... für Leser und Schreiber.  

Halbzeit

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© Dolores B.   
   
„Glauben sie allen Ernstes ich würde es so tun?“ – Seine dicken Daumen kreisen umeinander. Die Nickelbrille setzt fast am Doppelkinn auf.

„Jeder Mann, der dies so tun würde, ist ein Waschlappen“ – seine Wurstfinger greifen nach meinem Glas Wasser. Seit einer halben Stunde nun sitzt er hier und bringt mir unmissverständlich sein Feindbild bei.

„Ich gehöre nicht zu jenen, die das ankündigen“ – Ein Tropfen Wasser fällt in die Doppelkinnfalte, vermengt sich mit seinem Speichel beim Reden und fließt langsam sein Kinn hinunter - „Ich würde einfach vor ihrem Wagen stehen und das durchziehen“.

Wir haben knapp vor 12 Uhr mittags. Mein Tisch quillt über mit Arbeit. Das Klingeln des Telefons im Hintergrund nehme ich kaum noch wahr.
Eine Mitarbeiterin hielt es nicht mehr mit ihm aus.
Es sind viele in letzter Zeit; viele, die eigene oder fremde Leben als Spielball betrachten – den es ins Aus zu schießen gilt, damit das Spiel abgebrochen wird.

„Das ginge ganz schnell – vielleicht merken sie es noch nicht mal“ – er wischt mit seinem Sweat-Shirt, auf dem seine Tochter abgebildet ist, den Schleim vom Mund.

„Ich denke, sie wissen, dass es sie nicht weiter bringen würde“ - ich stehe auf, greife nach meinem Terminplaner und blättere nach unserem nächsten Termin, obwohl ich ihn im Kopf habe. „Das nächste Hilfeplangespräch ist am 17. März. Dann werden wir uns über Besuchskontakte unterhalten.“

Mit dem Zuklappen des Planers steht er auf. Der dicke Bauch plustert das abgebildete Mädchen auf und verformt es nach allen Seiten.

„Bis dahin müssen sie sich gedulden und vor allem die Regeln einhalten“ – ich reiche ihm meine Hand. Spüre seine feuchten Wurstfinger nach mir greifen.

„Wer weiß…“ – blicken seine schmalen weißen Augen durch die Nickelbrille.

Ich drücke seine Hand fest zu und lasse ihn zum Abschied meine Stärke spüren.



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