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Wahre BerlinGeschichten/ 1/Die Furie

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©  rosmarin   
   
Die Furie

Meine Tochter und ich wollten einige Lebensmittel einkaufen und danach noch für ein Käffchen zum Engelbecken.
Also fuhren wir auf den Parkplatz vor Edeka, um das Auto zu parken.
Wie aus dem Nichts heraus liefen da plötzlich zwei Frauen vor uns her. Eine jüngere und eine ältere. Die ältere war kleiner, trug ein Kopftuch, einen langen schwarzen Mantel unter dem ein grünes Kleid zu sehen war. Sie schob einen Rollator vor sich her. Die jüngere hatte einen getönten Teint, war modern gekleidet und trug ihre langen Haare offen. Vermutlich waren sie türkischer Herkunft. Im Schritttempo fuhren wir hinter den beiden her. So ungefähr sechs oder sieben Meter Abstand.
Das Paar spazierte vor uns dahin. Mitten auf der Fahrspur.
Als wir vor drei Minuten den Parkplatz befuhren, schien er mir menschenleer. Jedenfalls hatte ich niemanden gesehen. Rechts und links standen die geparkten Autos. Ziemlich weit vorn sogar ein Polizeiauto.

Plötzlich drehte sich die junge Frau um. Ich machte freundlich ein Zeichen mit meinem Arm, sie möchte doch etwas nach rechts gehen.
Schließlich konnten wir nicht ewig hinter den beiden herfahren.
Die Frau reagierte nicht, Sah uns nur irgendwie herausfordernd an. Meine Tochter schaltete den Motor aus. Wir blieben stehen. Meine Tochter gab ihr auch ein Armzeichen, nach rechts zu gehen.
In diesem Moment ließ die mutmaßliche Türkin die ältere Frau stehen, rannte die paar Meter auf uns zu, schrie irgendetwas und schlug dann mit den Fäusten wie wild auf das Auto.
Natürlich verstanden wir nicht, was sie wollte und weswegen sie so ausrastete. Meine Tochter wollte die Autotür öffnen. Doch das gelang ihr nicht ganz. Denn bevor sie es tun konnte, streckte die Fremde ihren Arm aus. Mit gezieltem Griff ging sie ihr an den Hals. Ihre Hand drückte so fest zu, dass meine Tochter völlig bewegungsunfähig die Augen schloss.
“Was hast du für ein Problem”, schrie die mutmaßliche Türkin überlaut. “Wolltest uns wohl überfahren? Scheißdeutsche. Wolltest meine alte kranke Mutter umbringen, Schlampe!”

Entsetzt sprang ich aus dem Auto. Wollte die Verrückte von meiner Tochter wegreißen.
Die Türkin streckte ein Bein nach mir aus. Wollte mich wohl bewegungsunfähig treten. Doch in diesem Moment kam ein Polizist. Schnell trennte er die Furie von meiner Tochter. Der liefen vor Schreck die Tränen übers Gesicht. Als sie wieder sprechen konnte, schrie auch sie los: “Was ist denn in dich gefahren. Du kannst mich doch nicht einfach würgen.”
Da waren auch schon die anderen zwei Polizisten, die vordem noch im Wagen gesessen hatten, da. Die Angreiferin, die sehr gut deutsch sprach, zeterte ununterbrochen:
“Die wollten uns überfahren. Weil wir Türken sind. Die wollten meine alte kranke Mutter umbringen!“
Also waren es tatsächlich Türken. Bisher hatte ich nur ziemlich umgängliche und in der Türkei ganz besonders freundliche Türken kennengelernt.

“Wie kann man nur so blöd denken”, ergriff nun auch ich wütend das Wort; “Es wird wohl niemand absichtlich jemand umbringen wollen.”
“Doch ihr”, gab die Frau keine Ruhe. “Ich wollte nur meine Mutter beschützen“, wandte sie sich an die zwei Polizisten, die neben ihr standen. Die Mutter, die kein Deutsch sprach, wollte die Tochter beruhigen. Es gelang ihr nicht. Die schimpfte weiter überlaut über den Platz.

“Nun ist aber Schluss”, platzte den Polizisten der Kragen. “Sie kommen mit mir”, sagte der erste Polizist zu meiner Tochter und mir, “und schildern ganz ruhig und sachlich den Sachverhalt.”
Wir gingen auf die rechte Seite zu unserem Auto. Der Polizist verlangte natürlich unsere Papiere. Wir erzählten ganz brav und ruhig und sachlich, wie wir alles erlebt hatten.

Auf der linken Seite war es nicht so ruhig. Die beiden Polizisten hatten keine Chance. Immer wieder schrie die junge Türkin, mit Blick und Gestik in unsere Richtung: “Ich zeige die an. Scheißdeutsche. Die wollten uns überfahren! Die wollten uns umbringen. Weil wir Ausländer sind. Die hätten ja auch hupen können. Ich habe kein Auto gehört!”

