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Götterdämmerung (Prolog)

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©  darkwitch   
   
Prolog

Eine Nacht ohne Morgen, dennoch dämmerte es nun langsam. Das Licht kroch, als würde es Tonnen wiegen von Richtung Osten aus heran. Alle Leichtigkeit war verschwunden. Dicke Wolken am Himmel strahlten in einem kränklichen Gelb. Kein Sonnenstrahl wollte hindurch dringen.
Ein Tag ohne Abend, dennoch kam jedes Mal die Dunkelheit. Streckte sich gierig ins Grau hinein und färbte den bedeckten Himmel rot wie Blut. Dann verschlang die Dunkelheit das wenige Licht und am Schwarzen Horizont zeigten sich weder Sterne noch Mond.

Shadon wusste nicht, wie er hier hergekommen war, oder ob es überhaupt noch eine Rolle spielte. Das Weltenende schien gekommen zu sein und alle wussten es. Leider verhielten sie sich auch so. Wie tollwütige Tiere fielen sie übereinander her, töteten grausam, verheerten wahllos und ziellos. In dieser verwüsteten Welt hatten sich verschiedene Splittergruppen gebildet und jede davon beanspruchte die einzige wahrhaftige Wahrheit für sich. Aber die einzig echte Wahrheit war, dass wohl niemand die Wahrheit kannte. Niemand. Außer vielleicht die Engel und vermutlich nicht einmal die.
Shadon wusste nicht, wie er hier in dieser Welt gelandet war, er hatte ja noch nicht einmal eine Ahnung woher er gekommen war. Vor einigen Jahren war der dunkelhaarige, blauäugige Mann mitten in der Wüste aufgewacht ohne eine einzige Erinnerung daran wer er war, woher er kam und wohin er gewollt hatte. Er wusste ja noch nicht einmal, was er in dieser Wüste gewollt hatte. Nicht einmal sein Name wäre ihm geblieben, wäre dieser nicht auf die Innenseite seines linken Armes tätowiert gewesen. Als er vewirrt das Wort dort gelesen hatte, hatte er gewusst, dass dies sein Name war.
An die Zeit vor der Wüste hatte er nur noch seltsame, wirre und fragmentierte Erinnerungsfetzen von Angst und Verzweiflung, Feuer und Eis, schrecklichem Leid und grausamen, alles zerreißenden Schmerzen in Brust und Rücken. Er hatte auch Narben dort, aber er konnte den Menschen, die ihn gefunden hatten, nicht erklären woher. Es gab noch gute Menschen in dieser Welt, die friedliebend und gastfreundlich wie moderne Nomaden von Ort zu Ort und von Oase zu Oase zogen. Er hatte wahnsinniges Glück gehabt, dass es gerade solche Wanderer waren, die ihn gefunden hatten. Diese Leute hatten ihn aufgenommen, hatten sich um ihn gekümmert und seinen zerschundenen Körper verarztet. Und selbst nachdem er wieder gesund war, hatten sie ihn in ihrer Mitte weiterhin geduldet und willkommen geheißen. Shadon war zwar nie ein richtiger Teil dieser eingeschworenen Gemeinschaft geworden, aber er war so etwas wie ein langer, gerne gesehener Gast, der mit anpackte. Er hatte viele Freunde unter diesen Nomaden gefunden, aber niemals eine Frau für sich.
Ein leises Seufzen suchte sich den Weg über seine Lippen.
Auch wenn ihm nichts aus seiner Vergangenheit geblieben war, so erinnerte er sich sehr gut daran, wie die Sonne aussah und wie sie sich anfühlte. Auch wie der Mond und die Sterne aussahen, oder das Meer, oder Bäume. Wie sie sich anhörten und wie sie rochen. Und er vermisste es mit einer Intensität, die ihm seine Umgebung nicht richtig nachfühlen konnte.
Shadon fuhr sich über das stoppelige Kinn. Ein Blick in den kleinen Taschenspiegel zeigte ihm einen müden, etwa fünfunddreißig Jahre alten Mann mit markantem Gesicht, kurzen, dunklen Haaren und blauen Augen. Die Anführerin der Wanderer, die ihn damals gefunden hatten, hatte ihn einen Vertriebenen und Getriebenen genannt und sie hatte irgendwie Recht damit. Er fühlte sich wirklich getrieben, hielt es nirgends lange aus und hatte das Gefühl er müsse etwas ganz bestimmtes finden. Wenn er jetzt nur noch wüsste was.
 

http://www.webstories.cc 07.05.2024 - 18:06:50