durch unkontrollierbare Menschenmengen. Der Entwurf muss bis dreiviertel vierzehn Uhr beim alten Rungdubus auf dem Tisch liegen.

MAGNUS BOHRTAU. Ich fürchte, unsere Verordnung muss ihren ersten Härtetest bestehen! Schau draußen, Liebling!

MAGDA BOHRTAU. Ein Haufen spurtender Menschen, den Staube wirbeln sie auf! Los, lies schnell, was wir bereits zu Papier gebracht haben, und dann lass uns die Maßnahmen sogleich ergreifen.

MAGNUS BOHRTAU (kramt ein Stück Papier hervor). Grobentwurf der Verordnung zum Schutze der…

MAGDA BOHRTAU. Los, weiter!

MAGNUS BOHRTAU. Erstens! Die Menschen sind zu identifizieren. Falls Identifikation möglich, Einschätzung der Feindseligkeit. Anderenfalls Beurteilung anhand des Äußeren.

MAGDA BOHRTAU. Es sind, soweit ich sehen kann, zwei Streicher, eine Frau und eine Arbeiterhorde, und sie sehen alle sehr, sehr feindselig aus! Einer schwingt sogar eine blutige Keule umher!

MAGNUS BOHRTAU. Zweitens! Bei feindseliger Gesinnung ist die Flucht umgehend zu ergreifen. Ein Bote ist auszusenden, um den
Monarchen ausreichend zu warnen. Bei nicht feindseliger Gesinnung haben sich die Angestellten ruhig zu verhalten…

MAGDA BOHRTAU. Flucht? Flucht! Sie er stürmen schon das Treppenhaus! Was, wenn keine Flucht möglich?

MAGNUS BOHRTAU. Drittens! Die Hochsicherheitstüren sind umgehend zu schließen und dreifach zu sichern.

MAGDA BOHRTAU. Schau auf! Sie kommen! Keine Zeit für Paragraphen, öffne Du lieber das Fenster – wir springen! (Beide ab durch das Fenster.)


Zweiter Auftritt

Alte Geschichten aus frohem Munde,
erzählt in schweigsamer Runde,
in prosaischer Form gehalten
sie ihre Kraft bestmöglich entfalten.


Im nun leeren Bureau. Stürmend der Meute voran FRANCESCO, ADALBERT, VIOLETTA und der BAHNHOFSARBEITER.

FRANCESCO. Sichert die Türe! Verriegelt die Bolzen, scheret den Klapphebel und schnüret die Rahmenverdrillung!

BAHNHOFSARBEITER. Gesichert! Durch dies’ Türe wird in Schnelle niemand mehr gelangen können.

ADALBERT. Der Prinze wird selbstredend alle Mittel einzusetzen wissen, um dies’ Streicherlager zu erstürmen. Im Geiste wird er schon finst’re Pläne schmieden, vor meinem Aug’, da seh’ ich schon die glitzernden Speere von des Königs Söldnertrupp.
FRANCESCO. Fordern wird er unsre Köpfe!

VIOLETTA. Hat uns dies’ kühne Tat nun hierher geführet, so seien dennoch wir gefangen. Der Prinze, er wird Wege wissen, den Abschaum einzukesseln, wie er sagt, und schließlich ihn in Gänze aufzureiben, gnadenlos und dröhnend zu vertilgen.

FRANCESCO. Zwar wär’ durchaus es gar mögelich, neuen Vertrage herzuschaffen, doch des Königs Siegel einzuholen würd’ viele
Meilen harten Weges bedeuten.

VIOLETTA. Der dicke Kaufmann geriet bereits nach kurzem Spurte in heftige Verschwitzung. Bis zum Palast von Blana Bora niemals er es schaffen würd’. Verdurstet und verhungert man ihn fände bereits ehe er aus weiter Ferne die Türme im Nebel hätte sehen können. Und die Fahnen an der goldnen Spitze, mit des Königs und des Prinzen Wappen, Banner schwingen stolz empor an steinerner Fassade. Ein reges Leben, blühender Handel mit fernen Mächten, von willenlosen Dienern stets umsorget. Dieser Ort ist wahrlich eine Pracht, wo es dreifach sich lohnt zu leben! Hach, wie wir die Wolken zählten an so manchem blauen Sommertag, und die Fackelzüge, ein Lichtermeer im weiten Berge. Stets behaglich auch im Winter, wenn warmes Feuer die Liebeslust in uns zum Kochen bracht’…

FRANCESCO. Der Prinze gewährte Dir vieles, doch das höchste aller Güter verwährte er Dir. Niemals darf ein Mensche der Freiheit seiniger beraubet werden, niemand hat hierzu das Recht, auch der potenteste Adel nicht. Was er Dir gab, vermag im Geringsten nicht, den Schaden zu vergüten, den er schamlos an Dir tat.

ADALBERT. Dies alles erinnert mich nur zu gut an den armen Kurgunz von Trönchhausen.

VIOLETTA. Wer dies sei? Dies’ Name kreuzt zum ersten Male mein Gehör.

ADALBERT. Kurgunz war ein Mann, dem viele Besonderheiten eigen waren. Viele kuriose Geschichten ließ ich ihn erleben, doch im
Ende wohnte die Krafte mir nicht inne, die von Nöten gewesen wäre, um ihn dem Tode doch noch zu entreißen. Ich war bei ihm,
noch ehe er geboren ward, verfolgte und lenkte seinen Weg zum reifen Manne. O, ich erinn’re mich als sei es tags zuvor gewesen, als er das Licht der Welt erblickte, und wie ich seine Mutter sterben ließ. Den Vater ließ ich fallen, in einer siegesreichen Schlacht. Vereinsamt wuchs er seiner Zeiten auf, doch er war stark und erbte den Mute seines Vaters und das Herze der Mutter. Aus seinem Dorfe vertrieben – er war zu gut für diese Welt – führte ihn das Schicksal unentschlossen an der Hand.

VIOLETTA. Was geschah mit ihm, o Herr?

ADALBERT. Nach wochenlanger Wand’rung erreichte er den Hofe des Grafen von Quaffury. Der Graf nahm ihn zum Knechte.Die harte
Arbeit richtete ihn nieder, zugleich ließ sie ihn am leben. Seine Geschichte hätte hier ihr End’ gefunden, wär’ da nicht eine holde Maid gewesen, Joiresse-Albury, für die er mehr als Zuneigung nur empfand.

VIOLETTA. Wie romantisch! Mir verlangt danach, noch mehr zu hör’n!

FRANCESCO. Ich sehe nicht, in welcher Weis’ das uns aus dies’ prekärer Lag’ erretten könnt’.

ADALBERT. Wart’, es kömmet sogleich. Bald stellte sich heraus, dass es die Tochter des Grafen war, der er seine Liebe schenkte. Als der Grafe dies erfuhr, wurde er rasend vor Wute, denn er hatte für sein Töchterchen ein’ andren Jüngling bereits auserkoren, der sowohl reich als auch mächtig war. Sir Clarius Brudonta sollt’ dies’ Auserwählter sein, doch Liebe ist nicht gewaltsam zu entfachen, Ihr wisset dies bereits.

BAHNHOFSARBEITER. Wohl wahr, wohl wahr. Als ein Schiffer ich noch war, hatt’ an jedem Hafen ich ein’ andre Liebschaft, doch tief im Herzen zog es mich zurück zum heimisch’ Herd und Weibe.

FRANCESCO. Kömmst Du nun letztendelich zum Punkte?

ADALBERT. Lauscht, lauscht, es folget sofort! Er bat den Grafen um eine Probe, um sich der Tochter würdig zu erweisen. Der Grafe trug ihm halben Herzens auf, ein altes Rätsel zu lösen: Es ist größer als Gott, schrecklicher als der Teufel. Die Armen haben es, die Reichen brauchen es, und wenn man es isst, so ist man des Todes. Was ist es?

FRANCESCO. Mir wäre es kein Hindernis gewesen, dies’ einfachen Rätsels Lösung zu finden, ist sie doch tief in meinem inn’ren Selbst verankert. Doch plaud’re weiter, die Zeit rinnt unaufhörlich!

