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Sehnsucht nach Wärme und Geborgenheit (Teil2)

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© Michael Brushwood   
   
Bereits einen Tag später machte er sich auf den Weg zu seinem Hausarzt, der ihm dringendst ans Herz legte, eine psychotherapeutische Behandlung zu beginnen. Zugleich empfahl er ihm, Frau Dr. Mangold - eine Fachärztin, die nach seinem Bauchgefühl die Richtige für ihn sein könnte.

Der beherzte Allgemeinmediziner griff sofort zum Telefonhörer, um einen Termin festzumachen.
Eine Woche später fand sich am späten Nachmittag noch ein freier Termin.

Mit wahnsinnigem Herzklopfen schob er sich durch die Tür, die in die Praxis führte.
Die zierliche junge Ärztin sah dem klein gewachsenen Schlanken schon nach dem ersten Blick an, dass er total außer sich war.
Sehr hektisch schilderte er ihr seine Leidensgeschichte - versuchte an manchen Stellen bis ins letzte Detail zu gehen - selbst für die geduldige Ärztin war es manchmal zu viel des Guten, sodass sie sich des Öfteren genötigt sah, mit vorsichtigen, aber dennoch sehr verständlichen Gesten, in seinem Redefluss zu bremsen, was Mario auch respektierte. Aber sie zeigte dennoch viel Verständnis für den jungen Menschen, erst recht als er den herzlos rüden Tonfall, den er in der Arbeitsagentur über sich ergehen lassen musste, mit einem schrecklich nervenden Redeschwall ihr ans Herz schleuderte. Da sagte sie zu ihm mit viel Gefühl:
„Sie sind bei weitem nicht der Einzige, der wegen dieser Schikanen im Amt einen seelischen Knacks bekommen hat
Nicht wenige von diesen Wichtigtuern sind selbst krank und gehörten selbst mal auf die Couch - leider wollen diese Menschen es selbst nicht wahrhaben”, glitten Frau Dr. Mangold's harte reale Worte ruhig und sachlich über ihre im hellen Rosa glänzenden Lippen, die von einem hauchzarten Lächeln umspielt waren. Mario war ergriffen von ihren Worten. Sichtbare Ruhe zog ein in sein Gemüt.

Die sehr aufgeschlossene Ärztin hatte seit Jahren bei den meisten ihrer Patienten einen Stein im Brett liegen. Sie nahm sich stets eine angemessene Zeit für die Probleme ihrer Klienten und machte es möglich – obwohl die Uhr ihr ständig im Nacken saß - stets ein offenes Ohr für deren vertrackte Situationen zu finden. Sie geizte auch nicht mit warmen, mit Zuversicht spendenden Worten, die nicht nur gespielt waren, sondern mit aufrichtigen Worten, die tief aus dem Inneren ihres Herzens flossen.
Seit Einführung von Hartz IV hatte sich die Anzahl derer, die sich genötigt sahen, wegen psychischer Probleme, sich in ihre Obhut zu begeben, mehr als verdoppelt, zumal nicht wenige ihrer Patienten, als Folgen des unablässig wiehernden Amtsschimmels in eine hochgefährliche, in eine scheinbar schier ausweglos scheinende Situation geraten waren.

„Wären Sie einverstanden, wenn ich Sie für eine psychotherapeutische Behandlung in eine Klinik überweise?”
Mario musste nicht lange überlegen. Bereits nach wenigen Worten hatte er ihr anvertraut..
Ihr gutes Aussehen und ihre tolle sexy Figur schien er außen vor zu lassen. Viel mehr ihre kraftvollen Worte – Worte, die vermutlich die wenigsten Ärzte in den Mund nehmen würden – hatten ihn sichtlich beeindruckt.
Dennoch - ein etwas mulmiges Gefühl beschlich ihn schon. Früher hatte er sich stets eingeschworen, niemals in der so genannte Klapse zu landen - und nun sollte es doch passieren!

