... für Leser und Schreiber.  

Stephanie

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©  Gedankensuizid   
   
Markus stand vorm Spiegel. Seine langen schwarzen Haare fielen auf seine alte, halb vergammelte Lederjacke, die von Aufnähern mit unleserlichen Inhalten nur so überfüllt war. Alle Black-, Thrash- und Death Metal Bands die irgendwie nenneswert wären, waren hier vertreten. Von Mütiilation bis Nattefrost, von Belketre bis Burzum, Carpathian Forest und Dark Funeral, ja sogar Sodom, Dissection, Darkthrone, Sinister, Absurd und Graveland. Alle halbwegs elitären Bands waren vertreten. Ein Woods of Infinity Shirt, ein Nagel-Nietenhalsband und ein Patronengürtel, sowie eine enge schwarze Lederhose machen das Outfit perfekt. Markus war 23. Wenngleich er auch etwas jünger erschien, was ihm jedesmal dazu verhalf, beim Kauf von Zigaretten seinen Ausweis raus zu hohlen.

An diesem Tag würde er endlich einmal ein gemeinsames Essen mit seiner Freundin Stephanie und deren Mutter haben. Sie wollten dazu in ein feines griechisches Restaurant gehen. Die Idee, dass er dieses Outfit tragen soll, kam von der Mutter seiner Freundin. Sie wollte unbedingt einmal die beiden in ihren düsteren Gewändern sehen. Stephanie liebte die Gothic-Kleider und -Frisuren. Ein Gothic jedoch war sie nicht. Dafür war sie viel zu fröhlich und aufgeweckt. Aber die Musik gefiel ihr. Am liebsten lauschte sie den düsteren und melancholischen Klängen von Gothic-Pop Kapellen wie etwa Blutengel, Lacrimosa oder Sopor Aeternus. Mit dem Krach, den Markus sich den ganzen Tag anhörte, konnte sie nie etwas anfangen. Und deshalb verzichtete Markus ganz und gar auf seine Musik wenn Stephanie bei ihm war. Dann legte er nämlich immer ihre Lieblingsplatte auf, und zwar "Es reiten die Toten so schnell" von Sopor Aeternus. Und dann schwelgten sie immer beide in der bittersüßen Melancholie und Depression, die von dem Album ausging. Da Stephanie auch Kinderlieder mochte, war Markus auch nicht abgeneigt sie sich zusammen mir ihr anzuhören. Eigentlich mochte er diese extrem fröhliche Art der Musik ja auch. Für ihn war es eine Art "Urlaub" vom Black Metaller Alltag.

Stephanie ist erst vor vier Jahren auf ihre Vorliebe für Gothic gekommen. Damals durfte sie zum ersten mal ein ganzes Wochenende bei Markus bleiben. Übernachtungen Inklusive. Dabei waren sie gerade mal ein Jahr zusammen, und ihre Mutter vertraute ihm dann sogar ihre einzige Tochter an. Sie wusste, dass Markus sie so sehr und innig liebte, dass sie sich da keine Sorgen zu machen brauchte. Ihr Mutterinstinkt bestätigte ihr dieses Gefühl. Und Markus hat sie nicht enttäuscht. Es geschah absolut nichts Sitten- oder Gesetzeswidriges, oder sonst etwas worüber sie sich hätte Sorgen machen müssen. Sie verhielten sich einfach wie zwei zivilisierte Erwachsene.

An jenem Wochenende im Frühling, um genau zu sein war es das letzte April-Wochenende, geschah es. Als Stephanie aus dem Schlafzimmer, in welchem sie damals übernachtete, in die Küche getrappelt kam, hörte sie zum ersten mal jene Musik die Markus als Gothic bezeichnete. Das Wohnzimmer, in welchem Markus während ihres Besuches geschlafen hatte, grenzte direkt an die Küche an. Und in genau diesem Wohnzimmer stand ein DVD-Surround-System, das als Hifi-Anlage missbraucht wurde. Und dieses Surround-System spielte ein von eigenartigen und düsteren Melodien übersätes Album, welches ihr danach noch ewig als Ohrwurm zurückkehrte. Sie fand die Melodien so wunderschön, dass sie ihn sofort fragte, von wem denn dieses Lied sei. Markus lächelte nur, so wie er es immer tut wenn er sie sieht, und antwortete leicht melancholisch, dass es ein deutsches Projekt namens Sopor Aeternus sei. Und die Sängerin, sofern es überhaupt eine "Sie" gewesen ist, hatte die wohl ausdruckstärkste und Emotionsgeladene Stimme die Stephanie jemals gehört hatte. Seitdem, liebt sie die Musik von dieser Band, wenngleich sie aber nicht im geringsten die Stimmung adaptierte. Sie blieb das fröhliche und aufgeweckte, auch ein wenig verschmuste Mädchen, das Markus damals im Eiscafé kennen gelernt hatte.

