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Als ich den Hund von Eva Herman auf dem Schoß hatte

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© Christian Dolle   
   
Plötzlich habe ich den Hund von Eva Herman auf dem Schoß. Und dabei ist das noch nicht einmal das Skurrilste an diesem Abend, der mich noch lange beschäftigen soll. Es ist eine Charity-Veranstaltung, ein Live-Talk, dessen Erlös einer Hilfsorganisation für Kinder zugute kommt. Dazu werden jedes Mal mehr oder weniger prominente Gäste eingeladen, meist sind es ehemalige Teilnehmer der diversen Castingshows, deren Namen ich normalerweise nicht kenne und mir ehrlich gesagt auch gar nicht merken will. Oft sind aber auch Leute dabei, die aus dem ganz großen Rampenlicht verschwunden sind und die dadurch umso interessanter sind, erst recht, wenn sie vor kleinem Publikum mehr von sich preisgeben als vor den großen Kameras.
In diese letzte Kategorie gehört vielleicht auch Eva Herman, die seit ihrem Rauswurf bei der Tagesschau zwar fleißig publizierte, aber nie wieder die Aufmerksamkeit erreichte wie mit ihren Ausführungen zu den klassischen Geschlechterrollen, die ja im Dritten Reich noch so viel mehr in Ordnung waren als heute. Das letzte, was ich von ihr gelesen habe, war ein Artikel über die letzte Loveparade, in dem sie mehr oder weniger die These vertrat, die Anhänger der Spaßgesellschaft, also die Besucher des Events, seien selber Schuld, wenn sie solche Veranstaltungen besuchen und in der bewusst gesuchten Gefahr umkommen.
Inzwischen ist sie mit dem ehemaligen Unternehmer, heutigen Wirtschaftsdozenten mit eigenem Institut und selbsternannten „Klardenker“ Andreas Popp verbandelt, mit dem sie an diesem Abend auch gemeinsam auftritt. Allerdings haben beide ihren süßen Hund Yvette mit dabei und als sie auf die Bühne geholt werden, drücken sie meiner Kollegin S., mit der ich in der ersten Reihe auf den Presseplätzen sitze, die Leine in die Hand.
S. freut sich im wahrsten Sinne des Wortes tierisch darüber, Yvette weniger, die möchte nämlich lieber zu Herrchen und Frauchen ins Rampenlicht. Zunächst wird sie von S. auf den Schoß genommen, dann mogelt sie sich allerdings zu mir rüber, um noch ein bisschen näher an der Bühne zu sein, schließlich beendet der Moderator ihr Leid und verkündet unter großem Applaus, dass es ihn nicht stören würde, wenn sie mit aufs Sofa kommt.
So weit, so gut, doch was Yvette dann mit anhören muss, hätte ich keinem Hund zumuten wollen. Im Grunde sind es gar nicht mal krasse Thesen, die die beiden von sich geben, denn vieles deuten sie bloß an. So sagt Eva Herman beispielsweise: „Was im Moment in Deutschland passiert, macht uns Sorge.“ Und Andreas Popp fügt hinzu: „Wer das benennt, hat mit Gegenwind zu rechnen.“ Es geht natürlich um Flüchtlingspolitik, um unkontrollierte Zuwanderung und darum, dass wir das, was unsere Regierung angezettelt hat, gar nicht schaffen können.
Zunächst mal sind alles nur allzu bekannte Versatzstücke, deren Inhalte ich mir als Zuhörer selbst zusammenreimen kann. So richtig konkret werden die beiden selten, doch dankenswerterweise bohrt der Moderator weiter. Popp erklärt beispielsweise, er nehme an demokratischen Wahlen nicht mehr teil, da er dann ja seine Stimme abgeben müsse und die würde er gerne behalten. Und Eva Herman bedauert alle Kollegen bei den großen Nachrichtensendungen und der Mainstream-Presse, da die ja Tag für Tag Fakten präsentieren müssen, deren Wahrheitsgehalt sie eigentlich bezweifeln. Das braucht sie zum Glück nicht mehr, sie darf jetzt sagen, was sie denkt.
„Dann tu es doch endlich“, möchte ich ihr zurufen und tatsächlich holt sie noch ein wenig weiter aus. Die Welt werde immer grässlicher, meint sie und das liegt natürlich daran, dass Flüchtlinge gezielt in unser Land geholt werden, um dem die Bevölkerung sukzessive auszutauschen. Wer ihr nicht glaubt, könne es Schwarz auf Weiß im Internet nachlesen, na wenn das nicht mal eine präzise Untermauerung einer solchen These ist.
Schuld an allem ist das System, pflichtet Popp ihr bei, denn das habe ganz eindeutig die „Vermischung der Rassen“ zum Ziel. Beim Wort „Rassen“ horcht Yvette kurz auf, schließlich passt der Begriff nun mal besser zu Hunden als zu Menschen, dann döst sie auf den Knien ihres Herrchens langsam ein. Würde ich auch gerne, nur leider brodelt es inzwischen so sehr in mir, dass es mir nicht gelingt.
