... für Leser und Schreiber.  

Die Schlüpfer Geschichte

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© Pia Dublin   
   
Beim letzten Friseurbesuch liest sie in einer der Frauenzeitschriften, die sie sonst nie liest. Aus Prinzip. Sie hat noch nie auch nur einen Artikel gelesen, der sie interessiert hätte und auch die neueste Zimtsterndiät, um rechtzeitig zu Weihnachten eine perfekte Figur zu haben bringt sie nur zum Gähnen.
Aber beim Friseur macht Frau halt Dinge, die sie sonst nicht tut. Aus dem Nähkästchen plaudern. Sich zu einer Fingerspitzenmassage überreden lassen. Und dann doch einen Blick in diese Zeitschriften werfen, die das Papier nicht wert sind ihrer Meinung nach.
Wieder gähnt sie über die Paparazzi-Fotos, aus denen kleine Artikel über Hollywood-Promis gestrickt werden und denkt: Mensch, lasst den Leuten doch ein wenig ihr Privates. Die gehen doch auch jeden Morgen aufs Klo, sehen scheiße aus am frühen Morgen und wer will schon diese Fotos überhaupt sehen?
Und während die Friseurin die neue Farbe ins Haar pinselt, bleiben ihre Augen an einem Artikel hängen.
Damen-Unterwäsche und was sie über die Trägerin aussagt.
Und schon werden die unterschiedlichen Trägerinnen in ihre Kategorie gestopft und jeder weiß, wie man andere Frauen einzuschätzen hat, hat man einmal nur einen Blick auf die Unterwäsche geworfen, wenn man dem Artikel denn Glauben schenkt.
Das verhuschte Mäuschen. Ist schon mit 18 Jahre in Rente gegangen. Wird rot, wenn ein Mann sie anspricht. 100% Baumwolle, weiß.
Die Sportliche. Ein echter Kumpel-Typ. Mit ihr kannst du auf Trecking Tour gehen, Bungy-Jumping machen und kannst dir sicher sein, dass sie Sex als sportliche Herausforderung ansieht: Mischgewebe, bunte Farben.
Das Luder. Mit einem auffordernden Blick bekommst du sie in dein Schlafzimmer. Sie sagt zu nichts nein. Musst damit rechnen, dass du sie nach einer Nacht nie mehr wiedersiehst.: Spitzen-Unterwäsche als Tanga oder String, bevorzugt rot oder schwarz.
Meine Güte! denkt sie. Vor ihrem inneren Auge wühlt sie in ihrer Wäscheschublade. Oh mein Gott, alles Baumwolle! OK, es sind blaue, rote und türkise dabei, nicht nur die weißen, aber alles aus Baumwolle!
Auf einer anderen Ebene denkt sie daran, wie gemütlich und passend das Wort „Schlüpfer“ ist. Ein Schlüpfer kann nur aus Baumwolle sein. Einer, den man sich weit über die Hüften ziehen kann. In den die Pobacken hineinpassen. Der auch bei den unterschiedlichen Belastungen des Alltags nicht in die Ritze rutscht.
Sie hatte einmal einen Body angezogen. Einen mit Druckknöpfen im Schritt. Mann, hatte sie gelitten! Seit dem wieder Schlüpfer in Baumwolle.
Ihr Haar ist fertig, frische rote Farbe, Spitzen geschnitten, perfekt gestylt. Sie steigt in ihr altes kleines Auto, fährt nach Hause und schreibt ihrem Freund eine SMS.
(Smiley) Ich habe eine neue Haarfarbe.
(Smiley) Bin neugierig! Komme früher nach Hause.
Er kommt nach der Arbeit nach Hause, sie essen gemeinsam, machen den Fernseher an und fangen nach zehn Minuten an zu fummeln, liegen zwanzig Minuten später auf der Couch, dann nebenan im Bett. Im liegen windet sie sich aus dem Baumwollschlüpfer, schnickt ihn durchs Zimmer. Er landet auf dem Schirm der Stehlampe.
Sie sind beide Anfang vierzig. Sie kennen sich seit zwei Jahren. Seit zwei Jahren haben sie morgens und abends Sex. Am Wochenende auch mal mehr. Sie laufen nackt durch die Wohnung, sie klatschen sich die flachen Hände auf die Hinterteile, weil es so schön klatscht. Sie sind wunschlos glücklich, wenn sie zusammen sind. Wenn sie sich gestritten haben, tritt nach einer Weile Ruhe ein und dann sagt er: Das hat Spaß gemacht. Wie ich es liebe, mit dir zu argumentieren.
Er hat ihr rotes Haar verstrubbelt, das Bett ist in einem feuchten Chaos, sie ziehen das Laken über sich, weil es kühl wird. Sie verknoten die Beine unter der Decke. Sie erzählt von dem Frauen-Zeitschrift-Artikel und dann wiehern sie vor Lachen über die Baumwoll-Schlüpfer.
 

http://www.webstories.cc 03.05.2024 - 16:38:25