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Eine Weihnachtsüberraschung oder das Kaffeekännchen!

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© Gerald W.   
   
Damals war Kaffeegeschirr sehr teuer und so weinte Mutter, als ihr das Kaffeekännchen entzwei gegangen war. Ich sammelte die Scherben ein und überlegte ob man die zusammenkleben könnte, aber da war nichts mehr zu machen.
Von Stund an stellte Mutter einen hässlichen alten Krug auf den Tisch, der eigentlich als Milchbehälter gedacht gewesen war. Und jeder, der zu Besuch kam, verlor kein Wort aber er wusste, dass Mutter eben das Geld fehlte, eine neue Kanne zu kaufen.
Ich bekam, immer wenn ich meine Großmutter besuchte, eine Mark als Taschengeld. Die gab ich jetzt nicht mehr aus, sondern tat das Geld in eine Spardose. Ich machte sogar Botengänge für unsere alte Nachbarin. Und ich bangte, ob es mir wohl gelingen würde, soviel Geld zu ersparen, Mutter ein neues Kaffekännchen Weihnachten kaufen zu können.
Ich war sehr glücklich, als ich ein Sonderangebot in dem neuen Laden bei uns an der Ecke sah und trug die hübsche geblümte Kanne schließlich in einer großen Tasche nach Hause und wickelte sie in einem unbeobachteten Moment in Seidenpapier.
Zu Heiligabend war ich der erste der Mutter sein Geschenk überreichte, dann legte auch Vater sein Geschenk in Mutters Schoß und danach gab ihr Tante Irmchen ein Päckchen und die Großmutter schmunzelte als auch sie ihr Geschenk Mutter überreichte. Die Nachbarin legte ihr ebenfalls etwas Schönes eingewickeltes hin. Auch ich und die anderen bekamen allerlei Gaben, an die ich mich nicht mehr so recht erinnern kann.
„Ach“, sagte Mutter plötzlich, „Zu Heiligabend, habe ich für euch alle eine Überraschung und die werde ich euch präsentieren bevor wir unsere Geschenke öffnen. Es gibt diesmal den Kaffee zu unserer Weihnachtstorte aus einer richtigen Kanne. Schaut mal, da ist sie.“
Ich keuchte leise vor Überraschung, als ich die Kanne sah, denn die sah haarklein so aus, wie meine, die ich so mühselig in Weihnachtspapier eingewickelt hatte.
„Ein Sonderangebot! Sonst hätte ich sie nicht kaufen können. “, jauchzte meine Mutter und goss nun jedem daraus ein. Doch niemand jubelte so richtig mit.
Danach wickelte Mutter ihr erstes Päckchen auf. Wir schauten alle gespannt zu ihr hin. „Ei...ein Kännchen? Aber das ist ja genau das gleiche?“ stotterte Mutter verwirrt und sah mich an.
„Na ja, vielleicht kannst du es ja als Vase benutzen?“, fiel mir in meiner Not ein.
Und dann öffnete sie das Päckchen von meinem Vater. „ Achim?“ rief sie erstaunt. „Noch mal das Kännchen?“ Er zuckte hilflos die Schultern.
Sie schüttelte fassungslos den Kopf, stellte das dritte Kännchen zu den anderen beiden auf den Tisch und öffnete das Päckchen von Tante Irmchen, die ziemlich rot im Gesicht geworden war. „Noch ein Kännchen!“, rief meine Mutter fassungslos.
„Aber immerhin ein anderes!“, warf ich ein.
Mutter schüttelte wieder den Kopf und stellte das ebenfalls auf den Tisch und so ging es weiter. Selbst die Nachbarin hatte ihr weniges Geld für eine nette kleine Kaffeekanne zusammengekratzt.
Mutter lachte inzwischen Tränen und dann lachten wir plötzlich alle mit.
Gott sei Dank konnten alle ihre Kannen wieder eintauschen, aber wir dachten gerne an dieses verrückte Erlebnis zurück.
 

http://www.webstories.cc 29.04.2024 - 19:22:22