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Mein Freund der Magier

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©  Geminus   
   
Mister Porter wohnt in dem kleinen roten Backsteinhaus, das am Ende unseres Gartens steht und nur über einen holprigen Waldweg zu erreichen ist. Das Haus ist über und über mit wildem Wein bewachsen und fügt sich in die Natur ein, wie ein Vogelnest in einen Baum.
Mister Porter lebt allein und verlässt sein Haus nur, wenn er Sachen einkaufen muss, die er nicht selber herstellen oder in seinem Garten anpflanzen kann. Mister Porter ist nicht viel größer als ich und nicht mehr der Jüngste. Er benutzt einen Stock zum Gehen, und trägt einen Vollbart, der wie wild wucherndes Gestrüpp fast sein ganzes Gesicht bedeckt.
Am meisten fasziniert mich sein Beruf, denn Mister Porter ist Zauberer. Nein, kein gewöhnlicher Zauberer wie ihr vielleicht denkt, keiner der Kaninchen aus dem Zylinder zieht oder arglose Jungfrauen zersägt. Er verkauft auch keine Liebestränke und kann auch kein Blei in Gold verwandeln, aber das Wetter kann er machen.
Seine Arbeit ist nur mir bekannt. Meine Eltern glauben nicht an Magie, daher habe ich es ihnen erst gar nicht erzählt. Vor einigen Jahren entdeckte ich zum ersten Mal seine besonderen Fähigkeiten.

Es war an einem Tag im Mai. Nachdem es tagelang geregnet hatte, brach plötzlich die Sonne durch und tauchte unseren Garten in goldenes Licht. Eigentlich war es mir verboten, auf das nasse Grundstück zu gehen, aber nun gab es kein halten mehr. Ich stapfte den Weg entlang und wollte gerade umkehren, als ich einen farbenprächtigen Regenbogen entdeckte. Mit meinen dreizehn Jahren wusste ich natürlich, dass man seine Enden genau so wenig erreichen konnte, wie die beleibte Miss Halifax ihre Schnürsenkel, aber so nahe wie heute war ich dem Farbenspiel noch nie gewesen. Der Regenbogen berührte den Wetterhahn unserer Dorfkirche und schien drüben bei Mister Porter zu enden.
Unser Gartenzaun bestand aus alten morschen Brettern, die meinen Kletterkünsten nicht gewachsen waren. Ich überwand das Hindernis und schlich vorsichtig näher, um besser sehen zu können. Mister Porter stand mit beschwörend erhobenen Armen im Garten und von seinen Händen aus wölbte sich der Regenbogen bis hinüber zum Dorfplatz. Dabei leuchtete der spitze Hut auf Mister Porters Kopf mit seinem roten Halstuch um die wette.
Als er wenig später die Arme senkte, verloren die Farben des Regenbogens ihre Kraft und er löste sich auf.
Mister Porter wirkte nun sehr erschöpft. Schweißperlen bedeckten seine Stirn und er wankte ein wenig, als er zurück ins Haus ging.
Von diesem Tag an beobachtete ich ihn regelmäßig. Dazu baute ich mir ein Versteck aus Zweigen und einer alten Plane, wie es Vogelbeobachter tun.
In den folgenden Monaten sah ich oft zu, wie Mister Porter das Wetter für unsere Gegend zusammenstellte. Für Regen, Sonne, Graupel oder Schnee hatte er jeweils andere Rituale, die alle in einem Buch niedergeschrieben waren. Leider konnte ich von meinem Versteck aus die Beschwörungsformeln nicht verstehen, aber mein Wunsch, auch einmal das Wetter zu machen, wurde von Tag zu Tag stärker. Mister Porters Konzentration ließ immer mehr nach. Einmal, er hatte kurze Hosen und keinen Mantel an, zauberte er sogar statt Sonne heftigen Regen herbei. Danach war er völlig durchnässt und verließ eine Woche lang sein Haus nicht mehr. In dieser Zeit regnete es natürlich ohne Unterbrechung. Als er auch in der nächsten Woche nicht in den Garten kam, machte ich mir große Sorgen, stieg über den Zaun und klopfte an seine Tür. Er meldete sich aus der Dachkammer mit einer Stimme, die nur mehr ein heiseres Krächzen war. Erschrocken eilte ich die steile Treppe hinauf, von wo er mir auf halbem Weg entgegen kam.
"Mister Porter", stotterte ich. "Ich wollte sie bitten, endlich den fürchterlichen Regen abzustellen."
Er schaute mich verdutzt an und fragte, wie er das denn wohl anstellen solle.
"Bitte nehmen sie ihr Zauberbuch, dann gehen wir in den Garten und jagen die Wolken fort. Später bringe ich sie wieder zurück ins Bett und koche einen Kräutertee."
Doch Mister Porter war zu schwach dazu. Bestimmt wäre er die Treppe herunter gestürzt und es würde heute noch regnen. Es dauerte weitere drei Tage, bis er wieder so gesund war, dass er in den Garten gehen konnte. Dort stellte er den Regen für ganze vier Wochen ab. Seit dieser Zeit sind wir enge Freunde geworden. Er war froh, endlich jemanden gefunden zu haben, mit dem er sein Geheimnis teilen konnte.
Später saßen wir oft draußen und spielten mit dem Wetter. Einmal durfte ich sogar ganz allein einen winzigen Regenbogen zaubern, der vom Waschzuber bis zur Vogeltränke reichte. Gelegentlich brachte ich die Tageszeitung mit, in der die Wetterprognosen standen. Wir machten uns dann einen Spaß daraus, dass genaue Gegenteil herbei zu zaubern und lachten vergnügt über die hilflosen Ausreden, die unsere Experten am nächsten Tag verkünden mussten.

So vergingen die letzten Jahre wie im Flug. Mister Porter ist nun schon ein sehr alter Mann geworden. Ich habe jetzt fast alles von ihm gelernt und manche Tricks ersonnen, die noch nicht einmal er zu Stande bringt.
Ich hoffe noch auf viele gemeinsame Jahre, aber wenn er eines Tages stirbt, so habe ich ihm versprochen, bestatte ich ihn unter dem alten Lindenbaum. Dort drüben in seinem verwunschenen Garten, wo seit langer Zeit alle seine Vorgänger begraben sind.
Genau da, wo ich ihm eines fernen Tages auch Gesellschaft leisten werde.

Ist doch klar, oder?
 

http://www.webstories.cc 01.05.2024 - 20:04:02