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Imhotep, der Junge aus Heliopolis - Kapitel 24

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© Francis Dille   
   
Kapitel 24 – Die Rebellen von Amarna


Nachdem Theben aufgrund Ejes Antrag einen Belagerungszustand für Achetaton verhängt hatte, waren abertausende Soldaten der ägyptischen Streitmacht zur Hauptstadt marschiert, und täglich trafen weitere Kompanien ein. Zusätzlich ankerte eine komplette Kriegsflotte vor dem Hafen und kontrollierte die Handelsroute auf dem Nil. Die militärischen Einheiten errichteten um die Stadtmauern herum ihre Zeltlager, wobei sogar provisorische Straßen und Zisternen errichtet wurden. Die Hauptstadt Achetaton war nun von militärischen Dörfern umzingelt, eine unbemerkte Flucht aus der Stadt sowie ein Eindringen in die Region Amarna, waren geradezu unmöglich.
Manchmal wurden einige Zeltlager nachts aus dem Hinterhalt von Söldnertruppen überfallen, diese Angriffe wurden jedoch stets erfolgreich abgewehrt, bis die Rebellenallianzen vollständig zerschlagen wurden. Selbst Echnatons Königsgarde, die Atonkrieger, die eine eigenständige Armee war und nun dem Befehl von König Semenchkare unterstanden, leisteten zuerst nur geringen Widerstand gegen die übermächtige Streitkraft. Zwar hatte König Semenchkare befohlen, dass die Hauptstadt bis zum bitteren Ende gehalten werden sollte, aber trotzdem legten täglich hunderte Atonkrieger ihre Waffen nieder und schlossen sich der ägyptischen Streitmacht an.
Der Exodus von Achetaton wurde streng kontrolliert und hatte wochenlang angedauert. Die Menschen bepackten ihre Fuhrwägen und strömten in Scharen aus der Stadt hinaus. Nachdem alle Bürger die mittlerweile halbzerstörte Stadt verlassen hatte, war General Haremhab mit einigen Kompanien und seiner persönlichen Elitetruppe bis vor das Eisentor des Königspalastes vorgedrungen, um Per-Aton zusätzlich zu belagern und Semenchkare samt seinem Gefolge zu signalisieren, dass die Schlinge um ihre Hälse nun noch enger geknüpft wurde.
Unterdessen wurde im Königspalast jedoch arglos weitergefeiert. Immerhin waren die Palastsilos noch reichlich mit Getreide und Gerste gefüllt und Schweine sowie Rinder befanden sich genügend in ihren Ställen. Hühner und Wachteln standen ebenfalls auf dem Speiseplan und im Garten wuchsen Obst, Gemüse und ganz wichtig, die Schlafmohngewächse sowie Hanfpflanzen, diese eigentlich zur Medizin verarbeitet werden sollten. Bier zählte zur Ernährungsergänzung, davon lagerten im Kellergemach ebenso noch zahlreiche Fässer sowie Weinamphoren. Im Königspalast hielten sich aber samt Zofen und Sklaven über einhundertdreißig Mäuler auf, die immerhin verköstigt werden mussten, genauso wie das Vieh, und irgendwann wären auch die letzten Reserven erschöpft. Die Belagerung diente nicht nur dazu, dass die Höflinge samt dem König ausgehungert werden sollten, sondern sollte hauptsächlich einen psychologischen Affekt auslösen, um die Insassen des Königspalastet einzuschüchtern und sie endlich zum Aufgeben zu zwingen. König Semenchkare vertraute allerdings immer noch beharrlich darauf, dass das Komitee in Theben Eje bald auffordern würde, ihm Pharao Tutanchamun auszuliefern. Geschieht dies, wäre Semenchkare der Stellvertreter des Pharao und praktisch alleiniger Herrscher über ganz Ägypten. Dies würde nicht nur bedeuten, dass der Aton-Kult bestehen bliebe, sondern wäre zudem das Ende von Eje und Haremhab.

Nun war Pharao Echnaton aber längst in seiner Gruft nahe Achetaton bestattet worden und von Theben gab es bislang weder eine Bestätigung, dass der kleine Tutanchamun alsbald überliefert werden sollte, noch dass der Knabe überhaupt zum Pharao gekrönt wurde. Obwohl täglich dutzende Laufboten eintrafen und das Belagerungsgebiet wieder verließen, damit sie ihre Neuigkeiten im Land verbreiten konnten, gelang nicht eine einzige versiegelte Schriftrolle aus Theben in das Königshaus Per-Aton. Als nach weiteren Monaten alle Schlafmohn- und Hanfblüten abgeerntet waren, kursierte plötzlich eine merkwürdige Krankheit im Königspalast, von der so mancher befallen war. Die Symptome waren beinahe identisch. Ständige Übelkeit, andauernde Magenschmerzen, Schweißausbrüche, Halluzinationen, Angstzustände und Schüttelfrost sowie Schlaflosigkeit beklagten die Betroffenen. Prinzessin Iset schien besonders schwer von dieser geheimnisvollen Krankheit heimgesucht zu sein. Sie lag meist nur noch auf der Couch, atmete schwer und wirkte sichtlich verängstigt und war extrem schreckhaft. Manchmal weinte sie stundenlang und im nächsten Augenblick reagierte sie plötzlich aggressiv, schrie hysterisch herum und verprügelte grundlos ihre Sklaven. Der Schreiber Ramose war der einzige Gelehrte unter ihnen und verfügte außerdem über anatomische Kenntnisse, weil er bereits zahlreiche Mumifizierungen durchgeführt hatte. Er durfte sich demnach ein Stadtarzt nennen, aber ein Mediziner ohne Heilmittel vermochte nur gut gemeinte Ratschläge zu erteilen.
