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Die abenteuerliche Reise nach Persien/5

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©  rosmarin   
   
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"Damit", sagte Maren, "wäre deine Geschichte wohl zu Ende?"
"Eigentlich schon." Falken räusperte sich vernehmlich. "Doch eines Tages ließ mir Carla, also, die C C, eine englische Illustrierte zukommen, in der ich einen sonderbaren Bericht las."
"Und was stand darin?"

Falken schaute in Marens Augen. Er glaubte, hinter ihrer Stimme ein verstecktes Lachen wahrgenommen zu haben. Na, vielleicht täuschte er sich auch.
"Da stand", sagte er, "dass ein merkwürdiges Paar sein Unwesen in der Stadt treibe. Ein Narbenmann und eine dunkelhaarige Frau. Sie sollen ein Spielkasino pleite gemacht und das gesamte Geld, das sie gewonnen haben, unter die Menschen gestreut haben. Und eine andere Frau, aber derselbe Mann mit der Narbe, sollen eine Schwebenummer in einem Varieté aufgeführt haben, obwohl sie eigentlich nur als Gäste gekommen waren. Der Narbenmann soll von der Bühne schnurgerade durch die Luft über die Köpfe des Publikums hinweg geflogen sein. Und die junge Frau soll vom Boden abgehoben haben, mit den Armen geflattert, als wären diese Flügel, und mit dem Geschrei einer Wildgans einige Runden im Saal geflogen sein, bevor sie im Luftschacht verschwand."
"Wirklich?"
"Ja. Wirklich." Wieder glaubte Falken dieses sonderbare Lachen zu erahnen. "Das war das letzte, was ich von ihnen gehört habe", sagte er. "Dann verlor sich ihre Spur. Es war immer derselbe Narbenmann, die Frauen aber wechselten das Aussehen."
"Ja, das ist sehr seltsam", sagte Maren. "Ich habe nie dergleichen gehört." Sie stand auf und reckte sich. "Und jetzt steckst du in einer Schreibkrise und weißt nicht, wie es weitergehen soll."
"So ist es." Falken erhob sich auch. "Es ist spät, Maren. Wir haben jetzt sechs Stunden gearbeitet. Es ist Zeit zum Schlafengehen."
"Einverstand, Michael." Maren rieb sich aus Spaß die Augen. "Der Sandmann war schon da."
"Gleich morgen rufe ich im Gasthaus an und bestelle uns etwas Gutes zu essen", versprach Falken lächelnd. "Schlaf gut, Maren. Gute Nacht."

Maren stieg schnell die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf.
Falken zog sich die Wollweste über und machte es sich auf der Veranda im Liegestuhl bequem.
Der Tag wurde schon langsam hell, die frische Waldesluft wehte würzig zum Haus.
Falken schlief tief und traumlos; er spürte nicht, dass der Wind mit einer leichten Brise über ihn hinweg wehte und in einen lieblichen Duft von Flieder hüllte.

Herr Pichler weckte ihn mit lautem Gebell. Er wollte doch seine Streicheleinheiten hinter dem Ohr. Bestimmt war es schon spät. Erschreckt schaute er auf seine Armbanduhr. Sieben Uhr! Du meine Güte. Er sprang aus dem Liegestuhl und eilte ins Haus.
"Maren!", rief er auf der Treppe zu den oberen Zimmern, "Aufstehen. Maren!"
Doch Maren meldete sich nicht. Er nahm drei Stufen auf einmal, klopfte wiederholt an Marens Tür. Doch alles blieb still.
Verwundert presste er ein Ohr an die Tür, lunste durchs Schlüsselloch. Nichts zu sehen. Nichts rührte sich. Entschlossen drückte er die Klinke nieder. Schaute ins Zimmer. Alles leer. Und das Bett unberührt.
Von böser Ahnung getrieben, öffnete er alle fünf Schlafzimmer. Vielleicht hatte Maren sich versteckt, hoffte er. So ein neckisches Spielchen würde er ihr schon zutrauen.
Doch Maren war nirgends zu finden.

Falken ging wieder nach unten. Küche und Wohnzimmer waren so gründlich aufgeräumt, als seien sie nie benutzt worden. Sogar die Weingläser standen in dem kleinen Schrank, obwohl Maren nicht wissen konnte, dass sie hier aufbewahrt wurden. Schnell in den Keller. Die zwei Flaschen Rotwein, die er mit Maren leer getrunken hatte, lagen an ihrem Platz.
Das war zu viel.
Falken eilte wieder nach oben, ließ sich in der Küche auf einen Stuhl plumpsen, dachte nach.
Da war doch etwas faul.
Einer plötzlichen Eingebung folgend, stürmte er in sein Arbeitszimmer. Er musste im Verlag anrufen. Er brauchte Marens Telefonnummer und oder die Adresse.

