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Das Grauen vor Lampedusa (eine Meer-Ballade)

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© Frank Bao Carter   
   
Auf peitschen die Wogen,
Zehn Meter hoch.
Schwarz ist die Nacht,
Von Wolken verhangen.
Auf ihrem Kamm tragend
Zehn Boote in Not.
Schreiende Menschen,
Weinende Kinder.
Kämpfende Arme,
Poseidon zum Trotz.
Fliehend dem Hungertod,
Der Gewalt herrschaftlicher Struktur.

Krachend fällt der Kutter
Ins Wellental.
Hat´s ihn zerstört?
Nein, er blieb ganz.
Erneut die Fahrt zum Himmel,
Von Neuem die Todesangst.
Ein Bersten, ein Kreischen -
Von keinem vernommen.
Auf dem nächsten Wasserberg:
Bohlen, Bretter, Seesäcke,
Ein schreiender Kopf, ein brauner Arm,
Dreißig Leben waren gewesen.

In Taneeshas Armen
Ihr schreiendes Kind.
In den Augen der Schlepper
Panik und Wut.
Grausam wird ihr
Das Kind entrissen.
Hoch fliegt es hinaus
In die Schwärze der Nacht.
Taneesha will ihm nach,
Den Tod verlachen.
Doch eisern hält Obinna sie fest,
Der Vater ihrer Kinder, ihr Gemahl.

Neun Boote in Not,
Sagt der Radar.
Nicht weit von der Küste,
Doch die Wache schweigt.
Selbstmord, wer jetzt führe:
„Seht selbst, jetzt nur noch acht!
Sollten auch wir
Unter die Hufe
Poseidons Rösser geraten?
Ich sage euch: Nein.
Sie haben sich den Tod selber erlesen.
Unschuldig in ihrer Schuld verfangen.“

Das Boot neben Taneesha,
Schnell frisst es die See.
Last müssen sie abwerfen,
Sonst werden die Haie
Sie alle verschlingen.
Schon packt ein Schlepper,
Taneesha am Arm,
Schon kommt der zweite,
Zu greifen ihren Fuß,
Da tritt hervor Obinna.
Heiß dringt der Dolch in des Vaters Herz,
Dem Baby folgt der Gatte.

Rum trinken die einen,
Die anderen Tee.
Gebannt den Blick auf den Radar.
Wenn doch nur das Ende käme,
Sie zu lösen aus der Pflicht.
Da erschüttert sie alle
Die zornige Stimme
Andrea Sarellis.
Ein Baum an Mann
In der Tür zur Brücke.
Eine Legende auf stürmischen Wassern,
Ein Berserker der Gerechtigkeit.

Ein Sturz in das Tal,
Wie lange noch?
Taneeshas Bub,
Drei Jahre alt,
Fest seine Ärmchen
Ums Bein der Mutter geschlungen;
Zitternd und weinend vor Angst.
Ganz hinten in der Menge
Hat sie Schutz gesucht
Und weiß, sie ist allein.
Schon zeigt der eine auf die Mutter.
Schon knackt der andere seine Finger.

„Hab ich nicht einst
Dich, Davide, und Dich Simone,
Den Rössern entrissen?
Noch heute dankt´s mir
Eure Mutter.
Was ist mit deren Müttern?“
Sein Finger weist mahnend
Auf den Radar.
„Geschick, Mut und Gottvertrauen
Sind damals meine Gefährten gewesen.
Vertraut unserer heutigen Technik.
Wir werden es schaffen.“

„Mich kriegst Du nicht
Hinaus in die See,
Andrea Sarelli!
Mein Leben als Tausch
Für die Todgeweihten?
Niemals. Mein Schwur.
Sie schaffen uns nur Probleme.“
„Sicherlich, so ist die Zeit.
Doch wir sind stark,
Unser Land ist nicht schwach.
Denkt jetzt nicht an die Zukunft.
Die Gegenwart heißt Leben retten.“

Schon sind es nur noch sechs.
Unermüdlich die Gier der See.
Die Masse in Angst,
Schiebt Taneesha nach vorne,
Heran zu den gierigen Händen,
Den Fratzen des Todes.
Das Schreien ihres Bubes
Ihr letzter Lebenswille;
Wie sehr doch lockt die See.
Hoffnung zerplatzt,
Kein Entkommen dem Elend.
Die Armen werden ans Kreuz geschlagen.

Alles Ersparte, hinfort,
Die Hoffnung auf ein
Bisschen Menschlichkeit
Erloschen. Verweint.
Die Unmenschen heben an,
Ihr Werk zu vollenden.
Schnell fasst der eine ihre Arme,
Packt der andere sie bei den Füßen,
Schaukeln beide sie grölend
In der pechschwarzen Nacht.
Da erfasst ein Lichtstrahl das Boot.
„Die Leitern herab!“ schreit Andrea Sarelli.
 

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