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Bran - der blinde Rabe -1-

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©  Tis-Anariel   
   
Erinnerungen


Er erwachte, schlagartig mit einem lautlosen Schrei auf den Lippen. Mit den Jahren hatte er gelernt nicht mehr laut zu schreien. Es brachte sowieso nichts und solch eine Lautäußerung hätte in anderen Zeiten vielleicht ungewollte Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt. Nun war das sowieso egal, denn er war nur ein weiterer Verlorener auf den Weg zu einem Ort, schlimmer als die Hölle.
Sein Name war Bran, das bedeutete soviel wie Rabe.

Vor langer Zeit, als er gerade einmal vierzehn Jahre alt war, hatte man versucht ihn zu blenden. Nachdem man ihn dazu gezwungen hatte zuzusehen wie seine Mutter als Hexe verbrannt wurde, hatte man ihm glühende Nadeln in die Puppillen gestochen. Das letzte das Bran deutlich gesehen hatte war die rotglühende Spitze. Das letzte, das er an diesem Tag wahrgenommen hatte war erst der hell gleißende Schmerz in seinen Augen, dann die Tritte, die Schläge und zum Schluss die grausame Schärfe des Messers, mit dem man sein Gesicht zerschnitt und die Hitze einer brennenden Fackel, die ihm jemand ins Antlitz stieß.
Das letzte was er hörte waren die ersterbenden Schreie seiner Mutter und die Schmähungen, die hasserfüllten Rufe und der beißende Spott seiner Peiniger.
Irgendwann verließen Bran die Kräfte und der Schmerz, sowie der Hohn erreichten ihn nicht mehr.
Danach wurde er draußen vor der kleinen Stadt am Wegesrand hingeworfen, dort war er nämlich wieder zu sich gekommen. Vermutlich wollte keiner der abergläubischen Männer die Schuld an seinem Tod auf sich nehmen. Es gab Gerüchte, Sagen über solche wie Bran, solche Halbblüter und diese verhießen dem, der es wagte jemanden wie Bran zu töten langes Pech oder sogar Schlimmeres. Aber es war in Ordnung wenn ein Halbblut indirekt ums Leben gebracht wurde. Also hatte man ihn einfach ein gutes Stück vor der Stadt in den Straßengraben geworfen und ihn so seinem Schicksal überlassen.
Danach hatte er sogar ein klein wenig Glück, denn er wurde von jemanden gefunden, der ihm nichts Böses wollte.

Tief im Wald, in einem kleinen Haus, das auf einer großen Lichtung stand lebte Jolanda, die alte Heilerin, Kräuterfrau und Hebamme. Letzteres, ihr schwer zu findendes Heim und ihr Alter hatten die Frau bisher vor Verfolgung bewahrt.
Nun an diesem speziellen Tag war Jolanda auf dem Weg in die Stadt, denn sie benötigte einige Dinge, die sie nicht selber herstellen konnte und so war es genau diese Heilerin, die den gerade zu sich gekommenen Bran im Straßengraben fand.
Dies und die dicke, dunkle Rauchwolke, die noch immer wie ein unheildrohendes Mahnmal über der Stadt hing veranlassten die alte Heilerin dazu, diesen Tag und auch keinen folgenden mehr diese Ortschaft zu betreten. Sie ahnte, dass schreckliches dort geschehen war und dass sie womöglich nicht mehr sicher wäre. Stattdessen verabreichte sie dem schwerverletzten Bran einen ihrer stärksten Tränke und brachte den Jungen dazu sich auf die Beine zu mühen. Der Trank, dem sie ihm eingeflösst hatte aktivierte seine letzen Kraftreserven und er stillte die Blutung der tiefen Wunden vorerst. Jolanda hatte immer eine Phiole davon bei sich, falls sie einmal fernab ihres Heimes in Not geraten sollte. Der Heilerin war aber klar, dass der Trank nicht ewig wirke würde und dass sie sich beeilen musste den misshandelten Bran in ihr Haus im Wald zu bringen, oder wenigstens so nahe dorthin wie es nur ging. Tragen konnte sie ihn nämlich nicht, dafür war er schlicht zu schwer.
Für den benommenen und von Schmerzen gepeinigten Bran, dem zudem der Blutverlust zu schaffen machte, geriet der fast zwei Stunden lange Marsch zu einer verschwommenen, alptraumhaften Reise durch die Dunkelheit, wobei ihm nur die ermunternde Stimme der alten Frau, sowie deren sanfte Hand Halt und Sicherheit bot.
Er hatte keine Ahnung wie er es geschafft hatte, noch woher die Kraft dazu gekommen war, aber er gelangte wirklich auf seinen eigenen beiden Beinen bis kurz vor die Schwelle von Jolandas Haus im Wald. Danach verschwammen alle Wahrnehmungen, wurden zu einem diffusen Gemisch aus Schmerz und Fieber und Visionen, Angst und Scham und dazwischen stachen wieder und immer wieder die Stimme der alten Heilerin und ihre sanften Hände hervor.

