... für Leser und Schreiber.  

Flitz

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©  Ano Nymos   
   
Meine erste Begegnung mit ihr war an einem Morgen im Sommer: Sie schmiegte sich um meine Beine. Wollte Futter und Streicheleinheiten. Letzteres konnte ich ihr geben: Ihr graues Köpfchen schlang sich dabei um meine Hand.
Später lernte ich, dass sie nicht immer gestreichelt werden wollte: Da konnte sie schon mal ihre Krallen ausfahren und die spitzen Zähne zeigen. Mir wurde gesagt, dass sie in einem Abwasserrohr geboren und kurz darauf im Tierheim abgegeben wurde. Deshalb wurde ihr bisweilen eigenwilliges Verhalten - von uns allen akzeptiert und geduldet.

Hier bei uns fand sie ein Zuhause; musste dies aber mit einem Kater und Schäferhunden teilen.
Im Haus herrschte zwischen ihr und den Hunden eine Art Burgfrieden: Hier ging man sich respektvoll aus den Weg, teilte sogar das Wasser aus dem für alle vierbeinigen Mitbewohner immer bereit stehenden Napf. Draußen war sie sehr viel schneller als die Hunde: Daher ihr Name.

Mit dem Kater vertrug sie sich nicht besonders: Beide wollten dominieren. Was dazu führte, dass Flitz in unbeobachteten Augenblicken ihre „Marken“ an den Wohnzimmergardinen setzte: Zeitweise hatten wir wohl die saubersten Vorhänge in unserer Straße.

Lange Zeit war sie übergewichtig: Oft nannten wir sie „Die Kugel auf vier Beinen“. Auf Diät setzten half wenig: Was sie von uns ihrer Meinung nach zu wenig bekam, holte sie sich selbst von Nachbarn oder in Form von Mäusen.

Im Laufe der Zeit wurde sie ruhiger und anschmiegsamer. Wenn ich an langen und kalten Winterabenden am Schreibtisch saß, schlich sie immer öfter um meine Beine. Setzte sich zur Überraschung der anderen Familienmitglieder sogar auf meinen Schoß, um sich hier mit sichtlichem Genuss streicheln zu lassen. Gelegentlich rollte sie sich behaglich ein, schlich schon mal über die Tastatur meines Laptops, was ich ihr aber nie übel nahm.

Wir pflegten in den letzten Jahren eine Art Freundschaft: Auf den Zuruf „Hallo Flitz, alter Kämpe!“ kam sie zu mir; beinahe wie ein Hund. Sie biss und kratzte nicht mehr, wenn ich sie streicheln wollte. Aus dem Beißen wurde vorsichtiges Knabbern an den Fingerknöcheln; bei ihrem Spiel mit den Pfoten blieben die Krallen drin. Fast so, als ob sie mich auf ihre Art streicheln wollte.

Seit heute ruht sie an einem stillen Platz unter dem Pflaumenbaum.

Flitz, ich werde Dich vermissen! Diese Zeilen sollen ein kleines Denkmal für Dich sein…

Nachsatz: Falls es für Dich ein Leben im Jenseits gibt, wünsche ich Dir viele Mäuse zum Jagen und einen liebevollen Kater, der sich um Dich kümmert.

14.09.2012 Ano Nymos
 

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