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Des Massenmörders Koffer

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© Robert Zobel   
   
Öffnen wir ihn einmal. Keine Angst, der Massenmörder ist gerade bei Freunden und weiß nicht, dass wir uns aus Forschungszwecken in seine Zelle begeben haben. Da liegt der Koffer unter seinem Bett. Braun wie angesengte Schweinehaut und im Abstand von 2 cm kleben gelbe Smilie`s darauf. Wuchten wir ihn erst einmal auf die gestreifte Bettwäsche. Mann oh Mann, ist der schwer. Was da wohl alles drin ist? Egal, ich kann nicht länger warten. Zu groß ist meine Neugier.
Ich öffne.

Was ist das? Ein Panoramafoto vom Dresdner Zwinger. Auf der Rückseite steht mit Lippenstift geschrieben: „Hochachtungsvoll Hans Schultze Paraguay“. Was hat das zu bedeuten? Wer ist Schultze? Und warum ist dieses Foto in Zellophan eingewickelt? Pack ich am besten erst einmal zur Seite. Wird später schon einen Sinn ergeben.

Was ist das? Mhh, fühlt sich an wie Seide. Scheint ein Kimonoärmel zu sein. Säuberlich abgetrennt und huch, ach da is ja noch ein Arm drin. Sieht aus wie ein Frauenarm. Sehr grazil oder gehörte einem Kind. Mit ein wenig Phantasie lassen sich die roten Punkte auf dem schwarzen Untergrund als Blutstropfen sehen. Leg ich erst einmal aufs Foto. Was hat der denn für Scheiße in seinem Koffer? Schauen wir weiter.

Was ist das? Jetzt wird es interessant. Eine Pyramide aus geräuchertem Menschenfleisch. Riecht gar nicht. Komisch. Fässt sich geschmeidig an und irgendwie würde ich mich jetzt damit gerne in ein Bett legen und damit kuscheln. Wenn man genau hinschaut, sieht man das irgendwer die Pyramidenspitze angeknabbert hat. Nicht das die Spitze abfiel, als ich die Pyramide aus dem Koffer hob. Dann würde er es merken, dass wir an seinem Koffer waren. Behutsam lege ich sie zu den anderen zwei Sachen.

Was ist das? Hui, ein Freibrief in einem Rahmen eingefasst. Er erlaubt den Massenmörder Massen zu morden. Glaube aber es ist eine Fälschung, denn der Stempel, der den Freibrief ziert, ist von einem Mähdrescherhersteller und aus den Akten weiß ich, dass er da gearbeitet hat. Der Chef muss schon Gott selbst gewesen sein, wenn der Brief irgendeine Gültigkeit hätte und wenn, dann hätte er ihn bestimmt vorm Gericht mal herausgezogen und würde dann sicher nicht hier sitzen. Außerdem ist der Brief auf Tropenholz gedruckt.

Was ist das? Eine kleine Flasche voller Flüssigkeit. Oben drauf steht „Drüsensekret“. Wollen wir mal aufmachen? Für mich riecht das nach „Pferd“. Hat er eine Pferdedrüse ausgepresst? Starb das Pferd dabei? Oder gibt es einen Internethändler der neben Liebesperlen aus Arsen auch Pferdesekret verkauft? Doch wozu kann man das brauchen? Aus den Berichten weiß ich, dass er 158 Menschen tötete und jedes Mal entschwinden konnte. Vielleicht hat er mit diesem Sekret Fluchtpferde gerufen. Na das können wir ja mal testen. Durch das vergitterte Fenster träufele ich ein paar Tropfen in den Innenhof. Natürlich nur soviel, dass er nicht merkt, dass wir dran waren. Unbedingt muss ich mir auch merken, wie alles im Koffer lag.
Scheiße verdammt, ich höre Schritte. Aber Moment, die kommen nicht von der Tür, die kommen aus dem Innenhof. Ohh, ich staune, da stehen acht Pferde. Auf einem sitzt sogar noch ein Jockey.
Nun ist wohl geklärt, wie ihm stets die Flucht gelang. Besonders von dem Hochhausdach. Da hat er dann sicher 8 Spritzer Sekret in die Luft geschüttelt, die Pferde sammelten sich unten und als ein paar Polizisten gerade das Feuer eröffnen wollten, sprang er 12 Stockwerke tief und landete auf einem der Pferderücken. Cleverer Junge.
Ich glaube, er wird nicht sehen, dass wir an der Flasche waren. Das ist gut.