Damals hatte er sie getroffen und sich sofort in sie unsterblich verliebt. Auch wenn er sich bewusst war, dass er einfach nicht der Typ war, dem es gegönnt war, lange Beziehungen zu führen, setzte er alles daran, ihr Herz zu erobern. Denn seins hatte sie schon längst binnen Sekunden erobert. Auch wenn es ihm sehr schwer fiel sprach er sie an, oder besser gesagt, versuchte er irgendwie mit ihr und ihrer Mutter ins Gespräch zu kommen. Stephanie verstand im Gegensatz zu ihrer Mutter, die eindeutigen Signale von Markus natürlich sofort und sie fingen an sich sehr gut zu verstehen. Dann während eines wahrlich fröhlichen Gespräches mit ihr zog er eine Tafel Schokolade aus seiner Tasche und schenkte ihr diese. Es war nicht irgendeine Schokolade, sondern es war eine sündhaft teure Edelschokolade aus Kakaobohnen die von den Feldern der Plantagen in Madagaskar stammten. Verfeinert war sie mit zarter Karamellcreme. Solch eine feine und teure Schokolade gab es nur in ganz teuren und edlen Süßwarengeschäften zu kaufen und hatte mit immerhin 8€ auch ihren stolzen Preis. Dennoch schenkte er Stephanie dieses edle Stück süßen Geschmacks. Und diese freute sich von ganzem Herzen dafür. Das war es ihm Wert. Nur um sie fröhlich zu machen hatte er ihr seine letzte Tafel seiner absoluten Lieblingsschokolade gegeben. Und er bereute es zu keinem Zeitpunkt. Diese kleine selbstlose Geste schweißte die beiden förmlich zusammen. Denn das zeigte ihr, dass er für sie einfach alles tun würde. Und genau das würde Markus auch tun.

Das war nun geschlagene fünf Jahre her. Und zu ihren Geburtstagen kam er jedes mal mit dieser teuren Schokolade an, zusätzlich zu den ohnehin schon teuren Geschenken die er ihr machte. Und das worüber sie sich dann am meisten freute, war nicht das eigentliche Geschenk oder die Schokolade, die sie mittlerweile so sehr mochte wie ihre neugewonnene Lieblingsband, sondern das was sie wirklich glücklich machte, war die Präsenz ihres Freundes. Und die Tatsache dass er sie mit dieser Tafel Schokolade immer an dieses erste treffen im Eiscafé erinnerte. Dass diese Schokolade so dermaßen teuer war, hat sie erst erfahren, als sie einmal dabei sein durfte, wo er die Geschenke für ihren Geburtstag vor zwei Jahren gekauft hatte. Niemals hatte er darüber geklagt, dass er ihr eine so teure Schokolade gekauft und geschenkt hat, als sie sich noch gar nicht richtig kannten. Gefragt hatte Stephanie auch niemals danach, denn sie hatte gelernt, dass man bei Geschenken niemals auf den Preis schauen sollte. Und das tat sie auch nie. Aber spätestens seit dem wusste sie, dass sie ihm wohl sehr viel bedeutete, was Stephanie ein wunderbares Gefühl der Geborgenheit gab.

Markus stand nun vor der Tür seiner heiß geliebten Freundin. Er klopfte an die schwere Haustür und ihre Mutter öffnete. Als sie Markus sah lächelte sie kurz, musterte sein Outfit ganz genau und meinte dann nur lächelnd, dass es genau wie in Stephanies Beschreibung aussehen würde. Dann bat sie ihn herein, wo auch schon Stephanie wartete. Sie trug ein langes, mit Rüschen verziertes, schwarzes Kleid. Ihre knallig rot-braunen Haare und ihr zartes Gesicht wirkten dagegen wie ein scharfer Kontrast. Die Haare jedoch waren zu hochgesteckten Zöpfen umgeformt, und hatten nichts mehr von ihrem sonst so süßen und ziemlich lockeren Aussehen übrigbehalten. Normalerweise flatterten sie offen im Wind aber jetzt wo sie nur noch durch die Haarfarbe von einer Gothic-Frisur zu unterschieden war, wirkten sie erstaunlich düster und kalt. So wie Stephanie jetzt aussah erinnerte sie Markus immer an eine rothaarige Fledermaus. Irgendwie fand er den Gedanken putzig. Und Stephanie fand diese Vorstellung von Markus auch immer sehr nett. Als Markus ihr nämlich mal davon erzählt hatte, stellte sich heraus, dass sie eine gewisse Sympathie zu Fledermäusen, Vampiren und sogar Werwölfen hegte. Das wiederum fand auch Markus unglaublich spannend.

Einmal waren sie zu Helloween sogar auf einer Ausstellung über Werwölfe und Vampire. Etwas gruselig fand es Stephanie dort schon, aber das verflog auch schon etwas später wieder, da sie ja wusste, dass Markus immer anwesend war, und ihr deshalb auch nie etwas passieren würde. Dort hatten sie beide auch eine Menge anderer Gothics kennen gelernt, die jedoch ob des außergewöhnlichen Paares, welches die beiden abgaben, nur mit missbilligenden Blicken nur so um sich warfen. Markus hatte sich daran schon gewöhnt, Stephanie jedoch wusste absolut nicht warum die anderen so abfällig reagieren würden. Für sie war das alles ganz normal, und sie hatte Markus so sehr lieb, dass sie schließlich aufhörte sich darüber aufzuregen, dass sich die anderen nicht damit abfinden konnten, dass sie eben ein Paar waren.

Endlich saßen Markus, Stephanie und ihre Mutter in dem feinen Restaurant. Im Hintergrund lief wunderschöne griechische Musik, und die Wände waren dekoriert mit allerlei Dingen die ein wenig das Gefühl gaben man befände sich in einer Hütte mitten im Gebirge von Griechenland. Als der Kellner dann endlich ankam und das bereits telefonisch vorbestellte Menü servierte, musste dieser ob des ungewöhnlichen Anblickes von Stephanie erst einmal laut sein Erstaunen zum Ausdruck bringen. Doch das, was ihm am meisten erstaunte, war die Antwort auf seine anschließende Frage, wo denn die Freundin des Jungen Herren bleibe, und warum nur für drei Leute vorbestellt wurde. Denn daraufhin antwortete Stephanie empört, dass sie doch Markus' Freundin sei. Als er schließlich das zierliche Mädchen fragte, wie alt es denn eigentlich sei, antwortete dieses auch prompt und ehrlich: "neun!"...
 

http://www.webstories.cc 09.05.2024 - 08:52:35