Von der ausgelassenen Stimmung war spätestens nach dem neunten Monat der Belagerung nichts mehr zu spüren. Unsägliche Langeweile und Unmut herrschte nun im Königspalast Per-Aton. Viele fragten sich, wie es nun weitergehen sollte und mittlerweile zweifelte manch einer daran, dass Semenchkare die Situation zu ihren Gunsten noch umlenken vermochte. Aber König Semenchkare war weiterhin optimistisch und versuchte täglich, seine mittlerweile entmutigten Untertanen mit Versprechungen und überzeugenden Reden zu motivieren.
Nasira wischte der Prinzessin Iset mit zittrigen Händen liebevoll den kalten Schweiß aus ihrem runden Gesicht, und als wiedermal Angstzustände sie plagten, war Semenchkares ohnehin schnell aufbrausendes Gemüt endgültig zermürbt und trat zornig vor die zwei völlig eingeschüchterten Frauen.
„Bring mir dieses nutzlose Weib auf der Stelle zum Schweigen oder ich werde sie eigenhändig erwürgen!“, warnte er hasserfüllt.
„Lass sie in Ruhe, sie sieht Fata Morganas. Sie sieht Schlangen, Spinnen und monströse Skorpione. Du weißt doch selbst, wie das ist. Sie muss etwas rauchen, dann wird sie auch wieder ruhig!“, schrie Nasira zurück, legte ihre Arme schützend um die Prinzessin und blickte dem wutschäumenden König ängstlich entgegen. „Iset ist nicht nutzlos! Du bist ein gemeiner Schuft, jawohl, das bist du!“
Semenchkare spuckte zu Boden. Seine weit geöffneten Augen schauten irre drein, genauso wie damals bei Echnaton, wenn er einen Amunpriester beim Beten erblickt hatte.
„Gewiss, für dich ist sie nicht gar so nutzlos“, sprach Semenchkare zynisch, bevor er seinen Jähzorn freien Lauf ließ. „Sie soll verdammt noch mal mit dem Geplärre aufhören! Sorge dafür oder ICH werde es tun!“
Semenchkare konnte zwar nicht mit dem Schwert, dafür aber geschickt mit dem Dolch umgehen. Blitzschnell zog er aus seinem schwarzen Gewand einen Dolch hervor, warf diesen geschickt in die Luft, fing die Klinge auf und warf das Messer genau neben ihren Kopf. Die Dolchklinge blieb in der Couchgarnitur stecken. Dann tobte er wütend, fluchte laut und stieß mit dem Fuß eine Säule um, darauf die Granitbüste der Prinzessin Iset aufgestellt war. Die Kalksteinsäule zerbrach, die Büste aus Granit polterte auf dem Boden und blieb unversehrt. Bis auf die Nase, die aufgrund des harten Aufpralls abbrach. Als Iset dies sah, krabbelte sie zu ihrer Skulptur, nahm sie in ihre Arme und weinte noch bitterlicher als zuvor.
„Du Scheusal! Du hast meine einzige Büste, die ich je hab anfertigen lassen, kaputt gemacht. Das war ein Geschenk meines geliebten Bruders Echnaton! Diese Büste hatte er für mich, als Zeichen der Versöhnung, persönlich angefertigt. Das verzeihe ich dir niemals!“, schluchzte sie. Semenchkare blickte sie erstaunt an aber lächelte zugleich höhnisch.
„Das war in der Tat deine einzige Büste? Gelobt sei Aton. Dann wird es mir die Nachwelt danken und mich lobpreisen, weil ich sie vor deinem hässlichen Antlitz bewahrt habe!“, schnauzte er gehässig.
Nasira hielt sie fest in ihren Armen und schunkelte die Prinzessin tröstend. Die Nerven aller lagen mittlerweile blank. Semenchkare beugte sich bedrohlich über die kauernden, wohlgenährten Frauen, die ständig von Panikattacken und Angstzuständen geplagt waren und imitierte Isets jämmerliches Geheule.
„BLÄBLÄBLÄ! Ihr habt in der Tat nur Hühnerkacke im Hirn. Anstatt euch nützlich zu machen und wenigstens hier für etwas Ordnung zu sorgen, sorgt ihr euch nur um euer Wohlergehen. Raucht doch von mir aus Kamelscheiße, ihr dämlichen Huren!“
Prinzessin Isets Tränen vermischten sich mit ihrer grünen Schminke und liefen über ihre Pausbacken. Das Frauenpaar heulte gemeinsam, sie hielten sich wie zwei hilflose Kinder in ihren Armen und blickten verängstigt hinauf in das zornverzerrte Gesicht des Königs Semenchkare.
„Wir sind verloren. Sie werden uns alle töten. Ich will wieder zu meiner Mama!“, flehte die Zweiundvierzigjährige bitterlich. „Ich will wieder zurück nach Hause, zurück nach Theben.“
Daraufhin rastete Semenchkare völlig aus, schnappte sich eine große Vase und schleuderte diese gegen eine Säule. Klirrend zerbärste die Vase in Scherben und wurden auf dem glatt polierten Boden des Thronsaals umhergeschleudert. Dann packte er einen Schrein, zwängte diesen mit kraftverzerrtem Gesicht durch eine Fensteröffnung und stieß das wertvolle Möbelstück hinunter. Die Soldaten hinter den Barrieren schreckten auf und verschütteten ihre Suppenteller, als der Schrein in den Vorgarten wuchtig aufschlug und zerschmetterte. Sofort griffen sie nach ihren Waffen und zielten nervös zum Palast hinauf. Doch niemand war zu sehen.
