... für Leser und Schreiber.  

Nächster Halt: Nirgendwo

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32 Stimmen
   
© Christian Dolle   
   
"Entschuldigen Sie", sprach ein älterer Mann mich an, "fährt hier nicht jetzt der Zug nach Hamburg ab?"
"Ja, eigentlich schon, aber so wie es aussieht, hat er mal wieder Verspätung."
Der Alte gab sich mit der Antwort zufrieden und ließ sich neben mir auf die Bank fallen. Umständlich zupfte er seinen Anzug zurecht, der mindestens zwanzig Jahre alt war und daher etwas unmodern aussah, kramte mit zittrigen Fingern eine Zigarre aus der Tasche und zündete sie sich umständlich an. Ganz im Gegensatz zu mir schien ihm das Warten absolut nichts auszumachen. Na gut, dachte ich mir, was der kann, das kann ich auch, und so sah ich mich forschend auf dem Bahnsteig um. Links von mir eine Mutter mit zwei kleinen Kindern, beide etwa sieben Jahre alt, und beide am quengeln, wann denn der Zug endlich käme. Rechts von mir ein Typ im Nadelstreifenanzug, der ungeduldig von einem Bein aufs andere trat und alle paar Sekunden auf die Uhr guckte. Beides nicht gerade das, was man sehen will, wenn man seine eigene Ungeduld zu bekämpfen versucht. Dort hinten ging noch eine Frau mit ihrem Hund auf und ab, und vor dem Colaautomaten standen drei Jugendliche. Da die Frau mit dem Hund einfach zu weit weg war, versuchte ich dem Gespräch der drei Jungen vor dem Automaten zu lauschen. Leider drangen nur Wortfetzen zu mir herüber, aber das, was sie sagten, drehte sich wohl irgendwie um Hiphop-Musik. Na ja, alle drei hatten diese superweiten Skaterjeans an, zwei von ihnen ein Basecap auf dem Kopf, und einer einen Basketball unter dem Arm. Über was sollten sie da auch reden, wenn nicht über Hiphop?
Also wendete ich mich wieder dem alten Mann in dem unmodern Anzug zu, kramte mir selbst eine Zigarette vor und fragte ihn, ob er Feuer habe. Bereitwillig hielt er mir sein Feuerzeug unter die Nase. Eigentlich hatte ich ja mit dem Rauchen aufhören wollen, aber das war eben gar nicht so leicht. Irgendwann bringt dich deine Sucht nochmal ins Grab, sagte meine Freundin immer, aber richtig ernstnehmen konnte ich dieses Argument nicht. Genüsslich zog ich an meiner Zigarette und spürte dabei, wie ich langsam ruhiger wurde. Na gut, dann hatte der Zug eben Verspätung, erstens passiert das doch laufend, und zweitens habe ich es nicht eilig. Erfreut über meine zurückgewonnene Gelassenheit, fing ich sogar mit dem Alten neben mir ein Gespräch an, zwar nur übers Wetter, aber immerhin. Und zehn Minuten später traf dann auch endlich der Zug ein.
Von einer Sekunde zur nächsten kam Bewegung in die Wartenden, alle rückten näher zur Bahnsteigkante, man wollte sich ja schließlich den besten Platz im Zug sichern. Quietschend kam er zum Stehen, die Leute drängelten hinein, auch ich hievte meinen Koffer durch die enge Tür, dann ging es auch schon wieder weiter. Ich kämpfte mich vorbei an einer Gruppe Zehnjähriger, höchstwahrscheinlich eine Schulklasse, und ließ mich auf den nächstbesten freien Sitzplatz fallen. Dann brachte ich auch schon meine Zeitung zur Entfaltung, in der Hoffnung, damit deutlich zu zeigen, dass ich nicht angesprochen werden möchte. Das ging natürlich schief, denn es dauerte keine zwei Sekunden bis ich den Satz hörte, auf den ich am allermeisten gewartet hatte: "Entschuldigen Sie, ist dieser Platz noch frei?"
Es war die Mutter mit den zwei kleinen Kindern. Auch das noch. Resigniert nickte ich und schob meinen Koffer etwas beiseite.