Besonders absurd klingen all diese Aussagen vor dem Hintergrund gerade dieser Veranstaltung. Im Folgenden wird nämlich erklärt, dass der Erlös von nun auch vermehrt auch Flüchtlingskindern zugute kommen soll, Sprachkurse und Therapien zur Traumabewältigung sollen finanziert werden. Außerdem tritt der Musiker Volker Schlag auf und singt: „Flieg, Käfer, flieg, Vater ist im Krieg, Mutter ist in Pepperland, Pepperland ist abgebrannt.“ Einigen, die Herman und Popp zuvor noch applaudiert haben, treibt es bei dem Song die Tränen in die Augen.
Zum Schluss tritt noch der aktuelle Supertalent-Gewinner auf. Jay Oh sieht seinen Sieg bei der Fernsehshow erstaunlich nüchtern, denn eigentlich ist er Sozialarbeiter und fühlt sich wohl in seinem Job. Er spricht auch über seine koreanischen Wurzeln. Seine Eltern kamen vor vierzig Jahren nach Deutschland, er wurde hier geboren. Genau diese Verhaftung in zwei Kulturen helfe ihm in seinem Job oft, Vertrauen aufzubauen und Probleme zu verstehen, die jemand ohne Migrationshintergrund vielleicht nicht so gut nachvollziehen kann.
Am Ende des Abends bleibt bei mir ein schaler Nachgeschmack. Irgendwie amüsiere ich mich, dass Eva Herman trotz ihrer Sorge um die rein deutsche Bevölkerung mit ihrem Auftritt Projekte für Flüchtlingskinder mitfinanziert, zum anderen lassen mir ihre reichlich kruden Aussagen aber auch keine Ruhe. Immerhin bezeichnete sie meine Kollegin S. und mich ja als „die versammelte Weltpresse“ und fordert alle Journalisten dazu auf, nicht alles zu glauben, sondern sich selbst ein Bild zu machen.
Bei Youtube verschaffe ich mir erst einmal ein Bild über sie und Andreas Popp. Nicht nur Schwarz auf Weiß, sondern in Farbe und bewegten Bildern. Tatsächlich gibt es eine Menge Videos aus dem eigenen Hause, das den wohlklingenden Namen Wissensmanufaktur trägt, inklusive Talkshows und sogenannter Enthüllungen. Nach und nach wird mir klar, wie die beiden die Welt sehen. So behauptet sie beispielsweise, Flüchtlinge würden in Europa von den Hilfsorganisationen bei ihrer Einreise mit Smartphones ausgestattet, damit sie alle untereinander vernetzt sind. Ich denke kurz daran, wie ich D. geholfen habe, für sein Handy den passenden Anbieter zu finden, damit er in die Heimat telefonieren kann und frage mich, was ich wohl laut Eva Herman damit angerichtet habe.
Die Schleuser, die die Flüchtlinge ins Land bringen, sind nämlich von den USA finanziert, und die wiederum wollen Europa destabilisieren, um ihre eigene Weltherrschaft zu festigen. Auch Andreas Popp ist der Meinung, dass die Welt gezielt in Brand gesetzt wird, um die Vormachtstellung der USA zu gewährleisten. Daran ist ja vielleicht sogar ein Fünkchen Wahrheit und erst recht an seiner These, dass das Geldsystem die Geschicke der Welt mehr regiert als jedes politische.
„Grund allen Übels ist die menschliche Gier“, sagt er und darin stimme ich ihm uneingeschränkt zu. Nur die Schlussfolgerungen, die der Klardenker daraus zieht, erscheinen mir leider wenig plausibel. So führt er zum Beispiel aus, dass wir mit unseren Waffen gezielt Länder in der arabischen Welt destabilisieren, um ganz bewusst Flüchtlinge zu erzeugen, die dann in unser Land kommen und hier die existierende Bevölkerung ersetzen sollen. Das alles sei doppelter Völkermord, erläutert er in verschwurbelten Sätzen, die, einmal aufgedröselt, noch absurder klingen als beim ersten Hören.
Grundsätzlich kann ich mich für Verschwörungstheorien ja durchaus begeistern. Mir gefällt die Vorstellung, dass in der Wüste von Nevada Außerirdische vor der Welt versteckt werden und ich fahre immer wieder gerne nach Bielefeld, das ja angeblich nicht existiert. Doch die Theorien von Andreas Popp beinhalten einigen Sprengstoff, dessen er sich bewusst sein müsste, auch wenn er beteuert, als Wissenschaftler natürlich nicht die „Unterschichten“ bedienen zu wollen.
Wenn Eva Herman davon spricht, der Flüchtlingsstrom führe unweigerlich dazu, dass deutsche Hauseigentümer mit humanitären Argumenten enteignet werden, um die neue Bevölkerung unterzubringen, dann ist das für mich geradezu ein Musterbeispiel dafür, wie aus der rechten Ecke Ängste geschürt werden, die Fremdenfeindlichkeit anfachen. Und wenn sie als weiteres Argument anführt, dass Flüchtlingskinder durch die Entwurzelung eine Psychose erleiden, dann ist das nichts anderes als mit scheinheiliger Fürsorglichkeit getarnter Rassismus in seiner deutlichsten Form.
Liebe Eva Herman, Ihren süßen Hund nehme ich gerne mal wieder auf den Schoß. Aber ich habe besseres zu tun als mir noch einmal Ihre Aussagen und Ansichten anzuhören. Lieber kümmere ich mich um unsere Flüchtlingsfamilie, die zum Glück keine Psychose erlitten hat, sondern dem lebensbedrohenden Terror in ihrer Heimat entkommen und bei uns in Sicherheit ist.

Mehr dazu könnt ihr übrigens unter www.gebrauchsanleitung-deutschland.de finden.
 

http://www.webstories.cc 25.04.2024 - 15:04:54