„ICH WILL WIEDER ZURÜCK ZU MEINER MAMA! ICH WILL WIEDER ZURÜCK IN DAS BESCHISSENE THEBEN!“, äffte Semenchkare sie brüllend nach, wobei er albern im Kreis umhertanzte. Seine langen geflochtenen Haare fielen in sein Gesicht, diese er sogleich mit einer ruckartigen Kopfbewegung wieder nach hinten warf.
„Echnaton hatte recht. Du bist wirklich eine äußerst bekloppte Glucke. Deine Mutter ist bereits eine halbe Mumie und kann gar nichts mehr ausrichten. Normalerweise hättest du Echnaton täglich die Füße salben müssen, weil er dich trotz alledem aufgenommen und all die Jahre in seinem Palast geduldet hatte. Und das ist nun der Dank dafür?“
Semenchkare schlich mit ausgebreiteten Armen auf die kauernden Frauen zu, blickte dabei gefährlich, als würde er sie umbringen wollen, und beugte sich wieder bedrohlich über sie. „BUH!“, machte er, woraufhin sie kurz aufschrien und sich enger aneinander festhielten.
„Sie will wieder nach Theben. Sie will wieder zurück zu diesem widerlichen Widdergott. Sie-Sie glaubt gar nicht an Aton. Sie glaubte all die Zeit gar nicht an den wahren Gott und will nun wieder zurück, in der Hoffnung, man würde Ihr verzeihen und Sie begnadigen. Daraus wird aber nichts, meine Teuerste, denn Sie wird schön hier bei mir bleiben. Hier in Achetaton … Bis wir siegen oder untergehen! Habe ich mich klar genug ausgedrückt?!“, schrie er die zwei Frauen fuchsteufelswild an und tippte dabei mit seinem vergoldeten Fingernagel auf dem mosaikgefliesten Boden. „Wenn du stirbst, dann stirbst du hier mit mir gemeinsam in Achetaton. Sonst nirgendwo“, sprach er mit ruhigem Unterton und grinste dabei.
Semenchkare drehte sich langsam im Kreis herum. Alle Höflinge blickten ihn fragend an. Der gelockte Schönling trat einen Schritt hervor.
„Hast du uns etwa einen klügeren Vorschlag vorzubringen, als zu kapitulieren, mein König? Du weißt, dass wir dir immer folgen werden und dir vertrauen, genauso wie wir Echnaton vertraut hatten. Du hast uns versprochen, dass wir in einem Paradies leben werden, stattdessen lauert dort draußen nur der Tod auf uns. Und du hast versprochen, dass wir Ägypten regieren werden, doch wo bleibt nur dein Neffe? Es ist eine lange Zeit vergangen, Echnaton wurde bereits vor etlichen Vollmonden beigesetzt. Euer Neffe, Pharao Tutanchamun … Er müsste doch längst erschienen sein! Wir werden belagert und Kriegsschiffe haben auf dem Nil eine Blockade errichtet. Wir sind vollständig isoliert! Was nun, mein König?!“, brüllte Pentawer. Semenchkare verschränkte seine Hände hinter dem Rücken, umkreiste seinen Kämmerer und blickte ihn finster an. Pentawer schluckte, stand kerzengrade dar und erwartete Königs Rüge. Ihm war es mittlerweile gleichgültig geworden, ob der König ihn maßregeln würde oder nicht, ob er ihn hinrichten lassen würde, oder nicht. Für ihn schien die Situation ohnehin aussichtslos zu sein, weil bislang absolut keine Nachricht aus Theben eingetroffen war. Semenchkare hielt seinen Zeigefinger in die Höhe und sprach.
„Dass wir belagert werden, hatte ich euch allen prophezeit und es war ein Teil meines Plans gewesen. Nur auf diese Weise konnten wir die Aufmerksamkeit von Theben, Heliopolis und Memphis erreichen, und des ägyptischen Volks sowie die Aufmerksamkeit aller Nachbarländer auf uns richten. Ich trickse Haremhab und Eje aus und sie sind darauf reingefallen. Alles verläuft genauso, wie ich es erwünsche und geplant habe. Hast du es jetzt begriffen? Vertraust du mir wieder?“, fragte er besonnen.
Pentawer nickte hektisch.
„Hast du mir sonst noch irgendwelche Einwände zu unterbreiten?“
Pentawer schüttelte energisch mit dem Kopf.
„Gut, dann hör endlich auf, wie Iset mir die Ohren vollzujammern! Nur bei einer Sache stimme ich dir allerdings zu …“
Semenchkare schleuderte mit einer ruckartigen Kopfbewegung seine hüftenlangen Haare nach hinten, lief nachdenklich umher und richtete sein geflochtenes Haarteil, das wie eine Krone auf seinem Haupt gestickt wurde. Dann schnippte er energisch mit seinen Fingern. Sein Schreiber Ramose eilte herbei und verbeugte sich kurz vor ihm.
„Pentawer hat recht. Wo bleibt mein Neffe? Wo ist Tutanchamun? Du hattest mir versichert, dass sie ihn mir aushändigen MÜSSEN! Echnaton ruht bereits in seiner Gruft und vergnügt sich längst in Atons Paradies. Selbst Theben lässt nichts mehr von sich hören. Nicht ein einziger verdammter Laufbote war zwischenzeitlich erschienen. Was nun, Ramose … Was nun? Los, sag was! Rechtfertige dich vor mich gefälligst!“, brüllte er cholerisch und stampfte dabei wütend mit dem Fuß auf. Ramose zuckte mit seiner Schulter.