ADALBERT. Kurgunz war der Verzweiflung nahe und befand sich schon auf halbem Weg zurück, als schließlich er ein totes Vöglein, unglückelich herabgestürzt, in Schutt und Asche begraben vor sich erspähte. In diesem Momente geschah es, dass auf wundersame Weise seine Seele erkannte, dass nur ausgehauchet mit dem letzten Zuge eines irdisch’ Lebens eine enigmatische Verzwickung von dieser Artung zu durchschauen sei. Er machte kehrt und sputete sich, vor Ablauf der vom Grafen auferlegten Friste das Schlosse zu erreichen. Das Fallgitter ward gemächlich sich bereits am senken, doch als er es durchschlüpfen wollte, durchbohrten ihn die Spitzen, von Clarius’ grausam kalter Hand geführet. Sein letztes Worte nützte Kurgunz, um der wartenden Welt und der Grafentochter die Lösung des Rätsels mit lautem Schreie mitzuteilen. Im Gesichte des Clarius explodierte der Wahnsinn, unerbitterlich hob er das Tor und ließ mehrfach krachend es zu Boden sausen, bis des Grafen Wachen ihn hinterrücks erschlugen.

VIOLETTA. Wie grausam!

FRANCESCO. Wie ich sehe, hast mit Blute Du nicht zu geizen. Doch noch immer dämmert’s mir nicht, was dies für uns bedeutet.

ADALBERT. Der Grafe nutzte die Gunst der Stunde – Kurgunz’ letzten Lebensmomente – um ihn mit Joiresse auf ewig zu liieren. So starb Kurgunz frisch vermählet und hinterließ ein Loch aus Trauer in meinem und der andren Leben, doch großes Wissen
war es auch, was er uns allen brachte. Nun ist es Zeit für uns, von seinem Werk zu profitieren.

FRANCESCO. Selig möge er dahingeschieden sein, doch an der Trauer Stelle ließ er mich mit rätselhaftem Sinnesreiz zurück – so recht weiß ich Kurgunz’ Tat nicht einzuordnen. Was haben wir daraus zu lernen?

VIOLETTA. Dass die Liebe selbst das Hindernis des Todes durchbrechen kann?

BAHNHOFSARBEITER. Dass zuweilen ein Ziel so hochgestecket ist, dass es die Opferung des eig’nen Lebens fordert?

FRANCESCO. Nun nach kurzem Grübeln meine ich, ein’ andren Sinne hier zu sehn: Gefahr ist ein Gute, welches von den obrigen Schichten stets ohne nötige Besonnenheit herabgeschüttet wird, was wiederum die Streicher schädigt – wohlgemerket: wie auch Kurgunz einer war.

ADALBERT. Ihr sprechet all’samt rechtens, und doch liegt Ihr meilenweit daneben.

VIOLETTA. Ich mag ja bloß ein Weiblein sein, doch Euer Reden erscheint mir schleierhaft.

ADALBERT. Der Prinze vergiftete Euch mit der süßen Milch der Verlockung, der Unmündigkeit – der Unfähigkeit des Menschen, sich seines Verstandes zu bedienen. Zurückgelehnet lebt’s sich leichter, kleines Fräulein! Doch lasst mich dies’ Paradoxon nun klären.

BAHNHOFSARBEITER. O da sei ich ganz Ohr.

ADALBERT. In des Wortes Schöpfung liegt der wahre Klang verborgen, der die Welt an seid’nen Fäden eisern spielt. Ein Schritt zu weit genüget schon, um den Wandel der Gezeiten, wie den Wandel der Welten, unauflöslich aufzubrechen. Der Prinze ist im Begriff, dies’ letzten Schritte nun zu tun.

VIOLETTA. Fröstelnde Angst beschleicht mein’ frommes Seelchen. So unschuldelig ich sei – der Prinze vermag die Welt mit einem
einz’gen Schlage nun entgleisen zu lassen.

FRANCESCO. Triumphal gesaget, meine Liebe – wie es scheint, hat der alte Novellist aus Dir den wahren denkenden Menschen gemacht. Ei, welch betörende Wirkung dies’ Parabulus admirabilis hätt’!

ADALBERT. Juchee, ihr habet es durchstiegen.


Dritter Auftritt

Errare humanum est,
Ergo bibamus!
Fabula docet: Ex iniuria ius non oritur!
Fama crescit eundo.


Im Bureau des Gendarmen. Der GENDARM, bald darauf folgend DER PRINZ und MISTER BRONCCINI.

GENDARM. Mouair, schon wieder dieser Mouair. Diesem Manne scheint das Unglück angeboren. Zum dritten Mal nun schon
beraubet. Was ist’s diesmal? (liest) O ha, eine silberne Kette von höchstem Gute. Er fordert das Fassen des Diebes! Was denkt der wohl, wer ich bin? Zweifelhaft dieser dritte Diebstahl nun, mir kommet der Verdachte, er habe sie selbst entwendet. (stempelt) Abgelehnt! Abgelehnt, und nochmals abgelehnt! O wie liebe ich dies’ Worte. (blättert) Nanu! Eine Ankündigung eines Besuchsantrages. (blättert weiter) O welch grandiose Überraschung! Der Prinze fordert, mich zu sehen! (liest, schüttelt mit dem Kopfe) Nein, nein, nicht die Möglichkeit, nein!

DER PRINZ (stürmt herein, ohne zu klopfen, mit ihm der MISTER BRONCCINI). Geraubet, geraubet – er wurde geraubet! Was diese Streicher sich leisteten, entgleiset jedweder Vernunfte!

MISTER BRONCCINI. Hätt ich dies zuvor gewusset, wär’ lieber im warmen Carunda ich verweilet. Doch nun ist die lange Reise vollbracht, und die Umkehr wäre eine Schmach. Man wird mich feiern, wenn stolzierend triumphierend ich mit dem Hofe im Besitze schließlich zurückschreite. Endlich werde ich ihr etwas zu bieten haben.

GENDARM. Nun, mein Prinze, lieber Herr, gestehen muss ich, ich sei recht konsternieret bezüglich dieses Vorfalls. Was trug sich nun zu? Doch ich bitte Sie um Beschränkung auf das Obligate, denn meine Zeit ist knapp bemessen. Eine pompöse Dieberei, zutiefst verachtenswert – es ging um eine Kette – hätt sich ereignet, nun bereits zum dritten Male.

DER PRINZ. Nungut, ich will mich sputen. Nichts Böses ahnend versuchte ich, dies’ edlen Herrn im grauen Mantel hier zum Zuge
zu geleiten, wobei mich eine ungehalt’ne Meute feige hinterrücks überrumpelte und gänzlich umringte. Skrupellos nutzten sie die Deckung des Dampfes, um unmännlich und arglistig mich zu überfallen.

MISTER BRONCCINI. Heuchlerische falsche Sippschaft! Eingekesselt von allen Seiten, und der beißende Gestank der Armut in unsre edlen Nasen steigend.

DER PRINZ. Doppelzüngig lockten sie mich in ihre heimtückische Falle, boshaft wie sie waren. Der große, der ungepflegtere der beiden Streicher, drohte gar, mich meines Hauptes zu entledigen. Zu diesem Zwecke führte er einen Dolche mit sich, vermutlich aus der Waffenkammer des Königs erschlichen. Was sie forderten, war gar grotesk – die Herausgabe des königlich abgesiegelten Kaufvertrages. Mein Leben hätt’s gekostet, hätt die unersetzbare Urkunde ich nicht hergegeben.

GENDARM. Wo seien sie nun, die elendigen Banden?

DER PRINZ. Im Verwaltungsbureau verschanzten sie sich. Ihr müsset wissen – die Tore sind gar unerschütterlich. Kein Wege führt daran vorbei, aus kostbarstem Stahle gefertigt.

MISTER BRONCCINI. Nur einem listigen Fuchse möge es gelingen, die Streicher letzten Endes doch noch zu ergreifen.
DER PRINZ. Meinem königlichen Oberstübchen entsprungen, ist ein pfiffiger Plan bereits vollends auserkoren, um der Streicher letzten Untergang schlussendlich zu besiegeln. Herr Gendarm, ich ging rechtens in der Annahme, Sie selber seien selbst einmal einer Streicherseel’ nicht unähnlich gewesen?

