... für Leser und Schreiber.  

Das sechste Gebot//1.Teil

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©  Zimtsternchen   
   
Der Mann schob sich einen Streifen Brot zwischen die Zähne und fing an zu kauen. Das Brot hinterließ einen eigentümlichen Geschmack in seinem Mund und es pappte am Zahnfleisch fest. Verärgert zog er eine Flasche Wasser aus seiner Jacke und trank einen großen Schluck Wasser. Nach einigem Würgen hatte er den Papp runtergespült.
Dann griff er wieder nach seinem Fernglas und hielt es sich vor die Augen. Es rührte sich noch immer nichts. Aber was machte das schon, wenn er endlich erreichen konnte, was es zu erreichen galt, dann konnte er warten.
Er war schließlich geduldig....

Jo griff nach den Kaugummis und klaute Nick so nun schon zum zweiten Mal in einer Stunde einen seiner wertvollen Kaugummis. Aber ihr war das egal. Sie brauchte das für ihre Nerven. Gleich würde die nächste Zeugin kommen und wieder würde sie ewig lange Fragen stellen und, sie wusste es jetzt schon, es würde nichts dabei rauskommen.
Nick trommelte nervös auf seiner Schreibtischunterlage herum und faltete die Beine übereinander, auseinander, übereinander und auseinander. „Du machst mich ganz verrückt!“, wies ihn Jo zurecht.
Nick schenkte ihr einen mitleidigen Blick. Sie war die Neue, nicht er, sie musste sich noch den Respekt verdienen, sonst würde er sich wohl nichts von ihr sagen lassen. Obwohl Jo Oberkriminalkommissarin war, hörte hier kein Mensch auf sie.
Wofür hatte sie sich eigentlich versetzen lassen? Um hier wie ein Stück Dreck behandelt zu werden? Man hatte sie gewarnt, dass die Großstadtreviere etwas eigen seien, doch sie hatte unbedingt hier hin gewollt. Außerdem musste sie weg. Sie wäre sonst suspendiert worden, hätte sie sich nicht freiwillig versetzen lassen. Innerlich fluchte Jo zum hundertsten Mal auf ihre Exkollegen, die sie so fies rausgemobbt hatten.
Und hier wurde alles noch besser. Sie versuchte sich ganz normal zu geben, wollte eine Freundschaft mit Nick, ihrem Assistenten aufbauen, doch niemand hörte auf sie, nahm nur Anweisungen von Nick an. Immerhin ließ er sie großzügig seine Kaugummis essen. Verbissen kaute sie auf dem Kaugummi herum. Wenn das alles war, was ihre neuen Kollegen ihr zu geben hatten....
„Mrs Smith ist nun da!“, sagte Terry, der Polizist, der vorne am Empfang saß. Hinter ihm stand eine etwas ältere Frau, die ihre Handtasche umklammert hielt. Diese Leute hatte Jo schon ohne Ende gesehen. Sie hatten Angst vor allem und jeden und kannten den neuesten Klatsch.
Nick stand auf und schüttelte Mrs Smith die Hand, überging Jo dabei völlig, obwohl sie seine Vorgesetzte war und fing dann auch gleich an die Frau auszufragen. Jo kochte. Es reichte vollkommen. Sie wusste, dass sie hier nicht willkommen war aber sie jetzt auch noch vor den Leuten bloß zu stellen, dass war zu viel.
„Nick! Innerhalb von 2 Sekunden hast du diesen Raum verlassen. Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Ich versuche die ganze Zeit eine Freundschaft zu schließen, aber das geht der gesamten Belegschaft ja am Arsch vorbei. Wenn ihr nicht wollt, dann fühlt halt, denn ich habe hier immer noch die Leitung und kann euch rausschmeiße, wann und wie ich es will...Kapiert? Und jetzt RAUS!“, brüllte Jo los. Terry und andere Kollegen standen auf dem Gang und waren völlig erstarrt, überrascht von dem Ausbruchs ihrer neuen Vorgesetzten.
Nick griff sich seine Jacke und stand auf. Sein Gesicht war eine ausdruckslose Maske. „Hochmut kommt vordem Fall!“, zischte er und schlug die Tür hinter sich zu.
Jo, wandte sich wieder Mrs Smith zu, die morgen eine ganze Menge zu klatschen haben würde. „Nun, Sie sind als eine der Zeugen aufgelistet, die unseren Täter vermutlich gesehen haben wollen.“ Mrs Smith nickte. „Können Sie ihn grob beschreiben?“ Eigentlich war diese Frage überflüssig. Frauen, die so neugierig wie Mrs Smith waren, konnten vermutlich sogar seine Socken beschreiben.
„Na ja, sie wissen schon.“, fing die Frau an und klappte ihre Handtasche nervös auf und zu, „Er war ziemlich groß und breit, ich würde sagen, er ist Bauer oder so etwas, hatte schwarze Klamotten an und eine Sturmhaube auf. Was ich noch erkennen konnte, waren seine eisblauen Augen.“ „Eisblaue Augen!“, wiederholte Jo, „Wie konnten Sie eisblaue Augen sehen, wenn Sie, wie Sie angegeben haben, nur seinen Rücken gesehen haben?“ Mit der Frau war irgendetwas faul. Jo wusste nur noch nicht was. „Er kann sich ja mal kurz umgedreht haben oder?“, entgegnete die Frau trotzig. Ihre Geschichte wollte sie sich jetzt nicht nehmen lassen.
Jo blickte nach draußen auf die Straße, wo vielleicht in dem Moment der Mörder von 5 Menschen vorbei ging. Innerhalb von einem Monat, hatte es 5 Morde gegeben, die weder System noch Zusammenhang aufwiesen. Keines der Opfer kannte das Andere oder hatte was gemeinsam. Der Fall gab allen ein ziemliches Rätsel auf und Jo hätte gerne mal mit ihren Kollegen darüber geredet, aber die Einzigen, die ihr Auskunft geben mussten, waren der Pathologe und die von der Spurensicherung. Das Einzige, was man über den Mörder sicher wusste, war, dass er von hier war und dass er jeden Mittwoch zustieß. Man arbeitete fieberhaft um einen weiteren Mord zu verhindern, doch da niemand wusste, wer der Nächste sein könnte, konnte auch niemand überwacht werden.
„Nun, Mrs Smith, Sie wissen schon, dass ihre Aussage sehr zweifelhaft ist? Erst sagen Sie, Sie haben ihn nur von hinten gesehen und jetzt wollen Sie seine Augen gesehen haben. Was kommt denn noch alles? Hat er vielleicht einen Brief hinterlassen oder Blumen?“ Jo achtete genau auf Mrs Smith Reaktion und ihr ungutes Gefühl verstärkte sich, mit dieser Frau stimmte etwas nicht. Mrs Smith Pupillen weiteten sich, so dass es nur ein aufmerksamer Beobachter, in diesem Fall Jo, mitbekam. Sehr gut, ich habe sie schon mal verunsichert, dachte Jo und rieb sich innerlich die Hände.
„Fräulein, ich bin nicht gewillt unter solchen Umständen, mich weiter befragen zu lassen. Ich möchte mit ihrem Assistenten sprechen, ohne Sie!“, sagte Mrs Smith, stand auf und klopfte an die Scheibe. Nick, der gerade mit einem Kaffee wieder gekommen war, drehte sich um und betrat nach einem Zeichen von Mrs Smith den Raum. „Was kann ich für Sie tun?“, fragte er zuvorkommend und seine Stimme rutschte eine Oktave tiefer. Jo beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Er war nur 3 Jahre älter als sie und sah verdammt gut aus, war sich dessen aber wohl nicht bewusst. Nick hatte schwarze Haare, top gegeelt und konnte mit seiner Frisur manchen Stylisten neidisch machen. Außerdem hatte er einen kleinen Bart, was ihm Intellekt verlieh. Jo fand ihn sehr attraktiv, auch wenn er sie wie ein Stück Dreck behandelte.

