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Preis der Lust/Kapitel 25

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©  rosmarin   
   
25. Kapitel
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„Wie siehst du denn aus?“, begrüßte mich Gila auf ihre charmante Art, „so dünn. Und deine Lippen sind auch zu stark geschminkt.“
„Wir haben uns lange nicht gesehen“, sagte ich, „da verändert sich halt der Mensch.“ Ich nahm Gilas Blazer, hängte ihn auf einen Bügel an die Garderobe und fragte: „Willst du was trinken?“
„Was hast du denn anzubieten?“ Gila folgte mir in die Küche.
„Kaffee. Wasser. Tee. Wein. Kognak. Alles da. Wie immer.“
„Dann nehme ich erstmal einen Kognak. Auf den Schreck ob deiner Veränderung.“
„Und dann gibt’s einen schönen Kaffee. Und dann
einen schönen Wein. Komm, wir setzen uns ins Wohnzimmer.“

Wir plauschten angeregt über Gott und die Welt und vermieden das Thema Gigan ganz bewusst, wir hatten ja den gestrigen Vorfall ausgiebig am Telefon erörtert und auch sonst über das in letzter Zeit Vorgefallene gesprochen, besonders, als ich in der depressiven Phase steckte.
Plötzlich schreckte uns nerviges Telefongeklingel aus der Unterhaltung.
„Nimm du ab“, forderte ich Gila auf. Ich hatte nicht die geringste Lust, mich antuten zu lassen. Andererseits könnte es ja auch etwas Wichtiges sein.
Kaum hatte Gila den Hörer am Ohr, ließ sie ihn fallen, saß kreideweiß steif im Sessel, starrte mich entsetzt an.
„Ich krieg dich. Ich krieg dich...“, grunzte die unheimliche Stimme aus dem baumelnden Hörer.
„Das ist ja gruselig“, flüsterte Gila, nachdem sie sich etwas beruhigt hatte, „ich würde ja verrückt. Wie hältst du das nur aus? Ich wäre schon längst in der Klapper. So ein Schwein.“
„Soweit will der mich bringen“, sagte ich, bemüht, cool zu bleiben. „Der will mich in den Wahnsinn treiben. Das ist doch klar.“ Ich legte den Hörer auf die Gabel und zog den Stecker aus der Dose. Kein perverser Anrufer sollte uns mehr stören. „Und schon sind wir wieder beim Thema“, sagte ich frustriert, „der Kerl geistert doch überall herum.“
„Könnte es sein, dass er es gar nicht ist“, fragte Gila vorsichtig, „vielleicht steckt ja jemand anderes dahinter.“
„Und wer sollte das bitte sein?“, wies ich die Frage empört zurück, „wer sollte sonst ein Interesse daran haben, mich auszuschalten? Vielleicht hat er ja Angst, ich könnte ihn anzeigen wegen der Drogen und der Vergewaltigung. Das ist doch ein brauchbares Motiv. Oder?“
„Das würdest du nicht tun“, zweifelte Gila, „oder?“
„Natürlich würde ich es nicht. Die Vergewaltigung geschah ja mit meinem Einverständnis, war mehr so ein Spiel.“
„Na bitte. Und die Drogen?“
„Ist auch fade. Ich weiß nur, dass wir welche genommen haben. Aber nicht mal, was es war.“
„Ich denke Kokain, so wie du es beschrieben hast.“
„Macht das Lust auf Sex? Erst geil und dann willenlos?“
„Das weiß ich doch nicht. Vielleicht war noch was anderes reingemixt.“
„Ist auch egal. Jedenfalls hat es ganz schön abgehoben. Und ich vermisse es wahnsinnig.“
„Klar“, sagte Gila, „wollen wir jetzt den Wein trinken?“ Ich schenkte die Gläser voll. „Dein Hormonhaushalt muss ja jetzt völlig durcheinander sein“, stocherte Gila weiter in der Wunde, „so ganz ohne Sex. Oder hast du mit Zappi?“
„Willst du mich foppen? Natürlich nicht. Aber mit meinen Hormonen scheint tatsächlich nicht alles zu stimmen. Vielleicht stehe ich deswegen auch so oft neben mir.“
„Sag ich doch. Sexentzug. Oder Drogenentzug.“
„Oder beides“, lachte ich, „verrückt, verrückt.“

