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Blutmond - Karms Reise beginnt --- Prolog

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©  Tis-Anariel   
   
Prolog


Um sie alle herum war noch der Sturm und drückte sie zu Boden, doch langsam ließ die Urgewalt nach. Endlich bekam sie wieder Luft und keuchend mühte sie sich auf die Knie. Die Schreie der gebannten Nachttode verklangen und schließlich verebbte der heftige Wind. Stille machte sich einen langen Moment breit, dann durchdrangen leise Schmerzlaute, Weinen und Stöhnen die Lautlosigkeit.
Die hochgewachsene Dreganerin mit der hellen Haut, ihren dunklen Haaren und den blauen Schuppen, die ihr Genick, ihre Schulter und den Rücken zierten, atmete auf. Sie schloss kurz ihre schönen blauen Augen und dankte im Stillen den Göttern. Sie hatten es tatsächlich geschafft!
Sie mühte sich auf die Beine und stellte fest, dass wirklich jeder Muskel in ihrem Körper schmerzte. Ein Schatten, der über sie fiel, ließ sie aufblicken, direkt in die violetten Augen der großen Dschankönigin. Diese nickte ihr zu und schwebte dann davon. Sie würde die verblieben Nachttode weit, weit fort führen, wo sie keine Gefahr mehr für die Bruchlande darstellten. Zumindest für den Moment.
Die Dreganerin blickte sich um, doch dann erstarrte sie und schlug erschrocken die Hände vor den Mund. Taumelnd näherte sie sich der Mitte ihres Kreises und damit dem großen, mit schwarzem Fell bedeckten Körper, der dort lag. Kein Atem hob die mächtige Brust des tapfersten aller Wölfe und noch während sie neben dem Tier niedersank, wusste sie schon, dass auch das große, starke Herz in der Brust des Wesens nicht mehr schlug.
Ein leises Schluchzen entrang sich ihrer Kehle und eine erste Träne rann ihr über die hohe Wange.
Er hatte es wirklich getan, dieser verrückte, wundervolle Kerl. Er war in seiner Wolfsgestalt mitsamt dem Blutkristall, den man auch Herzkristall nannte, mitten ins Zentrum der aufeinanderprallenden Mächte von Licht und Dunkelheit getreten und hatte alles was er hatte geopfert, hatte buchstäblich sich selbst gegeben, um sie alle damit zu retten.
Vorsichtig legte sie ihre langfingrige Hand auf den großen Körper und dankte still der Seele des großen Wolfes. Er hatte sein Leben gelassen und damit das reinste aller Lichter davor gerettet zu verlöschen.
Der Blick der Drachenfrau hob sich etwas und sie bedachte das schmale zierliche Wesen, das an die Flanke des Wolfes gelehnt saß, mit einem traurigen Blick. Dieses Wesen war die Trägerin des Lichtes und auch sie lag im sterben. Doch in ihrem hohen Bauch, da regte sich das Leben.
Die Trägerin des Lichtes öffnete die wunderschönen Augen und fand den Blick der Dreganerin. Stumm, ohne Laut und Worte übermittelte sie der Frau, was diese unbedingt wissen musste und zugleich auch ihren letzten Wunsch. Sie war nicht mehr länger die Trägerin des Lichtes. Dieses war auf das ungeborene Leben in ihrem Leib übergegangen. Sie mussten es jetzt auf die Welt holen und retten, damit das Licht bestehen bliebe.
Die Drachenfrau nickte mit Tränen in den Augen, denn es war etwas zu früh für das Kind. Die Mutter würde es nicht auf natürlichen Weg zur Welt bringen können. Die Lichtträgerin nickte ebenfalls leicht. Ihr war klar, was das bedeutete, aber für sie selbst gab es sowieso keine Rettung mehr. Irgendetwas war in ihr zerbrochen und zerrissen. Sie wusste, dass sie sterben würde, lange bevor sie ihr Kind zur Welt bringen konnte.
