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Preis der Lust/Kapitel 15

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©  rosmarin   
   
15. Kapitel
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Als wir zum Auto gingen war die Sonne längst untergegangen, die Stimmen der Vögel verstummt, die Goldfische schliefen ruhig im Teich, die vielen bunten Blumen und Sträucher verströmten ihren süßlich herben Duft.
Leise fuhren wir durch die Dunkelheit.
„Dann sage ich Zappi also heute Bescheid“, sagte ich, „er soll wissen, woran er ist.“
„Ich liebe dich“, erwiderte Gigan, „nur dich.“
„Jetzt gib aber mal Ruhe“, scherzte ich, „die Nächste, der du das wie ein Papagei immer wieder sagst, wird dir den Vogel zeigen.“
„Ich liebe dich.“
„Apropos Nächste. Wo hast du sie denn kennengelernt, diese Nächste?“
Gigan verzog keine Miene, blickte stur geradeaus, das Gesicht weiß im fahlen Licht der vorbeihuschenden Straßenbeleuchtung.
„Wir standen an einer Kreuzung nebeneinander“, erwiderte er endlich, „sie hörte laute Musik.“

Pause.

„An der nächsten Kreuzung standen wir wieder nebeneinander“, fuhr er fort, „da sprach sie mich an und wir plauderten ein wenig. Ich hatte sie längst vergessen, als wir uns zufällig wieder an einer Kreuzung trafen.“
Ich war sprachlos. Das konnte nicht wahr sein.
„Ich habe ihr meine Telefonnummer gegeben.“

Der spinnt doch. So ein Lügner.

„Hat es geklappt?“
„Sie rief mich an.“
„Sie rief dich also an“, amüsierte ich mich, „das ist ja stark.“

Langsam wurde ich wütend, ich glaubte Gigan kein Wort. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Nicht nach dem Abend. Meinem Fasteheversprechen. Nicht einmal im Scherz durfte Gigan so etwas sagen, nicht einmal denken durfte er es.
Zutiefst gekränkt und verletzt zog ich mich zurück, kein Wort sollte mehr über meine Lippen kommen. So ein Mistkerl. Eine andere Frau geisterte ihm im Kopf herum. Sei sie nun real oder nicht.

Gigan sah noch immer stumm geradeaus. Auch ihm hatte es wohl die Sprache verschlagen ob seiner Unverfrorenheit.
Ich verstand ja, dass es nicht einfach für ihn war, nur mein Geliebter zu sein. Doch war das noch lange kein Grund, mit meinen Gefühlen zu spielen und mich immer wieder zu erpressen. Diesmal auf eine ganz infame Art. Eine andere Frau. Nie und nimmer! Gefühle saßen bei mir immer tief, wuchsen langsam aber stetig. Ganz gleich, welcher Art sie waren. Und jetzt ging es um das Gefühl Liebe. Das höchste aller Gefühle. Und gerade er führte dieses so verletzliche Wort ständig im Mund. Es kam ihm verdächtig leicht über die Lippen. Zu leicht vielleicht?
Weg mit diesen unerfreulichen Gedanken. Gigan würde mich niemals betrügen.
„Ich ruf dich morgen an.“ Gigan hielt kurz an der Ecke vor unserem Haus. „Tschüss“, sagte er kalt und gab mir einen Kuss auf die Wange.

*

Zappi war nicht da. Nur ein Zettel, auf dem stand, er sei zur Teubert gezogen, erwarte meine Entscheidung in Bezug auf Gigan und käme erst zurück, wenn ich mich für ihn entschieden hätte.

In der Nacht fand ich keinen Schlaf. Die Gedanken an das unerfreuliche Gespräch im Auto ließen mich nicht los. Gigan hatte mit seinen unbedachten Worten das Misstrauen in mein Herz gesät. Das Misstrauen, das wuchs und wuchs. Es war mir nicht möglich, die Zweifel an seiner aufdringlichen Liebe wegzuwischen, wie die vielen anderen Dinge, die mich an ihm störten, über die er immer wieder den Deckmantel der Liebe gebreitet hatte wie die Flügel eines Schmetterlings. Und nun hatten diese wunderschönen bunten Flügel Risse bekommen.
Und Gigan sollte einen Denkzettel bekommen. Mit diesem Gedanken schlief ich endlich ein.