GENDARM. Korrektestens. Man las mich auf von gammlig-verdorbenem Straßenrande, rundweg verschroben und burlesk, nicht viele Jahre ist’s nun her. Ein müßiggängerisches Leben pflegte ich. Ei, möglich sei es schon, dass ich sie jetzt noch täuschen könnt’. Welch hinterlistiger Plan, den Ihr Euch da ersonnen habet.

MISTER BRONCCINI. Was ist’s, worauf Ihr wartet? Los, los, auf, lasset zur Tate uns schreiten! (Frohen Mutes ab.)


Vierter Auftritt

Schrecken wildert umher,
wie ein Fuchse so still und leise.
Was schallet Ihr drum?
Begebt Euch nicht auf die Gleise!


Im Verwaltungsbureau. FRANCESCO, ADALBERT, VIOLETTA und der BAHNHOFSARBEITER. Die tobende Meute im Hintergrunde. Bald darauf folgend der GENDARM.

FRANCESCO. Und so sage ich doch rechtens, es seien dreie an der Zahl.

ADALBERT. Welche da wären?

FRANCESCO. Ersterens uns’ eig’ne Weltenscheibe, darauf nun folgend der blutrot kriegerische Mars und schließelich der größte der Giganten, der Furcht erregende Jupiter mit seinem Monde, der Venus.

VIOLETTA. Eine solch romantisch’ Erscheinung, und die Harmonie, die in uns weilet… sehet Ihr das Sternenbild der Kröte? Den Gürtelstern mir schenkte der Prinze und nannte ihn nach meinem Namen: Chelys Violettanis…

BAHNHOFSARBEITER. Mitnichten ist dies eine Kröte! Wohl dem, dessen Blicke nicht durch wehleidige Gläser getrübet sei. Klarerweise ein Rhombus dritter Ordnung, mit gleichen Schenkeln gar versehen.

ADALBERT. Mir war, als säh ich Rauchzeichen von diesem schmälern gelblich Punkte droben schillern. Ob dies fremde Streicher seien, die auf dortiger Sphäre verweilen?

BAHNHOFSARBEITER. Erstaunend mich immer wieder, die Kraft der Illusion. Bedauerlich, wie sie aus einem Streicher einen Banditen fertigt.

FRANCESCO. O, Streicher des Orions, wo immer Ihr auch seied! Schenket mir Eu’r Ohr. Möget Ihr dem mit Hoffnung begegnen, was mit Rache zu vergelten wär. Was hier geschehe, ist mitunter ärgstens boshaft und verdorben. Sei es besser, wo Ihr weilet? Brauchet Ihr nicht zu fürchten um Euer Leben, nimmt man Euch nicht das schützende Obdach?

ADALBERT. Betrachtend die Größe, die Vielfalt im gottherrelichen Kosmos, die Streicher schrumpfen und schrumpfen, bis schließlich sie als nichts sagender Punkte wie ein Schiff am Horizonte sang-und klanglos ohne Kampfe untergehn – dito die Blaublütigen, im Untergang vereinet mit den Streichern, und im Endesind sie unter uns, von großen Mengen gepeinigt, deren letzten Willen ihnen selbst der kaltherzigste Schöpfer nicht zu verwehren vermag. Im Angesicht des Himmels wird all dies offenbar, was Worte nur schwerlich zu umschreiben wissen.

FRANCESCO. Wie sagte noch Trescinalli der Weise: Zum Bleiben bedarf es nicht weniger als zum Gehen. Ei, grandiose Bestätigung! Diese Momente der vollkomm’nen Klarheit, der plakativen Erkenntnis, in denen es selbst dem Streicher gelingt, die Welt als Ganzes zu umfassen – sie sind’s, wonach ich strebe. Im Ende gedenke ich, den ganzheitlichen Rundumschlag des Herren beharrlich abzuwehren und wallend meine Stimme zu erheben!

BAHNHOFSARBEITER. Horcht, und ruhig mit dem Geschwalle, es donnert an der Türe!

GENDARM (von draußen). Gewähret mir Einlass!

FRANCESCO. Benenne Dich und Deine Absicht!

GENDARM. Turmhold der Arme bittet um Unterschlupf! Man ist mir auf den Fersen.

ADALBERT. Was habest Du getan?

GENDARM. Die Umstände forcierten es, ein gekröntes Rebhuhn des Landesfürsten Regus des Frommen zu entwenden und gleichsam
an Ort und Stelle auszunehmen und roherweise zu verspeisen. Doch wahrhaftig war seine Frömmigkeit nur Maskerade, gute Miene zum bösen Spiel, und er hetzte gnadenlos sein Bluthundrudel mir an den Halse. Ihre angespitzten Zähne bohrten sich mir in die
Waden, rissen ein Stück davon heraus, was sie eine Weile beschäftigte. Somit gelang’s mir schlussendlich zu entkommen. Spurtend Tag und Nacht in Richtung der Züge, denn es gab Berichte eines Aufstandes der Streicher, wo ich mich sicher fühlen könne.

FRANCESCO. Ehrlich gesprochen, mir fallet es schwer, dies’ Kuriosum Dir abzunehmen.

VIOLETTA. Der ärmste Manne steht dort draußen, und Du wollest bitterlich ihn frieren lassen?

ADALBERT. Der Kodex der Streicher zwinget uns zur Gnade, denn Gnade steht demjenigen zu, dem die Welt solch schwere Bürde
hat auferleget.

GENDARM. Die Hunde nahen nun! Öffnet, rasch! Oder wollet Ihr das höchste aller Streichergüter in tiefste Verrufenheit ziehen, infamerweise gänzlich verraten?

FRANCESCO. Ich selbst ward einst von solch’ Getier verfolget, doch nie hätt’ ich’s – mit einem Beine nur bestücket – derartig verstanden zu entkommen. Ferner zweifle ich daran, dass unsre Sache schon bis zum Niederthariskaller Becken durchgedrungen sei – von wo er ja behauptet, zu kömmen. Der Kadallah-Pass sei überdies nur mit schwerster Mühe zu durchqueren. Kurzum: Ich
sage, er ist ein heuchlerischer Blender! Lasst Ihn nur herein, und er wird uns das Ende bringen.

ADALBERT. O, welch weit’res exzellentes Paradoxon – durchaus wert, in einer Novelle verewiget zu werden, dauerhaft konserviert, auf ewig gebunden an die Nachgeborenschaft. Sollen sie sich doch damit herumplagen!

BAHNHOFSARBEITER. Nicht in den Wege stellen möcht’ ich mich der Rettung der Streicherehre, drum lasset ihn nun ein. Geneiget bin ich, bis zum Letzten der größten einfallenden Armee standzuhalten – koste es, was es wolle!


Vierter Aufzug

Erster Auftritt

Zeit, O was bist Du?
Du lenkest die Wege,
Du zerstörst die Hoffnung.
Chronos, erlöse uns Brüder der Zeit.


Vor dem Verwaltungsgebäude. Die Vorigen, DER PRINZ und die bewaffneten Soldaten des Königs.

GENDARM. Schauet, sie schluckten’s!

DER PRINZ. Zweifel ließ ich niemals daran zu. Ich müsste schon gestehen, mich mit diesem Meisterstreiche wieder einmal selbst
überflügelt zu haben. Dank des Turmholdes ist ihr Ende nun besiegelt. Baumeln ihre Leichname von den Zinnen Blana Boras herab, so werde ich Dich für Deine harte Arbeit zu belohnen wissen. Der Titel eines Junkers sei Dir gewiss!
GENDARM. Erblicket dort die Türe! Sie öffnen sie!

ADALBERT (schreitet heraus). Gegrüßet sei Turmhold der Arme… (stutzt) der den Waffenrock eines Gendarmen trägt! (ruft zurück)
Meine Freunde, Verrat! Felonie! Verriegelt alles, machet schnell, wartet nicht! Ich halte sie hin!

FRANCESCO. Mir war dies klarerweis’ bereits bekannt. Mich dünkt es, der Prinze legte uns ein Kuckucksei ins Neste, ein Ovulum
phaulius von höchster Prachte. Doch den Novellisten zu opfern bin ich nicht bereit. Drum folget seinen Worten nicht, wir hängen uns ihm an.