Was ist das? Eine kleine Schatulle mit vielen kleinen Bomben. Aneinandergereiht wie Zigaretten in einer Schachtel, Schlauchboote im Schlauchbootgeschäft oder Dachziegel im Dach. Auf den ersten Blick eines Laien, entdecke ich eine Brandbombe, Atombombe, ein paar ABC-Waffen und eine Napalmbombe. Er scheint sie noch nie angerührt zu haben, denn sie sind ohne Blutstropfen. Sicher hat er sie nur zur Sicherheit. Hätte er damit Menschen töten wollen, hätte er es längst gemacht. Er brauch nur die Selbstsicherheit, wie ein zahnloser Hund sein Nietenhalsband.
Scheiße, mir sind eben ein paar Sprengköpfe runter gefallen. Schnell wieder einpacken den Kram. Viel Zeit haben wir nicht mehr und der Koffer ist noch groß.

Was ist das? Wie kommt der denn dahin? Ein ganzer Kasten mit leerem Flaschgut. Würde man den Kasten abgeben, häte man sicher so an die 15 Euro in bar. Den stell ich einfach zur Seite und nehm den dann nachher mit. Der Massenmörder weiß sicher nicht einmal mehr, dass er ihn gehabt hat. Ansonsten hätte er ihn sicher schon abgegeben. Auf jeden Fall ist er jetzt mein. 15 € haben oder nicht haben.

Was ist das? Das hab ich schon mal in einem Museum gesehen. Es ist eine Miniaturstreckbank mit einer darauf gefesselten Barbie. Auf dem Barbiekopf klebt ein Aufkleber: "Touch me". Ich tatsche den Kopf und die Puppe säuselt "Streck mich, Streck mich". Dabei pumpt eine Pumpe Schaum aus ihrem Mund. Was es nicht alles so gibt. Ob es auch eine Version mit Ken gibt?

Was ist das? Ein Trikot einer berühmten Fußballmannschaft. Jedoch hat er sich ein paar Extras raufdrucken lassen. Hinten steht die Zahl "666" und der Name "Massenmörder".
Kann mir richtig vorstellen, wie er damit auf Massenmord gegangen ist. Jeder der über sein Trikot geschmunzelt hat, hat er in eine dunkle Ecke gezeert, sein Trikot ausgezogen und damit dann den Schmunzler erwürgt. Das sieht man jetzt noch am Faltenwurf des Kleidungsstücks.

Der Massenmörder ist vielseitig in seinen Tötungsarten gewesen. Immer wieder probierte er was neues aus. Er drosselte, stach, schoß, zerquetschte, überfuhr, zerhieb, verbrannte und warf sogar mit kleinen Steinen. Den letzten Schachzug hätte er aber sein lassen sollen.
Per Kontaktanzeige: "Suche Mitbewohner für Gratiswohnung" lockte er 37 Leutchen in einen Raum und schloß alle Türen und Fenster. In ein Fenster war ein Loch geschnitten, durch das ein Rohrende heraushing. Das Rohr führte von diesem Fenster auf einen 130 km weit entfernten Imkerbauernhof und das andere Rohrende lag in einer Bienenkolonie.
Eine Polizeistreife wollte zur gleichen Zeit über eine leblose Straße, aber konnte nicht hinüber, weil das Rohr da lag und so landete der Massenmörder in dieser Zelle.

Was ist das? Eine Ballettstange zum verprügeln, ein abgeschnittener gelbgrüner Furunkel, mehrere todbringende Medikamente, ein Stethoskop aus Gedärm und fremden Ohren, mehrere Toupets an denen noch Haut hängt (es waren implantierte) und die Nachbildung eines Zwölffingerdarms aus Kehlkopfdeckelgewebe.

Und da sind wir auch schon am Grund des Koffers angelangt. Interessante Dinge waren dabei. Draußen im Hof warten und wiehern die Pferde und der jockey beteuert gerade, dass er nicht weiß, wie er in den Innenhof gekommen ist. Die Beamten nehmen ihn mit.
Alles hat irgendwie ein wenig Sinn ergeben. Nur der Kimonoärmel und das Panoramafoto geben Rätsel auf. Was das zu bedeuten hat, werden wir wohl erst erfahren, wenn der Massenmörder sein erstes Buch raus bringt.

So schnell wieder raus.
Sachen in den Koffer, unters Bett, die Decke wieder zerknüllen und raus.

Klapp.


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