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Erika, das Waschbär-Mädchen

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© Wolfgang Reuter   
   
(Ein Migranten-Märchen für Kinder)


Warst du schon mal im Zoo und hast
die Waschbärn dort gesehen?
Die sind so süß – man möchte fast
nur noch bei ihnen stehen.

Gibt’s was zu fressen, packen sie,
bevor sie es vernaschen,
erst einmal zu, um irgendwie
ihr Futter abzuwaschen.



Ich mag die Waschbärn wirklich sehr,
obwohl ich längst kapiere:
Ein Waschbär ist kein Kuschelbär.
Es sind halt wilde Tiere.

Sie stammen aus Amerika,
die drollig-muntren Bärchen. -
Vom Waschbär-Mädchen Erika
erzähl ich jetzt ein Märchen.



Ein Waschbärkind war samt Mama
im Tierpark ausgebrochen.
Als dies der Wärter merkte, da
warn sie längst weggekrochen.

Sie schlichen planlos durch die Stadt
und landeten am Hafen,
wo's beiden gut gefallen hat;
hier konnte man gut schlafen.



Denn Waschbärn lieben Schlaf so sehr,
den sie bei Tag sich gönnen,
damit sie nachts dann um so mehr
nach Futter suchen können.

Und so ein Hafen ist sehr schön
zum Schlafen eingerichtet,
weil Kisten und Kartons rumstehn,
in Reihen aufgeschichtet.



Bald konnte Tochter Erika
in eine Kiste hüpfen.
Und kurz darauf sah man Mama
in eine andre schlüpfen.

Doch dann passierte es: Ein Mann
bepackte einen Wagen
mit Kisten. Und sogleich begann
er, Mamas wegzutragen.



Und eh sich Erika versah,
war schon der Mann verschwunden.
Wie sie auch suchte: Die Mama
hat sie nicht mehr gefunden.

Da weinte sie gar bitterlich
und konnte es nicht fassen:
Die Mama weg – sie fühlte sich
so einsam und verlassen.



Doch plötzlich glitt ganz zärtlich ihr
'ne Pfote übern Rücken.
„Bist du's, Mama?“ - Ein fremdes Tier
stand da mit sanften Blicken.

„Was weinst du denn so bitterlich?
Ist dir ein Leid geschehen?“
Der Fuchs gestand: „Ein Tier wie dich
hab ich noch nie gesehen!“



„Ich bin der Waschbär Erika,
hab die Mama verloren.
Ich stamme aus Amerika,
bin aber hier geboren.“

„Komm mit!“, sprach da der Fuchs zu ihr,
„schön, dass wir zwei uns trafen.
In meinem Fuchsbau zeig ich dir
ein Plätzchen, um zu schlafen.“



Gesagt – getan. Klein-Erika
stieg in die Fuchsbau-Röhren
und schlief den ganzen Tag lang da.
Kannst du sie schnarchen hören?

Doch abends war sie dann hellwach
und wollte schnell verschwinden,
weshalb sie zu dem Füchslein sprach:
„Ich muss jetzt Mama finden.“



Sie lief davon, in einen Wald,
fand Pilze dort und Beeren,
nur Mama nicht, weshalb sie bald
beschloss, zurückzukehren.

Da rollte aus dem Unterholz
ein Stachelball, ein kleiner:
„Ich bin ein Igel!“, sprach er stolz,
„und was bist du für einer?“




„Ich bin der Waschbär Erika,
hab die Mama verloren.
Ich stamme aus Amerika,
bin aber hier geboren.“

Der Igel sprach: „Es wird schon hell
ich schlaf so gern am Tage.“
„Ich auch!“, rief Erika da schnell,
„doch wo – das ist die Frage.“



So suchten beide Tiere dann
nach einem Tag-Verstecke,
wo ungestört man schlafen kann
in einer dunklen Ecke.