VIOLETTA. Grausen, trübes Grausen, mein Blick ist… ich spüre, wie das Leben in mir schwindet.

BAHNHOFSARBEITER. Mein Versprechen ich löse nun ein. Unzählige Flinten und Musketen auf mein’ Korpus gerichtet, wage ich
dennoch den Angriff zu starten. Eilt, lauft davon und nutzet den Moment der Verblüffung! (stürzt sich brüllend auf die Soldaten des Königs, ringt mit dreier der ihrigen, doch sinkt schließlich getroffen nieder) Streicher, hört mich… kostet dies als Moment unseres fatalen Triumphes aus… (röchelt) des Rätsels Lösung steigt mir vor Augen, es ist… (stirbt)

FRANCESCO. Heldenhaftig opferte er sich auf.

ADALBERT. Im Laufschritt weiter, lasst dies nicht das Ende sein! (wird angeschossen, geht zu Boden) Aaaa! Reiset ohne mich weiter, meine Bahnfahrt des Lebens droht zu enden, der letzte Halt steht geradewegs bevor.

DER PRINZ. Fasset sie, lasst sie nicht entkommen – doch ich will sie lebendigen Leibes! Achtet auf das Weibe!

GENDARM (fasst und fesselt den FRANCESCO und die VIOLETTA). Junker Gerbatin meldet: Getan die Sache mit Bravour!

DER PRINZ. Weibe, rück’ ihn heraus! (entreißt ihr den Kaufvertrag) Und nun auf zu den Zügen! (Alle ab.)


Zweiter Auftritt

O Meister Gerbatin,
verraten habest Du sie.
Gold und Silber winkten.
O Gerbatin, was bist Du?

Im Zuge nach Blana Bora. DER PRINZ, MISTER BRONCCINI, FRANCESCO und VIOLETTA.

DER PRINZ. Der Triumph ist mir nicht mehr zu nehmen. Das Gesindel tödlich getroffen und teilweis’ hier im Zuge verstaut.

MISTER BRONCCINI. Lasset uns nun den feierlichen Akt vollzieh’n, der schon vor Längen hätte errungen werden sollen. Würdevoll
händige ich Euch nun die magische Mercatorfeder aus, die schon seit Generationen in meinem Geschlechte ihren Dienste tut.

DER PRINZ (unterschreibt). Hiermit erklärt der Sohn des Königs Erwin-Theobald von Almenfelde dies’ Geschreibsel als ritterlich und offiziellerweise anerkannt. Den Bahnhof zur Feyder Brücke besitzet nun Ihr, geehrter Herr Bronccini. Darf ich nun um die angekündigte Entlohnung bitten?

MISTER BRONCCINI. Freilichstens – die Säcke ganz und gar mit Golde aufgefüllet befänden sich längst auf dem Wege zum König,
der feinstens gemahl’ne Zimte gleichermaßen, und ebenso die seid’nen Tücher, die Euch das Herze vermochten zu rauben.
DER PRINZ. Jubel und Gejauchze! Im Ende nun schließlich vollends gemeistert! Lasst diesen Tag nicht ungefeiert vergehen, so bringet nun endelich das große Buffet – garniert mit exotischen Köstlichkeiten, gespickt mit geheimnisvollen Spezeleien, die uns hohem Adel wie ein Ei so zart im Halse zergehen.

MISTER BRONCCINI (bedient sich reichlich an den herbeigebrachten Speisen). Deliziös – dies mundet meinem Gusto! Der Smutje scheint ein wahrhaftiger Meister seines Faches zu sein, ein beglaubigter Könner! Obgleich etwas dominierend der Unterton des Korianders…

DER PRINZ. Nun aber zum Höhepunkt – die Vollstreckung der gerechten Strafe für die Aufständischen naht. Die, die es gewagt haben, sich dem statthaften Verlauf der Dinge zu widersetzen, sie sollen nun baumeln. Doch ich wäre nicht des Königs Sohne, würde ich nicht meine großartige Barmherzigkeit darlegen, indem ich mich herabbegebe auf den Range dieser herumlungernden Streuner und sie offen frage: Wollet Ihr in Anbetracht meines niederschmetternden Sieges Vernunfte zeigen und um Euer eigen Leben willen schließlich zu Boden fallen und unter dem Gesange eines nie enden wollenden Lobpreises um Gnade betteln?

FRANCESCO. Ausgeschlossen! Den Leibe eines Streichers möget Ihr zwar gewaltsam unter die Räder gebracht haben, jedoch ist Gleiches mit der Seel’ zu tun ein gar unmöglich’ Ding. Lieber werd’ ich baumeln als mich einem Manne ohne Ehre – und sei er noch so mächtig – zu unterwerfen.

DER PRINZ. Nun gut, wenn Du so meinest! Kommen wird die Stund’, in der selbst Du gebrochen vor mir winseln wirst. Wie
steht es um das Weibe, das hinterhältig mich verriet? Auch Dir soll meine sagenhafte Großzügigkeit zuteile werden, sofern Du es denn wollest.

VIOLETTA. Ein zweites Leben auf Blana Bora sei zwar ein verlockend’ Wagnis,doch die Streicher öffneten mir die Augen, die von Eurem triefenden Blendwerk verklebet waren. Den Preis zu zahlen ich bin nun durchaus nicht mehr willens. Die Türme Blana Boras verschwinden zunehmend im Nebel vor’m Auge meines Geistes.

MISTER BRONCCINI. Welch mutig’ Entscheidung – sei’s drum, sie werden beide baumeln. Nichts geht über eine plangemäß vollzogene Hinrichtung am Hofe des Königs.


Dritter Auftritt

Zerstreute Vernunft im Schlusse.
Entreißend der Welt eine neue Seele,
die Ihriges zum Lauf der Dinge
bewusstsam hat beigefügt.


Am Bahnhof. ADALBERT auf dem Boden vor den Schienen.

ADALBERT. Hier sei ich nun am Ende des Weges. Meine lange Reise führte mich in die Arme des Schreckens. Aus Sternenstaub geschaffen beschenkte des Herren Geist die Welt mit hold lebsamen Wesen, und die Welt ward gut und heil, lebenswürdig gleichermaßen. Doch besagter Bruder des Qualenfürsten stampfte auf die Bühne der noch jungen Weltenschaft. Die Galle schwoll vor Wute ihm an, platzte, und es ergoss sich ein Saft des Hasses über die Liebe der heilen Welt. So sei die Schöpfung des Streichertums und aller Globusse vollends umschrieben, welche ihnen vom Herrn als Lehnsträger auferzwungen wurden, um in fernen Äonen weitergereicht zu werden in die Obhut andrer Dinge. O, wir verdienten – nein, wir bezichtigten die Umstellung der Maxime. Wir Söhne der Zeit marschierten umher mit des Brotes Unlust und Dumpfheit voll bepackt. Da kommt’s mir wie ein Blitz: Die Zeit war mir ein strenger Vater. (kriecht langsam in Richtung der Schienen) – Töricht dünkelhaft tappte er im Dunkel. Stille umgab sein einst wachsames Gehör, und der eine Faden riss. Man senkte ihn herab, um seine Hülle in die Hände der Muttererde zu überreichen. Trauer umgab den Kreis der Lebenden, und die Eine bezichtigte das Schicksal des falschen Spieles. Waren’s Schritte, die er dumpf von droben behorchte? Ein Kampf der Welten entbrannte. Lange rangen sie um seine Gunste, aber schließlich flackerte das leichte Glühen lechzend zu einem Fünkchen auf. Lichterne Lawinen gerieten tosend ins Rollen und durchstießen das Erdenreich. – Kurgunz! Kurgunz, kann ich’s selbst gar noch glauben, Du seiest am leben? (schleppt sich mühsam auf die Schienen) Sie entrissen ihn dem kalten Grabe und bejubelten die neue Krafte, die ihm innewohnte. Genügend machtvoll, um des Fürsten Heeresscharen mit Flaggen schwingend auf immer zu vertreiben. (überquert schließlich die Schienen, sackt schlagartig zusammen, sein Antlitz himmelwärts gerichtet, mit verblassender Stimme) Fernab und allem Geschehen zum Trotze liegen Silbertaler… wirr verstreut, doch würdigt man sie eines zweiten Blickes… so sei’s offensichtlich, wie sie den Menschen zur Gier erziehen. Still! – Wolke des Erachtens meines Selbst! Möge sie in der Wüste dahinsiechen… So sei es, und so kann es nicht mehr geändert werden. Aufhören sollte man, jawohl. – Ferdinand, wo bist Du geblieben? Schau doch, wie die ersten Flocken fallen, das musst Du sehen – und wie sie heraus eilten… eilen… Wer ist in Eile? – Sausewind, talabwärts fluchs, geschwind! (mit letzter Kraft und alter Stimme) O, wie der Frühling schließlich obsieget! (stirbt)



Fünfter Aufzug


Erster Auftritt

Er wandelte im stillen Sturme,
Schirme und Mützen vollends bereit.
Der Regen kam
und ging vorbei.