Jo selbst war eine sportliche junge Frau, die gerade erst 25 geworden war und mit Bravour und Auszeichnung ihr Studium beendet hatte. Sie hatte kastanienbraune Locken, die sie mit einem Pferdeschwanz zu bändigen versuchte und grünbraune katzenhafte Augen, die ihr einen leicht Asiatischen Touch verliehen. Sie machte seit ihrem 5 Lebensjahr Karate und hatte vor kurzem mit Judo angefangen. Jo war durch und durch eine Sportskanone.

„Mr Young, ich möchte die Befragung mit ihnen weiter machen und nicht mit Mrs Neill. Hätten Sie wohl die Zeit für mich?“, fragte Mrs Smith und Jo verdrehte die Augen. Das konnte ja heiter werden, wenn sogar die Zeugen zu Nick wollten. Der würde diesen Triumph bis ins letzte auskosten und ihr vermutlich nichts erzählen, wenn sie fragen würde, was Mrs Smith gesagt habe.
„Jo, dann musst du wohl für einen Moment raus gehen. Ich hoffe, es macht dir nichts aus.“, sagte Nick zu ihr und konnte sein schadenfrohes Grinsen nicht ganz verbergen. Arschloch, dachte sich Jo und erhob sich. Dann beugte sie sich ganz nach unten zu Nick, bis sich ihre Nasenspitzen berührten. „Nein Schatzi, es macht mir nichts aus!“ jetzt hatte Mrs Smith noch mehr zu tratschen. Schadenfreude ist eben die schönste Freude, dachte Jo, als sie hocherhobenen Hauptes aus der Tür stolzierte.
Sie schlug die Tür hinter sich zu und überließ Nick die ganze Drecksarbeit. Vielleicht sollte sie in der Zeit shoppen gehen oder einen Kaffe trinken. Irgendetwas würde ihr schon einfallen.
 

http://www.webstories.cc 17.05.2024 - 13:29:30