"Nein, Mamma, hier möchte ich nicht sitzen... ich will weiter nach hinten!", maulte das kleine Mädchen, und auch wenn ich es pädagogisch bedenklich fand, so war ich doch froh, dass die Mutter seinem Wunsch nachkam.
Wenn ich allerdings für einen Moment geglaubt hatte, ich hätte jetzt meine Ruhe, dann hatte ich mich getäuscht. Es dauerte keine halbe Minute, dann hörte ich schon wieder eine Stimme, die fragte, ob sie sich setzen dürfe. Die Stimme gehörte einer jungen Frau, so Mitte bis Ende zwanzig, sie trug einen viel zu weiten, schlabberigen Strickpulli, hatte ihre langen, straßenköterblonden Haare hochgeschreckt und schleppte einen riesengroßen Rucksack, in dem ich gut und gerne meinen halben Besitz hätte verstaut können, mit sich herum. Ich machte ihr ein wenig Platz, damit sie sich setzen konnte, danach vertiefte ich mich sofort wieder meine Zeitung. Als auch sie etwas zu Lesen aus dem Rucksack kramte, atmete ich innerlich auf. Na bitte.
Einen kurzen Moment später fuhr der Zug mit einem Ruck an, und die Landschaft zog draußen am Fenster vorbei. Keine sehr sehenswerte Landschaft, wie ich bemerken muss, nur Felder, Wiesen, Bäume, Kühe und ab und zu ein Haus. Doch das alles interessierte mich sowieso nicht, ich hatte mich längst in die Börsenkurse in meiner Zeitung vertieft. So war es mir auch am liebsten, nichts war schlimmer als ein nervtötender Geräuschpegel als Hintergrundmusik bei solch einer Zugfahrt.
Allerdings hatte ich mich wohl doch zu früh gefreut. Nach etwa einer Viertelstunde klappte die junge Frau nämlich ihr Buch zu, räusperte sich und fragte dann: "Entschuldigen Sie, wenn ich frage, aber was sind sie eigentlich für ein Sternzeichen?"
Irritiert sah ich sie an. "Äh... ich bin Steinbock. Wieso?" Kaum hatte ich die Gegenfrage ausgesprochen, wollte ich mir auch schon auf die Zunge beißen. Jetzt würde sie vermutlich zu einer Erklärung ansetzen, und der belanglose Smalltalk war unumgänglich.
"Ja, das habe ich mir gedacht", erwiderte sie, "ich finde, man sieht es ihnen an."
Ich nickte und sagte gar nichts, in der Hoffnung, sie würde merken, dass ich an einem Gespräch nicht interessiert war, aber sie merkte es natürlich nicht. Schade eigentlich.
"Wissen Sie, ich beschäftige mich viel mit Astrologie und glaube, ich habe inzwischen eine wirklich gute Menschenkenntnis."
Nein, denn wenn sie die hätten, würden sie mich einfach in Ruhe lassen, wollte ich sagen, aber ich verkniff es mir.
"Ich bin übrigens Waage", setzte sie ihren Monolog fort, "und wenn sie im Januar geboren sind, dann würden wir vermutlich ziemlich gut zu einander passen."
"Aha", sagte ich, um nicht gänzlich teilnahmslos und unfreundlich zu wirken.
"Ja, wissen Sie, bei meinem Mann ist das ja anders. Er ist nämlich Krebs mit Aszendent Stier, und das passt natürlich nicht so gut zusammen. Wenn ich das früher schon gewusst hätte, hätte ich ihn vermutlich niemals geheiratet."
"Ach", warf ich ein und verdrehte innerlich die Augen. Na das konnte ja heiter werden. Jetzt würde sie mir vermutlich ihre gesamten Eheprobleme auf die Nase binden. Ja, das war wirklich genau das, was ich jetzt hören wollte.
"Na ja, so genau weiß man das ja nie", belehrte sie mich weiter und setzte dabei eine sehr leidende Mine auf, "aber männliche Krebse neigen halt dazu, ihre Frauen zu betrügen. Ich weiß nicht, ob sie wissen, wie hart es ist, von dem Menschen, dem man am meisten vertraut, so hintergangen zu werden."
"Es tut mir leid für sie", tröstete ich die Frau, "mit wem hat er Sie denn betrogen? Mit einer Jungfrau?"
Es war mir schon bewusst, dass die letzte Frage ziemlich sarkastisch klang, aber mein Gegenüber hatte das wohl nicht bemerkt.
