... für Leser und Schreiber.  

Preis der Lust/Kapitel 3

221
221 Stimmen
   
©  rosmarin   
   
3. Kapitel
___________
Von nun an trafen wir uns fast täglich. Meistens gingen wir in das Kino am Zoo, anschließend in ein kleines chinesisches Restaurant essen. Ins Fen gu ar am Ku‘damm unweit des Kinos. Und noch immer schenkte mir Gigan eine rote Rose ohne Dornen.
„Ich mag aber Rosen mit Dornen“, sagte ich.
„Ich mag sie lieber ohne Dornen“, sagte er.
Soll er seinen Willen haben, dachte ich.

Gigan war mir ein Rätsel. Ich konnte ihn nicht ernst nehmen. Er mich wahrscheinlich auch nicht. So frotzelten wir hin und her und waren zufrieden.
Dann kam die verhängnisvolle Nacht in der fremden Wohnung und sollte mein Leben dramatisch verändern.

*

Nach der ersten Nacht in dem Liebesnest hatte es mich nicht mehr gestört, wenn das rote Auge der Kamera die intimsten Stellen meines Körpers durchleuchtete, Gigan mich zu immer obszöneren Posen aufforderte.
„Wunderbar Marie“, lobte er, „du meine wunderschöne wilde Blume.“
Die wilde Blume machte alles mit, und als er eines Tages mit einem großen Skizzenblock und einem Bündel Kohlestiften ankam, stellte sie sich für ihn in Pose. Diese wilde Blume. Ich.
Später zeigte er mit die Skizzen. Ich fand sie sehr gelungen, etwas frivol, aber gelungen. Frivol. Mein ganzes Leben war irgendwie frivol geworden. Ich führte sozusagen zwei Leben. Eins mit Zappi, eins mit Gigan. Besser, ich führte zwei halbe Leben. Wenn ich das Leben mit Zappi führte, vermisste ich das mit Gigan und umgekehrt.

Für mich war Gigan der Innbegriff eines guten Liebhabers. Eines coolen Lovers. Ihm konnte keiner das Wasser reichen. Er war in mir. Ich war erfüllt von ihm. Gefüllt. Ausgefüllt. Jeden Tag wartete ich sehnsüchtig auf sein Kommen. In unserem Liebesnest hatte er schon alles vorbereitet. Der Tisch war festlich gedeckt, Wein und Gläser standen bereit. Die Kerzen im hohen Leuchter warteten darauf, angezündet zu werden. Musik erklang. Mozart. Manchmal auch Grönemeyer. Gigans Lieblingssänger. Wir aßen und tranken und liebten uns immer heftiger. Unsere Zweierbeziehung wurde so eng, wie sie enger nicht sein konnte.
Unterbewusst aber spürte ich, dass etwas nicht stimmte, ganz abgesehen davon, dass Zappi litt, auch wenn er äußerlich ruhig blieb.
„Gigan ist dumm“, war Zappis unumstößliche Meinung. Für ihn waren alle dumm, die nicht studiert oder zumindest das Abi hatten. „Und du bist es auch, obwohl du nicht dumm im herkömmlichen Sinne bist. Aber was Gigan betrifft, bist du dumm.“
Er hatte recht, also, was mich betraf. Mir fehlte einfach die Zeit zum Nachdenken.

„Ich liebe dich. Ich freue mich auf heute Nacht“, waren Gigans Lieblingssätze.
Ich sagte nie: „Ich liebe dich.“
Ich konnte nicht so leichtfertig mit diesen drei so verletzlichen Worten umgehen, benutzte sie nur in der einen ganz besonderen Situation, nicht so aus dem Stand heraus. Klar liebte ich Gigan. Irgendwie schon. Allerdings auf eine ganz eigene Art. Einfach anders. Ganz anders, als die Liebe, die ich kannte. Es war mehr eine körperliche Liebe. Wohl auch eine seelische. Doch es war keine geistige. Gigan schien kaum in der Lage, meinen, wie er sagte, komplizierten Gedankengängen zu folgen. Brauchte er auch nicht. Vielleicht wollte er auch nicht. Der Sex mit ihm und die emotionale Zuwendung hoben das geistige Unverständnis allemal auf.

„Zappi sagt, du bist dumm“, sagte ich einmal.
„Und warum bin ich dumm?“
„Weil du dich mit mir eingelassen hast.“
„Kann schon sein.“ Gigan hatte sein freches Lachen gelacht. „Aber doof fickt gut.“
Ich kicherte: „Ja, doof fickt gut.“ Und schon ging es los.

