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Danai Okahari - erstes Kapitel

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©  Sommertänzerin   
   
Und der alte Schamane gab ihr einen Balsam aus Blüten, Moos, Blättern und Moschusochsentalg und versprach, sie würde nie wieder Schmerzen spüren, wenn sie ihr Herz damit einbalsamiert ...

Doch eines dürfte sie nie vergessen, die Erinnerung an den Morgentau, die Blüten im Frühling, den Schrei des Adlers in den luftigen Höhen, das Heulen der Wolfsrudel und das Rauschen der klaren Gebirgsbäche.

***

Jahre vergingen und Danai Okahari wuchs zu einer jungen Frau heran. Sie war nun dreiundzwanzig. Unbeschwert rannte sie durch die Wiesen und Wälder, sprang barfuss über Stock und Stein und tanzte Ringelrein mit ihrem Schatten. Ihre langen Haare flatterten im Wind und ihre mandelförmigen Augen glitzerten vor Freude. Danai Okahari sang mit den Falken, war im Kanu ganz in ihrem Element, wenn sie die Schnellen der Bäche hinabfuhr. Sie liebte die Vollmondnächte, liebte es, morgens vom Schrei des Bergadlers geweckt zu werden und genoss die Freiheit. Sie war Eins mit der Natur, küsste die Bäume, liebkoste die Blüten und konnte stundenlang regungslos auf hohen Ebenen sitzen und den Anblick der unendlichen schönen Weite genießen ...

Eines Tages ritt sie auf ihrem Pferd Chazuro durch das Land, um einige seltene Kräuter zu suchen. An einem kleinen See machten die beiden Halt. Danai setzte sich auf einen Stein. Ein Knie angezogen, betrachtete das glitzernde Wasser. Sie biss auf einem Grashalm und strich sich durch ihre Haare. Chazuro weidete friedlich in ihrer Nähe.

Danais Blick schweifte umher. Plötzlich hielt sie inne. Was war das? Da war plötzlich ein Mann. Er stand unter dem Wasserfall, das Kinn leicht in die Höhe gestreckt, die Augen geschlossen. Er ließ das klare, kühle Wasser über sein Haupt fallen und wusch sich.

Er trug nur eine Gerblederhose. Sein Oberkörper war muskulös wie der eines Alphawolfes und die sehnigen Muskeln kamen bei jeder Bewegung zum Vorschein. Der junge Indianer trug lange Haare bis zum Gesäß. Dieses war unter den Indiandervölkern zwar keine Seltenheit, doch so einen bezaubernden Mann hatte Danai noch nie gesehen. Mit offenem Mund starrte sie den Mann an.

Aus heiterem Himmel drehte dieser plötzlich seinen Kopf und blickte sie für einen Bruchteil einer Sekunde mit durchdringendem Blick an und widmete sich dann wieder dem kühlen Nass.

Wie von einem Skorpion gestochen, sprang Danai auf, schwang sich auf Chazuro und galoppierte schneller als der Wind.

Nach einer Weile, Pferd und Danai ganz außer Atem, verlangsamte sich der Gang. Chazuro blieb eine Weile später stehen, schnaubte und schabte mit der Hufe im Sand.

An diesem Abend schlief Danai sehr unruhig und träumte von dem Unbekannten...

Die nächsten Tage war Danai Okahari sehr aufgeregt.
Ein großes Fest sollte statt finden und sie knüpfte viele Traumfänger und Haarschmuck für ihre kleinen Schwestern.

Der Indiander vom Vortag ging ihr auch nicht aus dem Kopf. Sie hatte sich sonst nie wirklich für die Männer interessiert.

Die jungen Indianer aus ihrem Dorf reizten sie gar nicht.
Sie hatte eher Spaß daran, diese zu ärgern. Gelegentlich ließ sie das Vieh einfach frei, wenn Shitraka, der Sohn des Nachbars wieder unter dem Baum eingeschlafen war.
Aus nächster Nähe beobachtete sie dann, wie er aufschreckte und die Herde Gitzis in weiter Ferne erblickte, sich auf sein Pferd Tsunam schwang und mit Müh und Not die Tiere wieder einfing. Mit einem Gemecker und Geblöke trudelte das Vieh dann wieder ein.

Gerne träufelte sie auch Honig in die Mokassins von Mathatu und Maharathi, den Zwillingen von der einsamen Fazanta. Die Bienen kamen und Mathatu und Maharathi wurden gestochen und mussten zwei Tage die Zähne zusammenbeißen, weil ihnen die Füße weh taten.

Am liebsten neckte sie den Sohn des Häuptlings. Gauloke war jung und ungestüm und begehrte Danai sehr.
Sie lud ihn gern in die Wiesen und Weiden ein, um ihr Spielchen zu treiben. Doch mehr als ihr Haar durfte er nie anfassen ...

Schon am nächsten Tag sollte das Fest stattfinden.
Die Einwohner des Indianerdorfes waren aufgeregt wie eh und je und die Vorbereitungen fanden schon am frühen Morgen statt.
Die Frauen schmückten die Bäume und Hütten, malten ihre Männer an, verwandelten ihre Haare in die schönsten Frisuren und kümmerten sich um das Essen.

Am frühen Nachmittag trudelten ein paar Besucher aus den Bergen ein. Sie brachten als Gaben Leder, Schmuck und Früchte. Dann fing das Fest an. Die Männer tanzten. Die Bänder um die Füße wehten im Wind, die geflochtenen Zöpfe und Federn in diesen wippten umher. Die Gesichter waren in den schönsten Farben bemalt. Die Frauen stimmten mit Gesang und Lauten ein. Kinder sprangen wild umher und spielten.