„Ich kann es mir nur so erklären, mein König: Euer Neffe wurde wahrscheinlich noch nicht zum Pharao gekrönt, somit verhindert Eje die Aushändigung des Prinzen. Man hintergeht Euch“, lächelte er verunsichert. „Ja, man hat Seine Majestät betrogen. Ihr müsst eine andere Strategie in Betracht ziehen. Vor allem muss Theben in Kenntnis gesetzt werden, dass Ihr von Haremhab massiv bedroht werdet. Diese Belagerung dient nicht zum Schutze von Achetaton, sondern ausschließlich dazu, dass man Euren Kuratel-Antrag zu widerrufen erzwingt!“
Semenchkare hielt sich seine Faust vor dem Mund und nickte stetig, während er den verängstigten Schreiber umkreiste. Ramose schwitzte sichtlich und beobachtete ihn unbemerkt, denn Semenchkare war mindestens so unberechenbar, wie Pharao Echnaton.
„Aha, eine Vormundschaft eines Prinzen ist also gar nicht vonnöten? Jetzt verstehe ich die Taktik des ehrenwerten Eje“, nickte er mit zusammengekniffenen Lippen. „Jetzt, wo die Falle längst zugeschnappt hat, offenbarst du mir diese Hiobsbotschaft? Äußerst klug durchdacht, Ramose“, fauchte Semenchkare zynisch. „Äußerst klug durchdacht.“
Ramose lächelte gezwungen. Diese Erkenntnis war auch ihm leider zu spät eingefallen. Semenchkare legte freundschaftlich seinen Arm um Ramose und führte ihn lächelnd zum östlichen Balkon hinaus. Sofort spannten die positionierten Schützen ihre Bogensehnen, als die beiden Männer hinter der Balkonbrüstung erschienen, und zielten hoch hinauf. Semenchkare griente und winkte den Soldaten frech zu. Ramose dagegen schaute nervös hinunter. Beinahe zwanzig Meter weiter unten erblickte er wildes Gestrüpp und die von Säulen getragene Pergola mit dem hölzernen Dach. Was hatte der König bloß vor, was spukte nur wieder in seinem unberechenbaren Kopf umher? Ramose war irritiert und versuchte seine Ängste zu unterdrücken. Von der Ostseite aus konnte man außerhalb der Stadtmauer eines der breitflächigen Lager der Streitmacht am besten überblicken, dass sich wie kleine Dörfer erstreckte. Deutlich waren die zahlreich aufsteigenden Rauchschwaden derer Lagerfeuer zu sehen. Und direkt vor dem verwilderten Vorgarten sah man die Lagerzelte einer kompletten Kompanie, die ebenfalls mit gespannten Bogensehnen auf sie zielten.
„Siehst du diese verfluchte Belagerung vor meiner Stadt? Vor meinem Palast lungern ebenso mistige Schweinepflüger herum. Wie viele sind es insgesamt? Eintausend? Fünftausend oder gar zehntausend Soldaten? Sprich Schreiber und erkläre mir, weshalb man mich sogar nach über zwölf Vollmondnächten immer noch bedroht. Hast du oder hast du nicht, Laufboten nach Theben entsandt, um die Söhne Sehts zu vertreiben? Und hast du oder hast du nicht, das Komitee schriftlich aufgefordert, dass mir dieser kleine Scheißer Tutanchamun endlich überliefert werden soll? Los, gib mir sofort Antwort!“, brüllte Semenchkare zornig.
Ramose räusperte sich.
„Doch, mein König, gewiss habe ich das getan. Ich hatte vertrauenswürdige Laufboten entsendet, aber diese wurden von General Haremhab möglicherweise abgefangen. Wir müssen neue Laufboten …“
Noch bevor Ramose es gelang sich zu rechtfertigen, packte Semenchkare blitzschnell seine Beine und kippte ihn einfach über die Balkonbrüstung hinab in die Tiefe. Sein schriller Schrei verstummte, als Ramose kopfüber durch die Pergola krachte und schließlich wuchtig aufschlug. Die Bogenschützen spannten erneut ihrer Waffen und zielten, hielten jedoch inne, als Haremhab seine Hand hob und somit Einhalt befahl.
Semenchkare aber grinste nur schelmisch, wie es Tutanchamun immer tat, wenn ihm wiedermal ein frecher Bubenstreich gelungen war. Er griff an die Balkonbrüstung, beugte sich etwas herab und sprach: „Nichts für ungut, die Herrschaften. Ramose wollte damals schnellstmöglich in den Königspalast hinein, weil er es für angebracht hielt, während Echnatons Regierungszeit Aton zu dienen. Nun hat er uns ebenso eilig wieder verlassen. Mögen eure verfluchten Götter euch beistehen, wenn die Rache des wahren Gottes über euch kommt!“, brüllte er wütend und spuckte hinunter.
Die Soldaten zielten mit ernster Miene mit ihren gespannten Kompositbögen. Semenchkare stand hoch oben auf dem Balkon, überkreuzte die Arme über seine Brust, verneigte sich vor der Armee und lächelte dabei. Noch einmal winkte Semenchkare den Soldaten frech zu, dann verschwand er vom Balkon. Haremhab und Ramses standen nebeneinander und blickten missmutig zum Königspalast hinauf.
„Herr, sollen wir endlich angreifen? Der König ist jetzt zermürbt und reagiert unüberlegt, indem er seine eigenen Leute umbringt. Wer weiß schon, wer als nächstes aus dem Palast fliegt. Vielleicht wird sich dieser elendige Bastard noch an Hoheit Meritaton vergreifen. Im Königspalast sind sie sich offensichtlich uneinig. Es herrscht Unmut. Herr, die Zeit ist günstig, um anzugreifen.“
Doch Haremhab schüttelte nur sachte mit dem Kopf.
„Wir müssen uns noch etwas gedulden, Ramses. Erst wenn der König den ersten Pfeil abschießt, werden wir ihn und sein Gefolge ausmerzen. Bei einer Sache stimme ich dem König der Ratten allerdings zu: Mögen die Götter uns alle beistehen, wenn wir gegen Aton das Schwert erheben“, sagte er nachdenklich, denn insgeheim hatte er Respekt vor Aton. Schließlich war dieser eine Gottheit und hatte bislang seine schützende Hand über die Rebellen von Amarna gehalten.

