... für Leser und Schreiber.  

Schicksalsbringer

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©  Laura   
   
Die Straßen waren verlassen, dreckig und trostlos. Blinkende Reklametafeln, tropfende Klimaanlagen. Irgendwo ein Telefon, das durch das offene Fenster einer leeren Wohnung schrillte. Einsam durch die Nacht.
Es hatte geregnet; die Straßen waren noch immer nass und voller Pfützen die ölig glänzten. Ihre Schritte machten kein Geräusch auf dem Asphalt. Nur das leise Schaben ihrer Hosenbeine war zu hören. Gleichmäßig, bei jedem Schritt.
Wie spät es wohl war? Vielleicht ging schon bald die Sonne wieder auf?
Sie hatte es nicht eilig. Man erwartete sie nicht und deshalb musste sie sich auch nicht beeilen.
Aus einer Seitenstraße erklang ein Scheppern und der Schrei einer Katze. Weiteres Gepolter und dann rauschte ein grauer Schemen an ihre vorbei und verschwand in der Dunkelheit.
Sie zog die Schultern hoch und vergrub die Hände noch tiefer in ihren Manteltaschen; spürte die glatte Scheide des Schwertes an ihrer Seite, strich durch den Stoff ihrer Tasche über das fein gearbeitete Leder und setzte ihren Weg fort.
Sie würde ihn treffen wenn die Zeit gekommen war. Das Schicksal, sein Schicksal führte sie zu ihm und nichts würde das verhindern können. Wenn sie ihn heute nicht traf, dann morgen, oder am Tag drauf. Es spielte keine Rolle.
Das Licht der Straßenlaternen spiegelte sich in den Pfützen vor den Stufen, die zur U-Bahn hinunter führten. Sie hielt einen Moment inne, als würde sie lauschen, dann nickte sie unmerklich und stieg die Treppen hinunter zur Untergrundbahn. Die kleinen Läden, die eiligen Reisenden Zeitschriften und Bonbons verkauften, waren nun geschlossen und graue Rollläden starrten auf die leeren Gänge hinaus.
Als sie den Bahnsteig betrat kündigte ein Windstoß und das entfernte Dröhnen von Bremsen das Nahen der Bahn an. Sie sah dem Zug entgegen und der Wind trieb ihr Tränen in die Augen, doch erst im letzten Moment wandte sie den Blick ab und trat, die Augen auf den Boden geheftet, näher an die Plattform heran. Eine Abteiltür öffnete sich auf ihre Berührung hin mit einem Zischen. Erst jetzt hob sie den Kopf wieder und stieg ein.
Eine entfernte Lautsprecherstimme, ein Klacken und wieder das Zischen als die Tür geschlossen wurde.
Auf der Bank links von ihr saß ein junges Liebespaar, ineinander verschlungen, ein Wesen mit zwei Köpfen und ohne Gesicht. Ein Stück weiter rechts saß ein Mann, er saß mit dem Rücken zu ihr, doch in der Spiegelung der Fenster konnte sie sehen, dass er die Augen geschlossen hatte. Als sie sich auf die Bank ihm gegenüber setzte schlug er die Augen auf.
Für eine Weile sprach niemand von ihnen. Dann rumpelte der Zug in einen weiteren Bahnhof und sie hörte wie das Pärchen kichernd das Abteil verließ. Als der Zug wieder ins Dunkel der Schächte eintauchte flackerte das Licht für einen Moment.
„Ich hatte mich schon gefragt wann du wohl auftauchen würdest.“ sagte er, als das Licht wieder normal brannte.
„Hattest du Zweifel dass ich kommen würde?“
„Nein.“
Seit sie sich gesetzt hatte, hatten sie nicht den Blick voneinander abgewandt.
„Es tut gut zu wissen, dass die Warterei nun ein Ende hat“, meinte er und strich sich eine Strähne seines dunklen Haares aus der Stirn. Er sah müde aus. Ausgezehrt. Doch sie erkannte auch seine Erleichterung.
Nach einem letzten prüfenden Blick in seine Augen stand sie auf. Ihre Hand glitt an ihre Seite, zu dem Schwert in seiner ledernen Scheide. Ruhte einen Moment auf dem schmucklosen Griff und öffnete schließlich den Gurt, der es an ihrer Seite hielt. Sie schlang die Enden des Gurtes um die Scheide bevor sie es ihm reichte.
„Du weißt was es bedeutet wenn du das Schwert von mir annimmst?!“
„Ja.“
Er zögerte ein Augenblick, doch dann nahm seine Hand das Schwert entgegen.
„Mögen die Alten dir beistehen.“

Seine Hände strichen über die lederne Scheide und den Griff, spürten die Prägung des Leders nach. Er war so vertieft in das Schwert, dass er gar nicht bemerkte wie der Zug in einen Bahnhof einfuhr. Sie nutzte die Gelegenheit um zu gehen und sah dem Zug nach, wie er im Tunnel verschwand. Dann drehte sie sich um und ging die Treppen hinauf zur Oberfläche. Frische Luft schlug ihr entgegen und am Himmel zeigte sich das erste morgendliche Grau. Sie fühlte sich einsam ohne das Schwert, nackt und schutzlos. Doch es würde sicher nicht lange dauern bis es zu ihr zurückkehrte. Es dauerte nie lange. Und dann würde sie es auch schon bald wieder jemand anderen bringen müssen. Jemand, dessen Schicksal sie zu ihm führte.
Sie und das Schwert waren eins. Schicksalsbringer.
 

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