Nach zwei Wochen war es endlich so weit.
Von nun an hieß es, sich wieder an einen festen, an einen geregelten Tagesablauf zu gewöhnen.
Das hieß in aller Frühe, schon gegen sieben Uhr, sich von den Federn zu verabschieden, zumal der allmorgendliche Frühsport pünktlich um 7.30 Uhr auf den notorischen Sportmuffel wartete – eine bittere Pille für einen Morgenmuffel, den man zu dieser Tageszeit lieber nicht ansprechen sollte.
Nach dem Verzehr der stets knusprigen Frühstücksbrötchen setzte er sich auf die Bettkante, um auf die alltägliche Visite zu warten.
Immer wenn der Wagen mit der meist sieben-, manchmal auch acht Mann starken Abordnung sich dem Zimmer mit der Nummer vierunddreißig näherte, übermannte ihn ein schreckliches Lampenfieber. Er fühlte sich wie ein Laienkünstler, der das erste Mal im Fokus der Öffentlichkeit steht.
„Was soll ich denen nur sagen!” sorgte er sich mit schwerem Kopf.
Immer wenn er dieses berüchtigte Klopfzeichen hörte und unmittelbar darauf der kupferne Türknauf sich senkte, ließen die Sensoren seines Körpers ihn vor Schreck aufspringen wie eine zum Zerreißen gespannte Feder. .
Obwohl sich Mario sich wirklich nicht wohl in seiner Haut fühlte, antwortete er auf die Frage nach seinem Befinden meistens drucksend: „Mir geht's gut”, manchmal auch „S'geht schon”.
Mario hatte Angst, unvorstellbare Angst, eine Angst, die ihn zu erdrücken schien. Warum aber nur?
Glaubte er allen Ernstes, Chef- oder Oberarzt könnten ihn als Simulanten hinstellen und ihm im schlimmsten Falle sogar noch den Kopf abreißen?
Letzteres würde natürlich nicht passieren, aber das zerknitterte Gesicht und der beängstigend wilde Herzschlag in seiner Brust signalisierten, dass er das Schlimmste befürchtete.
Sahen das die geschulten Augen des Stationsarztes, die der anderen Halbgötter in Weiß und die überaus gestrengen Augen der Psychologin ebenso?
Wohl kaum, zumal ihm Andrea Meinert - die Psychologin - bereits nach zwei Wochen in einem Einzelgespräch bescheinigte „fit wie ein Turnschuh” zu sein, obwohl Marios bleicher lebloser Gesichtsausdruck auf das Gegenteil hindeutete.
Haben Lügen wirklich kurze Beine? Wie herrlich, wenn es immer so wäre!

„Wir brauchen dringendst freie Betten! Nächsten Mittwoch muss ich Sie entlassen! stellte sie ihm unmissverständlich klar, schob dabei ihre in schickem Design gefasste Brille in Richtung Nasenansatz und musterte tiefgründig das verstörte müde Gesicht des jungen Mannes, der vor Schreck kein Wort über die Zunge brachte.
Kein Wunder, bei dieser unnahbar scheinenden Frau. Deren glasige stahlblaue Augen wirkten nachhaltig auf das sensible Wesen ein. Sein ohnehin schon von überquellender Peine gezeichnete Blick verflüchtigte sich nun in einem noch schmaleren Schlitz.
Marios Augen wanderten resignierend auf die vorüberziehende traumwandlerisch- bizarre Bergwelt des Bildschirmschoners ihres PC's, wahrscheinlich um vor dem gestrengen Blick dieser eigentlich recht gut aussehenden Frau zu fliehen. Ihre schlanken sexy Beine, ihr schönes, weit über die Schultern fließendes kastanienbraunes Haar und nicht zuletzt die in kniehohe Netzstrumpfhosen gehüllten Beine, die ihr erotisches Outfit besonders betonten, waren eine Augenweide. Aber auch die schönen straffen Rundungen ihres Po's, die mit den scharfen Kurven ihrer straffen Brüste, die ihre gelborangefarbene Bluse spannten, würden normalerweise männliche Stielaugen in Scharen auf sie lenken. Nicht so bei Andrea.
Sie gebärdete sich nicht wie eine Frau, sondern wie ein kampfeslüsterner Krieger, und würde dafür sorgen, dass jeder vernünftige Mann einen weiten Bogen um sie schlagen würde.

Dabei müsste auch dieser auf stählerne Härte getrimmten Frau nicht entgangen sein, dass Mario die bisher stattgefundenen Therapien mehr schlecht als recht durchgezogen hatte. Meistens hatte der Zimperling durchgehangen wie ein schlaffer Grashalm. Und dennoch bescheinigte die Psychologin ihm, „fit wie ein Turnschuh” zu sein. Das verstehe wer will!
Mario schwieg verständnislos. Gänge es nach seinen Intuitionen, würde er die mit reichlich Fachwissen vollgepumpte, aber auch mit überdurchschnittlichen intellektuellen Fähigkeiten gesegnete Analytigerin beharrlich mit Worten bombardieren – mit eisernen Worten, die wie Blitze aus heiterem Himmel sie bis ins Mark treffen könnten. Doch dazu fehlte dem Angsthasen der Mut.
So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich mit dieser niederschmetternden Realität abzufinden. Wer in dieser vom Reichtum geprägten Gesellschaft nicht imstande ist, über seinen eigenen Schatten zu springen, wer keinen Mut hat, die Wahrheit - und mag diese auch noch so bitter ausfallen – offen auszusprechen, den bestraft das Leben mit all seinen Härten! Schrecklich traurig, aber leider der Realität entsprechend.
Lautlos, unablässig grübelnd und mit gesenktem Kopf schob sich Mario aus dem Raum.

Die letzten Tage, die er in der Klinik verbringen „durfte”, waren bestimmt von unbeschreiblicher Traurigkeit, die in eine Angst mündete, die sein Handeln noch stärker lähmte.
Grübeln, grübeln und nochmals grübeln und das von morgens bis abends. Die Therapien interessierten ihn kaum noch. Auch nicht die merkwürdige Tatsache, dass er für sein Desinteresse von den nicht immer in Sonntagslaune sich zeigenden Therapeuten so richtig Fett abbekam.
Schnuppe war Herrn Großmann dagegen nicht, in welche Bahnen ihn das Schicksal nach diesem aberwitzigen Aufenthalt in der sogenannten „Klapse” lenken sollte.
Am Tage der Entlassung riss sich Mario mit allen Kräften zusammen. Auf keinen Fall wollte er mit Tränen im Gesicht der Klinik Adieu sagen.