„Gib ihr endlich etwas zum Rauchen! Du hast was, ich weiß es!“, schrie Nasira mit weit geöffneten Augen. Über Semenchkares Mundwinkel zuckte ein nachsichtiges Lächeln. Er griff in seine Innentasche und warf seine letzte Schlafmohnblüte achtlos über seine Schulter, woraufhin Nasira sofort auf allen Vieren loskrabbelte und das vertrocknete Büschel gierig einsammelte.
„Mein König, bei allem Respekt. Bist du wahnsinnig geworden? Du hast soeben unseren einzigen Arzt getötet! Großartig!“, brüllte Pentawer zornig. „Du bist unbeherrscht und bringst uns alle noch ins Verderben!“ Daraufhin raunte ein aufgebrachtes Tuscheln im Thronsaal.
Semenchkare lief gemächlich umher, schwang seine Haarpracht nach Hinten und starrte jedem Einzelnen in die Augen.
„Ramose … Pah!“, sprach der König abfällig und machte dabei eine verächtliche Handbewegung. „Ihr verlangt also das Paradies? Dann tut auch endlich gefälligst etwas dafür und wartet nicht darauf, bis Aton die Ungläubigen richtet!“ Der König ballte seine Faust während er sprach. „Aton will sehen, wie wir uns tapfer verteidigen! Irgendwo in den Kellergemächern ist das Waffenarsenal. Wir werden im Garten Zielscheiben aufstellen und mit dem Bogen üben. Wir werden lernen, das Schwert zu beherrschen!“
Er blickte die zahlreichen Atonsoldaten an, die sich vor einem Jahr dazu entschlossen hatten, die Stellung in Per-Aton zu halten und dem König bedingungslos zu folgen, weil sie ihren Rang und Reichtum niemals aufgeben wollten. Nun blickten sie betrübt drein. Schon vor einigen Monaten hatten sie ihren Entschluss bitter bereut. Aber Semenchkare lächelte zuversichtlich, als er sie anblickte.
„Ihr alle werdet uns beibringen, wie man kämpft! Haremhab und seine verfluchten Knechte sollen um Gnade winseln, wenn wir in ihre Ärsche treten. Wir werden sie erledigen, sie fertigmachen und sie in kleine Stücke zerhacken!“, fauchte er. „Und ihr werdet uns zeigen, wie wir es machen sollen“, grinste Semenchkare die Atonkrieger an.
„Majestät, das kann nicht Euer Ernst sein“, antwortete daraufhin einer der Atonkrieger erschöpft. „Wir können gegen Haremhab absolut nichts ausrichten. Schaut doch hinunter, der General verfügt zurzeit über mindestens fünftausend Soldaten! Wir müssen uns leider ergeben. Noch ist es nicht zu spät dafür.“
Doch Semenchkare schüttelte beharrlich mit dem Kopf.
„Niemals werden wir kapitulieren, sie würden uns sofort töten! Ich sage dir, was wir jetzt tun werden. Wir werden diesen Hurensohn Haremhab überlisten und ihn hereinlocken. Per-Aton ist unser Territorium. Der Palast ist riesig und wir verfügen über genügend Leute, nur hier im Königspalast haben wir Aussichten auf einen Sieg. Wir kennen jedes Versteck. Wir verschanzen uns und massakrieren sie, sobald sie sich hinein wagen. Außerdem sind genügend Fallen errichtet worden, davon Echnaton nur mich in Kenntnis gesetzt hatte. Nur ich weiß, wie man diese tödlichen Fallen aktiviert. Gewiss, einige von uns werden sterben, aber wenn es uns gelingt, Haremhab als Geisel zu nehmen, wird es mir möglich sein, ungehindert nach Memphis zu reisen. Und dann werde ich Tutanchamun persönlich von einem Hohepriester zum Pharao krönen lassen.“ Semenchkare breitete seine Arme auseinander und grinste verschmitzt. „Beim allmächtigen Aton, so soll es geschehen! Lasset uns kämpfen und ihnen zeigen, wer die wahren Herrscher Ägyptens sind!“, brüllte er motivierend.
Jubelschreie ertönten und selbst der Schönling Pentawer applaudierte, zwar erst zögerlich, aber schließlich kniete er vor Semenchkare nieder, bat ihm um Verzeihung und schwor zugleich, dass er ihm bis in den Tod folgen würde.

Nachdem endgültig sämtliche Rauschmittel aufgebraucht und selbst die letzten Tropfen Bier und Wein vertilgt waren, begann für einige der harte Kampf gegen die Entzugserscheinungen. Aber sie blieben tapfer, übten trotz alledem emsig mit dem Kompositbogen und insbesondere Semenchkare und Pentawer entpuppten sich als Meisterschützen. Semenchkare war ohnehin ein talentierter Messerwerfer. Ebenso geschickt vermochten sie das Schwert zu schwingen, als wären sie geborene Soldaten. Die desertierten Atonkrieger bildeten die Aristokraten anfangs nur mit Holzschwertern aus. Die Soldaten waren überrascht, wie eifrig die sogenannten Schwächlinge zu kämpfen lernten und wie rasch sie ihre Waffen beherrschten. Tagtäglich klapperten im Vorgarten nun Holzschwerter und selbst bis in die späte Nachtstunde wurde anstatt gefeiert, diesmal mit dem Schwert und Bogen geübt.
