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Der arme Poet

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©  rosmarin   
   
"Bestseller schreibt man nicht. Bestseller werden gemacht." Franz schaut ironisch in meine Augen. "Du bist wirklich naiv."

Naiv. Hätte ich ihm nur nichts gesagt von meiner genialen Idee. Der Einfall war mir im Frühjahr gekommen. Jetzt steht der Winter vor der Tür, und um keinen Preis der Welt will ich unter irgendeiner Brücke schlafen müssen. Diese Befürchtung hat zwar nichts mit meinem Entschluss zu tun. Doch der Gedanke ist mir schon gekommen. Vielleicht hat mein Unterbewusstsein signalisiert, dass ich mit der Schriftstellerinnentätigkeit mehr Geld verdienen könnte und nicht mehr ständig im Mietrückstand sein würde. In meinem Beruf als Verkäuferin verdiene ich ja kaum das Geld für einen französischen Lippenstift.

"Es könnte klappen", sage ich eifrig, "bei anderen hat es ja auch geklappt. Natürlich würde nur eine Bestsellerautorin helfen. Es soll ja einige geben, bei denen der schnöde Mammon nur so fließt."
"Es klappt nicht." Franz schiebt seine Flasche Bier zur Mitte des Tisches. "Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede."
"Schreibst du etwa auch?"
"Ja, schon lange."

Nun ist es heraus. Franz schreibt auch. Er hat es mir verschwiegen, mir, seiner Busenfreundin. Es ist ein nicht wieder gut zu machender Vertrauensbruch. Ja, mehr noch. Es ist Verrat. Doch was soll's. Mit Franz ist das so eine Sache. Uns verbindet eine platonische Liebe, eine geistige, wie wir uns immer wieder gegenseitig versichern. Bis ans Ende unserer Tage würde sie halten. Nichts könne sie trüben. Sex zerstöre doch nur alles. Doch das ist eine Lüge, wie sich nun herausstellt. Auch ohne Sex ist das Vertrauen dahin.
Er sei der Dichter im Elfenbeinturm, sagt Franz bitter. Und des Dichters Mundwinkel ziehen sich verächtlich nach unten. Franz' blaue Augen werden dunkel. Er schriebe im stillen Kämmerlein. Niemand dürfe davon wissen, es könnte ja sein, dass andere Menschen, böswillige, neidische Menschen, geistigen Diebstahl begehen könnten, das höre und lese man doch immer wieder.
"Doch dir, einer reinen Seele, die mich vertrauensvoll eingeweiht hat in ihr Vorhaben, kann ich mein so lange gehütetes Geheimnis offenbaren."

Natürlich schmeichelt das. Aber, so ein großes Geheimnis ist es ja auch nicht. Franz hat ja sein Geschriebenes, sein Leben, schon so einigen Verlagen angeboten. Zur Begutachtung, wie er sich ausdrückt. Doch diese lehnen es strikt ab, ihn zum Bestsellerautor zu privilegieren. Sie seien so unverschämt, seine Manuskripte immer wieder in seinem Briefkasten landen zu lassen, ungelesen und unschuldig wie ein unbeschriebenes Blatt Papier, manchmal mit einem nichtssagenden Formschreiben, manchmal auch ohne ein einziges, klitzekleines Wörtchen. Keine Anerkennung. Keinerlei Kritik. Oder noch unverschämter, er sähe sie nie wieder. Und wieder andere besäßen sogar die Unverfrorenheit, für seine unvergleichlichen Werke Vorkasse zu verlangen. Oder Druckkostenzuschlag. Er könne doch auch nicht zu seinem Kiosk gehen oder in ein Geschäft und sagen:
"Ein Sechserpack Bier und 100€, bitte."
Die würden doch denken, er sei reif für die Klapper. Und neuerdings tauchten sogar Literaturagenten auf, wie in Amerika, die die Dichter auch nur abzocken wollten. Armes Deutschland. Es verrate seine Zukunft.

"Doch ich gebe nicht auf!" Franz springt von seinem klapprigen Stuhl, ich vor Schreck von meinem. "Das sind doch alles Idioten!" Seine Stimme überschlägt sich, wird schrill und hoch. "Die haben doch keine Ahnung. Eines Tages werden die mir die Füße lecken. Ja, die Füße werden die mir. Mir, dem größten lebenden Dichter!"
"Das werden die", sage ich tröstend, obwohl ich nicht weiß, wen Franz mit die meint. Die Verlage können es nicht sein. Das sind zu viele.
"Was meinst du", Franz setzt sich resigniert, Trauer und Abscheu in seinen blauen Kinderaugen, wieder auf seinen wackligen, alten Stuhl und starrt vor sich hin, "wie viel Bestseller in Schubladen oder sonst wo vor sich hinmodern."
"Wir werden es schon schaffen", sage ich erschrocken. So hatte ich Franz noch nie gesehen. "Wenn man wirklich will, schafft man alles."
"Hm", murmelt Franz und taucht ein in eine Welt, zu der mir der Zugang verwehrt ist. Traurig schüttelt er seinen rotwilden Dichterkopf, umfasst mit beiden Händen die Flasche Bier, schiebt sie auf dem runden Holztisch etwas von sich und lallt: "Du bist das einzig Wahre, du mein Freund Alkohol, gesegneter Teufel...", er drückt seinen Teufel fest an sein Herz, "hoch sollst du leben", brabbelt er weiter, "du, mein Teufel, mein Vergessen, mein Himmel, meine Hölle."
Mit einem Ruck reißt er die Flasche in die Höhe, stößt sie wollüstig in sein Mundloch. Sein Kopf kippt nach hinten, seine Füße in den abgewetzten Stiefeln wippen nach vorn, sein Körper sackt zusammen, aus seinem tiefsten Innern ertönt wollüstiges Schmatzen.

Mich nimmt er nicht mehr wahr. Der Weltschmerz hat ihn gepackt. Hält ihn fest in seinen Krallen.
Ich stehe auf, leere den übervollen Aschenbecher ins Klo, hocke mich dann wieder Franz gegenüber auf den wackligen Stuhl und schaue zu, wie das Vergessen meinen Franz verschlingt.

Ich will niemals etwas vergessen. Mich soll niemals etwas verschlingen. Ich setze mich vor Franz‘ alte Schreibmaschine und tippe meine erste Geschichte auf ein unschuldiges, weißes Blatt Papier. Vielleicht ist sie ja der Anfang einer Schriftstellerinnenkarriere.

***
 

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