... für Leser und Schreiber.  

Eine Heldin im Schlafanzug

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©  Sommertänzerin   
   
Gestern morgen hatte ich keine Lust, mir etwas anderes anzuziehen. Der Schlafanzug war so gemütlich. Ein hellblaues Oberteil mit gelben Winnipoos darauf. Die Hose - quietschgelb und eigentlich eine bequeme Sommer- oder Yogahose. Farblich gut abgestimmt und so unheimlich bequem.

Eigentlich war ich nie der Mensch, der das Schlafgewand lange anbehielt. Einmal, vor Jahren, da gab es eine Ausnahme. Da übernachtete ich mit einer Freundin nach der Disco im Auto. Es war Samstagmorgen und Bauarbeiter kamen. Da machten wir uns schnell mit der Karre davon - sie in Satinblau mit Bärchen und ich in Satindunkelgrün.Das muss ein Bild gewesen sein. Schlafanzugtragende Autofahrer. Das waren noch Zeiten - lang' ists her ...

Nun ja, gestern eben, an dem besagten Morgen, hatte ich keine Lust, mich umzuziehen. Die Hose konnte man ja im Alltag tragen, war zwar etwas frisch um die Waden, aber das machte nichts. Über das Oberteil zog ich mir eine Jacke, deren Reißverschluss ich bis zum Kinn hochziehen konnte.

So machte ich mich dann auf den Weg. um die DVDs vom Wochenende wegzubringen und um meine Einkäufe zu erledigen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass mich alle anstarrten. Aber das kam mir sicherlich nur so vor. Man konnte ja nicht sehen, dass ich einen Schlafanzug trug.

Im Aldi stand einer der Mitarbeiter genau vor der Pizzakühltruhe, weil er die Ware auspacken musste. Ich wurde ungeduldig. Zwar mag ich Männer mit langen Haaren sehr, diesen jedoch hätte ich am liebsten weggehauen. Ich sah schon den Titel in den Düsseldorfer Express Schlagzeilen: "Junge Frau im Schlafanzug schlug am Montagmorgen einen langhaarigen Aldimitarbeiter von der Pizzakühltruhe weg..." Das wäre mal ein feiner Zug gewesen, denn dann hätten sich die Omis, Kinder und andere Pizzalover auch endlich mal das gute Gebäck mit Belag langen können. In der heutigen Zeit ist Pizza im Gegensatz zu anderen Lebensmitteln ja noch verhältnismäßig gesund ... Ich entschloss mich, zu warten, bis der holde Herr seine Arbeit getan hatte. Man muss ja schließlich nicht jeden Tag auffallen.

Als ich später zahlte, sah ich an der Fensterscheibe ein Plakat mit der Aufschrift, dass Studenten für die Mitarbeit im Laden gesucht würden. Ein ungeheuerlich guter Stundenlohn.
Das musste ich mir nicht zweimal sagen lassen. Ich war froh, dass ich den Tiefkühlboy nicht weggeschlagen hatte und fragte kurzerhand einen Mitarbeiter nach dem Job.

Er brachte mich zum Chef und ich durfte auf einem Stuhl vor dem Schreibtisch Platz nehmen. Es wurde viel erzählt und gefragt. Wie das eben so bei einem Vorstellungsgespräch ist. Mir wurde langsam auch ein wenig mulmig, weil ich ja einen Schlafanzug unter der Jacke hatte. Es wurde auch ziemlich wenig warm. Aber ich bekam den Job. Das muss mir mal Jemand nachmachen. Einen Job bekommen und als Aufzug im Schlafanzug.

Zufrieden schlenderte ich mit meinen gekauften Bri-ecken und dem neu erworbenen Job zur Videothek, gab meine Filme ab und machte mich auf den Weg nach Hause.

Doch was war das? Der Atem stockte, die Bewegung erfor. Dort stand er - mein Traummann. RONALD
Ich erkannte seinen braunen Lockenkopf sofort und schmolz dahin. Dann drehte er sich um und grüßte.
Meine Güte. Diese Augen, dieses smarte Lächeln.
Dann passierte, was passieren musste. Das erste Mal nach vier Jahren fragte er mich, ob ich nicht auf einen Kaffee mit hochkommen würde. Vier ganze Jahre lang hatte ich geschmachtet und dann fragte mich der Depp ausgerechnet dann, wenn ich nichts Besseres als einen Schlafanzug drunter hatte. Aber ich willigte ein.

Wie erzählen uns eine Menge und tranken Kaffee und aßen Kekse. Immer wieder schaute er mich mit dem durchdringenden Blick an. Nach drei Stunden fragte er wieder, ob ich nicht langsam mal die Jacke ausziehen wolle und ich sagte zum 15x, dass ich ja eh gleich gehen würde und das es ja ein wenig frisch wäre. Immerhin hätten wir Winter. Das Thermostat zeigte satte 25 Grad an ...

Am liebsten hätte ich ihm die Augen verbunden und mich ausgezogen. Aber dann hätte ich mich ja irgendwann wieder anziehen müssen. Und wenn ich bis zum Abend bleiben würde, dann könnte ich den Schlafanzug quasi anlassen. Also zog ich dieses Mal wieder den Kürzeren. Ich brachte es einfach nicht übers Herz, die Jacke auszuziehen. Auch nicht, als ich Ronalds Mund auf meinem spürte. Ich drückte eine Geschichte raus, von wegen, ich hätte noch einen Freund und so weiter und sofort und müsste erst Schluss machen. Die wohl unglaublichste Geschichte, die ich je erzählt habe.
Sonst bin ich ja schließlich auch nicht so ehrlich, deswegen.

Manchmal bin ich echt eine Heldin, wenn es um Doofheit geht. Und dieses Mal war ich eine Heldin im Schlafanzug. Da klappt Alles perfekt, Einkauf so halbwegs wenigstens, Job, Traummann und dann der blöde Schlafanzug. Das nächste Mal würde ich mir nichts drunter anziehen, schwor ich mir. Irgendwann ging ich dann auch und legte mich zu Hause, nachdem ich meine Jacke endlich auszog, angezogen, wie ich war ins Bett und schlief, verägert über mein Missgeschickt, ein.

Ronald sah ich heute wieder. Er hatte gerade einen Schlafanzug an und brachte den Müll aus dem Haus. Und ihm war es nochnichtmals peinlich. Vergnügt erzählte ich ihm, dass ich schon einmal auf einer Pyjamaparty war und dass demnächst wieder eine steigen würde. Dieses Mal gab es wieder einen Kaffee und als er das Angebot mit der Schlafanzugparty einwilligte, da konnte ich nicht mehr anders und erzähle ihm die ganze Geschichte. Von da an waren wir ein Paar. Zwei Helden im Schlafanzug ...
 

http://www.webstories.cc 29.04.2024 - 16:54:05