Aufgrund des Erfolges ihrer Kampfausbildung herrschte bald wieder eine euphorische Atmosphäre, sodass die Höflinge einem Kampf gar freudig entgegenfieberten. Die Angst und Unsicherheit war bald verflossen, zudem puschte Semenchkare ihren Optimismus täglich mit überschwänglichen Reden und Versprechungen an und schmiedete sogar größenwahnsinnige Pläne, seinen Rachefeldzug bis nach Theben fortzuführen, nachdem Memphis erobert wurde, um auch das Komitee zu stürzen. Semenchkare war felsenfest davon überzeugt, dass das ägyptische Volk hinter ihm stand und sie Aton als den Reichsgott beibehalten wollten. Es würden sich ihm sicherlich scharrenweise Männer frohlockend anschließen wollen, um gegen die Amunanhänger zu kämpfen. Aber insgeheim hegte er nur einen einzigen wahren Wunsch, welchen er seinen Gefolgen verschwieg. Ihm war mittlerweile vieles einerlei geworden, ob er nun eine Niederlage oder Sieg erringen würde, ihm war nur wichtig, dass der General in seine Gefangenschaft geriet und selbstverständlich, dass der Aton-Kult besteht bleibt. Aber falls Haremhab während des Gefechts getötet werden sollte, wäre es ihm ebenso recht. Seitdem die ägyptische Armee die Stadt belagerte, wurde Haremhab sein persönliches Feindbild, weil er dem General die alleinige Schuld für seine aussichtslose Situation zuschrieb.
Eine neue Aufgabe war nun geboren. Kämpfe bis zum letzten Atemzug. Nur Prinzessin Iset stellte ein wirkliches Problem dar. Zwar hatte auch sie irgendwann ihre qualvollen Entzugserscheinungen endlich überwunden, trotzdem beharrte die Prinzessin weiterhin auf ihre Feiergewohnheiten, verlangte hartnäckig nach Schlafmohnblüten (sogar Weihrauchharz wäre ihr angenehm gewesen, Hauptsache es würde irgendwie berauschen) und wollte von der bevorstehenden Schlacht nichts wissen. Sie moserte ständig herum, weil sie einfach nicht wahrhaben wollte, dass alle Genussmittel tatsächlich verbraucht waren, weil sie immer wieder jemanden antraf, der ihrer Ansicht nach nicht ganz nüchtern war. Iset vermutete unbeirrbar, dass man ihr die letzten Schlafmohn- und Hanfblühten unterschlagen würde, zwecks Eigenbedarfs. Allein dieser Gedanke machte sie rasend. Die Prinzessin verdächtigte jeden und war aufgrund dessen praktisch mit jedem verstritten – meistens zankte sie sich mit Nasira – und verbreitete nur Unmut im Königspalast. Semenchkare reichte es endgültig. Eines Nachts schlich er in das Schlafgemach der fülligen Prinzessin, knebelte die Frauen und versuchte Iset über die Balkonbrüstung zu werfen. Aber Iset war kräftiger als dieser schmächtige Mann und konnte sich verteidigen. Und wann auch immer Semenchkare mit einem Dolch auf sie wutschäumend zustürmte, wurde der König von seinen Gefährten davon abgehalten, indem sie ihn meistens zu dritt oder gar zu viert festhielten, während er hasserfüllt schrie: „AHHH, lasst mich! Ich will ihr die Gurgel durchschneiden! Ihr alle werdet es mir noch danken!“
Manchmal wusste Semenchkare selbst nicht, welche Person er mehr hasste. Seine Halbschwester Iset, oder doch Haremhab.

Es waren bereits vierundzwanzig Monate vergangen und obwohl es in der Region Amarna äußerst selten war, regnete es in Strömen. Der Wüstengott Seth hatte sich offenbar bemerklich gemacht und ein tagelanges Unwetter über die Wüstenregion Amarna verursacht.
Die äußerst durstigen Höflinge jubelten, dankten Gott Aton und stellten im Vorgarten überall Tongefäße auf. General Haremhab stand mit leicht gespreizten Beinen vor dem Königspalast. Seine Hände waren hinter dem Rücken verschränkt, während er finster hinaufblickte und zu allem entschlossen war. Mittlerweile war der General ebenso gereizt wie ungeduldig geworden und äußerte des Öfteren, dass er einen nächtlichen Überraschungsangriff beabsichtige. Jedoch besann er sich jedes Mal und wartete weiterhin ab, wie ein Löwe vor einer Höhle, in der sich seine fette Beute verkrochen hatte, die jedoch mit scharfen Klingen gespickt war. Eje hatte ihn gewarnt, dass man Semenchkare niemals unterschätzen durfte.
Haremhab war genauso besessen, Semenchkare um jeden Preis zu vernichten, wie auch der König von Ägypten besessen war, den Atonkult aufrechtzuerhalten. Neben Haremhab, rechts wie links, postierten jeweils Soldaten mit einem Speer und Schutzschild bewaffnet und hinter ihm stand eine komplette Kompanie, die bereits seit etlichen Monaten darauf fieberten, den Königspalast endlich anzugreifen. Sein muskulöser, vernarbter nackte Oberkörper glänzte vor Nässe und sein weißes, schwarzgestreiftes Kopftuch lag ihm klatschend an. Der Regenguss rauschte auf die Soldaten und auf den matschigen Wüstenboden nieder. Der achtundzwanzigjährige General breitete langsam seine Arme auseinander und sprach laut zum Königspalast hinauf.
„Gib dich endlich geschlagen, Semenchkare! Du siehst, Aton glänzt nicht mehr! Du hast verloren, nun komm endlich heraus und kapituliere!“
Haremhab stand mit ausgebreiteten Armen dar, während die mausgrauen Wolken unaufhörlich strömenden Regen ausgossen. In diesem Moment zuckte ein greller Blitz am Himmel und ein mächtiger Donnerschlag folgte, der sich spürbar grollend durch den Himmel wälzte.