Hupen?
Dann hätte die Mutter womöglich einen Herzinfarkt bekommen.
Nichts gehört?
Wieso hat sie sich dann umgedreht und unsere Armzeichen bemerkt?

Ich hörte die Polizisten sagen: “Wir verstehen Sie ja, aber …” Und das mehrmals, bis ich es nicht mehr aushielt und zurückschrie: “Das stimmt doch gar nicht. Da gibt es auch nichts zu verstehen!”
“Sie halten jetzt mal ihren Mund”, sagte da unser Polizist zu mir.” Bleiben Sie sachlich.“
“Finden Sie das richtig?”, wagte ich es ein letztes Mal.
“Ich darf mich dazu nicht äußern”, erwiderte der Polizist freundlich, “Ich schreibe nur das auf, was Sie mir sagen.”

Ich hielt meinen Mund und blieb wieder sachlich. Auf der anderen Seite zeterte die Furie noch immer lautstark mit Blick und Gestik in unsere Richtung: "Sehen Sie doch, wie ruhig die sind. Wie ruhig die dastehen. Obwohl die uns umbringen wollten!"

Die Türkin durfte das. Wir mussten ruhig und sachlich bleiben.
Nach langer Zeit hatten die beiden Polizisten auch die beiden, na, die Mutter hatte ja nichts gesagt, beruhigt und stiegen alle drei in ihr Fahrzeug.

Die Türkin legte den Arm um ihre Mutter. Führte sie mit ihrem Rollator wieder mitten auf die Fahrspur des Parkplatzes.
Da spazierten sie gemächlich von dannen, obwohl genau neben dem Parkplatz ein breiter Fußgängerweg ist.

*

Wir erstatten natürlich Anzeige. Meine Tochter besuchte noch am selben Abend einen Selbstverteidigungskurs. Der Leiter meinte, dass man so einen gezielten Griff nicht in einem normalen Verteidigungskurs lernt. Das sei ein Angriffsgriff gewesen.
Gestern war sie bei so einer Dokumentation ihrer Würgemale. Heute bei einer Opferhilfe. Wir lassen uns das jedenfalls nicht gefallen, auch wenn viele meinen, dass es keinen Sinn habe, Anzeige zu erstatten. Vielleicht macht die Furie ja auf psychischen Schaden. Oder traumatisiert. Obwohl sie bestimmt kein so genannter Flüchtling sein kann.

***


Nachtrag:

Meine Tochter arbeitet als Erzieherin in einem Sonderpädagogischen Förderzentrum mit dem Schwerpunkt Geistige Entwicklung. In arabischen Ländern gelten diese Kinder als Abfall. Werden versteckt und vernachlässigt. Ich war nämlich gerade in Israel und unsere Reiseleiterin hat das erzählt. Sie lebt schon dreißig Jahre in Jerusalem. Dort gibt es jetzt auch so eine Ganztagseinrichtung. Sie wird allerdings durch Spendengelder finanziert. Hier kümmern sich die Lehrer und Erzieher liebevoll um diese Kinder, während die Väter bündelweise hunderte Euroscheine aus ihren Taschen ziehen und die Mütter zuhause sitzen und ein Kind nach dem anderen bekommen. Alles wahr.

So, ihr Lieben, nehmt es mir nicht übel. Aber das musste ich loswerden. Vielleicht ist mir das journalistische Schreiben nicht ganz gelungen. Aber ich habe es versucht. Und ich denke, wir sollten uns nicht alles gefallen lassen und viele Ereignisse, die nicht mit unserem selbstverständlichen Lebensgefühl vereinbar sind, immer wieder relativieren oder unter den Tisch kehren, aus Angst als Nazi oder rassistisch stigmatisiert zu werden.


Rosmarin

Heute ist der 09.07.2023

Es hat sich nichts getan.

21.02.2019

*

Nachtrag: Die Klage der Furie, die uns tatsächlich wegen versuchten Mordes verklagt hatte, wurde abgewiesen. Na, immerhin etwas.
Doch unsere Klage, also die Klage der Polizei, verläuft wohl im Sande.


Die Gerichtsverhandlung wurde zweimal verschoben und einmal abgesagt. Es hat sich also noch nichts getan.

17.12.2020

*

Es hat sich immer noch nichts getan. Diese schwere Körperverletzung, Beleidigung und was auch immer, wird wohl im Sande verlaufen. Ich wage gar nicht, darüber nachzudenken, was geschehen wäre, wenn es umgekehrt passiert wäre, ja, ja.

31.07.2021


*

am 21. Februar ist die Gerichtsverhandlung/sie ist wohl ins Wasser gefallen/es hat sich nichts getan
 

http://www.webstories.cc 19.04.2024 - 20:53:45