Im Festsaal zu Schloss Blana Bora. DER PRINZ, FRANCESCO, VIOLETTA, BEDIENSTETE DES KÖNIGS, DAS VOLK.

DER PRINZ. Kraft des mir auferlegten Amtes verkünde ich heroldisch meine glorreiche Rückkehr zu diesem mir so vertrauten Heimatgemäuer, das mich so vollkommen geschmücket begrüßet habe.

DAS VOLK. Sei gegrüßet, O mächtiger Heimkehrer!

DER PRINZ. Wie ich höre, schreiet Ihr nach Gerechtigkeit und Gemetzelei. Nun denn, beides sollt Ihr haben! Führet sie herbei, die Elendigen! (Die Bediensteten schaffen einen Käfig herbei, in ihm der FRANCESCO und die VIOLETTA.)

DER PRINZ. Schildbürger, lauschet! Auf meiner Reise in unsere Hauptstadt belästigten mich diese beiden verlotterten Halsabschneider und versuchten auf unverfrorene Weise, die Majestät von ihrer Arbeit abzuhalten und unsere königliche HochherrlichkeitinihremgleißendenLichteabzublenden.Garbedrohtenandre der Bande mich mit einem gestohlenen Dolch aus dieser wunderschönen Stätte. Gemeiner Meuchelmord! Gelobet an dieser Stelle sei der ehrenwerte Junker Gerbatin, dem es schließlich mit meinen gewitzten Einfällen gelang, das verbrecherische Gesindel einzukerkern. Viele flüchteten vor ihrer gerechten Strafe, doch zu entkommen war niemand in der Lage. Jedoch frohlocket! Ich lege nun das Leben dieser beiden Aufrührer in Eure Hände, in die Hände des gerechten Gottesvolkes von Blana Bora.

DAS VOLK. Hängt sie auf! Hängt sie auf! Lasset sie baumeln! Lasset sie baumeln!

FRANCESCO. Merkt Ihr’s nicht, wie er Euch blendet? Er würd’ nicht weniger zögern, ständ’ einer von Euch hier an meiner Stell’. Streicher im tiefen Herzen zu sein, bedeutet das Leben als solches zu leben und mit dem Puls der Welt im Einklang zu schlagen.

VIOLETTA. Seht mich an! Ich sei’s, Violetta! Er benutzte mich wie ein Stück Vieh. Dieser Manne neben mir, er ist’s, den ich liebte und noch immer liebe. Doch dem Prinzen war’s ein Dorn im Auge, und er missbrauchte seine Macht, um dies zu trennen, was als Eins gedacht.

FRANCESCO. Doch – dies wird Euch zugrößt erzürnen – er versetzte Euren Bahnhof, dies’ Stück lebendiger Geschichte, das Tor zu andren Reichen. Für einen lächerlichen Preise gab er ihn her, an einen fremden Händler – feist, fleischig, fett und ufgedunsen – der sogleich den Hofe mit seinen drakonischen Maßregeln besudelte. (Im Volke unterhält man sich aufgeregt, Ärger und Entsetzen machen sich breit.)

DER PRINZ. Silencium! Silencium! Nun haltet ein, haltet doch schlussendlich ein! Was dieser Streicher sagt, ist vollends erlogen und entsprang einzig seinem kranken Geiste. Denn seht her, was ich zu bieten habe! (Er lässt einige Säcke mit Goldmünzen von der Empore ausschütten, um welche sich die Menschen in einem wirren Tulmult streiten.)

DER PRINZ (zu den Gefangenen). Seht her, ein weit’rer Sieg auf meiner Seite. Euer Versuch des Hochverrates ist kläglich hier gescheitert. (zu den Bediensteten) Führet sie ab! Morgen in der Früh’ sollen sie die vom Volke auserkor’ne Strafe erhalten. (Ab, mit den Bediensteten, die den Käfig tragen.)


Zweiter Auftritt

Biester tanzten umher,
den tödlichen Tanz im Nacken,
sah ich sie vom Felsen aus,
des Feuers Brunst stieg hinauf.


Im Kerker. FRANCESCO, VIOLETTA, EIN KURIER und später EIN WÄCHTER.

FRANCESCO. Gar so verzweifelt sei unsere Lage. Gefangen im Bauche dieses Ungeheuers. Von des Lebens Lasten zutiefst ermattet zerrinnt mein Trotzungsplan zu Staube.

VIOLETTA. Glaubst Du noch an letzte Rettung Deiner Ehre?

FRANCESCO. Mitnichten. Doch lass uns nun die letzte aller Möglichkeiten ernsthaft in Betrachte ziehen. Ein entscheidender Schlag gegen den Prinzen sei die Vernichtung unsrer eig’nen Selbst. Aus dem Grabe werden wir schallend zu ihm hinauf lachen, und sein Ego wird sich senken noch unter das Unsrige. Dies sei der letzte vollkomm’ne Zug, an dem ich feilen tät’.

VIOLETTA. Sieh dort, wie die Sterne weiter funkeln, als sei das Geringste nicht gescheh’n, und so wird sich auch die Weltenscheibe weiter dreh’n.

FRANCESCO. Selbst ein so mächt’ges Wesen kann nicht auf Dauer dem auf ewig festgeschrieb’nen Lauf der Dinge widerstehen. Der
Himmel zieht sich zu, ein großer Sturm kündigt sich an. Man riecht es in den Lüften.

VIOLETTA. Als wollten sich die Gestirne dem Anblick des Blutvergießens entzieh’n.

FRANCESCO. Sie mögen’s nicht gutheißen.

VIOLETTA. Und so waren sie trotz allem stumme Zeugen von so mancher Gräueltat. Die Nachtluft war klar und still, legte einen sanften Schleier von Verborgenheit über die heilgesagten Züge dieses Landes.

FRANCESCO. Nur die Berge ragten ruhig empor und feierten ihren geruhsamen Triumph.

VIOLETTA. Was geschah, dass all dies aus den Fugen geriet?

FRANCESCO. Hieltest Du es je für möglich, dass ein Mann als Streicher der Selbsterkenntnis als Axioma naturalis unmündig sei?

VIOLETTA. Zermartre nicht Deinen wunderhübschen Kopfe Dir, brauchen könntest Du ihn gar noch. Denn die letzte Hoffnung…

FRANCESCO. Sag nichts! (küsst sie)

VIOLETTA. O welch Feuerwerk der wunderbarsten Emotionen kochet in mir auf! Deine Lippen so zart und doch gleichermaßen so
mutbefüllt! O könntest Du mir doch nur eine Wenigkeit aus dem Meer der Fülle in den leeren Graben abtreten, der dort in meiner Seele klafft…

EIN KURIER (schleicht sich an die Zelle der Gefangenen heran, flüstert). He, da! Seied Ihr besagte Streicherseelen? Man trug mir auf, Euch dies zu übergeben. Möge es Euch in letzter Eile behilflich sein. (Ab.)

FRANCESCO (öffnet das überbrachte Päckchen). Sieh da, meine Liebe!

VIOLETTA. Ein Schlüssel! Rasch, schließ auf das eiserne Tor! (Sie entfliehen.)

EIN WÄCHTER (singt). Die hooolde Feee besagte einst, was man Dir tut, das wage dreist… (hört etwas) Halt! Wer dies auch immer sei, im Namen des Königs, erstarret vor ehrfürchtigem Schrecken! (FRANCESCO und VIOLETTA flüchten sich in eine Kammer und schließen sich ein.)