"Ich weiß nicht, was du meinst", sagte die Ce Ce. "Ich habe so eine Frau weder eingeladen noch mit jemanden kommen sehen."
"Sie hatte aber das Manuskript, das nur du hast. Das mit dem violetten Umschlag."
"Dieses Manuskript habe ich abgelegt, weil es nicht komplett ist."
"Du musst es aber haben."
"Gut. Ich sehe mal nach. Moment."

Es dauerte eine Weile, bis die Ce Ce wieder am Telefon war. So hatte Falken Zeit zum Überlegen.

Er hatte Maren in einer dunklen Ecke kennen gelernt. Angeblich saß sie die ganze Zeit allein dort und wartete auf ihn. Den Schriftsteller, von dem sie nur die Bücher kannte. Oh, oh, da war etwas faul. Das spürte er.
„Hm“, knurrte er, „und ich weiß tatsächlich nicht, wer sie noch gesehen oder gesprochen haben könnte. Verdammt."

"Stimmt." Carla war wieder am Telefon. "Das Manuskript ist hier. Du meinst doch das im violetten Umschlag?"
"Ja. Das ist doch das einzige im violetten Umschlag."
"Stimmt. Und was noch?"
"Wie kommt das Manuskript in die Hände von Maren Lars?"
"W e r i s t Maren Lars?"
"Das will ich ja von dir wissen. Aber du scheinst diese Frau ja nicht zu kennen, oder kennen zu wollen."
"So ist es. Tut mir Leid, Michael. Aber ich kann dir da nicht weiter helfen. Sehen wir uns am Wochenende?"
"Ich ruf dich an. Tschüss." Falken legte auf.

*

Allmählich wurde Falken klar, dass er einen Arzt aufsuchen müsse. So rief er Dr. Kuhlbach an.
Dr. Kuhlbach war ein alter Bekannter. Psychoanalytiker und Nervenarzt. Er würde ihm bestimmt helfen können. Sein Zustand flößte ihm nun doch etwas Angst ein.

"Ich kann keine organischen Mängel feststellen", sagte Dr. Kuhlbach. "In zwei Tagen werden wir mehr wissen, wenn ich die Blutanalyse ausgewertet habe."

Zwei Tage später saß Falken Dr. Kuhlbach gespannt an seinem Schreibtisch gegenüber.
"Nun sag schon, Klaus, was hast du herausgefunden?", forderte er Dr. Kuhlbach auf zu reden, als dieser ihn anschwieg.
"Hm, es ist so", begann Dr. Kuhlbach zögerlich, "ich habe Spuren eines Opiats in deinem Blut gefunden."
"Eines Opiats?", fragte Falken ungläubig.
"Ja, eines Opiats, das nach der Pharmakognosie, also der Lehre von der Herkunft, dem Aussehen und der Zusammensetzung der Droge, unbekannt ist."
"Eine Droge also? Hm. Dachte ich's mir doch. Ich habe da nämlich einen Verdacht."
Falken erzählte Dr. Kuhlbach die Geschichte von den Eiern, die er genüsslich mit Speck und viel Knoblauch verzehrt hatte.
"Oh, mein Gott", stöhnte er. "Es waren tatsächlich die Eier."
"Könnte sein", stimmte Dr. Kuhlbach Falken zu. "Ich kann dich in diesem Zusammenhang auf eine Fachzeitschrift hinweisen, in welcher über solche und ähnliche Fälle berichtet wird. Danach soll es in asiatischen Ländern tatsächlich ein Gras geben, das sich von anderen nicht unterscheidet und von Geflügel gefressen wird. Verwandelt sich die Substanz des Grases durch die Verbindung mit dem werdenden Ei aber zu Opiaten, kann es durchaus die von dir beschriebenen Auswirkungen, also diese Sinnestäuschungen, diese Halluzinationen, hervorrufen."
"Aber über eine so lange Zeit“, zweifelte Falken.
"Sie können in einzelnen Fällen sogar bis zu zwei Jahren anhalten", sagte Dr. Kuhlbach. "So könnte es also sein, dass eine zweite Person in demselben Menschen selbständig handelt, ohne sein zweites Ich zu kennen. Sie können sich auch nie begegnen, da sie nur einen Körper haben", fügte er lächelnd hinzu.
"Ich war also drei Monate ein anderer?", rief Falken bestürzt und sprang auf.
"Ganz eindeutig. So muss es gewesen sein." Dr. Kuhlbach erhob sich ebenfalls. "Mehr kann ich dazu auch nicht sagen."
"Mann, Klaus!" Falken war noch immer schockiert. "Anhand meines Reisepasses habe ich ja gesehen, dass ich die ganze Zeit in Frankreich gelebt habe, ohne ein Wort französisch sprechen zu können. Aber was ist mit jetzt. Der Spuk scheint ja noch nicht vorbei zu sein."
"Die Spuren der Opiate", sagte Doktor Kuhlbach sachlich, "haben aber keinen Einfluss mehr auf deine Psyche, so dass mir deine Begegnung mit der Frau Lars auch unerklärlich ist. Da musst du wohl in anderer Richtung weiter forschen."
Die Männer verabschiedeten sich mit Handschlag.

