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Die Schamröte im Gesicht des Kassierers

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© Michael Brushwood   
   
„Zeigen sie mir bitte mal ihren Ausweis vor!” stellte Norbert, der mit strammen Muskeln bepackte Kassierer klar, als er gerade eine von den insgesamt zwei Flaschen der bekannten Marke Nordhäuser Doppelkorn einscannen wollte.

Die hübsche Mareike wunderte sich. Zwar hatte sie in diesem Edeka-Markt schon einige Male ihre Einkäufe getätigt, allerdings nicht regelmäßig, da der Einkauf in den Discountern wesentlich billiger war. Nach dem Ausweis hatte sie noch nie jemand gefragt. Warum auch. Mit dem Jugendschutz nahm man es generell nicht so genau – schließlich sollten die Kassen doch klingeln, und außerdem hatte die schöne Blonde bereits ein etwas reiferes Alter erreicht , indem man den einen oder anderen edlen Tropfen sich schon mal gönnen durfte – natürlich in Maßen, woran sich Mareike auch meistens gehalten hatte.
Wieso dennoch diese aberwitzige Frage?
Wut und Zorn wollten sich in Mareikes gut geformten Bauch, den eine zartbraune Knusperhaut umschmeichelte, deren tief sitzender Nabel auf Grund ihres knappen knallgelben Shirts nicht zu übersehen war, jedoch nicht legen. Sie war schon immer eine besonnene Frau gewesen, die sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen ließ. Die sichtbare Gelassenheit war nur eines von ihren vielen Markenzeichen, die positiv an ihr hafteten. Wohl der Grund, weshalb sie dem nicht mehr ganz so jungen, aber dennoch gutaussehenden Herrn, dessen Alter sich nach ihrem geschulten Kennerblick in etwa um die dreißig bewegen dürfte, anstandslos ihren Personalausweis zeigen ließ.
Sein ehrfurchtsvoll wirkender Blick wanderte staunend auf diesem kleinen Kärtchen auf und ab. Parallel dazu gruben sich merkwürdig-tiefe Falten auf seine Stirn.
Mareikes geistige Augen sagten ihr, dass da etwas nicht stimmte, etwas nicht stimmen konnte, da seine Wangen von einer Sekunde auf die andere immer röter wurden. Als seine geheimnisvollen Augen, die verworren angefangen hatten zu flackern, von ihrem Ausweis abließen und in das Sichtfeld von Mareikes haselnussbraunen Augen wanderten, waren nicht nur seine Wangen so rot wie nach einem auf der Haut brennenden Hornissenstich geworden. Auch Mareikes Gesicht „zierte“ nun diese knallige Rot, was ihr bisher nur sehr selten widerfahren war.
Dem jungen Mann lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Wen wunderte es?...

„Wasss”, zischte er langgezogen. "Sie sind bereits zweiunddreißig! Ich bin platt! Das ist doch kaum zu glauben!”, fuhr der Kassierer staunend fort, während sein Blick nach wie vor nichts Gutes verheißen ließ. Allerdings hatten sich klammheimlich sogar noch ein paar kleine, witzige Lachfältchen um seine Mundwinkel geschlichen.
Mareike schien dies geschnallt zu haben. Denn wie wäre es sonst möglich gewesen, dass in ihren Wangen plötzlich wilde, kecke Grübchen versuchten, mit ihr ein merkwürdiges Spiel zu treiben. Doch nicht etwa, um sie womöglich noch auf dumme Gedanken zu bringen!
Das Lächeln des Unbekannten gewann analog zu seinen Augen sichtlich an Schärfe, mit der Folge, dass Mareikes ureigenster Instinkt ebenfalls ein verschmitztes Lächeln um ihre Mundwinkel zauberte, wenngleich ihr Lächeln allenfalls nur belanglose Züge angenommen hatte. Doch dieses schamhafte, ein bisschen verlegen aussehende Lächeln, wollte Mareike auf jeden Fall verheimlichen, weshalb ihr Blick auf die besagten Flaschen edlen Korns, die wie die anderen Mitbringsel noch auf dem Transportband warteten, um endlich eingescannt zu werden, wanderte.
Wäre die glückliche Mutter zweier – zugegebenermaßen nicht ganz so pflegeleichter - siebenjähriger Twin daughters imstande, seinen gefährlichen Flirtkünsten, standzuhalten, und wenn ja wie?!...

Zu ihrem Glück sollte sich dieses Problem ganz von selbst lösen. Das unbotmäßige Lächeln dieses nicht mehr ganz so jungen Herren – der, nachdem er die Worte der Verwunderung über seine Lippen gebracht hatte - nicht mal mehr ein dürftiges Wörtchen herausquetschte - verschwand blitzeilig aus seinem Gesicht. Möglich, dass ihn das Einscannen der Waren, mit dem er begonnen hatte, als sich ihre Augen wie von selbst auf die besagte Schnapsflasche richteten, abgelenkt haben könnte - vielleicht aber auch nicht.

Zwei Wochen nachdem Mareike als Opfer seines etwas ungewöhnlichen Experimentes herhalten musste, schickte sie sich an, erneut bei Edeka zu shoppen...
Und siehe mal einer an! Aus sicherer Entfernung sah sie aus ihren Augenwinkeln, wie der gleiche Herr ein anderes, ein traumhaft keckes Bienchen – höchstwahrscheinlich doch noch blutjung - das sich mit reichlich Alkopops eingedeckt hatte, sich vor die Brust nahm!
Wenige Tage später traf Mareikes Blick rein zufällig die beiden – eng umschlungen, was natürlich kein Zufall war.
Amors Pfeil hatte die Richtige getroffen. Dank dieser genialen Schnapsidee, die doch eigentlich viel zu junge Mädchen vor der Geißel dieses zu animalischer Heiterkeit avancierenden Hochprozentigem bewahren sollte.

Dennoch – eine gewisse Schutzfunktion hatten seine „strengen” Kontrollen, die freilich nur bei jungen, gutaussehenden Mädchen zur Anwendung kamen, schon – den Selbstschutz, um nicht in ein tiefes Loch schrecklich-öder Einsamkeit purzeln zu müssen.
Was für ein herrlicher Trick, der letzten Endes doch noch ein schönes Ende gefunden hatte! Es bedurfte zwar mehrerer Anläufe, dafür war es dem Kassierer allerdings vergönnt, künftig nur noch an der Kasse den üblichen Kassensturz machen zu dürfen. Schöne Beute auf solch gewöhnungsbedürftige Art „einzukassieren” – das hatte dieser brave Erdenbürger – Gott sei Dank – nun nicht mehr nötig.
Und das er Mareike gleich mal um vierzehn Jahre jünger „gemacht” hatte – war doch nur halb so schlimm!
Ein jeder von uns kann sich doch mal irren! Wie heißt es doch so schön? Irren ist menschlich!
 

http://www.webstories.cc 29.04.2024 - 14:27:45