Dritter Auftritt

Das Böse erwachte mir im Leibe.
Meine Augen fielen aus,
verbrannten im Feuer zu Asche!
Und der Moment war da, ich sah!


Im Schlafgemach des Prinzen. DER PRINZ und
bald darauf folgend DER WÄCHTER.

DER PRINZ (redet im halben Schlafe). Güldene Jungfrau, eröffne Dich mir… O ja, dies sei die verachtenswerte Magd, die kleine, unschuldige und doch so vertrackte Zähmung des Wilden! Gerbatin, so gebiete doch im Mind’sten dem König die Ehre, die ihm gebühret… O, doch Du, meine eine Liebe, rammst mir das Schwert des Damokles ins Herze, da Du mich zwingest, Dich und gleichermaßen mich selbst des Lebens zu berauben. So sei’s nicht hindernswert, dem Streichermanne im Ende zu huldigen. Doch Zweifel zieht sich seine Bahnen… (erwacht) Sie müssen leben! Lasst sie leben! Durch Tötung der Streicher ginge gleichfalls der Faden der Welt in tödliche Flammen auf. Wie geschah’s, dass dies geschehen konnte? (die Krone fällt von seinem Kopfe herunter) Mitgestürzter Macht bin auch ich nicht mehr als ein Streicher! Das Paradoxon ist gelüftet und innerlich zum Widerspruch geführt. Durch Geld und Golde sei ich, was ich sei. Leben, fallen und stehen – gar geeinet in diesem Gedanken?

DER WÄCHTER. Salute, O großer Adelsmanne! Ich hoffe, Euren hoheitlichen Schlafe nicht gestöret zu haben.

DER PRINZ. Rede nun, was sei vorgefallen? Ich ahne es bereits…

DER WÄCHTER. Die Gefang’nen sind entfloh’n! Sie schlossen sich im Vorratsturme ein. Meine Männer belagern bereits dies’ letzte Bastion, doch Ihr wisset sicherlich um das meterdicke Gemäuer.

DER PRINZ. Sperret weiterhin den Ausgang. Ich will sehen, ob ich sie von unten zu erreichen vermag. (Beide ab.)


Vierter Auftritt

Dies nun ist der Weisheit letzter Schluss.
Es kam, wie es nicht kommen musste,
und so ist es doch gescheh’n.
Möge man lernen.


Am Turme. FRANCESCO, VIOLETTA und DER PRINZ.

FRANCESCO. Hörest Du die Fäuste trommeln? Es zieht sich zusammen, es hängt drohend, erstickend herab, es wartet auf den kolossalen Donnerschlag!

VIOLETTA. In meinem Herzen lädt sich eine verheerende Glut!

FRANCESCO. Was sagt sie Dir? Zeigt sie den Pfad zur trauerlosen Errettung?

VIOLETTA. Sieh unten, das Monstrum spie den Prinzen aus, um letzten Fluchtweg uns zu sperren – man erahnte jeden unsrer
Schritte!

FRANCESCO. Dann sei es unentfliehbar besiegelt. Dem Streichertum wird hier und jetzt durch unsre heldenhafte Tat ein dauerhaft’ Denkmal gesetzt.

DER PRINZ (ruft). Gebietet Einhalt! Ihr sollet leben! Öffnet nur das Tor, und ich biete ohne Forderung das höchste Gut der grenzenlosen Freiheit Euch!

FRANCESCO. Witterst Du den Hinterhalt?

VIOLETTA. Die Wolken schreien nach Handlung. Lass uns es nun vollbringen.

DER PRINZ. Nein! Nein! Tuet es nicht!

FRANCESCO. Der Monarch bestraft sich selbst! (springt mit einigen Säcken Zimt hinab, die im Turm lagerten)

DER PRINZ. O, Unglück, verzage! Er landete im Graben! Im Wasser soll er seine Ruhe finden. Doch Violetta, meine Liebestaube – falle nicht, gleite! Breite Deine Schwingen aus, und schenke Dir ein zweites Leben!

VIOLETTA. Er ist entseelt, so bin’s auch ich! (springt mit einem Sack Gold und einem Stoß Seide)

DER PRINZ (kniet nieder). Die Götter haben mich betrogen! Ihr, welche die Dinge lenket, wie ließet Ihr es zu? Gewissenlos verteiltet Ihr die Mächte dieser Welten. Wie könnet Ihr von den Begünstigten erwarten, mit Verantwortung damit zu handeln? Ich… ich! (schaut nach oben, es blitzt, der Prinz geht getroffen zu Boden)




Anhang



Inhaltsangabe

Das Stück spielt an einem Bahnhof zur ungenannten, jedoch abschätzbaren Zeit des Epochenumbruches im 19./20. Jahrhundert. Die Hauptpersonen Francesco und Adalbert werden als hungernde Landstreicher vorgestellt. In der zweiten Szene kommt es sogleich zum ersten Zusammentreffen mit dem Prinzen, der für den Handlungsverlauf eine große Bedeutung hat. Adalbert bittet ihn um eine kleine Spende, doch der Prinz zieht sich geschickt und unehrenhaft aus der Affäre. Im Zug trifft er auf Mister Bronccini, einen italienischen Geschäftsmann, der den Bahnhof aufkaufen möchte. Die Verhandlungen werden jedoch unterbrochen. Zudem erfährt ein Bahnhofsarbeiter von dem geplanten Verkauf und den harten Maßnahmen, die Mister Bronccini als neuer Besitzer gegen die »Streicherplage« und die fehlende Moral der Arbeiter ergreifen möchte. Er berichtet es Francesco und Adalbert, und zusammen mit anderen Bahnhofsarbeitern revoltieren sie gegen den Prinzen. Zu einem Höhepunkt des Konfliktes kommt es, als Francesco seine frühere Gefährtin Violetta wiedertrifft – in Begleitung des Prinzen. Es stellt sich heraus, dass der Prinz die geplante Hochzeit zwischen Francesco und Violetta durch eine Intrige verhindert hat, um dann Violetta mit auf sein Schloss zu nehmen. Violetta sagt sich vom Prinzen los und flüchtet zusammen mit den Revoltierenden und dem vom Prinzen entrissenen Kaufvertrag in ein Bürogebäude, wo sie sich verschanzen. Durch eine List gelingt es dem Prinzen, Francesco und Violetta gefangen zu nehmen, wobei viele – unter anderem auch Adalbert und der Bahnhofsarbeiter – ihr Leben lassen. Francesco und Violetta werden mit auf das Schloss des Prinzen abgeführt, wo sie die Todesstrafe
erwarten soll. In der letzten Nacht entkommen sie und beenden ihr Leben schließlich selbst – kurz nachdem der Prinz sein Unrecht erkannt hat. Er stirbt schließlich durch einen Blitzschlag, nachdem er die Götter beschuldigt hat.



Detaillierte Szenenbesprechung


1. Aufzug, 1. Auftritt
Einführung in die Handlung. Wir erfahren um das Schicksal der beiden Hunger leidenden Streicher Francesco und Adalbert. Adalbert wurde als Novellist vom Volk nicht anerkannt und verstoßen. Andeutungsweise wird eine frühere Beziehung der beiden erwähnt.

2. Auftritt
Auf der Suche nach etwas Essbarem trifft Adalbert auf den Prinzen, der mit einem üppigen Fasanenbraten auf dem Weg zu einem der Züge ist, um dort einen »sonderbaren Herrn im grauen Mantel« zu treffen. Der Prinz verspricht jedoch zu warten, bis Adalbert mit Francesco zurückkehrt.

3. Auftritt
Adalbert kehrt mit der guten Nachricht der Aussicht auf etwas Essbares zurück zu Francesco. Doch sie beobachten, wie der Prinz in den Zug steigt. Ihnen wird klar, dass der Prinz sie betrogen hat, da er als Edelmann keine Moral nötig hat.

4. Auftritt
Francesco spricht zu einem Bild von Violetta, seiner Geliebten, die jedoch in der Nacht vor der geplanten Hochzeit durch aufgebrachte Menschenhorden gewaltsam von ihm gerissen wurde. Adalbert berichtet über Kurgunz von Trönchhausen, einer Figur aus mehrerer seiner Novellen, der er im Laufe der Zeit sehr viel Bedeutung beigemessen hat, die jedoch am Ende starb. Adalbert macht sich Vorwürfe, da er nicht die Kraft hatte, Kurgunz wieder leben zu lassen.


