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Neuzeitkind Teil 2

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18 Stimmen
   
© Jürgen Hellweg   
   
...an diesem kalten Morgen stand die Zeit still.
Das dröhnende Klopfen an der Tür wurde nur noch von dem ungemütlichen Schnarchen meines Bruders übertönt.
Wieso waren alle Türen verschlossen?
Gleich würde ich Ted fragen.
Und Hunger hatte ich auch.Aus dem Kühlschrank duftete es nach Alkohol und verdorbener Milch.

So konnte es nicht weitergehen.
"Hey Ted,warum sperrst du mich ein?Ich habe Hunger und muss zur Schule.Rafael wartet draußen,und ich
will jetzt weg hier!"

"Sag mal,was bildest du kleiner Hosenscheißer dir eigentlich ein?Willst ne Tracht Prügel oder was",
nuschelte es oben aus dem Schlafzimmer.
Unter der Dusche hörte ich deutlich das brummende
Singen eines...Mannes!
Teddy schlurfte,nur mit einer Shorts bekleidet die Treppe runter...
"Das mit der abgeschlossenen Tür ist ne reine Vorsichtsmaßnahme.Ich habe so n paar Probleme mit Händlern.Kanaken verstehst du?"
Nichts verstand ich,doch ein paar Sorgen machte ich mir schon.
Er gab mir n bischen Geld für s Frühstück und lief
wieder hoch zu seinem - Lover - Beschützer - hmm - komisch...

Rafael rannte auf mich zu - irre ,wie lange hatte der denn gewartet -
"So jetzt haben wir auch die zweite Stunde verpasst,alles klar alter?"
"Nichts ist klar,mein Bruder dreht total durch,und jetzt dealt der auch noch."
"Komm,laß uns ins Internet Cafe,und bischen rumhängen."
"Oh mann Rafael,wollen wir nicht zur Schule,wenigstens Mathe noch mitkriegen ?"
"O.K.,dann aber los..."

Ja super,und wir haben eine Mathe Arbeit geschrieben,und ich hatte nichts begriffen...

Den Nachhauseweg musste ich allein antreten,Rafael hatte noch Chor Ag.
Dieser kleine Italiener war in den letzen beiden Jahren mein bester Freund geworden.Wir machten praktisch alles zusammen - durch die Stadt rumalbern -
die ersten Mädchen ansprechen (und dann schnell weg,hahaha)- auch n paar Tintenpatronen hatten wir schon geklaut - viel gelacht und Spaß gehabt -
Nur zu ihm nach Hause durfte ich nicht , sein Vater
mochte mich nicht - na ja ,auch egal...


Ich schlenderte so durch die schmalen Straßen dieser für mich noch immer fremden Stadt.
Ted hatte mir Prügel angedroht,das war sehr ungewöhnlich,denn eigentlich verstanden wir uns als Brüder ganz gut.
Er respektierte mich so wie ich war,erwartete natürlich dasselbe von mir - konnte seinen Lebensstil
aber überhaupt nicht begreifen - was würde noch alles kommen - so jung wie er noch war ...