Wir tranken und lachten und waren fröhlich wie in alten Zeiten.
„Begleitest du mich noch zum Bus?“ Gila stand auf, zog ihren Blazer über, ging zur Tür. Ich hinterher.
Kaum waren wir drei Stufen im Treppenhaus hinunter gestiegen, zerriss ein lauter Knall die Stille im Haus. Vor Schreck blieben wir stehen.
„Jemand hat auf uns geschossen!“, flüsterte ich, während mich der Schreck nachträglich durchfuhr wie ein Blitz, „guck mal, hier steckt doch die Kugel.“
Die Kugel steckte in der oberen Kante der Treppe, auf der wir wie erstarrt standen und ätzender Qualm sich wie ein Schleier über unsere Augen legte, brandiger Gestank uns das Atmen erschwerte.
„Ich blute! Ich blute!“ Gila kauerte sich wimmernd auf den Treppenabsatz. „Ich blute aus den Ohren!“

Die Tür zu den Hauskellern wurde zugeschlagen. Einige Mieter steckten ängstlich ihre Köpfe aus den Wohnungen und riefen nach der Polizei. Herr Weber, ein stämmiger Mann Mitte vierzig, trat entschlossen vor die Tür. „Der Mörder darf nicht entkommen!“, rief er. „Meine Kollegen sind schon unterwegs! Bewahrt die Ruhe!“

Kurze Zeit später rückte die Polizei mit fünf Mann an und befragte die Leute. Niemand hatte den Täter gesehen, niemand hatte einen Verdacht. Wir waren ein ruhiges Haus ohne jegliche Skandale. Und nun so etwas.
„Wir werden den Täter finden“, beruhigte eine Polizistin die Mieter, „gehen Sie wieder in Ihre Wohnungen, wir kümmern uns um alles Weitere.“

*

„Ich muss jetzt zum Arzt“, sagte Gila, „zeig ihn endlich an, diesen Wichser. Der bringt dich wirklich noch um.“
„Ich komme mit. Wir gehen zu meiner Ärztin. Das sind nur zehn Minuten.“
„Ich habe eine Idee“, sagte Gila, während sie eine Packung Zellstofftaschentücher an ihr blutendes Ohr hielt.
„Eine Idee?“
„Ja.
„Und?“
„Ich könnte dir eine Pistole besorgen. Andi hat Kontakt zur Russenmaffia. Die Russen lösen doch jetzt alle ihre Lager auf. Bei denen herrscht das reinste Chaos. Die sind froh, wenn sie ein paar Mark verdienen. Waffen haben die ja in Hülle und Fülle.“
„Du spinnst“, sagte ich, lenkte aber sogleich ein, „keine schlechte Idee.“ Ich dachte an die Pistolenszene und das unwahrscheinlich erotische Gefühl, das mich durchflutet hatte, als ich das kleine schwarze Mörderding in meiner Hand hielt. „Abgemacht, frag ihn“, war ich einverstanden.

Im Wartezimmer setzten wir unser Gespräch flüsternd fort. Die drei Patienten, die auf ihren Stühlen saßen, brauchten nicht alles mitzubekommen.
„Und dann bringe ich ihn um“, sagte ich, „bevor er mich umbringt. Mir reicht es. Ich bin schon halb verrückt.“
„Bestimmt hat der auch deinen Schlüsselbund gestohlen“, sagte Gila, „er weiß doch, dass man durch die Kellergänge in alle Hauseingänge gelangen und sich verstecken oder zu einem anderen Ausgang heraus kann. Und in dem Haus sind zwölf Eingänge. Da konnte die Polizei natürlich nichts ausrichten.“
„Stimmt“, stimmte ich zu, „und ein Fremder weiß ja nicht, wo ich wohne.“

Ein Glück, dass Zappi gleich das Wohnungsschloss ausgewechselt hatte. Nicht auszudenken, was sonst geschehen wäre.

