... für Leser und Schreiber.  

Der Brummbär

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© Homo Faber   
   
Ich sah ihn fast täglich. Ich war damals etwa zehn Jahre alt. Meist ging er mit seinem Hund spazieren. Er wirkte stets schlecht gelaunt, niemals sah ich ihn lächeln, immer nur hatte er diesen grimmigen Blick. Oft bekam ich mit, dass andere über ihn tuschelten, offensichtlich mochte ihn niemand, weil er immer so unfreundlich blickte. Ich wusste nicht, ob er mitbekam, wenn andere Leute einen Bogen um ihn herum machten, vermutlich würde es ihn sowieso nicht stören.
Eines Tages kam er mir mit seinem Hund entgegen. Als wir auf gleicher Höhe waren, kam sein Hund zu mir und wollte mich beschnuppern. Doch er zog ihn sofort weg.
„Da gibt es nichts zu schnuppern“, sagte er zu ihm.
Ich wollte unbedingt wissen, wieso er immer so unfreundlich war und beschloss, ihn das nächste Mal einfach zu fragen.
Ein paar Tage später begegnete ich ihm wieder.
„Darf ich Ihren Hund einmal streicheln?“, fragte ich ihn.
„Na gut, aber nur kurz und ärgere ihn nicht“, meinte er unfreundlich.
„Das ist ein schöner Hund“, meinte ich, während ich ihn streichelte.
„Da hast du recht“, antwortete der Mann.
„Sind Sie eigentlich verheiratet“, fragte ich ganz direkt, so wie Kinder eben manchmal sind.
„Das geht dich ja wohl nichts an“, erwiderte er.
„Warum machen alle Menschen einen Bogen um Sie herum?“
„Weil sie mich anscheinend nicht mögen. Aber das ist mir egal, ich mag sie auch nicht.“
„Warum nicht?“
„Weil ich keine Menschen mag.“
„Echt nicht?“
„Nein. Und zu deiner Frage, nein, ich bin nicht verheiratet. Und ich möchte es auch nicht sein, weil ich eben keine Menschen mag.“
„Aber Sie mögen Tiere, oder?“
„Ja, da hast du recht, ich hab Tiere sehr gern“, meinte er und klang schon ein klein wenig freundlicher.
„Ich auch“, sagte ich, während ich den Hund weiter streichelte. Der Hund jaulte kurz auf, es klang ein wenig, als versuche er zu singen. Es hörte sich lustig an, ich musste ein wenig lachen. Ich sah den Mann an, und für einen ganz kurzen Augenblick lächelte er ebenfalls.
Danach sah ich ihn nie wieder. Aber es freute mich, dass er doch lächeln konnte.
 

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