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Der verlorene Koffer und die gefundene Heiterkeit

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©  Ano Nymos   
   
Der verlorene Koffer und die gefundene Heiterkeit

Gierig sog ich zum letzten Mal an meiner Zigarette, bevor sie in dem Abfallkübel landete. Es war die letzte für die nächsten Stunden: Im Flughafen und dem Flieger war Rauchen strengstens verboten.
„Dafür wird man durchsucht, kontrolliert, das Gepäck abgewogen und darf Bordellpreise für ein popeliges Getränk wie Kaffee oder Bier bezahlen!“

Geduldig legte ich mein Ticket für die Gepäckaufgabe vor und wuchtete meinen Koffer auf das Band, reihte mich kurz darauf in die Warteschlange ein und ließ die verschiedenen Kontrollen über mich ergehen. Ich hatte keine freudigen Erwartungen: Für vier Monate weg von der Familie und meinen Freunden. Dafür zu einem Job, der mir schon lange keinen richtigen Spaß mehr machte. Der Papierkram nahm immer mehr zu: Seitdem die Computer auch in meinem Beruf Einzug gehalten hatten, fanden sich immer kluge Köpfe, die neue Formulare kreierten. „Ist ein Haufen Bullshit dabei und man kommt kaum dazu, seine eigentliche Arbeit zu erledigen.“

Im Flugzeug achtete ich kaum auf meine Umgebung; das Stewardessen – Ballet kannte ich zur Genüge aus vorherigen Flügen. Meistens schlief ich während des Fluges oder las ein Buch. War aber wie immer froh, als der „Vogel“ auf der Landebahn aufsetzte und dachte: „Jetzt kann nicht mehr viel passieren!“

Als einer der Letzten verließ ich das enge Verkehrsmittel und ging langsam in die Halle, wo das Gepäck abgeholt werden sollte. Koffer und Reisetaschen rollten auf dem Fließband an mir vorbei. Als sich das Band und die Halle leerte, wurde ich wütend und schimpfte vor mich hin: Mein Koffer war nicht dabei!

Entschlossen wandte ich mich an den Lost Baggage – Schalter, der von zwei uniformierten Frauen besetzt war und verlangte Aufklärung, was man zu tun gedenke. Rastete aus, als mir ein Formular zum Ausfüllen zugeschoben wurde:
„Mit allem Respekt! Ich habe viel Geld für diesen Flug bezahlt! Ihrer Gesellschaft mein Gepäck anvertraut, welches jetzt durch Ihr Verschulden nicht dort angekommen ist, wo es hingehört! Nämlich hier! Und jetzt soll ich für Ihren Fehler noch Bettel – Formulare ausfüllen?! Das kann doch wohl nicht wahr sein!“
„Tut mir leid, aber das sind Zollbestimmungen. Dieses Formular ist nicht für die Fluggesellschaft!“
„Heiliger Sankt Bürokratius!“ Fluchend und notgedrungen die Fragen auf dem Zettel beantwortend.

Neben mir stand ein Paar, das offenbar dasselbe Problem wie ich hatte. Die Gelassenheit, die besonders von der ungefähr sechzig bis siebzigjährigen Frau ausging, versetzte mich in Erstaunen:
Geduldig beantwortete sie die Fragen über Flugdaten und Bestimmung; fragte nach, ob sie das Formular richtig ausgefüllt hätte.
Meine Verwunderung nahm zu, als sie sehr freundlich und ruhig erklärte:
„Da gibt es ein Problem. In dem Gepäck sind Medikamente, die ich unbedingt nehmen muss.“
Ungerührt kam die Frage: „Welche Art von Medikamenten?“
Ohne Bitterkeit, Selbstmitleid oder gar Resignation antwortete sie: „Ich habe Krebs.“

Ruhe.

Mit einer unnachahmlichen, nicht zu beschreibenden Heiterkeit sagte die Frau mit einem lebensfrohem Lächeln: „Ich habe den Krebs bekommen. Aber der Krebs hat mich nicht gekriegt!“




Unwichtig zu schreiben, dass der Verbleib meines Koffers jetzt ziemlich egal war.
Und dass meine Abschiedsworte: „Ich wünsche Ihnen eine gute Weiterreise!“ nicht nur für diese Reise gemeint waren und von ganzem Herzen kamen.
 

http://www.webstories.cc 17.05.2024 - 16:23:19