... für Leser und Schreiber.  

Der alte Baum

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© Renate Neff   
   
Der alte Baum steht schief im Wind
Der stetig bläst vom Meer
Und ihn beugt von Westen her
Seit er ein Pflänzling war, ein Kind.

Nicht aufrecht frei dem Lichte zu
Entfaltet sich das Blätterdach
Die Äste wachsen lang und flach
Windabgewandt dem Lande zu.

Lang weiß er’s schon seit jenem Mai:
Bäume wachsen stolz und hoch.
Welch krummes Unding bist du doch!
Gelacht hat’s ihm der Möwe Schrei.

Scham lässt ihn sich tiefer beugen –
Da ist in träumerischer Nacht
Ein kleiner Buchfink aufgewacht –
Im Blätternest, im dunklen Schweigen

Hab ich ihn leise zwitschern hören.
Das hat die Meisen aufgeweckt
Hat Eul’ und Grillen aufgeschreckt
Ich war dabei, ich kann’s beschwören.

Glockenblumen klingeln leise
Durch die Heide fegt der Wind
Die Zeit zum Augenblick gerinnt
Der Mond scheint kalt und weise.

Die helle Nacht den Baum betört
Ihm wird so wundersam, so eigen
Von den Wurzeln zu den Zweigen
Weiß er, dass er hierher gehört.

Stolz reckt er sich in seinen Ringen
Fühlt selig ungekannte Kraft
Durch seine Adern schießt der Saft
An den Zweigen Knospen springen.

Der alte Baum steht seltsam quer –
Lass anderswo die Bäume ragen
Hör ich ihn leise knarrend sagen
ICH STEH HIER UND ICH STEH QUER
 

http://www.webstories.cc 18.05.2024 - 17:31:08