... für Leser und Schreiber.  

Regen

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©  Lappenkasten   
   
Es regnete.
Die Tropfen fielen wie große Tränen vom dunkelgrauen Himmel herab. Binnen weniger Minuten war jeder noch so kleine Teil der Straße nass. Es war 15:00 Uhr. Soeben hatte die Schule geendet.
Der Junge rannte nicht wie üblich zur Bushaltestelle, um auf den Bus nach Hause zu warten, sondern zum Fahrradständer. Kaum jemand war noch da. Die meisten waren schon um 13:00 Uhr nach Hause gefahren.
Er schaute sich kurz um und bemerkte, dass er nicht ganz allein war. Das Mädchen war auch da. Sie war nicht irgendein Mädchen, sie war das Mädchen. Sie stand einfach nur dort und wartete. Ihre Kurzen Haare waren nicht nass geworden, da sie sofort nach dem Ende der Stunde los gerannt war. Sie hatte ihn nicht einmal angesehen, sondern war einfach nur los gerannt. Auch jetzt sah sie ihn nicht an, sie schien ihn noch nicht einmal zu bemerken.
In letzter Zeit hatte er sie sehr oft angesehen. Er wusste warum, auch wenn er sich so sehr dagegen gewehrt hatte. Jedes mal wenn ihr Blick seinen erwiderte, versuchte er so schnell wie möglich seine Augen abzuwenden, damit sie es nicht sah. Warum konnte er damit nicht umgehen? War es denn so schwer? Oder war er einfach nur zu sensibel um das Gegenteil nicht verkraften zu können.
Da sie nun beide schon einmal hier waren, nahm er seinen Mut zusammen und sprach sie an.
„Was machst du hier?“
Mit einem leichten Zusammenzucken drehte sie sich zu ihm um. Natürlich hatte sie ihn nicht bemerkt.
„Ich warte hier darauf das dieser blöde Regen endlich aufhört.“
„Ich mag den Regen...“
„Ja, ist mir egal. Mein Handy klingelt, sei doch bitte kurz leise!“
Die Antwort traf ihn genau da wo sie hätte am meisten wehtun können: mitten ins Herz. Er wischte sich eine Strähne aus seinem Blickfeld und starrte beschämt zu Boden. Nur verschwommen nahm er war, dass sie grade mit ihrem Vater telefonierte. Er überlegte krampfhaft, was hätte sagen können, doch sein Hirn hatte eine Denkblockade. Sollte er es ihr einfach sagen oder sollte er es weiterhin für sich behalten? Verzweifelt suchte er nach einer Antwort und bemerkte fast nicht das sie das Telefonat beendete.
„So ich muss los, mein Vater wartet eine Straße weiter auf mich. Man sieht sich.“
Sie machte einen Schritt Richtung Regen. Er musste sich nun entscheiden: Ließ er sie ziehen oder hielt er sie auf.
„Warte kurz!“ Sagte er fast panisch, als sie einen weiteren Schritt Richtung Straße machte.
Sie hielt an und schaute verwundert über ihre Schulter. „Was ist los?“
„Ich... ähm... wollte noch...“ seine Gedanken kreisten und ihm wurde schwindlig. Schweiß trat auf seine Stirn. Er wusste nicht was er sagen sollte. Dann fasste er sich ein Herz und es brach aus ihm heraus: „Ich weiß nicht, wie man so etwas... ähm... macht, also sag ich es einfach direkt. Ich... Ich liebe dich!“
Ihr Gesicht blieb unverändert, nur schaute sie jetzt nicht mehr in seine Augen sondern auf den Boden. Konnte sie ihn überhaupt lieben? Bestand eine Hoffnung für sie beide? Wenn es Hoffnung gab, dann war dies das Gefühl was in ihm Aufstieg. Vielleicht war es ja doch...
„Sorry, aber... ich empfinde gar nichts.“
Mit diesen Worten rannte sie in den Regen. Er wollte ihr nicht nachlaufen, doch seine Beine trugen ihn ein Stück von ganz allein. Als er wieder zu sich kam, stand er mitten auf einem Platz. Er war ganz allein und es herrschte eine unheimliche Stille. Nur ein monotones Geräusch war zu vernehmen.
Es regnete.
 

http://www.webstories.cc 17.05.2024 - 06:56:22