Allmählich verstand ich auch, warum manche Männer stockdumme Frauen lieben. Beim Sex braucht man nicht klug zu sein. Da zählen Leidenschaft. Fantasie. Ausdauer. Hingabe. Ein kindlicher Spieltrieb. All dies war bei Gigan reichlich vorhanden. Mit ihm und mir klappte es wunderbar. So wunderbar, dass ich nicht einmal merkte, in welch vertrackte Abhängigkeit ich geraten war.
Am Anfang unserer Beziehung hatte ich auf meiner uneingeschränkten Unabhängigkeit bestanden. Auf keinen Fall würde ich mich einengen lassen wollen. Ich war gewohnt, für mich selbst zu entscheiden. Gigan versprach, sich in allen Dingen nach mir zu richten. Doch schon bald stellte ich fest, dass es umgekehrt war. Ich richtete mich nach ihm, akzeptierte seine ständigen Anrufe, seine Kontrolle über alles und jedes, was mich betraf. Ich opferte sogar meine Freunde, weil sie ihn nicht akzeptierten, seine Ausstrahlung unangenehm, seine Augen starr und kalt fanden.

*

„Wir müssen reden, Gigan", hatte ich gesagt, „ich bin völlig gestresst. Mit Zappi gibt es nur noch Streit.“
„Gut.“ Gigan war die Ruhe in Person. „Wir fahren in unser Liebesnest und sprechen über alles. Ich habe dir auch einiges zu sagen."

Im Liebesnest zauberte Gigan schnell die romantische Stimmung herbei. Wein, Kerzenschein, Mozartmusik. Rosenbestreutes Bett. Alles perfekt. Wie immer.
Doch heute wollte ich mich dieser erotisch romantischen Stimmung nicht fügen. Heute wollte ich ihm sagen, dass wir uns trennen müssen, wenn wir nicht alle drei zugrunde gehen wollten.

„Was willst du mir sagen? Marie? Was? Meine wilde Blume?“
Gigan starrte mich mit seinen Eisaugen durchdringend an. „Du weißt, du kannst mir alles sagen. Ich liebe dich.“

Ich liebe dich. Diese Liebe raubte mir die Luft zum Atmen. Ich sehnte mich danach, endlich wieder frei zu sein. Frei. Wie ein Vogel, der sich in die Lüfte erheben, nur in Freiheit seine Lieder singen kann. Mit Gigan war ich nicht frei. Seine Liebe erdrückte mich, lag wie ein Mühlstein auf meiner Brust. Gigan war mein verrückter perverser Liebhaber. Für immer würde er in mir sein. Diese Romanze würde ich nie vergessen wollen.

„Wir sind zu weit gegangen Gigan“, sagte ich, „viel zu weit. Wir müssen uns trennen.“

Etwas Unerklärliches, Bedrohliches, erfüllte plötzlich das in Kerzenlicht getauchte Zimmer. Wie versteinert saß ich Gigan gegenüber.
„Vertraust du mir?" Gigan starrte noch immer in meine Augen.
„Bedingt", zögerte ich.
„Bedingt?"
„Gut. Ich vertraue dir.“
„Dann rühr dich nicht vom Fleck. Bin gleich zurück.“
Gigan stand auf, kam zu mir, küsste mich. „Schließ deine Augen", forderte er leise.
„Warum denn?"
„Überraschung. Mach schon."
Gehorsam schloss ich meine Augen. Gigan entfernte sich. Ich wartete gespannt. Plötzlich spürte ich ein leises Summen über meinem Kopf und öffnete erschreckt meine Augen. Gigan stand mit einem dicken Seil in den Händen vor mir.
„Was soll das? Was willst du mit dem Strick!"
„Dich fesseln."
In Gigans blauen Augen funkelte der harte metallene Glanz. Mir schien, als wollten sie mich hypnotisieren, auf der Stelle festnageln. Wie damals, als ich die Kamera das erste Mal erblickt und das rote Auge mich drohend angestarrt hatte.
„Lass das", wehrte ich mich schwach, „oder ich schreie."
„Schrei doch“, lachte Gigan spöttisch.
Flugs klebte er mir ein breites Theseband auf den Mund, zog mich grob vom Stuhl, warf mich auf das rosenbetreute Bett. Vergeblich versuchte ich, ihm klarzumachen, das verdammte Band von meinem Mund zu nehmen. Er lachte wie ein Irrer. Ich stieß mit meinen Füßen nach ihm. Er lachte noch immer, starrte kalt in meine Augen, küsste mich hart auf den Mund, riss meine Arme über meinen Kopf, fesselte sie an das blaue Bettgestänge.
„So meine wilde Blume“, sagte er, „nichts ist mit trennen. Das kannst du mit mir nicht machen. Wenn du je wieder davon sprichst, wenn dir je wieder der Gedanke daran kommen sollte, werde ich dich zu Tode ficken.“

