... für Leser und Schreiber.  

Hoher Besuch

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© Christian Dolle   
   
Der Ministerpräsident kommt. Für Journalisten ein Pflichttermin, meist nicht besonders aufregend, dafür aber ein Fauxpas, wenn man nicht dabei ist. Und in aller Regel zum Glück auch ein Termin, der ebenso schnell vorbei ist, wie er beginnt. So ziehe auch ich mit Notizblock und Kamera los, um einige vielsagende O-Töne und mindestens ein gutes Titelfoto einzufangen.
Als ich am Grenzlandmuseum, das der Regierungschef für seinen Besuch in der Region ausgewählt hat, erreiche, steht dort schon das übliche Empfangskomitte. Museumsleiter, Museumsgründer, einige Mitarbeiter und natürlich auch schon ein paar Kollegen. Unverbindliches Händeschütteln, die üblichen Begrüßungsformeln. Einer der Herren stellt mir seinen Enkel vor, der ja unbedingt auch einmal Journalist werden möchte. Der Junge schüttelt mir artig die Hand, beschäftigt sich dann wieder mit seinem Smartphone. Ich nehme meinen Platz in der Reihe neben den anderen Schreiberlingen ein. Könnte ja immerhin sein, dass die Staatskarosse früher als geplant um die Ecke biegt und wir die Kamera schnell im Anschlag haben müssen.
Natürlich kommt der Ministerpräsident nicht früher als erwartet, dafür aber nach und nach etliche Ratsmitglieder, der Bürgermeister und so ziemlich jeder, der sich im Ort sonst noch für wichtig hält. Erneutes Händeschütteln und erneuter Austausch von Belanglosigkeiten. „Weißt du, warum er eigentlich herkommt?“, fragt mich einer der Kollegen. Weiß ich nicht. Für uns war erstmal nur wichtig, dass er kommt und dass wir etwas zu berichten haben.
Als die geplante Ankunftszeit ereignislos verstreicht, kommt allmählich Unruhe in die Gruppe. „Ich habe gehört, er kommt heute doch nicht, sondern fährt nach Berlin“, sagt jemand. Nein, die Sicherheitsleute sind doch längst im Museum und haben jeden der Ausstellungsräume gesichert. Er wird schon gleich kommen. Einige der Ratsleute nutzen die Gelegenheit, um uns auf ganz wichtige Termine aufmerksam zu machen, zu denen sie uns eigentlich längst hatten einladen sollen. Natürlich können wir Journalisten uns ja auch alles, was uns so zwischen Tür und Angel zugeworfen wird, merken. Zumindest können die Herren hinterher aber behaupten, sie hätten uns eingeladen.
Dann endlich biegt ein schwarzer Wagen mit getönten Scheiben auf den Hof. Erst als der Ministerpräsident ausgestiegen ist und sich das Jackett übergezogen hat, zücken wir die Kameras. Eine dieser unausgesprochenen Konventionen. Dafür wird beim anschließenden Händeschütteln draufgehalten, was das Zeug hält. Danach die üblichen Fragen, ob er trotz der gesperrten Bundesstraße gut hergefunden habe und die üblichen Antworten, wie schön die Landschaft hier doch sei.
Nach ein paar offiziell klingenden, aber ebenso belanglosen Begrüßungsworten verschwindet der ganze Tross im Museum. Die Mitarbeiter erläutern euphorisch ihre Exponate, der Ministerpräsident legt manchmal einen Finger ans Kinn, hört ansonsten mit interessiertem und teils betroffenen Gesichtsausdruck zu. Nein, der Jahrestag des Mauerfalls sei nicht der Grund seines Besuchs, das sei nur eine zufällige zeitliche Nähe.
Eine halbe Stunde dauert der Rundgang, danach muss er sich noch ins goldene Buch eintragen und wieder viele Hände schütteln. Einer der Herren stellt ihm seinen Enkel vor, der ja unbedingt auch einmal Politiker werden will. Anschließend wendet der Ministerpräsident sich wieder seinem Fahrzeug, der Junge sich seinem Smartphone zu. Es werden noch ein paar Floskeln über die gelungene Museumsführung ausgetauscht, dann löst sich die Gruppe langsam auf.
„Und was schreiben wir jetzt?“, fragt mich ein Kollege. Der Ministerpräsident war da. Große Politik in unserem kleinen Ort. Aufmacher, Titelseite. Das Übliche eben.
 

http://www.webstories.cc 19.04.2024 - 01:25:32