... für Leser und Schreiber.  

Begabung

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©  Goodwyn   
   
Heute ist ein Tag wie jeder andere: Aufstehen, Frühstücken, Rechnungen holen und sich auf Geldsuche begeben. Ich bin ein freischaffender Künstler, da bekommt man nicht oft genug Geld. Ich bin ja kein bekannter Modeller oder Worldbuilder, ich zeichne wie es vor 500 Jahren gemacht wurde: Ich male mit Bleistift Portraits oder Stilleben. Damit macht man keinen großen Gewinn, aber man kann überleben.
Also stehe ich auf, ziehe meine Schuhe an und setze mich an das Tisch. Eine kalte, ausdrucklose Stimme erklingt:“ Guten Morgen, Mr. Ememor. Heute ist der 20 Februar, 2498. Sie haben Post!“
Ich mache mir, wie immer, Müsli mit synthetischen Vitaminen. Das ist das Einzige, was ich mir leisten kann, ich kaue ein bisschen rum und nach einer Pause sage ich:“Post... vorlesen!“
Ich weiß, was mich erwartet: Sauerstoffrechnung nicht bezahlt, Wasserrechnung nicht bezahlt, Miete nicht bezahlt. Genau das teilte mir die frigide Stimme meiner Wohnung mit. Wenn ich die Rechnungen nicht bezahle, werden erst Wasser und Sauerstoff abgeschaltet, dann Strom und schließlich lande ich auf der Straße, von da aus geht’s in die Obdachlosenanstalt und dann werde ich zu Konserven für die Armen verarbeitet, denn ich bin ein Nichtsnutz.

Es ist schon elf, ich bin im East Park, dem größten Park, denn es gibt. Hier treffen sich die Künstler, Sportler und andere Persönlichkeiten. Morgen findet hier ein Rocketgliderrennen statt. Ich würde es mir gern angucken, aber dafür habe ich kein Geld, denn für den Aufenthalt im East Park muss man blechen und zwar stündlich.
Ich setze mich auf meinen Stammplatz. Neben mir sitzt Ema, sie baut gerne Berglandschaften und verschneite Dörfer, doch in letzter Zeit sind diese Themenwelten nicht so beliebt, deswegen macht auch sie sich Sorgen über ihre Existenz, aber bei der sieht’s nie und nimmer so schlecht aus wie bei mir. Die Sonne scheint heute und es wird langsam warm, anscheinend hat die Regierung für heute die Smogschicht aufgelöst, damit die Erde ein bisschen durchgewärmt wird.

Stunden vergehen, Leute gehen vorbei und keiner guckt zu mir auf, alle sind viel zu beschäftigt. Heute habe ich viele meiner Bilder aufgestellt. Es sind Bilder von Tieren. Tiere gibt es schon seit 350 Jahren nicht mehr und die neue Generation, solche wie ich, wissen gar nicht, wie diese ganzen Wesen aussahen. Doch ich weiß es, deswegen werd ich oft als Spinner beschimpft, woher soll ich denn es wissen. Ich sag’s euch: Aus meinen Träumen. Jede Nacht sehe ich sie. Wie die Löwen die Gazellen jagen und wie große, schwarz – weiße Bären grüne Sträucher essen. Ich merke mir ihr Aussehen und banne es auf das Papier, ich sehe jedes Tier nur einmal und habe Angst, dass ich vergesse, wie einer von denen aussah...

Doch die Zeit geht und keiner Interessiert sich für mich, für meine Bilder, für mein Leben.
Ich sitze da und zeichne eines der Tiere, zum 2.Mal, auf, weil dieses Tier mir besonders gefällt: Der graue Wolf. Aber nicht die, die in Gruppen lebten, die auch Rudeln genannt werden (das habe ich aus einem Lexikon erfahren) sondern die Einzelgänger. Sie streichen durch die einst unendlichen, verschneiten Wälder. Sie sind frei und sorglos...

Nur ich bin es nicht...Der Tag geht langsam vorbei und ich habe wieder keine Kunden, denke ich nebenbei. Das Bild ist fertig. Ich überlege mir, dass ich hier noch ne halbe Stunde bleibe, denn für länger habe ich kein Geld.
Plötzlich sah ich sie, sie stand wohl schon länger auf der anderen Seite der Allee, sie beobachtete mich und ich ab jetzt sie. Sie hatte lange braune Haare und sah sehr gepflegt aus, ihr Gesicht blieb ernst. Es schien also ob sie eins der Bilder betrachtete. Diese Frau gefiel mir, sie war eindeutig von den Leuten, die sich nicht um ihre Rechnung kümmerten, und vielleicht würde sie ja ein Bild von mir kaufen. Dazu sah die einfach schön aus. Nach einigen Sekunden Gedenkzeit, dachte ich mir, entweder fragst du die, ob die was kaufen will oder in einer Woche bist du der Bestandteil einer Konservendose. Ich ging auf sie zu, sie schien mich nicht zu bemerken, sie starrte immer noch auf das Bild. Ich räusperte mich:
- Entschuldigung, haben Sie was gefunden, was Sie gern kaufen würden, oder wollen sie Etwas in Auftrag geben?
Die Frau schaute immer noch auf das Bild, ich räusperte mich noch ein Mal. Endlich blickte sie zu mir auf:
- Ähm ja, mich interessiert das Bild links- sie zeigte auf ein Bild, was ich vor 2 Wochen fertig gestellt habe, auf dem Bild sah man flauschige, kleine Tiere mit schwarzen Nasen die sich gegenseitig auf dem Rücken herumschleppten und auf großen Bäumen hausten- Woher kennen Sie diese Wesen? Oder sind sie frei erfunden?
- Nein diese Wesen sind nicht erfunden. Sie lebten vor vielen Jahren auf einer großen, südlichen Insel. Man nannte sie Koalas.
- Ahhh, verstehe- erwiderte sie verwirrt- Und was sind das für Tierchen???- sie zeigte auf ein anderes Bild
- Nun, das weiß ich nicht genau, das ist eine Unterart der Bären. Ähm Bären sind diese große Tiere da hinten. Diese sind halt schwarz- weiß gefärbt.
Sie fragte mich noch mehr und noch mehr und ich erzählte ihr über die Welt, die es nicht mehr gab. Und dann fragte sie mich, woher ich das alles weiß, ich wusste, sie würde lachen, wen sie von meinen Träumen hört. Ich erzählte es ihr trotzdem, sie lachte nicht. Sie sagte nur, es müsse ein Begabung sein. Sie lud mich zu ihr ein und ich kehrte nie in die Wohnung mit der kalten Stimme zurück...
 

http://www.webstories.cc 17.05.2024 - 04:46:14