Gigan küsste meine Füße, gelangte höher, schob mein neues rotes Kleid mit seinem Mund über meine Hüften. Mein wunderschönes Kleid. Burgunderrot. Aus reiner Seide. Mit Ärmeln, die Rosenblättern glichen. Das enge Oberteil verziert mit kleinen Knöpfchen bis zur Taille. Und einem wunderschönen weiten Rock, dessen Saum wieder Rosenblütenblätter zierten. Dieses Kleid entweihte der Dreckskerl schamlos, schob es hoch zu meiner Taille, entfernte mit seinen Zähnen meinen roten Slip, fesselte meine Beine an das blaue Bettgestell, knöpfte langsam die vielen kleinen Knöpfchen des Oberteils auf, sodass meine Brüste für ihn frei lagen.
„Du bist so wunderschön", flüsterte er erregt, während seine Lippen zärtlich über meinen Bauch zu dem leicht gewölbten Schamberg wanderten, „hier", er vergrub sein Gesicht in den rotbraunen Löckchen, „hier, überall, du schmeckst so gut. Ich liebe dich Marie. Meine wilde Blume."

Bestimmt fand er es besonders erregend, mich so zu nehmen. So bewegungslos. Wehrlos. Ihm völlig ausgeliefert. Sollte er. Gegen meinen Willen erschauerte ich immer aufs Neue unter seinen fordernden Berührungen und, verspürte zu meinem eigenen Entsetzen eine nie gekannte wilde Gier in meinem sich wollüstig aufbäumenden Leib. Brutal drang ER in mich. Wellen ungeahnter Lust erzeugend. Meiner Sinne kaum noch mächtig blickte ich in das rote Auge der Kamera. Dann in Gigans wie versteinert wirkende blasse Gesicht.

Horror! Horror pur! Dieser Kerl ist verrückt!

Meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich hatte es geahnt. Gigan war verrückt. Völlig verrückt. Und ich in seiner Gewalt. Und doch liebte ich seine kranken Verrücktheiten. Seine Perversitäten. Seine Grobheiten. Jedenfalls in diesem Augenblick, in dem meine Lust dem Höhepunkt zustrebte. Vielleicht war ich ja selbst verrückt. Wie sonst konnte es sein, dass mir diese Art Liebe gefiel? Dieser Schmerz? Diese Lust?

„Du willst mich verlassen?“ Stöhnend lag Gigan über mir. Abgestützt auf seinen Händen. In seinen weit aufgerissenen Augen einen unbeschreiblichen Ausdruck.
Gier?
Hass?
Beides?
„Ich werde in dir sein, bis dass der Tod uns scheidet", röchelte Gigan, „Marie! Ich liebe dich. Ich ficke, ficke, ficke dich! Bei Gott! Du musst mich lieben. Du musst."
„Du machst mich wahnsinnig", stöhnte ich unter dem Band, „verdammter Kerl! Unschuldiger. Verruchter. Widerlicher. Ich liebe dich!"
„Ich spüre deine Lust. Deine Gier!“ Gigans Stimme war hoch vor Erregung. „Es ist so toll mit uns. Du kannst mich nicht verlassen. Niemals."
Gigan ließ von mir. Gönnte mir etwas Erholung. Er ging in die Küche und kam mit einem Glas Honig zurück, tunkte langsam seine Finger hinein. „Du brauchst keine Angst zu haben", sagte er spöttisch, während er seine honigbeschmierten Finger langsam über meiner Scham kreisen ließ, meine Knospe zum Glühen brachte, sodass die Säfte nur so aus mir herausflossen.
„Ich werde ganz sanft sein.“ Vorsichtig drang er mit seinen Fingern in meine überfließende Öffnung. „Schau IHN an. ER will etwas anderes. Ich muss tun, was ER will."

Etwas triebhaft Grausames sprühte in Gigans Blick. Hart, zügellos stieß er in mich. Zog mich in einen Sog animalischer Tiefen. Ich verglich mich mit einem Fass ohne Boden, in das sich Gigan erbarmungslos ergoss.

