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Herbststimmung

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© Gerald W.   
   
„Im Herbst ist alles anders!“, sage ich versonnen,
„Ja, natürlich Gerald. Da wird`s kühler.“ Gisela zieht fröstelnd die Schultern hoch. „Der schöne Sommer ist um- na und?“
„Na, riechst du nicht die besondere Luft?“ Ich hebe schmunzelnd den Kopf und schnuppere nach allen Seiten
Gisela tut es mir nach und niest. „Was soll ich denn riechen?“, murrt sie und holt sich ein Taschentuch.
„He, das Muffige!“, sage ich genießerisch.
„Du meinst den Benzingeruch?“, spöttelt sie und ihre Augen blitzen mich an.
„Komm, der ist im Park kaum vorhanden.“, wende ich ein. „Aber riechst du nicht das welke Laub? Wie die Erde ganz allmählich schlafen geht?“ Ich mache ganz kleine behagliche Augen und schlage vor: „Wir sollten mal kurz inne halten, tief durchatmen und uns nach allen Seiten umschauen.“
„Ja“ , murrt sie. „Mache ich doch gerade und sehe, da hinten hat jemand den Mülleimer umgestoßen und hier ...diese alte Parkbank haben Jugendliche mit blöden Buchstaben verziert und ...“
„Naja“ , falle ich ihr ins Wort. „Ich gebe zu, das alles sieht nicht gerade besonders hübsch aus. Hoffen wir, dass die jungen Leute wenigstens genügend Muße hatten, dabei die herrlichen Veränderungen der Natur wahrzunehmen!“
„Das hoffen nicht WIR sondern nur DU!“ , faucht sie. „Und weißt du warum? Weil du, im Gegensatz zu mir, ein verdammter Schönredner bist. Alles ist bei dir heute toll! Hast du was Besonderes genommen?“
„Nein, aber kann man sich nicht einfach so vor sich hin freuen? Lach doch mal! Stell dir vor, man braucht dafür gar nichts zu bezahlen!“
„Mir ist aber nicht zum Grinsen zu Mute. He, ich wette, dass du verrückter Kerl selbst diesem alten Fabrikgebäude dort drüben noch etwas Schönes abluchsen könntest.“
„Könnte ich das? Hm ? Wohl ja. Siehst du die prächtigen jungen Birken zum Beispiel? Ich bewundere diese Bäume wegen ihrer Stärke. Sie leben unter unmöglichsten Bedingungen und strecken dennoch ihre Zweige tapfer in den Himmel, um auch den kleinsten Sonnenstrahl aufzufangen.“
„Hähä, aber jetzt sind diese Birken kahl,“ triumphiert sie. „Und guck dir mal diesen grauen Himmel darüber an. Ist das nicht hässlich?“
„Stimmt“, räume ich ein, „ Jetzt haben sich ein paar Wolken vor die Sonne geschoben und es sieht diesig aus. Aber schau dir mal die bunten Blätter am Boden an.“ Ich bücke mich, hebe ein Blatt auf und halte es hoch in das fade Licht. „Dieses Honiggelb, wie das gegen das satte grau des Himmels leuchtet."
„Hm!“ Sie grinst. „ Sieht tatsächlich klasse aus.... auch der rote Ahorn, rechts gegenüber.“ Ihre Stimme wird dabei ganz warm. „Wie der Baum funkelt. He, so langsam bringst du mich auch in Herbststimmung.“
„Dann sammeln wir jetzt Blätter!“, schlage ich vor.
„Bist du völlig bescheuert...?“ Sie lacht und drischt mir auf den Arm, weil ich das wirklich tue. „Wie alt bist du ...?“
„Inzwischen achtunddreißig, wieso?“ Ich vergleiche dabei die Blätter miteinander, halte sie immer wieder in das Licht. Was für schöne Formen!", murmele ich.
„Nein, du bist fünf, na, vielleicht drei Jahre alt. Denn so etwas machen nur kleine Kinder!“
„So? Und warum schlurfst du dann durch das Laub, und zwar so wild, dass die Blätter immer wieder aufwirbeln?“
„Oha, erwischt!“ , sagt sie kleinlaut. „ Man bleibt wohl immer ein Kind. Eins zu null für dich! Mensch Gerald, da hinten liegen sogar Zweige an denen die Blätter noch dran sind. Die stelle ich in eine Vase...hehe, hier wächst ja ein Pilz?", ruft sie mir von weitem zu. "Ist der essbar?“
„Nein, aber lass den stehen.", antworte ich eben so laut. Dann komme ich hinterher und schaue ihn mir aus der Nähe an. Er sieht irgendwie drollig, fast kitschig aus. Beinahe unwirklich, diesen kleinen Waldbewohner mitten in der Stadt anzutreffen.
Später betrachtet Irmgard glücklich ihren bunten Herbststrauß und in dem Moment bricht ein Sonnenstrahl durch die Wolken. Gisela blinzelt hoch und lacht und dann hakt sie sich bei mir unter und wir hüpfen den ganzen Weg zu ihr nach Hause. Ob wir dort mehr tun werden als die Vase mit den Blättern vor den Kamin hinzustellen?
 

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