„Ich muss zum Ohrenarzt“, sagte Gila, die geknickt aus dem Ärztezimmer trat, „aber das Blut ist erstmal gestillt.“

*

Kaum war ich zu Hause, war Bernd am Telefon. Er wollte sich noch immer mit mir treffen, was ich für keine gute Idee hielt. So unterhielten wir uns oft ausgiebig am Telefon und ich war über die Rotgefärbte und Gigan im Bilde.
„Gigan steht völlig unter ihrem Pantoffel“, informierte mich Bernd. „Das hat Mutter gesagt. Und Vater hat sie neulich rausgeworfen.“
„So?“
„Ja. Die wollte meinen Eltern doch tatsächlich vorschreiben, welches Fernsehprogramm sie einschalten sollten. Stell dir das mal vor.“
„Ist ja krass.“
„Und dann wollten die hier gucken.“
„Hast du sie gelassen?“
„Spinne ich? In meinem Haus bestimme ich“, sagte Bernd selbstbewusst, „übrigens sprechen wir oft über dich.“ Bernd machte eine Pause, ehe er weitersprach, „das heißt, ich spreche oft von dir. Gigan rastet ja völlig aus, wenn ich nur deinen Namen erwähne. Als der Kleine neulich fragte, wann Marie mal wieder käme, hat der geschrieen: ‚Halts Maul! Und sag nie wieder diesen Namen. Außerdem hättest du mir auch den Kopf verdreht.“
„Denkst du das auch?“
„Ja. Aber nicht so, wie Gigan das meint. Ich mag dich sehr. Du kannst jederzeit zu mir kommen. Auch ohne Kind. Das weißt du.“
„Danke. Aber das ist nicht nötig“, sagte ich distanziert, „es geht schon. Richte Gigan bitte aus, er soll die blöden Anrufe lassen.“
„Er sagt, er sei es nicht. Er bekäme auch dauernd welche und denkt, dass du es bist.“
„So ein Unsinn. Aber gute Idee.“
„Und Frau Nesselhof sagte, du hättest die Reifen zerstochen und wenn du ihre Reifen zerstechen solltest, würde sie dich anzeigen.“
„Wo steht denn ihr Autochen?“, fragte ich, „welche Nummer hat es denn? Welche Marke?“
„Weiß ich auch nicht.“

Am liebsten hätte ich Bernd von dem gestohlenen Schlüsselbund, dem Mordanschlag und dem Dreier im Keller erzählt. Doch eine innere Stimme warnte mich. Ich vertraute ihm nicht. Bestimmt log er genauso wie sein Bruder.

„Bis dann“, verabschiedete ich Bernd und hatte das Bedürfnis, zu meditieren, wie es in letzter Zeit meine Gewohnheit war.

Wir Menschen trügen etwas Außergewöhnliches, Einzigartiges, in uns hatte ich mal gelesen, definierten uns und unsere Realität nach unseren eigenen Vorstellungen und Überzeugungen. Und wenn wir in den begrenzten Vorstellungen verharrten, die unsere Kultur zeigt und lehrt, begrenzten wir uns in unseren Möglichkeiten und unserem Ausdruck.

Stimmt, dachte ich, am Anfang steht unser Denken. Gedanken erschaffen unsere Einstellung. Gedanken sind Energie. Und nach Max Planck ist Energie Schwingung und diese entspricht laut der Quantenphysik einem multidimensionalen Schwingungsfeld, das wir durch unsere Gefühle, die der emotionale Ausdruck unserer Seele sind, wahrnehmen, also einer Anzeigetafel, der auf gedanklicher Ebene erzeugten Schwingung. So finden wir also im Außen vor, was unserem Inneren entspricht, auch wenn uns das nicht bewusst ist. Alles, was uns geschieht, ist demnach der Ausdruck unserer Gedanken, von uns selbst initiiert. Dann war also alles, was mir widerfahren ist und noch widerfahren sollte, mein ureigenstes Wollen?

Auch gut, mal sehen, was ich alles noch so wollen werde. Soll doch mein Unterbewusstsein ans Licht des Tages bringen, was mein Bewusstsein noch nicht weiß.

Es gibt verschiedene Arten der Meditation. Meine war, mich ganz und gar auf eine Sache zu konzentrieren, nämlich auf das, was mich am meisten beschäftigte und mich ganz ausfüllte. Gigan.