„Deine Stadt brennt nicht mehr, weil niemand mehr da ist, der sie anzündet. Achetaton ist nur noch eine Geisterstadt“, schallten seine Worte dem Königspalast entgegen. „Nur ich bin noch hier und das ist mehr, als dir lieb ist!“ Haremhab ballte drohend seine Faust.
Es blieb still. Nur das Rauschen des herabströmenden Regens war zu hören.
„Semenchkare, gib auf und ich garantiere dir einen schnellen und schmerzlosen Tod. Ich persönlich werde mich dafür einsetzen, dass man dich sogar im Tal der Könige bestatten wird! Meinetwegen auch hier, neben deinem Pharao! Wie du es erwünschst“, fügte er gelangweilt hinzu. „Du hast mein Wort, ich persönlich werde veranlassen, dass deine siebzigtägige Mumifizierung auf Lasten des Reichs geht. Hörst du mich, du König von Ägypten? Komm endlich heraus! Ergib dich!“
Einen Augenblick blieb es ruhig, doch dann zeigte sich Semenchkare hoch oben auf dem Flachdach, direkt neben der vergoldeten Dachkuppel.
„Haremhab, leck mich doch im Arsch! Komm du doch herein und hole mich, wenn du dich traust!“, brüllte der König von hoch oben aus dem Palast hervor. Semenchkare beugte sich über die Festungsmauer, spannte zähnefletschend seinen Kompositbogen und schoss auf General Haremhab. Sogleich legte er sich wieder flach hin, kicherte, spannte einen weiteren Pfeil nach und horchte.
Die nebenstehenden Soldaten reagierten reflexartig und beschützen General Haremhab mit ihren Schildern, die mit Leopardenhäuten überzogen und somit widerstandsfähiger waren. Wuchtig schlug das Pfeilgeschoss darauf ein. Haremhab blickte zum Himmel hinauf und schmunzelte. Der Regenguss strömte über sein Gesicht nieder – die Götter waren wiedermal auf seiner Seite. Er war erleichtert, denn der erste Schuss war endlich gefallen.
„Stürmt den Palast, stürmt das verfluchte Haus des Aton! Zermalmt es und brennt es bis zum Fundament nieder. Lasst niemanden entkommen, selbst die Zofen und Sklaven nicht! Wer seinem Herrn gehorsam folgt, der möge auch mit seinem Herrn gemeinsam untergehen. Nur achtet darauf, dass Hoheit Meritaton nichts geschieht. Bringt mir das Mädchen … Lebend!“

General Haremhab befahl zum Angriff. Pfeile zischten durch die Luft und Kriegsgeschrei ertönte. Die Streitmacht zerstörte mit einem Rammbock das Eisentor und stürmte in den Vorgarten hinein, während die Pergola regelrecht niedergewalzt wurde. Sie lehnten meterlange Leitern gegen die Palastfassaden und stiegen von allen Seiten eifrig hinauf. Die Höflinge warteten auf der obersten Dachetage allerdings darauf, dass der Erste sein Gesicht zeigte. Dann drehten sie die Leitern und stießen sie um, sodass mindestens zehn, zwanzig, dreißig Soldaten gleichzeitig in den sicheren Tod stürzten. Zudem waren die Rebellen auf diesen Angriff bestens vorbereitet. Sie hatten zahlreiche Kessel randvoll mit Brennholz und Steinen tagelang vorgeheizt, die sie nun mithilfe selbstgebauter Kippvorrichtungen an allen Fassadenseiten gleichzeitig über die Palastmauer ausschütteten. Glühende Holzkohle sowie heiße Steine prasselten auf die Soldaten wie ein Schauerregen nieder. Ebenso hatten sie ihre Geheimwaffe eingesetzt, eine teerartige, äußerst leicht entzündbare Masse, diese sich in Verbindung mit Wasser sogar rasch ausbreitete. Dieses geheime Rezept hatte Echnaton von einem kuschitischen Medizinmann erfahren, weil der Pharao den Handel mit Nubien stets aufrechterhalten hatte. Und nun regnete es in Strömen, was der hinterhältigen Feuermasse erst recht Zunder gab. Grausame Schreie ringsherum ertönten, als das Lauffeuer sich wie eine brennende Zündschnur verbreitete und meterhohe Flammen schlug. Dutzende Soldaten verbrannten bei lebendigem Leib oder wurden kampfunfähig.
Unterdessen stapelten Haremhabs Soldaten Heuballen gegen das riesige Palasttor und zündeten es an. Im Nu brannte das Ebenholztor, und nachdem die Flammen es genügend verzehrt und geschwächt hatten, befahl der General, den Rammbock einzusetzen.
Nachdem man bereits das Eisentor zum Vorgarten damit erfolgreich aufgebrochen hatte, wurde der Rammbock zum entflammten Palasttor geschoben. Diese monströse Zertrümmerungsmaschine hatte Haremhab extra nur für diesen Sturmangriff anfertigen lassen. Dafür hatte er sogar seine persönliche Schatzkammer geöffnet, weil er an die Anfertigung extravagante Ansprüche gestellt hatte. Der Rammbolzen war zu einem klobigen Widderkopf gearbeitet worden, dessen mächtige Hörner sowie der grimmige Blick und die fletschenden Zähne mit Elfenbein und Gold verziert wurden, obwohl ihm bewusst war, dass diese Investition reine Verschwendung wäre, weil es während des Kampfeinsatzes ohnehin zerstört werden würde. Aber Haremhab meinte, dass das Antlitz des Gottes Amun würdig gestaltet werden müsse, schließlich würde Amun an Atons Türe klopfen.