Auch die Dreganerin wusste, was dies bedeutete und was nun von ihr verlangt wurde. Mit einem leisen Klagelaut zog die Drachenfrau ihren scharfen Dolch und ging ans Werk. Ihre Heilergabe war fast vollkommen erschöpft, sie konnte die werdende Mutter nicht heilen. Doch es schien als hätten die Götter Mitleid, denn die Dreganerin hatte noch gerade genügend Kraft um ihr die Schmerzen zu ersparen. Bald darauf ertöne ein kleiner, missmutiger Schrei, der für die Lichtträgerin zu den schönsten Geräuschen auf dieser Welt gehörte. Ihre Tochter öffnete Augen, die den ihren glichen und sah sie verschwommen an. Mit ihrer letzen Kraft übermittelte sie dem kleinen, wunderschönen Wesen, wie sehr sie es liebte, dann verdunkelte sich die Welt langsam um sie herum. Der Tod griff sanft und liebevoll nach ihr und löste sie aus ihrem Fleisch.
Der Drachenfrau jedoch rannen haltlos die Tränen über die Wangen, während sie sich erhob und die nunmehr blicklosen Augen ihrer Freundin sanft verschloss. Dann schenkte sie dem kleinen, gerade geborenen Wesen in ihren Armen ein Lächeln unter all den Tränen. Sanft drückte sie einen Kuss auf die Stirn des zarten, kleinen Geschöpfes.
"Ich werde auf dich aufpassen," flüsterte sie, "und dich beschützen, mein Kleines. Das verspreche ich."
Lange Augenblicke verweilte ihr Blick auf den beiden nun reglosen Körpern im Zentrum des Kreises. Die zartgliedrige Lichtträgerin und der tapferste aller Wandelwölfe, die diese lange Reise Seite an Seite beendet hatten und nun ihren Weg den Sternenpfad entlang folgen würden.
Erneut hob sie die Stimme.
"Liebe Lichtträgerin, dein Erbe wird weiterbestehen. Ich verspreche, wir passen gut auf sie auf und werden das Licht beschützen. Ich werde dich niemals vergessen, meine liebe, liebe Freundin und Herzensschwester!"
Sie hielt kurz inne und musste schlucken. Doch dann fing sie sich wieder und sprach weiter.
"Großer Mondsinger, tapferster aller Wandelwölfe, auch dich werde ich niemals vergessen. Dein Name, deine Taten und dein Lied sollen unvergessen bleiben. Auf dass auch die Urenkel deiner Urenkel und deren Urenkel noch von deinen Abenteuern, deinem Mut, deiner Entschlossenheit und deinem großen Opfer hören werden. Wir alle stehen in deine Schuld und ich hoffe dein Weg den Sternenpfad entlang wird dir ein leichter sein!"
Sie atmete tief durch und hob den Blick.
Jetzt erst bemerkte sie, dass auch die anderen Hüter der heiligen Steine auf die Beine gekommen waren und einen perfekten Kreis um sie selbst und die beiden regelosen Körper gebildet hatten. Die beiden hatten ihnen allen diese Chance erkauft. Und da der Preis so hoch war, wollten sie alle sich dem als Wert erweisen, dass konnte sie in den Augen der anderen lesen.
Dreizehn heilige Steine, dreizehn Hüter und das reinste aller Lichter. Doch nun lebten nur noch zwölf der Hüter. Die Dreganerin beugte sich hinab und löste behutsam den Kristall des Blutes vom Hals des Wolfes.
Als sie sich aufrichtete, straffte sich der Körper der Frau.
"Ehre, Treue, Tapferkeit, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Wahrheit und Wind, Feuer, Wasser, Erde sowie Geist, Blut und Seele! Wir sind die Hüter dieser heiligen Steine. Zusammen mit dem reinsten Licht konnten wir heute die bösartige Finsternis und die Macht der Meister zerschlagen und vertreiben. Aber ich fürchte, wir haben nur eine Schlacht gewonnen und nicht den Krieg. Ich fürchte diese Finsternis wird wieder einen Weg in diese Welt finden und dann müssen wir bereit sein. Wir müssen die heiligen Steine beschützen, das Wissen um sie hüten und wenn wir selbst dazu nicht mehr in der Lage sind, dann müssen wir unsere Nachfolger mit viel Sorgfalt auswählen."
Sie schwieg kurz. Ein tiefes Seufzen dehnte ihren Brustkorb, bevor sie fortfuhr.
"Doch für einen der heiligen Steine müssen wir sofort einen neuen Träger finden, denn der Hüter des Blutkristalls hat sein Leben hingegeben und uns alle damit gerettet. Wer also soll diesen Stein tragen? Wer ist stark genug?"
 

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