"Nein, mit einem Wassermann...", antwortete sie und presste ein paar Tränen hervor.
Ich konnte mir ein Grinsen kaum verkneifen, meinte aber nur: "Oh, das ist ja noch schlimmer!"
Bevor wir unser Gespräch allerdings weiter vertiefen konnten, ging plötzlich ein heftiger Ruck durch den gesamten Zug. Ohne überhaupt zu realisieren was geschehen war, sagte eine innere Stimme mir, dass da etwas nicht in Ordnung war. Mein Adrenalinspiegel schoss wie eine Rakete nach oben, und dann passierte es auch schon. Ich weiß nicht, was genau geschah und kann es kaum in Worte fassen, aber es passierte eben. Es war wie ein heftiger Aufprall, gefolgt von einem lauten Knallen; der vorher ruhig rumpelnd dahingleitende Zug änderte ganz plötzlich seine Richtung, seine Geschwindigkeit und alles, was es sonst noch zu verändern gab. Wir alle, also die Fahrgäste und unser Gepäck, wurden mit einer solchen Macht aus unserer bequemen Sitzposition gerissen und mit der Gewalt, die sonst nur ein Erdbeben aufbringt, quer durch das Abteil geschleudert. Es war als hätte irgendetwas Riesengroßes da draußen den Zug wie ein Spielzeug genommen und einmal wild geschüttelt. Ich schlug mit dem Rücken hart auf den Boden, ein großer, schwarzer Koffer rammte sich mir in den Magen, ein einziger heftiger Schmerz durchzuckte meinen gesamten Körper, für einen Moment wurde mir schwarz vor Augen, und dann, dann war es plötzlich vorbei. Nichts bewegte sich mehr, kein Geräusch war mehr zu hören und selbst meine Schmerzen ließen unerklärlicherweise wieder nach.
Nur sehr langsam kann ich einen klaren Gedanken fassen. Aber je mehr ich diesen klaren Gedanken zu fassen bekomme, desto weniger sicher werde ich mir auch, dass ich ihn fassen will. Ich weiß, es ist etwas sehr Schreckliches passiert, und ich glaube, ich will das Ausmaß der Katastrophe gar nicht zu genau kennen. Nur zögerlich öffne ich deshalb meine Augen und versuchte herauszufinden, wo ich bin. Ich sah aus dem Fenster und kann nur Himmel erkennen. Auf der anderen Seite gibt es hinter dem Fenster dafür aber nur plattgedrücktes Gras. So wie es aussieht ist der Zug entgleist, zumindest liegt der Waggon wohl auf der Seite. Ich rappele mich hoch, stehe auf und sehe mich genau um. Zu meinen Füßen Glasscherben, sie müssen wohl von dem zerbrochen Fenster stammen, zu meiner Rechten das Dach des Waggons, zu meiner linken der Boden mit den Sitzen, die zum Teil aus ihrer Verankerung gerissen sind, und überall liegen Gepäckstücke herum. Da, dahinten, entdecke ich auch meinen Koffer. Er ist bei dem Aufprall aufgegangen und meine Sachen liegen überall verstreut herum. Da liegt mein grauer Anzug, daneben meine Zahnbürste, dort meine Unterwäsche und dahinten... mir stockt der Atem und ich merke, wie mir mit einem Schlag des Blut aus dem Kopf sackt... da unter meinem Bademantel, da liegt ein Arm! Wie in Trance krieche ich ein paar Schritte näher heran und erkenne den schlabberigen Strickpulli. Ja, der Arm gehört der jungen Frau, die sich noch vor zwei Minuten unbeschwert mit mir unterhalten hat. Geschockt räume ich den Krempel beiseite und lege den Rest ihres Körpers frei. Zu meinem Entsetzen sieht sie mich allerdings nicht mit ihren traurig naiven Augen an und weiht mich weiter in die Geheimnisse der Sterne ein, nein, aus ihrem Mund fließt ein kleines Rinnsal Blut und ihre Augen schauen unnatürlich ins Nirgendwo. Ein kalter Schauer läuft mir den Rücken herunter und ich bin einer Ohnmacht nahe. Ich muss hier raus! Muss schleunigst an die frische Luft, sonst drehe ich gleich durch!