Danai Okahari wünschte sich insgeheim, dass der fremde Indianer auch erscheinen würde. Doch vergebens.
Vielleicht gehörte er zu einem anderen Stamm oder war ein Verbannter oder gar Vagabund? Sehnsüchtig blickte sie in die Ferne. Welchen Namen ihr Angebeteter wohl trug?

Nach den Lobesliedern für den großen Gott und Mutter Natur wurden Alle zum großen Festessen gebeten.
Es gab Früchte und Gemüse in Fülle, Ziegenfleisch, Fisch, Süßspeisen und Holunderwein. Danai labte sich.
Später wurde am Lagerfeuer die Friedenspfeife geraucht und alte Sagen und Legenden kamen unter die Leute.
Der alte zahnlose Maniturak erzählte grinsend von den Abenteuern seiner Jugend.

Gegen Mitternacht nahte sich das Fest dem Ende. Den Besuchern, die von weiter weg kamen, wurde ein Nachtlager geboten. Andere ritten zurück in ihr Dorf.

Danai saß noch eine Weile auf einem Stein und betrachtete den Himmel. Sie winkte dem großen Bären zu und erblickte eine Sternschnuppe.

Die Tage und Wochen vergingen und Danai Okahari hatte den jungen Indianermann nicht mehr gesehen. Vielleicht war er wirklich nur auf der Durchreise gewesen ...

Eines Tages ritt Danai durch die unendlichen Weiten des Landes und erforschte wieder einmal neue Gegenden.

Dann kam sie irgendwann an diesen seltsamen Weg.
Er bestand aus Eisensträngen und Holzpaletten und zog sich durch das Land. Schon oft hatte sie davon gehört. Die alten Indianer erzählen von lauten, stinkenden, dampfenden Ungetümen auf Rädern, die sich schneller als ein Pferd fortbewegten. Erschrocken wich sie zurück. Das musste dieser Weg sein. Danai Okahari von Mutproben und Abenteuer nicht abgeneigt, doch sie hörte in diesem Falle auf die Weisen und die Warnungen ihrer Eltern.
Der Weg stand für Unheil und nur die Starken und Mutigen waren in der Lage, ihn zu überqueren. Hinter dem Weg drohte Gefahr und das Unbekannte.

So ritt Danai Okahari schnell von dannen. Es war schon fast Abend. Sie kam an einen kleinen Kiefernwald und ruhte sich ein wenig im Schatten aus. Sie hörte einen Wolf und kurz darauf ein Heulen.
Sie liebte die Wölfe über alles und beschloss den Lauten zu folgen, um die Tiere zu beobachten. Sie kam an einen Hang und sah einen jungen Wolf im Tal. Besonnen legte er seinen Kopf in den Nacken und heulte. Welch ein schönes Tier er war. Kurze Zeit später hörte sie wieder eine Heulen aus der Nähe. Sie wartete. Gleich würden sich zwei Wölfe freudig begrüßen.

Sie hörte ein Knacken im Gebüsch und ließ den Fleck nicht aus ihren Augen. Doch was war das?
Das durfte nicht wahr sein. Da kam doch tatsächlich der lang herbei gesehnte Indianer aus dem Gebüsch. Indianer und Wolf begrüßten sich wie alte Freunde, wie Mensch und Hund. Fiepend und schwanzwedelnd kam das wilde Tier auf den Indianer zu, umtänzelte ihn freudig und setzte sich dann auf seine Hinterbeine. Soetwas hatte sie noch nie gesehen.

"Da bist du ja wieder, mein Bruder", sagte der fremde Indianer zu dem grauen Raubtier und tätschelte ihm den Nacken.

Kurz darauf wieder Heulen und Knacken im Gebüsch. Nun stürmten drei andere Wölfe auf das ungleiche Paar hinzu und die Begrüßungszeremonie zwischen Mensch und Tier begann von Neuem.

Danai Okahari war gerührt. Ihre Augen glänzten. Ein Indianer, der mit den Tieren sprach. Das gefiel ihr.
Am liebsten wäre sie selbst zu den Wölfen gerannt, denn sie liebte die Tiere sehr. Doch sie wagte sich nicht vom Fleck.

Der Indiander setzte sich zu den Wölfen, gab ihnen ein wenig von seinem getrockneten Ziegenfleisch, welches er in seinem Lederbeutel trug und legte sich dann mit den Tieren in die Abendsonne.

Fassungslos starrte Danai auf das Bild. Dann löste sich ein Stein vom Hang. Die Tiere spitzen die Ohren, blickten erschrocken auf und ergriffen die Flucht.

Auch der Mann blickte auf. Sah ihr wieder genau in die Augen.

"Du hast sie vertrieben", sagte der Fremde lachend.
"Komm doch herunter, ich stelle dir die Tiere vor. Wenn ich sie rufe, dann kommen sie wieder", meinte der Fremde.

Danai Okahari schlug der Puls bis zum Hals. Aufgeregt und mit großen Augen blickte sie zu dem Fremden. Sie konnte es immer noch nicht glauben.

Ohne ein Wort machte sie kehrt und ritt von Dannen.
Später ärgerte sie sich, dass sie nicht zu dem Indiander gegangen ist. Sie hätte ihn und seine Brüder gerne kennen gelernt ...
 

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