Ich hatte den ganzen Tag frei, erst am Abend einen Nachteinsatz mit Wecken. Also genügend Zeit, um Gigan auf seiner Arbeitsstelle zu besuchen, besser, ihn von dort abzuholen, um dann zu mir oder in das Häuschen seiner Oma zu fahren. Unser Häuschen.
Wir mussten unbedingt über das Vorgefallene sprechen. Ich brauchte Klarheit. Konnte nicht ertragen, dass das Misstrauen wuchs und wuchs und womöglich unsere Liebe vergiftete.

Schon in der Mittagspause trieb ich mich auf dem kleinen Parkplatz herum. Es war eine ziemlich belebte Gegend. Immer kamen und gingen Leute. Ab und zu fuhr ein Polizeiwagen Streife. Eigentlich wusste ich nicht so recht, was ich jetzt schon hier wollte, setzte mich in dem nahen Park auf eine kleine Bank, schaute den Kindern auf der Schaukel oder im Buddelkasten zu und träumte von meinem Kind. Würde es ein Junge? Ein Mädchen? Ich liebte es schon jetzt. Und musste noch so lange warten. Wenn überhaupt. In den nächsten Tagen würde ich zum Arzt gehen und mir Gewissheit verschaffen.

Versonnen schaute ich den Kindern zu.
Vielleicht war ja Gigans Phantomfrau sein heimlicher Wunsch? Ein Wunsch, der aus dem Unterbewusstsein stieg, noch keine Formen angenommen hatte und die Realität erobern wollte?
Oder war sie doch real?
Vielleicht hatte Gigan gar nicht gelogen?
Vielleicht war es ihm nur herausgerutscht, weil ich ihn die Enge getrieben hatte?

Unruhig stand ich auf, ging wieder zum Parkplatz. Der rote Suzuki stand in der ersten Reihe. Wie in Trance lief ich zielstrebig auf ihn zu, holte mein braunes Taschenmesser aus meiner weißen Handtasche, setzte es auf das Profil des hinteren Reifens.
„So“, kicherte ich, „das ist für deine Lügen. Du kannst mich doch nicht an dir zweifeln lassen. Ich muss dir doch vertrauen können. Du darfst doch kein Misstrauen säen zwischen uns. Ein winziges Samenkörnchen wächst und gedeiht, wird zur Pflanze, trägt Blüten und Früchte. So ist es auch mit dem Misstrauen.“

Wieder stach ich zu. Mir war, als stäche ich in Gigans Fleisch. Sine Brust. Seinen Po und war erstaunt über das kribbelnd erotische Gefühl, das mich heiß durchströmte. Allmählich verfiel ich in eine Art Rausch.
Gigan durfte nicht mit meinen Gefühlen spielen. Mich belügen. Betrügen. Schon der Gedanke an eine andere Frau war verwerflich. Absurd. Musste bestraft werden. Bestraft, wie Gigan mich bestraft hatte, wenn etwas nicht nach seinem Kopf ging, ich wehrlos in den Fesseln hing, er mich malte, eine hilflose Marionette.

Bei dieser Erinnerung fiel mir Bodo ein. Ich musste ihm unbedingt die Wandlung der Situation erzählen. Was würde er dazu sagen, er, der mir den Dreierfick erspart hatte. Bei dem Gedanken an den Fick, dem mich Gigan gnadenlos ausgeliefert und sich bestimmt brutal über meine Gefühle hinweggesetzt hätte, geriet ich immer mehr in Rage. Wütend stach ich in den zweiten Reifen und glaubte verstehen zu können, was in Gigan vorging, wenn er mich demütigte und quälte. Bestimmt war nicht ich es, die er strafte, es war mein Körper, meine Hülle, an der er sich abreagieren musste, wenn Unsicherheit und Zweifel ihn plagten, er außerstande war, die Intensität seiner übermächtigen Gefühle zu kontrollieren. Ähnliches geschah jetzt mir.
Die Autoreifen waren nicht mehr geformtes Kautschuk.
Verzweifelt stach ich immer wieder in Gigans Körper. Rächte meine verletzten Gefühle.
Ohne Gewissensbisse setzte ich mich nach vollendeter Tat zufrieden auf die von Steinen eingefasste Koniferenrabatte vor Gigans Betriebstür und wartete.