Als ich so in Gedanken kleine Steinchen über die Pfützen schleuderte,fiel mir der bläuliche,flackernde
Lichtkegel gar nicht auf - brüllende Stimmen - rauschende Menschenmenge -
Ein rotweiß gestreiftes Absperrband wurde gerade über die Straße und...unser Haus gespannt...das Licht gehörte zu den vielen Polizeiautos,die überall herumstanden...
Auf einmal war ich Hellwach...oh oh oh,was war denn jetzt schon wieder los?
Lief an den Beamten vorbei,direkt ins Haus -
"Halt um himmels Willen den Jungen auf ,der darf das hier nicht Sehen",brüllte ein Riese von einem Mann zwei Beamten zu.
Ich fing an zu frieren - zitterte -
Die beiden Männer hielten mich am Arm fest.
"Aua,hey sie tun mir weh,ich wohne hier mit meinem Bruder",schrie ich die beiden an.
"Wie alt ist dein Bruder?"wollte jemand wissen.
"Ted wird im Dezember fünfzehn.Aber wo ist er denn?"
In diesem Moment wurden zwei Bahren aus dem Haus gerollt,mit schwer gefüllten , silbergrauen Säcken darauf... silbergrauen Säcken ...
"Also hier im und am Haus wurde dein Bruder nicht gesehen.Diese zwei unglücklichen Zeitgenossen waren so um die 40 Jahre alt,sind brutal Erschlagen worden.
Was machen wir denn jetzt mit dir,und wo sind eure Eltern?"
"...vor zwei Jahren bei einem Brand in unserem Haus
ums Leben gekommen,nur Ted mein Bruder hat überlebt.
Ich war zu der Zeit auf dem Bauernhof meiner Großeltern in einem Dorf so ca.90 Km von hier.
Dieses Haus hier gehört meinem Onkel ,aber der ist seit 4 oder 5 Wochen in Spanien auf Hochzeitsreise.
Komisch ,sollte eigentlich schon längst wieder da sein."


Das Haus von meinem Onkel wurde versiegelt,wegen Spurenuntersuchungen oder so was ähnlichem.
Der Riese nahm mich in seinem Mercedes mit auf s Revier.
Tja , und nach langem hin und her blieb ihm wohl nichts anderes übrig,als mich mitzunehmen,in seine Privat Wohnung.
Und die erinnerte einen doch stark an das Zimmer von Ted,im Haus von Onkel Duluoz.
Überall leere Alkoholflaschen,alte Pizza Kartons und so weiter...
Ich schlief gar nicht bis sehr schlecht.

3 Tage und 4 Nächte verbrachte ich bei bei dem Kriminalbeamten ,dann kam mein Opa,und wir fuhren erst mal auf s Land.
Der Bauernhof war verkauft , und wir machten es uns gemütlich im neuen Appartement vom Großvater.
Meine liebe Oma hatte einen Schlaganfall,und musste Tag und Nacht betreut werden.
Nachts wühlte ich alle Laken Kräuselig und Naß.
Ein Albtraum jagte den anderen.
Ein paar mal kam Rafael vorbei,und es war immer sehr lustig.
Dann wurde sein Vater von ein paar Jugendlichen schlimm zusammengeschlagen,und wir sahen uns kaum noch.


In den Weihnachtsferien verschlimmerte sich der Gesundheitszustand von Oma so stark,dass Opa die ganze Zeit im Krankenhaus verbrachte.
Ich vertrieb mir die Zeit mit ...Zeitung lesen ...
- die ganzen Zeitungen der letzten sechs , sieben Wochen nahm ich mir vor ... auf einmal stockte mir der Atem ...

" Jugentliche Gewaltverbrecher verprügeln Familienvater aus Italien - wieder Apothekeneinbruch in der Zimmerstraße - wilde Auseinandersetzungen Türkischer und Deutscher Jugendlicher."
War das nicht Ted,mit der roten Vermummung?
Oh ja na klar,ich erkannte meinen Bruder sofort auf den Photos.
... und jetzt? ...was sollte ich tun...jetzt sollte ich aber langsam Handeln, oder...

Nein , im letzten Augenblick ,bevor ich eine Dummheit machen konnte , fiel mir die Sonntagsausgabe einer großen Tageszeitung in die Hände.
"Deutsches Ehepaar grausam zugerichtet auf Zeltplatz
in Spanien aufgefunden.Von den Tätern oder einem Motiv ist nichts bekannt",stand da in großen Lettern
auf der ersten Seite.

...4 oder 5 Wochen auf Hochzeitsreise ...in Spanien
...längst wieder da sein ...

mein ganzer Körper schüttelte sich -in mir verkrampfte
sich das gesamte Gerechtigkeitsgefühl ...
...dann brach ich zusammen...
Schluchzend und wie betäubt legte ich mich in Embryo
Stellung auf den Fußboden und schlief ein.
 

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