Im Lotussitz setzte ich mich auf den Teppich, versank in meinen rituellen Tagträumen, erfüllt von vollkommener Ruhe und stiller Freude. Allmählich drang ich tiefer in mein Inneres und erblickte ein faszinierendes Bild.
Ein grauer Fiat mit einer Frankfurter Nummer FF…, stand auf einem Parkplatz vor einem großen öffentlichen Gebäude. Auf der Ablage des Autos drängelten sich eine Unmenge Kuscheltiere. Es nieselte. Leute liefen geschäftig hin und her und hatten die Regenschirme aufgespannt.

Plötzlich sah ich mich selbst, wie ich diabolisch lächelnd mit dem braunen Taschenmesser die vorderen Reifen des grauen Fiat zerstach, während Frau Nesselhof in der Tür des Gebäudes wild mit ihren Armen herumfuchtelte, laufen wollte, doch wie angewachsen auf der Stelle trat, etwas sagen wollte, doch ihr Mund stumm blieb und der Regen unaufhaltsam auf sie hernieder tröpfelte.
Ich lachte hysterisch und ging langsam in die Richtung aus der ich gekommen war.

Ich holte mich zurück, folgte wie in Trance Marie zwei und verließ die Wohnung.

*

Zielstrebig liefen wir zur Kreuzung Breite Straße, verharrten kurz, bogen in die Leipziger Straße, überquerten die Gertraudenbrücke, gingen rechter Hand vorbei an der Deutschen Bank, vor der sich hinter dem Kinderspielplatz die Parkplätze befanden, schlenderten an den Autos vorüber, liefen langsam bis zur Ecke. Und richtig. Auf der rechten Seite gegenüber der Tür vor dem riesigen Gebäude, der Deutschen Bank, stand das Auto der Rotgefärbten. Ein Fiat. Grau. FF… , und die Kuscheltiere stapelten sich auf der Ablage wie auf dem Kuscheltierfriedhof.

Mit traumwandlerischer Sicherheit hatten wir das Auto gefunden. Kein anderes hatte uns interessiert.
„Gut gemacht“, lobte Marie Marie zwei.

Es war Mittagszeit. Leute kamen und gingen. Ich beachtete sie nicht, spürte nicht den Nieselregen, holte ruhig und entspannt das Taschenmesser aus meiner weißen Handtasche, zerstach die zwei vorderen Reifen, setzte noch eins drauf und ritzte auf die Kühlerhaube in Großbuchstaben Verräter.
„Sei nicht so hochnäsig, du alberne Kitschfrau“, murmelte ich, „Gigan hat dich nur genommen, weil er mich nicht haben kann. Weil ihm die Trauben zu hoch hängen. Doch diese Fabel wirst du wohl nicht kennen. Zeig mich doch an! Alberne Kitschfrau!“ Zufrieden besah ich mein Werk. „Das ist der Anfang“, wandte ich mich an Marie zwei. Doch die war verschwunden. Ich ging allein zurück.

*

Kaum war ich in der Wohnung, klingelte das Telefon.
„Ich weiß alles von dir“, knurrte die gruselige Stimme, „ich weiß, wo du warst. Ich weiß, was du eben getan hast. Ich beobachte dich. Du entkommst mir nicht!“
„Melde dich! Du Irrer!“, wütete ich, „du kannst mir keine Angst einjagen. Idiot!“
Aus dem Telefon ertönte grässliches Gelächter.
Ich knallte den Hörer auf. Sofort klingelte es wieder.
„Ich krieg dich! Ich krieg dich!“
„Gigan“, sagte ich, betont ruhig, „wenn sich herausstellt, dass du der feige Anrufer bist, kannst du was erleben.“
„Ich krieg dich. Ich krieg dich...“
„Verdammter Wichser!“
„Ich krieg dich. Ich krieg dich“, lachte die verzerrte Stimme.

Gepackt von einem Anflug Wahnsinn riss ich das Kabel aus der Wand, warf das Telefon gegen den Tisch, hob es auf, schleuderte es gegen den Schrank, hob es wieder auf, zerschmetterte es endgültig an der Tür, hockte mich verzweifelt auf den Teppich, starrte verständnislos auf die unzähligen winzigen Teilchen in meinen Händen, warf sie um mich, sammelte sie auf, schmiss sie wieder weg. Allmählich wusste ich nicht mehr, wo ich mich befand, stierte mit leerem Kopf vor mich hin. Plötzlich sprang ich auf, rannte irr durch alle Zimmer, riss alles nieder, was mir im Wege war.
„Nein! Nein! Nein!“, schrie ich wie von Sinnen. „Du kriegst mich nicht! Nein! Nein! Nein! Du kriegst mich nicht! Verrecken sollst du! Verrecken! Verrecken! Verrecken!“

