... für Leser und Schreiber.  

Die Frau aus dem Roman

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© Homo Faber   
   
Ja, sie war wunderbar. So eine Frau hatte er noch nie erlebt. Sie war so lieb, so nett, so offen, so einer Frau wollte er schon immer begegnen.

Je weiter er in diesem Roman las, desto größer wurde seine Sympathie für diese Frau. Er las immer weiter, konnte gar nicht mehr aufhören zu lesen. Immer mehr merkte er, dass diese Frau genau dem Bild seiner Traumfrau entsprach. Er konnte sie nicht sehen, aber durch ihre innere Schönheit nahm sie Gestalt für ihn an. Eines Tages verliebte er sich in sie.

Das Buch war längst ausgelesen, doch er las es immer wieder. Tag und Nacht dachte er an die Frau aus dem Roman, er wollte bei ihr sein, mit ihr zusammen sein, sein Leben mit ihr verbringen. Er wurde unglücklich, ließ sich immer mehr gehen, zu sehr quälte ihn der Kummer, dass er niemals bei ihr sein konnte. Was mit ihm los war, erzählte er niemanden, wem auch, den meisten Menschen war er doch egal, wie es ihm ging, interessierte sowieso niemanden.

Eines Tages hatte er eine Idee. Er beschloss, den Roman fortzusetzen, mit ihm als zweite Hauptperson. Endlich lernte er sie kennen, er beschrieb es so real, als sei er wirklich dabei. Sie gingen miteinander aus und es war nach kurzer Zeit so, als kannten sie sich schon eine Weile. Sie plauderten über Gott und die Welt, lachten und verbrachten einen schönen und langen Abend. Von da an unternahmen sie regelmäßig etwas miteinander. Bald verliebte sie sich auch in ihn.

Er war einfach glücklich, seine reale Welt um sich herum nahm er schon gar nicht mehr wahr. Er schrieb immer weiter, die nächsten Tage, Wochen, Monate, Jahre, bis an sein Lebensende. Er starb ganz plötzlich, zu plötzlich, um seinen Roman zu beenden. Aber er war in dem Moment glücklich.
 

http://www.webstories.cc 19.05.2024 - 14:33:07