*

„Hast du auf mich gewartet?“ Gigan küsste mich, als sei nichts geschehen, als hätte es das gestrige unerfreuliche Gespräch nie gegeben.
„Das siehst du doch“, sagte ich stupide.
„Komm wir gehen ein bisschen spazieren.“ Gigan nahm meine Hand. „Eine halbe Stunde habe ich ja.“
Wir setzten uns auf dem Kinderspielplatz auf die Bank, auf der ich vorhin gesessen und gegrübelt hatte, und plauderten vertraut wie ein verliebtes Pärchen.

Gigan schaute auf seine Uhr. „Die halbe Stunde ist um.“ Er stand auf. „Ich muss wieder.“
„Schau mal Gigan“, ich zeigte auf den roten Suzuki, „ich glaube, du hast einen Platten.“
Sofort eilte Gigan zum Auto. „Tatsächlich“, fluchte er, „Mist! Der Reifen ist zerstochen. Und sieh doch! Der andere auch! Das muss doch ein Perverser gewesen sein! Wie die Reifen zugerichtet sind!“, grollte er, ging zu seinem Arbeitskeller und kam mit einem langen Kabel zurück, um die Reifen aufzupumpen.
„So ein Pech“, grinste ich schadenfroh, „du Ärmster.“
„Das waren bestimmt Kinder.“ Gigan sah mich zornig an. „Oder warst du das?“
„Ich? Wieso ich? Wie kommst du darauf?“, sagte ich gekränkt, „wenn du das glaubst, kann ich ja gleich gehen!“

Dieser verdammte Kerl hatte doch tatsächlich einen sechsten Sinn.

„Du kannst mich mal!“, rief ich und rannte empört davon.
„So warte doch! Bleib doch stehen.“ Gigan hatte mich eingeholt. „Was ist denn los? Es war ein Spaß. Du verstehst doch sonst jeden Spaß.“
„Diesmal aber nicht. Nicht solchen. Das ist eine Unterstellung“, entrüstete ich mich.
„Klar warst du es nicht“, sagte Gigan und küsste mich, „sei wieder lieb“, bat er, „wir treffen uns morgen und gehen ins Hen gu ar schön essen. Ja?“
„Gut.“

*

„Ich gratuliere. Sie sind schwanger im dritten Monat.“ Herr Dr. Simon reichte mir die Hand. „Alles in Ordnung. Da wird sich Ihr Mann aber freuen.“
„Das wird er“, freute ich mich und dachte an die unerfreulichen Dinge der letzten Tage.
„Sie müssen sich schonen“, riet mir der Doktor, „keine Aufregung. Keine körperlich schwere Arbeit. Viel frische Luft und Bewegung. Und viel Freude. Ich erwarte Sie mit Ihrem Mann. Dann besprechen wir gemeinsam alles Weitere.“

Ich hätte am liebsten einen Luftsprung gemacht. Es war Realität. Ein Kind! Endlich. Nun würde sich mein Leben gründlich ändern. Gigan und ich würden heiraten und glücklich und zufrieden mit unserem Kind bis ans Ende unsere Tage leben. Wir im Märchen.

Ich war eine naive Traumtänzerin. Unser Leben änderte sich tatsächlich. Allerdings nicht, wie erträumt, denn von den Ereignissen, die mich ab jetzt überrollen sollten, wie eine Lawine einen nichts ahnenden Wanderer, konnte ich natürlich nichts ahnen.