„Ich liebe dich! Marie! Meine verrückte, verzweifelte, niemals auszulöschende Liebe!" Gigans hohe sich überschlagende Stimme holte mich aus weiter Ferne zurück. „Ich liebe dich! Ich könnte sterben in dir!"
Dann tu es doch endlich, dachte ich schadenfroh, völlig erschöpft. Dann tu es doch endlich.
Wie hasste ich plötzlich diese Gier, die aus Gigans Unterbewusstsein zu kommen schien. Ich hasste sie und sehnte sie gleichzeitig herbei. Vielleicht hatte ich das Animalische ja selbst in mir? Wagte nur nicht, es auszuleben? Und begegnete ihm deshalb in der Gestalt Gigans?

Sein Gesichtsausdruck hatte sich wieder auf eigentümliche Art verändert. Sein sonst so hübscher Mund sich zu dem harten Strich verzogen. Eisgraue Augen starrten kalt durch mich hindurch. Auf seiner breiten Stirn perlte der Schweiß. Sein Körper glich einer Maschine, die jemand vergessen hatte, auszuschalten.
Ein Dämon, der sich lustvoll in mir austobte.
Nach, wie mir schien, unendlich langer Zeit, riss Gigan mir endlich das Band vom Mund.
Der schweißvermischte Honig lief in kleinen Rinnsalen meine gespreizten, an das Bettgestänge gefesselten, Beine hinab, breitete sich braunfleckig aus auf der Matratze, blieb kleben auf dem blauen Laken.

Gigan befreite mich von den Stricken, küsste mich zärtlich auf den Mund.
Ich blieb liegen, nicht fähig, mich zu bewegen, geschweige zu sprechen. Was sollte ich auch sagen? Ich lag wie erstarrt, vermisste die sonstige, wohltuende Zärtlichkeit.
Das eben Erlebte grenzte an eine brutale Vergewaltigung meines Körpers, meiner Seele. Ungehemmt liefen die Tränen über mein Gesicht. Tränen der Verzweiflung. Der Bitterkeit. Der ungezügelten Lust.
Auch Gigan schien erschüttert. Mit reuigen Worten versuchte er die Spuren seiner perversen Lust zu verwischen. Auch er weinte, während er immer wieder zärtlich mein Gesicht streichelte.
„Meine über alles Geliebte. Meine Sonne, meine Prinzessin, mein kleines süßes Mädchen, bitte, bitte, verzeih mir. Ich wollte dich nicht verletzen. Es kam so über mich. Aber du darfst mich nicht verlassen. Bitte, bitte versprich es mir. Ich habe es nur aus Verzweiflung getan. Ich kann nicht leben ohne dich. Heirate mich. Dann wird alles gut. Dann brauche ich nicht mehr eifersüchtig zu sein. Dann gehörst du mir. Mir allein. Ich ertrage einfach nicht, dass du deinen Mann noch hast, du immer wieder zu ihm gehst, mit ihm schläfst, er dich berührt. Schon der Gedanke macht mich irrsinnig. Du musst ihn verlassen. Er liebt dich doch nicht. Nur ich liebe dich. Ich allein. Begreif das doch endlich. Du, meine wilde Blume. Ich will der wilde Knabe sein, der dich zähmt. Sag, dass du mich auch liebst. Dass du mich niemals verlassen wirst. Niemals!“

Schweig endlich, dachte ich entsetzt, rede nie wieder, berühr mich nie wieder, ich will dich nie wieder sehen, verschwinde endlich aus meinem Leben.

Laut aber sagte ich, was Gigan verlangte. Er durchschaute nicht meine verlogene Heuchelei. Er war zufrieden. An der Art, wie mich küsste, spürte ich sein schon wieder entflammtes Verlangen. Diesmal war er sanft und zärtlich, seine Tränen vermischten sich mit meinen.

„Ist schon gut", sagte ich später beherrscht, „ich verlass dich nicht. Aber mit dem Heiraten musst du dich noch etwas gedulden.“
Sofort war Gigan wieder obenauf. Keine Spur mehr von Reue. Tränen.
Ich verstand gar nichts mehr. Gigan war mir ein Rätsel. Verrückt. Verrucht. Lasterhaft. Ein Rätsel.
Es war weit nach Mitternacht. Ich blieb bei ihm. Er holte das rosenbedruckte Bettzeug aus dem Schrank, wir schliefen eng umschlungen ein. Doch mit in die Träume nahm ich meinen geschundenen Körper, meine zutiefst verletzte Seele.

Am Morgen dann, einem Samstag, war Gigan lieb und zärtlich wie immer.

***



Fortsetzung folgt
 

http://www.webstories.cc 24.04.2024 - 04:49:57