Die Sonne ging schon langsam auf,
es wurde immer heller.
„Komm mit“, so sprach der Igel, „lauf
mit mir in diesen Keller!“



Den ganzen Tag verschlief man da,
von niemandem gesehen.
Doch abends wollte Erika
erneut auf Suche gehen.

„Ich danke dir. Ich muss jetzt los.
Ich such doch schon seit Tagen
nach der Mama. Wo steckt sie bloß?
Das kann mir niemand sagen.“



Schon tippelte sie durch den Wald
und suchte was zu fressen.
Vor Hunger hatte sie schon bald
die Mama fast vergessen.

Die Nacht war frostig. Erika
fand ein paar Haselnüsse.
Doch als sie hoch zum Himmel sah,
begannen Regengüsse.



Dann zuckten Blitze hin und her
und sie begann zu zittern;
denn Waschbärn fürchten sich so sehr
vor nächtlichen Gewittern.

Ein Vogel schrie: „Komm her, nur hier
ist Schutz für dich! Komm näher!
Hab keine Angst, komm her zu mir,
ich bin ein Eichelhäher.“





„Ich bin der Waschbär Erika,
hab die Mama verloren.
Ich stamme aus Amerika,
bin aber hier geboren.“

„Wenn du ein Bär bist, kannst du doch
zu mir nach oben steigen.
Ein Buntspecht hackte hier ein Loch
im Stamm, verdeckt von Zweigen.“



Klein-Erika stieg auf den Baum.
Sie konnte sehr gut klettern.
Hier fand sie Schutz – man glaubt es kaum – :
vor Sturm- und Regenwettern.

Schön war die Höhle – warm und weich.
Doch plötzlich schrille Schreie:
„Zu Hilfe – ich ertrinke gleich!“
Schnell huschte sie ins Freie.



Der Eichelhäher krächzte: „Ach -
ein Unglücksfall, ein schlimmer!
Der Igel fiel in einen Bach
und ist ein schlechter Schwimmer!“

Da sprang der Fuchs ins Wasser schnell,
um in den kalten Fluten
den Freund zu retten. – Dessen Fell
voll Stacheln ließ ihn bluten.



Denn jeder Igel ist nun mal
vom Stachelkleid umgeben.
So litt das Füchslein Schmerz und Qual
im Kampf um Igels Leben.

So sehr der Fuchs sich mühte, bald
war seine Kraft zu Ende.
Des Igels Pfoten böten Halt.
„Ach – hätte ich doch Hände!“



Dies hörte Erika. Ratz-batz
sah man sie sich entscheiden:
Sie sprang mit einem Riesensatz
ins Wasser zu den beiden.

„Ich komme“, rief sie, „haltet aus!
Ich helf euch auf die Beine.
Ich hol euch aus dem Wasser raus,
lass euch doch nicht alleine.“





Sie griff mit ihrer linken Hand
nach Igels Arm. Das klappte.
So zog sie schwimmend ihn an Land,
derweil nach Luft der schnappte.

Dann sprang sie in den Bach zurück,
sah dort das Füchslein schnaufen.
„Ich halt dich fest, schwimm mit ein Stück -
ich lass Dich nicht ersaufen!“



Doch was war das? - Beim Fuchs war längst
ein Retter angekommen.
Manchmal kommt schneller, als du denkst,
ein Helfer angeschwommen.

Bald lag der Fuchs am Ufer da.
Wer legte ihn dort nieder? -
„Mama!“, schrie plötzlich Erika.
„Ich hab die Mama wieder!“



Was brach da für ein Jubel los,
ein Jauchzen, Kreischen, Lachen!
Die Freude war so riesengroß,
trotz Blitz und Donner-Krachen.

„Wir bleiben Freunde!“ schrie zuletzt
der Fuchs im Sturm-Gebrause.
„Und Erika gehört ab jetzt
zu uns, ist hier zu Hause!“


http://www.wolfgang-reuter.com, 10. 09. 2008
 

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