2. Aufzug, 1. Auftritt
Der Prinz und der Herr im grauen Mantel – Mister Bronccini, ein reicher italienischer Kaufmann – sitzen gemeinsam im Zug. Mister Bronccini ist gekommen, um mit dem Prinzen einen Handel abzuschließen. Er wird den Bahnhof kaufen und dafür sorgen, dass Streicher wie Francesco und Adalbert künftig nicht mehr im Bahnhof hausen werden. Doch bevor es zur Unterzeichnung des Kaufvertrages kommt, durchkreuzt ein technisches Versagen im Zug ihre Pläne.

2. Auftritt
Ein Bahnhofsarbeiter hat von dem Verkauf erfahren und unterrichtet Francesco und Adalbert darüber. Mister Bronccini hat zudem vor, alle Bahnhofsarbeiter zu entlassen. Francesco, Adalbert und der Bahnhofsarbeiter wollen das Unheil abwenden und verbünden sich gegen den Prinzen. Aufgebracht marschieren sie dem stehenden Zug entgegen.

3. Auftritt
Der Prinz und Mister Bronccini konnten den Zug verlassen und sehen nun durch den Dampf die näher kommende protestierende
Menschenmenge. Die Revoltierenden haben während ihres Marsches großen Zulauf bekommen. Die beiden flüchten zum Portal, um dort die Braut des Prinzen abzufangen, um sie nicht in die Hände der Protestierenden fallen zu lassen.

4. Auftritt
Der Prinz hat Violetta –seine Braut– gefunden. Der Prinz behandelt sie auf verachtenswerte Weise. Sie flüchten mit Mister Bronccini vor der herannahenden Menge. Im letzten Moment sieht Francesco, wie Violetta dem Prinzen folgt, er erkennt sie jedoch noch nicht.

5. Auftritt
Die Gejagten versuchen, im Zug Unterschlupf zu finden, doch es gelingt ihnen nicht. Um den aufgebrachten Mister Bronccini zu besänftigen, bietet der Prinz ihm »die Dienste seines Weibes« an. Als Francesco und Gefolge näher kommen, ist an eine erneute Flucht nicht zu denken. Der Prinz befiehlt Violetta, sich unter seinem weiten Mantel zu verstecken. Nach einer kurzen heftigen Diskussion erkennt Violetta die Stimme von Francesco wieder, und sie fasst den Entschluss, sich ihm zu zeigen. Sie begrüßt ihn herzlich, aber wirft ihm gleichzeitig Betrug mit einer anderen Frau vor. Wie sich herausstellt, war die Verbreitung dieser Lüge eine List des Prinzen gewesen. Violetta entreißt dem Prinzen den Kaufvertrag und flüchtet gemeinsam mit den anderen.


3. Aufzug, 1. Auftritt
Diese Szene spielt für die Handlung keine offensichtlich bedeutsame Rolle, ist jedoch von humoristischem Interesse.

2. Auftritt
Francesco, Adalbert, Violetta, der Bahnhofsarbeiter und ihre Anhänger haben sich in einem Bürogebäude verbarrikadiert. Violetta schwärmt von Blana Bora, dem Schloss des Prinzen, doch Francesco und Adalbert machen ihr klar, wie wenig Freiheit sie unter der Herrschaft des Prinzen hatte. Adalbert erzählt eine weitere Kurgunz-Episode, die von dessen grausamen Tod handelt. Gleichzeitig gibt er seinen Freunden ein Rätsel auf, dessen Lösung im weiteren Verlauf des Stücks von großer Bedeutung ist. Mit seiner »Parabulus admirabilis» gelingt es dem Novellisten, Violetta von der Boshaftigkeit des Prinzen zu überzeugen.

3. Auftritt
Wir sehen den Gendarmen Gerbatin bei seiner Arbeit und wie er dabei Willkür walten lässt. Der Prinz gibt an, von Francesco und seinen angeblich bewaffneten Gefolgschaften hinterrücks überfallen worden zu sein. Er verspricht dem Gendarmen eine fürstliche Belohnung, wenn er es schafft, in das Bürogebäude einzudringen, indem er sich als Streicher tarnt.

4. Auftritt
Francesco, Adalbert, Violetta und der Bahnhofsarbeiter diskutieren darüber, ob es auf anderen Welten ebenfalls Streicher gibt, und ob es ihnen genauso widerfahren ist wie ihnen selbst. Der Gendarm klopft an und gibt vor, ein Streicher auf der Flucht zu sein und bittet um Einlass. Francesco hat Bedenken, doch hindert er die anderen nicht daran, ihn einzulassen. Der Bahnhofsarbeiter versichert, gegen jede noch so große Armee anzukämpfen, die dort draußen vor der Tür warten könnte.


4. Aufzug, 1. Auftritt
Vor der Tür wartet die schwerbewaffnete Königsgarde mit dem Prinzen. Der Prinz ist mit dem Gendarmen zufrieden und verspricht ihm den Titel eines Junkers. Der Bahnhofsarbeiter hält sein Wort und stirbt in einem erbitterten Kampf. Adalbert bleibt schwer getroffen zurück, während Francesco und Violetta die Flucht versuchen. Schließlich werden sie gefasst. Der Prinz nimmt sich den Kaufvertrag zurück.

2. Auftritt
Der Prinz und Mister Bronccini feiern ihren Sieg im Zug auf dem Weg nach Blana Bora mit einem großzügigen Bankett, während
Francesco und Violetta gefesselt hinter ihnen liegen. Der Prinz bietet ihnen seine »großartige Barmherzigkeit« an, doch Francesco und Violetta lehnen ab. Sie ziehen den Tod der Unterwerfung vor.

3. Auftritt
Der Sterbemonolog Adalberts. Er vollendet sein Weltbild und findet kurz vor seinem Tod endlich die nötige Kraft, um Kurgunz auferstehen zu lassen. In dieser Szene erfahren wir eine Menge über das Wesen des Adalbert und den Grund seines ewig andauernden Existenzdilemmas.


5. Aufzug, 1. Auftritt
In einer selbstverherrlichenden Rede legt der Prinz das Leben der Gefangenen in die Hände des Volkes, das sogleich die Hinrichtung fordert. Auch der Versuch Francescos, die Menschen umzustimmen, schlägt fehl, da der Prinz sie mit herabgeworfenen Goldmünzen wieder auf seine Seite bringt.

2. Auftritt
Francesco und Violetta entdecken ihre Liebe zueinander wieder und philosophieren. Ein Kurier bringt ihnen den Schlüssel für die Tür des Kerkers. Sie befreien sich und entkommen in den Vorratsturm des Schlosses.

3. Auftritt
Der Prinz redet im Halbschlaf und gewinnt plötzlich die Erkenntnis, dass es ein fataler Fehler wäre, Francesco und Violetta hinzurichten. Ein Wächter erscheint und informiert ihn über die Flucht. Der Prinz ahnt Böses und stürzt hinaus, um von unten mit den beiden zu sprechen.

4. Auftritt
Der Prinz bietet Francesco und Violetta die grenzenlose Freiheit an, doch sie halten dieses Angebot für eine weitere Hinterlist des Prinzen. Schließlich springen sie aus dem Turm in den Tod. Der Prinz ist erschüttert und beschuldigt die Götter, ihn betrogen zu haben. Kurz darauf wird er vom Blitz getroffen und stirbt.