Die grausig-bleierne Schwere in seinem Gemüt, die sich besonders in seinen schläfrig-geröteten Augen widerspiegelte, war natürlich Frau Dr. Mangolds gütig schimmernden haselnussbraunen Augen nicht entgangen.
„Sie sehen aber gar nicht gut aus”, hatte sie ihm mit sorgenvoller Miene offen ins Gesicht gesagt.

Mario wirkte müde, schlaff, total ausgebrannt – er war einfach fix und fertig.
Kein Wunder - die Ärzte hatten den jungen Mann in den letzten Tagen der Klinik derart mit diversen Medikamenten vollgepumpt, dass er nicht mehr Herr seiner Sinne sein konnte.

„Frau Meinert, die Psychologin, die hatte mir gesagt, dass ich fit wie ein Turnschuh wäre. Außerdem wären keine Plätze mehr frei, hatte sie mir gesagt.“
Die hochaufgeschossene Ärztin, deren breit geformte Mandelaugen merklich an Schärfe gewannen, schien es selbst kaum zu glauben.
Unwirkliche Falten kräuselten ihre Stirn.

„Das wundert mich aber sehr. Frau Meinert ist doch eine sehr gute Psychologin?”
Noch als ihre Worte unspektakulär aus ihrem Mund flossen, öffnete sie einen Brief, den die Klinik Mario zum Abschied in die Hand gedrückt hatte.
Da stand es schwarz auf weiß. Der junge Mann litt an einer schweren Depression mit stark ausgeprägten Zwängen.
Und dennoch hatte sie ihm unmissverständlich gesagt, fit wie ein Turnschuh zu sein - wie geht denn das!

„Um Himmels willen! Was mache ich nun mit ihnen”, wisperte die ratlose Ärztin, der die Verzweiflung im Gesicht abzulesen war. Sie war drauf und dran den Faden zu verlieren, was er bisher nur sehr selten widerfahren war.

Doch bisher hatte Frau Dr. Mangold sich immer zu helfen gewusst. Warum sollte sie ausgerechnet diesmal Schiffbruch erleiden!

Nach längerem Zögern sagte sie ihm augenzwinkernd:
„Ich fahre die Dosis Seroquel vorübergehend von dreihundert, auf zweihundert Milligramm herunter.
Sie nehmen morgens und abends jeweils eine dieser Tabletten. Für die nächsten vier Wochen schreibe ich sie weiter krank.
Mario nickte zustimmend den Kopf.
Doch merkliche Besserung wollte trotz heruntergefahrener Medikamentes nicht eintreten – das Gegenteil war der Fall.
Von da an fiel es ihm sogar noch schwerer in die Gänge zu bekommen. Meistens quälte er sich erst gegen Mittag aus den Federn. Der Lebensmut hatte den jungen Mann so verlassen, dass er kaum noch befähigt war, kaum erwähnenswerte Nichtigkeiten zu bewältigen, geschweige denn diese zu meistern.
Würde Mario seine zarten Finger über die hölzerne Fläche seiner Möbel ziehen, könnte er diese gut und gern mit dem unglimpflichen Wörtchen Sau zieren. Doch selbst dazu schien ihm die Kraft zu fehlen.
Normalerweise nahm er es mit der Ordnung stets genau. Selbst die kleinsten Dinge die das Leben versüßen, hatten seinen festen Platz in seinem gemütlichen Reich gefunden. Fortan sah es immer so aus wie bei „Hempels unterm Sofa” - wie es ein alter Spruch besagte.
Verworren irrte er tapsend durch diese unmenschliche, durch diese zum Gähnen ansteckende Leere seiner Zweiraumwohnung. Nicht selten übermannte ihn das Gefühl, sein Hirn würde nur noch ein einziges Vakuum sein. De facto litten die Synapsen seines Hirns nur unter erheblichem Mangel des Botenstoffes Serotonin – das typische Merkmal einer Depression.



Frau Dr. Mangold war sichtlich geschockt, als dieses kraftlose Häufchen Elend wieder vor ihren Augen wild stammelte:
„Ich fühle mich total kaputt.”

Die guten Seele, die in ihrem indigoblauen Druckkleides eine stolze Figur abgab, musste handeln.
Schweren Herzens entschloss sie sich, den mit verschränkten Armen, im schweren Sessel resignierend hockenden Mario, erneut in eine Klinik einzuweisen. Sofort griff die beherzte Ärztin zum Telefonhörer. Sie flehte förmlich. Doch es half nicht. Erst in drei Wochen war das Krankenhaus in der Lage ihm ein Bett zur Verfügung zu stellen.

Dennoch vermochte auch dieser erneute Aufenthalt in der Klinik nicht Mario aus seiner misslichen Lage zu befreien.


(Fortsetzung Teil3 folgt)
 

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