... für Leser und Schreiber.  

NEUZEITKIND

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© Jürgen Hellweg   
   
Die Anfänge unserer Familie verschwimmen vor meinem geistigen Auge.Meine Eltern schleppten den kleinen
Teddy von einem Arzt zum Nächsten.Ich kriegte das aus der Sicht von unten,also aus dem Kinderwagen mit.
Ein mysteriöser Nebennierenschaden sei die Erklärung
des schnellen Wachstums von Teddy,dem älteren der beiden Brüder - dichte Mähne mit drei Jahren -
perfekte Sätze -
Ein Wunderkind?
Mein Vater war besonders stolz auf ihn - zur Schule mit fünf Jahren -
Aber in der Schule klappte nicht alles so zur Zufriedenheit der Lehrer - sie weinten vor Wut -
denn mein Bruder wusste tatsächlich immer alles besser - und das mit plausiblen Begründungen -

Dann bekamen wir Nachwuchs,eine kleine Schwester,so süß und unschuldig -
Ungefähr ein Jahr verlief unser Leben mehr oder weniger reibungslos,außer das Ted vor lauter Einsen immer arroganter und unberechenbarer wurde.
Die Mutter hatte schon ein bischen Angst und klein
Mariechen versteckte sich immer unter ihrem Bett,wenn Ted nach Hause kam.

Eines Tages jedoch,polterte es am Nachmittag viel zu laut in der Küche.Er war sehr schlecht gelaunt.
Sein Sportlehrer hatte ihm eine Falle gestellt,und so bekam mein Bruder zum ersten Mal nur eine Zwei -
Vater lachte - Mutter Fror - Schwesterlein hatte Angst - und ich ?

Am nächsten Tag rief der Schuldirektor an.
Sein Wagen wäre mit zertrümmerter Frontscheibe,hundert Meter vom ursprünglichen Standort,gefunden worden.An der Fahrerseite war mit grüner Lackfarbe ein böses Schimpfwort geschrieben worden - und die saubere Schrift deutete einwandfrei
auf meinen Bruder hin.
Ted musste die Schule wechseln.Er wuchs schneller
heran als andere Jungs in seinem Alter.

Der achtjährige Bastard gewann ständig gegen meinen Vater beim Schach - Poker - Skat -

Immer seltener sah ich meine Schwester,bis ich sie nie mehr sah.
Vater suchte Ted,der mit älteren Freunden einen Zigarettenautomaten aufgebrochen hatte.Die Polizei wurde Stammgast in unserer Wohnung.
Mama weinte.
Später kam mein Bruder zurück,schlug brutal meine Mutter und schrie mich an:"Bald haue ich hier ab,so eine scheiß Bürgerliche Familie brauche ich nicht!"
Er aß seine Suppe nicht,und fragte Papa nach Whisky.
Ich fror...

Meine kleine Schwester tauchte nicht mehr auf -
die Öffentlichkeit - der Mob - Zeitungen -
fragten nach der Todesstrafe für Kinderschänder -
Vater trank jetzt Unmengen von Alkohol -
Mutter fror...
Ich versuchte so gut es unter diesen Umständen ging,
meine Schule zu besuchen und auch immer aufzupassen.
Die Frage stand im Raum,wann mein Bruder in den Knast
kommen würde,mit zehn oder mit dreizehn ?

Aber was war mit meiner Mutter?
Auf dem Weg zur Schule,um mich abzuholen,war sie vom Rad gefallen - gestoßen worden - unglücklich mit dem Kopf aufs Pflaster...

Wenn Ted mal da war,trank er Tequilla mit dem Vater -
er war jetzt neun Jahre alt...
Ich verschluckte mich.
In der Schule klappte es jetzt ganz gut für mich,wollte Architekt werden.
Einer meiner Lehrer fragte mich nach meinem Bruder.
Ted hatte ihm vor Jahren das Auto zerstört,musste danach die Schule wechseln.
...und dieser Lehrer fragte mich niemals wieder...

In den Sommerferien verbrachte ich ein paar Wochen auf dem Bauernhof meiner Großeltern.
Wirklich friedlich da - frische Milch von glücklichen Kühen - Baden im See - mit Opa auf m Trecker über die Felder sausen - abends müde in die riesigen Betten fallen - eine schöne Zeit ...

Der Brief kam am letzten Freitag meiner Ferien.
Unser Haus wäre ein Raub der Flammen geworden -
...nur mein Bruder Ted hätte überlebt...

Wie in Trance fuhr ich mit dem Zug zu meinem Onkel,
wo wir beide jetzt wohnen sollten.
Herbert Duluoz war oft auf Montage,und hatte eine schlechte Meinung über uns.
Seine vielen Freundinnen überwachten uns - kicherten,als Ted sich an ihren Schlüpfern zu schaffen machte -
Nachts schliefen wir im Ehebett von Onkel Herbert und Frau Tiefenthal...

...und - viel Leute im Saal - Hochzeitsfeier"again" -
Flitterwochen ...alleine in diesem fremden Haus -
Ted kochte - starken Kaffee,und versorgte mich notdürftig mit Essen.
Die Briefe der Turteltauben - Onkel Duluoz mit Frau Tiefenthal - blieben aus -

Telefonanrufe von Pokerface Stimmen - nachts Frauen kreischen - Gläser klirren - Pokerface Stimmen ...
Er dachte nicht daran,wieder zur Schule zu gehen -

...rauchiges ,ekelhaftes Lachen von meinem Bruder -
Tag und Nacht - redete nicht mehr mit mir - kochte nicht mehr für mich -

Als ich heute morgen zur Schule wollte,waren alle Türen verschlossen.
Die Morgensonne verabschiedete sich.

Gleich werde ich Rafael erzählen von dem ...
 

http://www.webstories.cc 01.05.2024 - 06:34:06