Also kämpfe ich mich durch die demolierten Sitzreihen, klettere durch die Öffnungen, die einmal die Türen des Waggons gewesen waren und suche nach einer Möglichkeit, hier rauszukommen. Auch im nächsten Abteil sieht es aus als hätte ein Tornado gewütet, aber ich sehe einfach nicht hin. Stur geradeausschauend setzte ich meinen Weg fort und kämpfe gegen die aufkommende Panik an. Dann lässt mich ein Geräusch innehalten. Ein Stöhnen. Ich drehe mich um und entdeckte die Ursache des Geräusches. Unter einer aus der Verankerung gerissenen Sitzbank liegt der Alte mit dem unmodernen Anzug und versucht, bislang erfolglos, sich zu befreien. Ich kämpfe mich zu ihm durch, ziehe und zerre an dem Schrott, der ihn langsam zu erdrücken versucht, aber nichts rührt sich. Nicht mal einen Millimeter lässt sich das Ding bewegen, schließlich gebe ich auf und verspreche, so schnell wie möglich Hilfe zu holen. Ja, Hilfe. Irgendwo da draußen muss doch jemand sein der helfen kann! Wenn der Zug wirklich entgleist ist, sind die Rettungskräfte bestimmt schon unterwegs und werden bald hier sein. Leider sehe ich Moment noch keine Möglichkeit, aus diesem Schrotthaufen, der einmal ein Zug gewesen ist, herauszukommen. Na ja, vielleicht etwas weiter vorne.
Weiter, immer weiter arbeite ich mich durch das Chaos und immer schrecklicher wird das, was ich dabei um mich herum sehen muss. Hier vorne ist der Waggon noch mehr zertrümmert als hinten, und das, was ich sehe gleicht einem Schlachtfeld. Noch nie in meinem Leben habe ich so viele Verletzte und so viele Leichen gesehen, und ich weiß nicht, ob ich dieses Bild jemals wieder aus meinem Gedächtnis verbannen kann. Auch den Mann im Nadelstreifenanzug sehe ich wieder, er liegt stark blutend neben seinem Aktenkoffer, und ich weiß nicht, ob er noch lebt. Aber ich schwöre mir, ich werde auch für ihn Hilfe holen. Ich komme mir vor wie eine hilflose Maus im Bauch einer riesigen, gefräßigen Schlange, und die Bilder des Grauens, die ich überall sehe, brennen sich in mein Gehirn. Ich hoffe nur, ich werde nicht der Mutter mit den beiden kleinen Kindern begegnen, denn das würde ich Moment auf keinen Fall ertragen können. Nein, sie treffe ich nicht, aber dafür sehe ich die drei Jungs im Hiphop-Outfit wieder. Einer von ihnen hat sich den Kopf auf dem harten Boden aufgeschlagen, blutet stark und sieht ziemlich tot aus, der zweite hat wohl versucht, sich an der Gepäckablage festzuklammern, allerdings hat ihm dabei eine spitze Eisenstange einen Strich durch die Rechnung gemacht und sich mitten in seinen Brustkorb gebohrt, und der dritte setzt heulend, stöhnend, wimmernd in einer Ecke und scheint mich gar nicht wahrzunehmen. Ob er sehr stark verletzt ist, kann ich Moment nicht erkennen, denn ich muss mich erstmal übergeben. Selbst die Hölle konnte nicht schlimmer sein als das hier! Ich zittere inzwischen am ganzen Körper, und wenn ich das alles hier noch länger ertragen muss, werde ich wahnsinnig. Ich glaube, dann schaltet mein Gehirn sich einfach ab, nur, damit es diese grausamen Eindrücke nicht länger zu verarbeiten braucht.