Falken verließ in Gedanken versunken die Praxis. Ein diffuses Gefühl sagte ihm, dass hinter der ganzen ominösen Begebenheit Carla stecken könnte. Vielleicht sogar auch Maren. Sollte sie überhaupt real existieren. Denn nach allem, was in letzter Zeit geschehen war, konnte es doch gut möglich sein, dass auch sie eine Halluzination war, ein Spuk. Ein Geist. Wie das seltsame Mädchen Elisabeth. Oder die schöne Frau in der Raststätte. Und wenn es diese Maren doch gab - aus welchem Grunde sollten sie sich mit Carla verbünden und ihm so übel mitspielen.
Und wenn doch, wie hatten sie es angestellt.

Am nächsten Tag fuhr er zu der Straße, in der das Haus mit der Nummer sechsunddreißig stehen sollte. Er fand ein riesiges, modernes Bürogebäude vor. Beim zuständigen Magistrat erlaubte man ihm, Einblick in das Grundbuch des Hauses zu nehmen und er fand bestätigt, was er ohnehin schon wusste.
Des Weiteren las er, dass im Jahre achtzehnhundertdreiundvierzig ein Alois Röhrig das Grundstück gekauft und eine Gaststätte mit zwei Stockwerken darauf errichtet hatte. Der Enkel erbte das Haus, fiel aber im ersten Weltkrieg; seine Frau Dorothea und die Tochter Elisabeth starben bei einem Bombenangriff, bei dem das Haus völlig zerstört wurde.

So war er also im Falle Röhrig keiner Halluzination erlegen. Es war eine Begegnung mit der Vergangenheit. Ausgelöst durch die einseitig gebratenen Eier. Aber kurios war es doch. Sehnsuchtsvoll dachte er an das seltsame Mädchen Elisabeth. Und gleich darauf an Maren Lars. Wo war sie? Nein, er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Der Horrortrip schien kein Ende nehmen zu wollen.

Zu allem Unglück war auch noch Herr Pichler seit zwei Tagen verschwunden. Niemand hatte ihn gesehen noch gehört. Verzweifelt suchte er nach ihm. Lief immer wieder sein Grundstück, die weiten Wiesen und den nahe gelegenen Wald ab. Nichts. Er rief seinen Namen in den Wind. Nichts. Jedes mal schlich er entmutigter zurück ins Haus.
Als er diesmal das Wohnzimmer betrat, sah er, dass das Telefon blinkte. Schnell hörte er den Anrufbeantworter ab.

"Hier ist Hauser", vernahm er eine aufgeregte Frauenstimme. "Bitte rufen Sie mich zurück. Es handelt sich um Herrn Pichler. Ich habe ihn gestern am frühen Morgen an der Stadtbahnstation gesehen. Ich glaube mit einer fremden Frau. Ich habe mir aber weiter keine Gedanken gemacht. Doch heute habe ich erfahren, dass Sie, Herr Falken, den Herrn Pichler vermissen. Also, rufen Sie mich bitte zurück."
"Na, so was", wunderte sich Falken und rief umgehend diese Frau Hauser an.
"Er stand auf dem Bahnsteig", sagte sie, "hat den Zug abgewartet und ist hinein gesprungen. Dann ist er von einem Wagen in den anderen gelaufen. Der Zug fuhr dann in Richtung Innenstadt. Mehr weiß ich auch nicht."
"Danke", sagte Falken. "Sie haben mir sehr geholfen. Bestimmt kommt er bald zurück. "