Symbolik


Kurgunz-Episoden und Schöpfungsmythen

Die Bedeutung der von Adalbert erzählten Kurgunz-Episoden fokussiert sich auf die Schaffung eines Mikrokosmos, welche den beschränkten Handlungsradius des Streichertums virtuell auf eine fiktive Welt projiziert, die sowohl Züge der realen Welt (hier archische Ordnungen, Herrscherwillkür) als auch märchenhafte Legenden beinhalten, in denen es dem Untergeordneten gelingt, einer übergeordneten Macht Widerstand zu leisten. Die von Adalbert ersonnenen Schöpfungsmythen stellen einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen diesen beiden Welten her und bilden die Existenzgrundlage seiner Figur. Als ihm schließlich die Wiederauferstehung des Kurgunz gelingt, wird diese Grundlage nichtig, und das Gefüge seines Charakters bricht hohl in sich zusammen. Dies ist jedoch in keinem Fall zu betrauern, da sein Geist in der fiktiven Welt einen Sieg errungen hat, welcher in seiner eigenen Wertevorstellung weit über dem rein irdischen Sein anzusiedeln ist. So ist ein multikausaler Interpretationsansatz bezüglich der Ambivalenz des Kurgunz erforderlich, um ihn als Symbol des Revolutionärs zu identifizieren, der sich selbst in einer sich wandelnden Welt wiederfindet und schließlich erkennen muss, dass er als Individuum erst dann tiefgreifende quasipolitische Veränderungen erringen kann, wenn dieser Wandel abgeschlossen ist. Folglich besteht das Dilemma des Novellisten in der Vieldeutigkeit seiner Verbannung aus der Welt, die ihn nicht mehr benötigt. Die Natur seines Charakters lässt eine Nichteinmischung nicht zu – gleichzeitig zwingt ihn jedoch der historische Hintergrund zur Handlung. Adalberts Kurgunz-Episoden stellen somit einen Kompromiss zwischen den Extrema des aktiven revolutionären Kampfes und der Zurückhaltung dar. Als tragischer Charakter ist dem Adalbert diesbezüglich ein komödiantischer Unterton zuzuordnen, der von der Zerrissenheit seines Wesens herrührt.


Die Eheleute Bohrtau

Scheinbar völlig ohne jegliche Bedeutung führen die Eheleute Bohrtau Diskussionen über Gesetze und Paragraphen. Diese Bedeutungslosigkeit trifft jedoch nur oberflächlich zu, insofern die Szene die Handlung nicht wesentlich vorantreibt. Vielmehr ist allein die Existenzmöglichkeit von Magnus und Magda Bohrtau ein klares Zeichen für die aufstrebende Bürokratie, die jedoch noch in den Kinderschuhen steckt, aber ohne Zweifel das Potenzial hat, zu einer Bedrohung für die Monarchie zu werden. Angespitzt und ironisch wird die Handlungsunfähigkeit bürokratischer Systeme dargestellt, als es den beiden nicht gelingt, die Tür vor der heranstürmenden Menschenmenge zu schließen. Hilflos muss der Prinz mitansehen, wie die Streicher diesen Missstand ausnutzen und so einen vorläufigen Sieg gegen ihn erringen.


Francesco und die Tragik des Streichertums

Als Bürger führte er ein einfaches Leben, bis die Willkür und die Habgier des Prinzen ihn zum Streichertum verdammten. Aufklärerische Gedanken dominieren seine Handlungen. Moral – die Basis dessen, was er zu erreichen versucht – vermag er sich nicht zu leisten: ein Konflikt, der an den Säulen seiner Existenz nagt. Schließlich erkennt er die Notwendigkeit des Handelns und erhebt sich gegendie endlose Übermacht des Prinzen. In Violetta findet der Charakter des Francesco eine exzellente Bestätigung dieser Notwendigkeit, und er erfährt eine persönliche Stärkung. Hierbei darf die scheinbar romantische Szene zwischen den beiden nicht allein im Hinblick auf rein zwischenmenschliche Aspekte untersucht werden. Sie ist vielmehr als eine platonische Annäherung des Aufklärers und des Aufgeklärten zusehen, der aus dem Schlaf erwacht und seine Mündigkeit zu entdecken beginnt. Francesco ordnet seinen Zustand korrekt als »Axioma naturalis« ein und erkennt die zugleich tragende als auch leidende Rolle, die das Streichertum für den Zusammenhalt der weltlichen Gefüge spielt. Seine tragische Selbstzerstörung ist die selbstlose Überwindung der letzten Hürde zur Aufklärung.


Die Krone des Prinzen

Als Verkörperung der Macht des Prinzen spielt seine Krone zuerst nur eine rein formale Bedeutung, die jedoch einen Wandel erfährt. Im Ende ist sie es, die ihn seine wahre Natur erkennen lässt und das tragische Moment erzeugt, als der Blitz in sie einschlägt und sie somit im Auftrag der Götter, welche die letzten Reste der alten Welt hinwegfegen, zum Mörder ernannt wird.
So erhält Adalberts Äußerung »O, wie der Frühling schließlich obsieget!« unmittelbar vor seinem Tod visionäre Züge, sagen sie doch den Anbruch eines neuen Zeitalters voraus. Die zusammengeballten Wolken entladen sich in einem Schlag, um sich schließlich aufzulösen und den Blick auf eine aussichtsreiche Zukunft freizugeben.



Leitfragestellungen und Vorschläge zur Bearbeitung


Die Natur des Gerbatin

Zur Untersuchung sollten die von Adalbert und Francesco gegebenen Hinweise bezüglich der Leitfäden des Streichertums zusammengetragen und auf die Handlungen des Gerbatin übertragen werden.Gibt es Übereinstimmungen?


Das Paradoxon

Worin besteht das Paradoxon des Francesco und das des Adalbert? Wie unterscheiden sie sich, und ließen sie sich auf einen gemeinsamen Grundgedanken zurückführen?


Adalberts Rätsel

Wie könnte eine Lösung des Rätsels aus einer der Kurgunz-Episoden lauten? Hinweise hierauf lassen sich auch im Zusammenhang der Erwähnung des »Luzifers Bruder« finden.


»Parabulus admirabilis«

Welche Wirkung hat Adalberts Parabel auf die Figur der Violetta, und was hebt sie von gewöhnlichen Parabeln ab? Inwiefern hat derNovellist seine Parabel auf Violetta zugeschnitten?


Das Erwachen des Prinzen

Wie ist die Erkenntnis des Prinzen zu erklären, und wie könnten seine Worte im Halbschlaf gedeutet werden? Hierbei sollte der von Freud geprägte Unterschied zwischen dem Vorbewussten und dem Unterbewussten herangezogen werden.


Verschiedene Betrachtungsweisen

Wie sind die verschiedenen Betrachtungsweisen der Revolutionäre, welche sich in Szene 3.4 ergeben, mit den Charakteren in Einklang zu bringen?



Interpretationen


»[...] doch scheint sich der Mensch hinter all dem zu verbergen, und er erscheint mir erschreckend unveränderlich. Was ist dies für eine Welt, in der sowohl das lachende als auch das weinende Aug’ dem Edelmann ein Dorn im Selb’gen ist?« – Francesco, 1.1

»He, he, dieser Adalbert, der Phrasendrescher, ist doch ein weis’rer Mensch als zuvor von mir gedacht. Gar vorzustellen, er böte gelegentlich das eine oder andere Lebrendo dar.« – Francesco, 1.3

»In diesem Momente geschah es, dass auf wundersame Weise seine Seele erkannte, dass nur ausgehauchet mit dem letzten Zuge eines irdisch’ Lebens eine enigmatische Verzwickung von dieser Artung zu durchschauen sei.« – Adalbert, 3.2

»In des Wortes Schöpfung liegt der wahre Klang verborgen, der die Welt an seid’nen Fäden eisern spielt.« – Adalbert, 3.2

»Wohl dem, dessen Blicke nicht durch wehleidige Gläser getrübet sei.« – Bahnhofsarbeiter, 3.4

»Im Ende gedenke ich, den ganzheitlichen Rundumschlag des Herren beharrlich abzuwehren und wallend meine Stimme zu erheben!« – Francesco, 3.4

»Was dieser Streicher sagt, ist vollends erlogen und entsprang einzig seinem kranken Geiste. Denn seht her, was ich zu bieten habe!« – der Prinz
 
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Kommentare  

Vom Stil her gewöhnungsbedürftig (es ist schwer sich auf die Handlung zu konzentrieren), aber trotzdem nicht schlecht. Besonders schön: die "Selbstinterpretationen" am Ende.

Siegmund Fretzgau (09.06.2005)

So, jetzt hab ich endlich geschafft, den Rest auch noch hochzuladen, nachdem einige Monate hier nur der Anfang stand.

Fraktal (10.02.2005)

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