Doch dann, als hätte es der Zufall so gewollt, entdeckte ich den Weg nach draußen. Hier vorne ist der Waggon offensichtlich irgendwie abgeknickt, zumindest ist das Dach hier aufgerissen, und ich kann durch den Spalt ins Freie klettern. Endlich! Endlich raus aus diesem Horror, zurück in die Realität. Allerdings sieht auch die Wirklichkeit hier draußen nicht so aus, wie ich sie in Erinnerung habe, denn auch hier bietet sich mir ein Bild des Grauens. Überall um mich herum Feuerwehrleute, Sanitäter, einige Gaffer und viele, sehr viele Verletzte und Schwerverletzte. Ich brauche einen Moment, um mich zurecht zu finden und zu wissen, wo ich wirklich bin. Ich stehe auf einem Acker, kurz vor einer Brücke, unter der die Schienen durchgeführt werden. Dort hinten eine Landstraße und das Ortseingangsschild eines kleinen Städtchens. Sonst nichts. Na ja, nichts außer einem Zug, der wohl entgleist und gegen die Brücke gefahren ist und jetzt komisch verdreht, zerbeult, verkantet neben den Schienen liegt. Er sieht ziemlich demoliert aus, aber von außen wesentlich harmloser als im Inneren. Ich schnappe nach Luft und komme langsam wieder zu mir. Dann fällt mir der Alte wieder ein. Ach ja, ich wollte doch Hilfe holen. Ich renne auf eine Gruppe von Feuerwehrleuten zu und rufe laut: " Hallo, bitte helfen Sie mir, da drinnen sind noch Verletzte!"
Niemand reagiert. Vielleicht haben sie mich nicht gehört, vielleicht wissen sie allerdings auch selbst am besten, was in solchen Fällen zu tun ist. In solchen Fällen... Schnell vertreibe ich den Gedanken, dass solche Katastrophen öfter passieren und öfter Menschen bei Bahnunglücken auf grausame Weise ums Leben kommen. Ich laufe jetzt von außen am Zug entlang und versuche den Waggon zu finden, in dem ich gesessen habe. War es hier? Oder doch noch weiter hinten? Ich weiß es einfach nicht. Ich weiß nur, dass es unheimlich tröstet zu sehen, wie sich unzählige Retter am Zug zu schaffen machen und sich um die Überlebenden kümmern. Um mich kümmert sich allerdings niemand, aber die anderen brauchen die Hilfe wahrscheinlich auch nötiger. Schweigend, erschöpft und immer noch zitternd sehe ich zu, wie jemand mit einem Schweißbrenner ein Loch in das Dach des Zuges schneidet und wie sofort einige Feuerwehrleute hineinklettern um zu retten, was noch zu retten ist. Nur wenige Minuten darauf klettern zwei von ihnen wieder heraus und tragen den Mann im Nadelstreifenanzug ins Freie. Es sieht so aus als hätte er es nicht überlebt.
"Hallo, helfen Sie mir", rufe ich in einem Anflug neuer Energie, "da hinten ist noch ein alter Mann, er lebt noch, er ist eingeklemmt, sie müssen ihn retten!"
Wieder hört niemand auf meine Worte. Ich rappele mich hoch und klettere selber durch das Loch im Dach des auf der Seite liegenden Zuges. Niemand hält mich zurück. Als sich wieder drin bin, muss ich erst einmal schlucken, aber den Anblick, der sich mir bietet, kenne ich ja bereits. Ja, ich bin tatsächlich wieder in meinem Abteil gelandet, Irgendwo da, rufe ich den Rettern zu, da liegt der Alte, der dringend ihre Hilfe benötigt. Eigentlich habe ich keine große Lust, mich nochmal durch das Chaos zu kämpfen, aber da wieder niemand auf mich hört, muss ich ihnen den Weg zu dem Verletzten wohl zeigen. Ich schlucke schwer, atme tief durch, dann bin ich bereit für einen weiteren Gang durch die Hölle. Na ja, wohl nicht so ganz bereit, denn es fällt mir unheimlich schwer, mich auf den Beinen zu halten, und beinahe wäre ich über meinen eigenen Koffer gestolpert. Die Leiche der jungen Frau im Strickpulli liegt noch immer da, wo ich sie gefunden habe, doch daneben noch eine weitere Leiche, die ich vorhin übersehen hatte. Ohne es eigentlich wirklich zu wollen, richte ich meinen Blick auf den Toten und... mich trifft fast der Schlag... und ich sehe meine eigene Leiche mir zu Füßen liegen! Meine Augen blicklos, weit aufgerissen, mein Kopf in einem unnatürlichen Winkel nach hinten geknickt und mein Körper genauso leblos wie die große Metallplatte, die mich erschlagen hat.
 

http://www.webstories.cc 29.03.2024 - 07:40:48