Noch erregt und aufgeregt von der frohen Botschaft kaufte ich mir im Kaufhof Galeria am Alexanderplatz eine rote Seidenbluse und im Blumengeschäft eine rote Rose. Für Gigan. Den Vater meines Kindes. Die hatte er sich verdient.

Ich lief zurück, setzte mich auf die Steine und wartete.
Als Gigan auf mich zukam, sprang ich auf und überreichte ihm mein Geschenk.
„Für dich.“
Achtlos, ohne ein Wort, nahm Gigan die Rose entgegen.
Warum fragt er nicht, aus welchem Anlass ich ihm eine rote Rose schenke, dachte ich erstaunt. Das hatte ich noch nie getan. Er bekommt doch nicht jeden Tag eine rote Rose zur Begrüßung von mir, wie ich ehemals von ihm.
Enttäuscht behielt ich die Überraschung für mich.

„Kommst du mit zu mir?“, fragte ich abgekühlt, „ich muss dir etwas sagen.“
„Ich habe nur eine Stunde Zeit.“ Gigan schloss meine Wohnung auf und schob mich in den Korridor.
„Wieso das?“, wunderte ich mich wieder, „es ist doch Wochenende.“
„Ich muss mit meinen Eltern noch was erledigen.“ Gigan drängte mich ins Schlafzimmer. „Vorerst will ER aber noch was von dir. Komm!“
„Lass Gigan“, wehrte ich mich, „nicht hier, „Zappi könnte überraschend auftauchen.“
„Doch hier! Wäre doch geil, wenn er es sähe“, knurrte er wütend, „dann wüsste er, wie du es brauchst.“
„Hör auf damit!“, schrie ich, „ich muss dir was sagen!“
Doch Gigan hörte nicht auf, riss stattdessen ungeduldig die neue rote Seidenbluse auf, sodass ihm meine Brüste entgegensprangen, barg sein Gesicht zwischen ihnen, saugte unbeherrscht die Nippel in seinen Mund, zog mir Mini und Slip herunter, drehte mich um, presste mich bäuchlings auf die Matratze und drang ohne Vorspiel heftig in mich ein. Ich schrie laut auf vor unerwartetem Schmerz.
„Sei still!“, befahl Gigan, als wäre es ein Spiel, „lass mich! Es muss sein.“ Brutal spreizte er seine Hand unter mir, zwang mich auf die Knie. Wie damals im Garten, als diese Art der Berührungen ihren Anfang genommen hatte und fast zum Ritual geworden war.
„Hör auf damit Gigan!“, flehte ich und hatte Angst um das ungeborene Kind, „ich muss dir was sagen. Es geht nicht mehr so.“
„Und ob es so geht“, höhnte Gigan, „nur das ist unsere Art. Nur so sehen wir die Engel und Teufel im Himmel tanzen. Nur so“, stöhnte er, hielt inne, ließ mich verschnaufen, löste sich von mir, warf mich auf das Bett und sich über mich.

Als die Stunde um war, Gigans wilde Lust gestillt, stand er endlich auf.
„Ich hol dich morgen um neun Uhr ab.“ Seine Eisaugen glitzerten kalt, „wir fahren in den Garten.“
Ohne mich noch eines Blickes zu würdigen, schlug Gigan die Tür hinter sich zu.

Ich war nicht fähig, mich zu bewegen. So wie Gigan mich verlassen hatte, ohne nachfolgende Zärtlichkeit, benutzt, gedemütigt, misshandelt, lag ich lange wie erstarrt auf dem Bett, nicht fähig, zu realisieren, was eben geschehen war.

Das war nicht Gigan. Niemals! Nur ein gefühlloses Monster konnte sich so gebärden. Das war kein Spiel. Das war Horror pur.
Entsetzt starrte ich auf die Dessous, den Rock, die neue Bluse, die zerrissen vor dem Bett auf dem Parkett lagen.

„Ich habe das Kind eines Monsters im Leib“, flüsterte ich fassungslos, „das Kind eines Monsters.“

***



Fortsetzng folgt
 

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