*

Als Zappi nach Hause kam, fand er mich völlig erschöpft schlafend unter dem umgeworfenen Tisch im Wohnzimmer.
Am nächsten Tag brachte er ein altes Telefon aus seinem Betrieb mit.
„Vorläufig“, sagte er, „zu deinem Geburtstag bekommst du ein neues. Mit Anrufbeantworter, so dass du nicht mehr abzunehmen brauchst, wenn sich niemand meldet. Dann wird es dem perversen Anrufer schon vergehen.“

Kaum war das alte neue Telefon angeschlossen, schrillte es.
„Du hast es also doch gewagt, mein Schatz“, sagte Gigan mit seiner zärtlichsten Stimme.
„Was gewagt?“
Unerwartet war die Rotgefärbte dran.
„Von wegen mein Schatz“, keifte sie. „Das könnt ihr vergessen! Und red dich nicht raus. Du hast meine Reifen zerstochen. Das sollst du mir büßen. Wenn Gigan so dumm ist und dir immer wieder glaubt, ich bin es nicht. Ich zeige dich an.“
„Ist mir doch egal“, keifte ich zurück und knallte den Hörer auf die Gabel.
Es schrillte wieder. Zappi nahm ab.
„Nein. Wie kommst du denn darauf?“, fragte er. „So etwas würde sie nie tun. Ich verstehe euch nicht. Könnt ihr euch nicht wie vernünftige Menschen verhalten. Lass sie endlich in Frieden. Du hast ihr schon übel genug mitgespielt. Reicht es dir immer noch nicht? Nein, sie war es nicht.“
„Wer war es?“, fragte ich neugierig.
„Gigan.“
„Was hat er gesagt?“
„Ob du die Reifen von seinem und ihrem Auto zerstochen haben könntest.“
„Und?“
„Du hast doch gehört, dass ich gesagt habe, dass du es nicht warst.“ Zappi guckte mich eindringlich an. „Sag mal ehrlich“, fragte er, „warst du es?“
„Iwo“, sagte ich überzeugt, „ich bin doch nicht ganz
blöd.“

Ich bildete mir tatsächlich ein, es nicht gewesen zu sein und freute mich gleichzeitig, das Auto der lieben Frau Nesselhof ramponiert zu haben.
Plötzlich fiel mir das Orakel und das Versprechen, es an Gigans Arbeitstür zu kleben, ein.

Mit dem Zettel in meiner Tasche machte ich mich auf den Weg. Als ich die Kreuzung Jannowitzbrücke überqueren wollte, rempelten mich zwei junge Männer an. Ich versuchte auszuweichen, doch die Kerle versperrten mir den Weg. Der größere glotzte in den Ausschnitt meiner Bluse.
„Ist das eine Aussicht“, lachte er rüde, „so eine Pracht. Ich werd verrückt.“
„Verschwinde! Du Gaffer“, fauchte ich, „oder ich tret dir in die Eier!“
„Na, na.“ Der Kerl schob seine Hand in meinen Ausschnitt.
Fast hätte ich mich übergeben, als ich die widerliche Hand auf meiner nackten Brust spürte, hob im Reflex ein Knie und stieß es dem Frechling mit voller Wucht zwischen die Beine. Der Mann schrie laut auf vor Schmerz. Der andere Kerl gab mir einen Stoß, ich stolperte auf die Fahrbahn. Autos rasten an mir vorüber. Fahrer hupten. Die Menschen an der Kreuzung schrieen mir unverständliche Worte zu.

Später war es mir ein Rätsel, wie ich unversehrt von der Fahrbahn gekommen war und wieder mit all den anderen Menschen wartend an der Kreuzung stand.
„Ich habe dich beschützt“, sagte Marie zwei, „hab keine Angst. Ich bin immer bei dir.“

Die Männer waren verschwunden. Die Ampel zeigte Grün. Ich lief zu Gigans Arbeitsstelle und klebte das Orakel an die blaue Tür.

***


Fortsetzung folgt
 

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