... für Leser und Schreiber.  

Zeit und Tag und Fleisch und Nacht

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© Jürgen Hellweg   
   
Der kleine Junge lehnte lässig an der Kaufhausmauer.
Drei Mädchen kicherten, als er eine Katze mit seinen
klobigen Stiefeln in eine andere Ecke schleuderte.
Das spitze Jaulen wurde gefolgt von jämmerlichem Kreischen. Ein Motorradfahrer erwischte das Tier noch mit dem Hinterreifen. Die Kinder lachten jetzt nicht mehr, vollgespritzt mit dem Blut der verendeten Kreatur.
Ich sah den Jungen später an einen Baum gestützt, wie er mit einer Kreuzspinne philosophierte.
Dauernd hörte ich das Klagen anderer Katzen, die verlernt hatten, wie sie Mäuse fangen könnten.

Dieser Sommer war wie ein Vampir, Heiß und Blutrünstig.
Der Herbst kam, und psychologische Traumgebilde in Form von bunten Blättern stürmten dem Grund entgegen.
Der Winter deckte wieder all die bösen Erinnerungen und Lügen mit seinem weißen Fell zu.
Dieser Alchemist aus meinen Gedanken Gebirgen, ein Wanderer der Jahreszeiten, weinte bitterlich, denn ihm war gewiss, das der Frühling resigniert hatte, und nun sich weigerte, auf zu wachen.

Meine Zeit der Reifung wurde immer wieder verhindert.
Keine Blume wuchs und die Bäume ertranken in ihren Geistergebilden.
Niemand wusste, wie es weitergehen sollte.
Dann passierte ein Unglück.
Der Schnee im Mai blieb liegen.
Und die Zivilisation lag brach.
Viele Menschen wurden am Tag Ohnmächtig. Unfähig sich zu bewegen, erstarrten sie zu Eissäulen.
Der Orkan kam eines Nachts.
Und das passierte mehrmals, in Momenten, die keiner
erfinden kann.
Nur mit Lumpen bekleidet, schlurften einige Überlebende in die Einkaufshallen, wo aber auch keine
Heizung funktionierte.
Verfaulte Lichtschimmer raubten uns die Zeit. Immer wieder brachten sie es fertig, den Tag zur Sekunde umzubauen.
Wie Seife glitt die Zeit an unseren Körpern herunter.

Wie Seife glitt die Zeit an unseren Gedanken herunter.
 

http://www.webstories.cc 06.05.2024 - 00:53:10