Und tatsächlich. Am Morgen des dritten Tages war Herr Pichler wieder da. Ganz ruhig lag er in seiner Hütte, die Schnauze in der Erde, wie ein Trüffelschwein. Als er Falken auf sich zukommen sah, wendete er den Kopf auf die andere Seite und legte beleidigt die Pfoten über die Augen.
"Bestimmt nimmst du mir übel, dass ich dich nicht informiert habe, was eine Bahnfahrt ist." Falken hockte sich zu dem Hund. "Tut ein braver Hund so etwas? Ha? Schwarzfahren. Mit der S-Bahn."

Herr Pichler sah Falken verächtlich an; bestimmt fühlte er sich verraten, denn er begann jämmerlich zu winseln.
Als er genug gewinselt hatte, stand er langsam auf, drehte sich zum Häuschen, mit dem Kopf zur Rückwand und warf sich mit voller Wucht auf den Boden. Der Schwanz mit dem Hinterteil ragte drohend aus der Hütte.
"Das nützt jetzt auch nichts", sagte Falken, nun auch beleidigt, "das hättest du dir früher überlegen sollen."
Herr Pichler peitschte einmal heftig mit dem Schwanz auf den Boden und winselte weiter.
„Na, dann schmolle weiter“, sagte Falken und ging ins Haus.

Am nächsten Vormittag, lockerte er die Erde hinter dem Haus um die Heckenrosen. Plötzlich hob Herr Pichler die Schnauze in die Höhe und lief auf geradem Weg nach vorn, der Ausfahrt zu.
Als Falken den Postboten erkannte, der sich heute verspätet hatte, kam ihm Herr Pichler schon mit der Post in der Schnauze entgegen, übergab ihm die Illustrierte und hielt seinen Kopf zum Streicheln hin.
"Braver Hund", schnurrte Falken versöhnlich, "alles wieder gut?"
Herr Pichler peitschte zum Einverständnis seinen Schwanz dreimal auf den Boden und bellte laut.

Falken faltete die Zeitung auf und erstarrte vor Schreck.
Es war die Zeitschrift, die Carla abonnierte. Und gleich auf der Titelseite war der Narbenmann mit einer dunkelhaarigen jungen Frau zu sehen.
Eine leise Ahnung stieg in ihm auf. Eine Ahnung, die er schon seit langem hegte und nur nicht wahrhaben wollte.
In der Veranda setzte er sich auf die Bank und betrachtete lange das Bild. Es überraschte ihn nicht einmal, den Mann mit der Narbe in einer neuen Aktion zu sehen. Doch dann entdeckte er im Hintergrund, etwas verschwommen zwar, aber doch deutlich erkennbar, eine Frau.
"Blitz und Donner!", entfuhr es ihm. "Das ist doch Maren! Maren Lars!"

Abrupt sprang er auf, ging ins Wohnzimmer, holte aus einem Regal die anderen Zeitschriften und die alte Lupe, las hastig die zwei Artikel und lachte laut auf.
So wie man eine Handschrift am Schriftzug erkennen kann, erkannte er am Stil der Berichte eindeutig Carla.
Mit der Lupe betrachtete er die beiden nebeneinander liegenden Berichte und verglich die Bilder. Die Papierstrukturen zeigten zwei unterschiedliche Erzeugnisse.
Ja, es war eine sehr gute Fotomontage. Echt Carla.

Als er vor einigen Monaten den Text gelesen hatte, war ihm dieser Text überhaupt nicht aufgefallen, da er ja den Stil, den Carla in Englisch schrieb, nicht kannte. Nun fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. ‚Vermutlich‘ , spekulierte er, ‚wollte Carla mir einen Impuls geben, als ich in der Leerlaufphase steckte.“
Es konnte natürlich auch ein alberner Streich sein. Na, wie auch immer. Für Carla war es kein Problem, im Verlag in der Druckerei so eine Fotomontage anzufertigen.
Verdammt. Verdammt. Ja, Carla hatte ihm diesen Streich gespielt. Ganz sicher. Und er, der dumme Schriftsteller Michael Falken, war darauf reingefallen. Zu köstlich. Er lachte wieder laut auf.
‚Aber wie hat sie es angestellt‘, grübelte er.

*
 

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