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Die falsche Traumdeuterin

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© Andreas Tröbs   
   
Abdullah, der Spion, hatte sich hinter einem schweren Vorhang direkt vor dem Gemach der Prinzessin verborgen. Es war still und die Gespräche von der Prinzessin und ihrem Besuch drangen deutlich an sein Ohr. Im Palast lag in aller Regel nichts so offen, wie ein Geheimnis. Dieses Geheimnis war dann immer jeweils so geheimnisvoll wie das Wetter der vergangenen Tage. Das Geheimnis blieb also als offenes Geheimnis niemals lange geheim, sondern wurde bald zum Tagesgespräch der Dienerschaft und Lakaien. Zwar gestaltete es sich hinter vorgehaltener Hand und im Flüsterton wie bei der stillen Post, doch der Inhalt war weder verstümmelt noch entfremdet, so dass die Botschaft so absolut wahrheitsgetreu ihren Lauf nahm. So wahrheitsgetreu, dass man sich fast darauf berufen konnte, aber leider war bei der AUSPLAUDERUNG DES GEHEIMNISSES mit Konsequenzen der schlimmsten Art immer zu rechnen. Aber wer ließ sich dabei schon erwischen? So geschah es auch bei Mukhtar und Shakira. Als der Sultan es erfuhr und zum absoluten Tabu-Thema erhob, wussten es bereits die wichtigsten Verbindungsleute für Klatsch und Tratsch und natürlich auch Abdullah, der Spion. Dieser hatte seinen Auftrag, den er getreu seines Meisters Murad Marat Hon Stück um Stück erfüllte. So hielt sich Abdullah bereits tagelang in seinem Versteck hinter dem schweren Vorhang neben dem Gemach der Prinzessin auf. Dort verfolgte er mit wachem Sinn nicht nur die Gespräche der Prinzessin, sondern auch jede Bewegung aller Spinnen, zwischen denen er sich aufhalten musste, die ihre Lästigkeit und Angriffslust oftmals mit ihrem Leben bezahlten, aber Abdullah selbiges auch sehr schwer machten. So erfuhr der Spion direkt aus erster Hand, dass die Wachen auf dem Weg zu Abida der Traumdeuterin waren. Er schlich den Wachen nach und sah sie im Gemach Abidas verschwinden. Nachdem sich die Wachen wieder von Abida entfernt hatten, machte er sich mit einer Ski-Maske unkenntlich und drang er in ihr Gemach ein. Durch das ausspionierte Gespräch wusste er, welche Frage der Prinzessin auf den Nägeln brannte. Nachdem er die Antwort von Abida erpresst hatte, schickte er sie mit einem gezielten Schlag in einen traumlosen Schlummer, bemächtigte sich ihrer Kleider und betrat kurze Zeit später verkleidet als Abida die Gemächer Shakiras.
Das Erscheinen der falschen Traumdeuterin verlief so geräuschlos, dass sich die Prinzessin bei ihrem plötzlichen Anblick mächtig erschreckte. Sie wollte der weisen Frau einfach nur diese eine Frage stellen, aber das heimliche Erscheinen, gepaart mit ihrem sonderbaren Aussehen verschlugen Shakira die Sprache. Jedoch Aischa rettete geistesgegenwärtig die Situation, indem sie kurzerhand die Gesprächsführung übernahm:
„Hochweise Traumdeuterin, du Meisterin aller Gedanken und Schrecken aller Intriganten eigentlich hat die Prinzessin nur eine ganz simple Frage aus dem schier endlosen Reich der Namensbedeutung. Da ich weiß, dass ihr auch Meisterin auf diesem Gebiet seid…“
Keiner weiß, was Abida-Abdullah plötzlich veranlasste, einen folgenschweren Fehler zu begehen. Vielleicht lag es an der Ansprache Aischas, die ihm zu Kopf gestiegen war oder an der stickigen Luft des Raumes oder an seinen Hormonen, die sich gegen das Frauengewand wehrten, keiner weiß es genau zu sagen.
Die falsche Traumdeuterin legte jedenfalls ihre unterwürfige Haltung ab, beachtete die arme Aischa nicht mehr, spreizte sich wie ein Pfau und wandte sich, wie eine anzügliche Lesbe, direkt an die Prinzessin: „Namensbedeutung?“
Prinzessin Shakira erwachte blitzschnell aus ihrer Lethargie, schaute die vermeintliche Abida streng und durchdringend an und säuselt zynisch:
„Bitte vergebt meiner Amme, die mit ihrer Ansprache und ihrem Verhalten, bezüglich eurer Person, etwas zu dick aufgetragen hat, aber wenn ihr nicht gleich begreift, vor wem ihr hier steht, dann…!“
Die Prinzessin besann sich jedoch auf etwas besseres, schöpfte tief nach Atem und nahm etwas Schärfe aus ihrem Ton: „Verratet mir doch einfach nur, was der Name Mukhtar für eine Bedeutung hat!“
Abdullah, der Spion wusste sofort, was Shakira wissen wollte, begann aber aus Übermut oder warum auch immer ein Spiel, dass er lieber nicht getan hätte.
„Mu, Mu, Mukhtar, oh Prinzessin ihr Göttin der Morgenröte, die ihr selbst den hellen Tag mit eurer Eleganz und Schönheit schlagt. Ihr, die ihr die Zartheit der jungen Lotusblüte übertrefft und in den Schatten stellt!“
Prinzessin Shakira geriet plötzlich in helle Wut und rief aufgebracht:
„Seid ihr vom anderen Ufer? Oder wie darf ich eure anmaßende Koketterie verstehen? Lasst euer lesbisches Gesülze und antwortet augenblicklich: MUKHTAR! Was bedeutet dieser Name? Los, sagt es!“
Abdullahs führte sein Spiel weiter: Er warf er sich in seiner vollen Länge vor die Prinzessin auf den Boden und rief verzweifelt: „Anderes Ufer? Prinzessin, ihr tut mir Unrecht! Aber, ich will ja antworten…
Der Spion tat, als ob er krampfhaft überlege: „Wartet, ich habs gleich! Mukhtar be, bedeutet: Aus, Aus…“
Shakira schnitt ihm scharf das Wort ab und wurde immer ärgerlicher:
„Wie? Was? Aus? Ausbund, Ausgeburt, Auswurf, Ausfluss, Austauschschülerin?“
Abdullah kreischte, so, als wisse er die Antwort nicht und rief in gespielter Not:
„Nein, nein oh ihr oberste Jungfrau aller keuschen Jungfrauen…! Tschuldigung, ich meine...!“
„Das geht jetzt aber wirklich viel zu weit!“, schrie die Prinzessin unbeherrscht: „Lasst eure zweischneidigen Komödien oder seid ihr blöd oder einfach nur krank?“ Plötzlich begannen ihre Augen aus unerklärlichen Gründen zu leuchten: „Abida, wie lautet der Name deines Frauenarztes?“
Abdullah, der sich immer noch, hilflos wie ein schmutziger Wurm, am Boden wandt und die Frage nach dem Frauenarzt nun wirklich nicht verstand, überlegte fieberhaft und schrie angstvoll:
„Jetzt weiß ich’s wieder! Hallo, ich weiß es! Mukhtar bedeutet: Auserwählter!
Die Prinzessin hielt sich, wie vom Schlag gerührt, die Brust. Die Tränen schossen in ihre Augen und sie begann sich, so wild, wie auf dem östlichen Vorhof, schnell und immer schneller im Kreis zu drehen. Sie tanzte, hielt inne und kreischte:
„Der Auserwählte? Aischa! Mukhtar ist mein Auserwählter! Nun weiß ich genau, was der Traum und Mukhtars erscheinen bei Hofe zu bedeuten habe! Gute Abida, du darfst dich entfernen! Deine Strafe wird milde ausfallen, denn du darfst deine Zunge behalten!
Abdullah riss sich vom Boden hoch und verließ taumelnd aber stürmisch die Gemächer der Prinzessin.
Kurze Zeit später, hatte sich die Prinzessin wieder gefangen, sie dachte nach und sagte:
„Aischa habt Ihr auch bemerkt, dass Abidas Stimme heute recht maskulin klang? Auch ihr Gebaren, hat mich sehr an einen Mann erinnert!!!“
Shakira schien einem Geheimnis auf die Spur gekommen zu sein, dass sie fesselte, und dass sie jetzt sofort gelöst haben wollte:
„Aischa, jetzt weiß ich es: Abida hat sich, wie ich erfahren habe, in ihrem Frauenkörper nicht mehr wohl gefühlt. Ich hörte da etwas von einer Hormonbehandlung, der sie sich unterziehen wollte.“
Shakira steigerte sich in wilde Spekulationen, wandte sich von der Amme ab und flüsterte mit träumerischen Augen:
„Aber, dass das gleich so ein umwerfender Erfolg werden würde, hätte ich auch nicht gedacht. Schade, dass ich nicht auch solche ominösen Beziehungen wie Abida besitze. Ich, die Prinzessin! Das kommt davon, wenn man ständig im goldenen Käfig sitzt!
Aischa, du muss dich dringend, am besten gleich morgen früh, um einen Termin für mich bei Abidas Frauenarzt kümmern…“
 

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