... für Leser und Schreiber.  

Schlafstörungen

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©  Ambrose   
   
Die Dunkelheit tröpfelt wie Wachs in das Licht des Tages hinein.
Du ahnst es erst, du fürchtest dich davor, dann siehst du es. Einer Krähe gleich senkt die Nacht ihre Schwingen über dein Heim. Und wieder beginnt der Kampf von Neuem, das Ringen um Schlaf, um Ruhe und Erholung, du hast es den ganzen Tag bange erwartet, nun ist es soweit.
Du bist vorbereitet auf das Duell, du hast deine Lektionen gelernt, du weißt, was dir bevorsteht in diesem zerwühlten, schweißfeuchten Lager, dir ist keiner der perfiden Tricks deines Feindes fremd, jede Finte ahnst du voraus. Und doch, du weißt mit der Gewissheit eines zum Tode Verurteilten, der Ausgang des Kräftemessens steht schon fest, bevor der erste Schuss gefallen, die erste Schlacht geschlagen ist. Und du fürchtest diesen Ausgang, wie du den Tod nicht fürchtest, doch du musst in den Krieg ziehen, und wage ja nicht, dich zu ergeben!
Schon lange vor der Dämmerung begannen die Vorbereitungen: keinen Kaffee, keinen Alkohol, kein schweres Essen. Wenn das Fanal erschallt, wenn die Boxer in den Ring steigen, sich in ihren Ecken warm machen und den Gegner mit abwartenden Gesten belauern, dann gibt es Milch mit Honig.
Nebenbei liest du Nietzsche, das passt.
Die Mattigkeit übermannt dich, du lauerst auf sie wie der Jäger auf die Beute. Doch wenn du meinst, du hast sie gepackt und gefangen, dann flieht sie, macht sich davon. Sie ist wachsamer als ein Reh – und du liest weiter Nietzsche.
Doch irgendwann kommt der Moment, den du seit dem Morgengrauen fürchtest, der dich anekelt und vor dem du zurückschreckst. Doch er ist unausweichlich – du löschst das Licht.
Du beobachtest dich selbst, als seiest du ein Fremder, du schaust auf jede Reaktion deines Körpers, jedes Ansteigen und Abflachen des Herzschlags registrierst du. Geht der Atem schnell, ist er flach, dann zwingst du dich, gleichmäßig und tief Luft zu holen. Du bist darauf bedacht, ganz den Eindruck eines Schlafenden zu machen.
Du drehst dich auf die andere Seite.
Unwillkürlich ist das geschehen, du bist unruhig und fahrig, gespannt und nervös. Du suchst die angenehmste Stellung, legst dich hier-, dann wieder dorthin, drehst dich nochmals, bettest deinen Kopf anders und schließlich meinst du, bequem zu liegen. Du atmest noch einmal tief ein, kraftvoll aus. Nun kann er kommen, der Schlaf. Ruhe!
Aber die Gedanken!
Deine Gedanken spritzen durcheinander. Sie flattern davon. Dutzende, Hunderte kleiner Ideen und Geistesblitze sausen durch das ganze Zimmer, werden von den Wänden zurückgeworfen, von den Möbeln, den Behängen. Du kannst nicht einen fassen, sie wuseln durcheinander und machen sich lustig über deine Mühen. Die Gedanken sind frei, sie wirbeln kunterbunt und scheinen dich zu rufen, jeder mit seiner eigenen Stimme, in tausend verschiedenen Tonlagen. Hohe und spitze, von dort kommen tiefe, brummige, von der anderen Seite brüllende, von hier leise, wispernde, singende, krächzende, piepsige, knorrige, rauchige, schmeichelnde...
Du springst aus dem Bett und läufst hinaus, etwas zu trinken. Als du zurückkehrst, herrscht Totenstille, als wäre das Geschnatter nur in deinem Kopf gewesen.
Du versuchst es erneut. Du legst dich nieder, suchst eine bequeme Stellung. Schließt die Augen. Und der Ärger über dich selbst lässt dich einschlummern. Ganz kurz versinkst du in den heiligen Fluten – und schreckst hoch und meinst, es wären Stunden gewesen.
Dein Blick irrt durch das Dunkel de Zimmers. Was du suchst, befindet sich unmittelbar neben dir. Wie das lidlose, glühende Auge eines Nachtmahrs prangt neben deinem Kopf die Digitalanzeige des Radioweckers. Kein Wimpernschlag, nicht das kleinste Lidzucken, du wirst starren Auges unbeirrt beobachtet. Und dieses Auge zieht dich in seinen Bann. Ohne es zu wollen wirfst du Blick um Blick zu den roten Zahlen, die sich nur schleppend verändern, obschon du doch den Eindruck hast, Stunden wären vergangen.
Schweiß! Du spürst, je weiter die Zeit voranschreitet, desto feuchter werden die Laken, in denen du dich wälzt, je öfter du dich hin- und herwirfst, von einer Seite auf die andere, links nach rechts, vom Rücken auf den Bauch und wieder zurück, desto nasser und salziger werden die Tücher, die dich umhüllen.
Und wieder packt dich die Panik. Soll sich dieser Kampf wieder hinziehen bis in die Morgenstunden? Wird es so kommen, wie in all den vergangenen Nächten, dass du tränenüberströmt aufstehst, an allen Gliedern geschlagen, abgezehrt und gezeichnet von der Müdigkeit.
Du zähmst deinen Puls, du zwingst dich, ruhig zu werden. Still! Noch ist Zeit, kaum die Hälfte der Nacht ist verstrichen. Es wird nicht lange dauern, bis der Schlaf dich findet. Du wirst es schaffen!
Und tatsächlich, kurz darauf bist du fast eingeschlafen. Deine Gedanken, soweit es noch Gedanken sind, streichen seicht über die Oberfläche deines Bewusstseins. Keine dieser Ideen dringt durch den Mantel, den du deinem Geist übergeworfen hast. Du schläfst.
Du schläfst!
Der Gedanke lässt dich hochschrecken und alle Verbindungen zur Wirklichkeit, die du gekappt hattest, sind wieder fest und stabil. Du bist zurück. Du liegst in den schweißnassen Leinen, das rote Auge des Mahrs starrt dich nach wie vor an und die Exkursion, von der du soeben zurückgekehrt bist, ist nur mehr ein Schatten.
Du bist hellwach.
Und die ersten Sonnenstrahlen kriechen durch das Fenster. Ein Tag kündigt sich an, er frisst die Dunkelheit und wird sie erst am Abend wieder ausspeien.
Der Kampf ist vertagt, bis zur neuerlichen Dämmerung hast du Zeit, dich vorzubereiten.
Doch jetzt heißt es zunächst, einen weiteren Tag zu überstehen.
 

http://www.webstories.cc 05.05.2024 - 12:04:21