Alleine Jolandas Kunst hatte Bran es zu verdanken, dass er die ganze Grausamkeit nicht nur überlebte sondern auch sein Augenlicht nicht gänzlich verlor. So war es zwar nicht schwarz um Bran herum, aber sehen konnte er auch kaum mehr. Tatsächlich beschränkte sich seine Sehfähigkeit auf hell und Dunkel, verschwommene Schemen, keinerlei Detail und verwaschener Farben. Dies und seine Gabe Aura wahrzunehmen. Das hatte ihm Jolanda erhalten können.
Manchmal fragte sich Bran ob es nicht besser gewesen wäre, wenn er damals unter Jolandas wohlmeinenden Händen gestorben wäre. Dann zumindest wäre das letzte was er hörte eine freundliche Stimme gewesen.
Der aufgebrachte Mob hatte es zwar nicht geschafft ihn zu töten, aber sie hatten ihn verstümmelt und verunstaltet. Er musste nicht richtig sehen können um das zu begreifen. Er konnte sie fühlen, die tiefen Narben, die kreuz und quer über sein Gesicht liefen und das dichte Narbengeflecht, dass die Verbrennung durch die Fackel auf seiner rechten Gesichtshälfte hinterlassen hatte und er konnte sich gut vorstellen, wie erschreckend das aussehen musste. Zudem überzogen seine einstmals klaren. grünen Augen nun ein leicht milchiger Schleier, der von der versuchten Blendung herrührte. Selbst seine Arme und der Oberkörper waren von feinen Narben überzogen, die von den Wunden herrührten die man ihm an diesem einen, schrecklichen Tag zugefügt hatte. Einzig allein Jolanda verdankte er es, dass diese vielen Narben nicht spannten und ihn so behindert hätten. Sie hatte ihm auch beigebracht seine Kunst zu nutzen und wie er auch ohne seine Augen zurecht kommen konnte. Sie hatte ihm viel mehr beigebracht und so viel für ihn getan.
Jolanda war eine Trankmeisterin und er selbst war als Späher und Finder geboren, wozu das Aurasehen gehörte. Beides gehörte bereits zur Höheren Kunst. Unter Jolandas Führung jedoch fand er heraus, das noch viel mehr Gaben in ihm ruhten und mit ihrer Hilfe entfaltete er diese.


Ein leises Seufzen floss Bran über die Lippen. Nein er wollte nicht daran denken, wollte nicht an die schöne Zeiten mit Jolanda denken, denn dann würde er auch an seinen einzigen echten Freund Liehr denken müssen und an die Zeit nach Jolandas Tod, als Liehr in einen fremden Krieg ziehen musste und nie mehr zurückkam. Aber vor allem wollte Bran nicht an Rose denken müssen, nicht an sie, die ihn liebte und die er so sehr geliebt hatte. Die einzige Frau seines Lebens, seine wunderschöne Rose.
Er wollte nicht an sie denken, denn er lag in Ketten und war ein Verlorener, der mit vielen anderen Verloren zu einem Ort gebracht wurde, der schlimmer als die Hölle war.
Wenn er jetzt an Rose dachte, dann würde es ihn zerbrechen.
Doch der so dringend benötigte Schlaf blieb wieder einmal aus und natürlich dachte er an Liehr und auch an Rose und es zerriss ihm erneut das Herz.



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* die Kunst oder auch später Gabe ist eine bestimmte, besondere Fähigkeit, die oft übernatürlicher oder Magischer Natur ist. Es gibt zwei verschiedene Arten der Kunst. Einmal die “Niedere Kunst”, die sehr weit verbreitet vorkommt und einmal die “Höhere Kunst” die Fähigkeiten umfasst, die eher seltner vorkommen.

*Trankmeister haben die Fähigkeit große Macht in bestimmte Tränke zu legen. So können sie fast alles mit Tränken bewirken, auch sehr wirksame Liebestränke können sie herstellen. Da aber die meisten Trankmeister als Heiler arbeiten verbietet ihnen ein Ehrenkodex solche Tränke herzustellen.

*Späher und Finder bezeichnet eine Fähigkeit, die meist zusammen und sehr selten getrennt auftritt. Die Hauptfähigkeit besteht darin Aura zu sehen, manchmal sogar zu fühlen und zu deuten. Späher entdecken mit Hilfe der Aura dinge, Gefahren oder Menschen, wo andere sie nicht sehen können. Sie erspähen auch Lüge oder Furcht. Finder hingegen finden verborgene Dinge, darunter auch Schätze oder sich versteckendes Wild. Diese beiden Gaben sind einander so ähnlich und so eng miteinander verknüpft, so dass sie sich nicht wirklich trennen lassen.


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Randbemerkung meiner Wenigkeit:
Bei “Bran - der blinde Rabe” handelt es sich um eine jener Geschichten, die inspiriert durch eine Kleinigkeit aus dem Nichts auftauchen und einem einfach nimmer in Ruhe lassen. Sie geistern einem wochenlang durch den Kopf, aber der Anfang lässt sich oft ganz schwer schreiben. “Erinnerungen” ist übrigens der fünfte(!) Versuch diese Geschichte endlich beginnen zu lassen und ich bin einigermaßen zufrieden damit. Ich sage einigermaßen, also sind mir hierzu Meinungen und auch Kritik sehr wichtig und ausdrücklich erwünscht!
Wundert euch nicht dass Bran noch nicht wirklich beschrieben wird, das kommt dieses Mal etwas später in der Geschichte.
Jedenfalls bietet sich diese Geschichte dazu an endlich einige alte Ideen und Fragmente zu verwenden. Die Fortsetzung kann aber ein klein wenig dauern.


Liebe Grüße
Anariel
 

http://www.webstories.cc 30.04.2024 - 02:39:36