Unermüdlich wurde der Rammbock gegen das brennende Palasttor gestoßen, immer und immer wieder. Die Soldaten trotzten eisern gegen die glühenden Gesteine und brennende Holzbalken, die von hoch oben hinuntergeschüttet wurden, bis das Palasttor schließlich funkensprühend zerbärste. Der kostbare Widderkopf des Rammbocks wurde während dieser Attacke völlig entstellt, stellenweise zerbröckelte er, verbrannte kohlenschwarz und das fahrbare hölzerne Gerüst, in dem der Rammbock schaukelte, fing mittlerweile ebenfalls Feuer. Massenweise Soldaten erlagen ihren Brandverletzungen und lagen leblos auf dem Boden. Dennoch, sie hatten sich tapfer geschlagen, genauso wie es General Haremhab von jedem Soldaten stets abverlangt hatte.
Mit lautem Kriegsgebrüll stürmte die ägyptische Streitmacht in die Empfangshalle hinein, doch sogleich erlagen sie einigen lauernden Rebellen, die sich hinter Säulen und umgedrehten Tischen verschanzt hatten und sie mit Pfeilgeschossen begrüßten. Mit solch einer massiven Gegenwehr hatte Haremhab nicht gerechnet.
Grausame Szenarien ereigneten sich ebenfalls hoch oben auf dem Flachdach. Einigen Soldaten gelang es schließlich irgendwann, mithilfe der Leitern das Palastdach zu stürmen, woraufhin sie sich mit den Höflingen gnadenlose Schwertkämpfe lieferten. Aber die belächelten Weichlinge hielten verbissen dagegen, ja, man hatte sie gar völlig unterschätzt. Sie kämpften mutig und schwangen das Schwert elegant, drehten sich manchmal um ihre eigene Achse und schlugen so manchen erfahrenen Krieger die Klinge tödlich in ihre Leiber.
General Haremhab marschierte in Begleitung seiner Elitentruppe durch die eroberte Empfangshalle. Er stieg über zahlreiche Leichen, blieb stehen und sah sich wortlos um. Dutzende Männer lagen in ihren eigenen Blutlachen auf dem Boden. Haremhab verharrte kurzweilig. Dieses Spektakel erinnerte ihn an das damalige Gemetzel auf Zypern, welches er leibhaftig erlebt hatte und nur ihm es zu verdanken gewesen war, dass die Rebellion zerschlagen wurde. Der damalige Kampf auf Zypern war der Anfang seiner beispiellosen Militärkarriere gewesen und nun schien es so, als würde sich ein ähnliches Szenario abspielen, nur mit dem Unterschied, dass Ägypten nun von einer Rebellion bedroht wurde und er diesmal mehr denn je für einen Sieg sorgen musste. Haremhab dachte kurz nach. Damals war er noch jung und ungestüm gewesen, hatte ohne Taktik gehandelt und war trotzdem siegreich zurückgekehrt. Nun war er erwachsener und klüger geworden, hatte monatelang diesen Angriff genauestens geplant, aber als er vor dem riesigen Ebenholztor stand und die prachtvollen, majestätischen Skulpturen des Echnaton erblickte, verflüchtigte sich seine Besonnenheit und er war bereit dazu, wiedermal ohne einen Schutzschild in die Schlacht zu ziehen. Haremhab hielt jeweils in seinen Händen ein Kurzschwert und einen Streitkolben. Der General ging langsam zwischen beiden Skulpturen, hob seine Waffen in die Höhe und zertrümmerte beide wertvolle Alabasterstatuen gleichzeitig mit einem einzigen Hieb. Echnatons menschengroße Statuen zerbärsten gleichzeitig wie Glas.
„Ich war schon immer Echnatons Albtraum gewesen, nur hatte der Ketzer dies nie erkannt“, lächelte er. „Soldaten, lasst uns reingehen!“
Zwanzig, dreißig oder gar vierzig Soldaten stürmten gleichzeitig brüllend in den Thronsaal hinein, doch als sie auf die großen Teppiche traten, fielen sie in metertiefe Gruben und wurden von Holzpfählen aufgespießt.

Pentawer wanderte nervös im oberen Stockwerk umher. Seine Bogensehne war gespannt und die messerscharfe Bronzespitze des Pfeiles blitzte auf. Massenweise stürmten Soldaten der Streitkraft in den Thronsaal hinein, knieten mit einem Bein nieder und schossen auf alles, was sich bewegte. Die unschuldigen, unbewaffneten Sklaven und Zofen eilten geduckt und schreiend umher. Manche von ihnen hatten Glück und konnten sich rechtzeitig hinter eine Säule verstecken, andere wiederum erlagen im Hagelgeschoss oder wurden von einem Querschläger, welcher eine der Säulen traf, tödlich getroffen.
Zähnefletschend streckte Pentawer mit seiner Gruppe einen Soldaten nach dem anderen nieder. Immer wieder beugte er sich über die Brüstung und schoss seine Pfeile ab. Seine Leidenschaft erquickte, jeder getötete Feind erfüllte ihn mit Stolz, weil der teuflische Blutrausch ihm die Sinne raubte, während er massenweise Pfeile in die Leiber der feindlichen Soldaten schoss.
Mittlerweile hatten die Soldaten die oberen Etagen gestürmt. Pentawer zückte sein Schwert als die Pfeile verbraucht waren, drehte sich elegant um seine eigene Achse und tötete jeden Soldaten, welcher ihm das Schwert entgegenhielt. Zum Schluss warf er sein Kurzschwert einem ranghohen Offizier der Streitmacht entgegen und traf ihn tödlich. Als Pentawer grade sein Schwert ruppig aus dessen Leichnam zog, stockte der Schönling plötzlich, öffnete weit seine Augen und ächzte. Völlig überrascht blickte er über seine Schulter. Ein Hauptmann der Streitkraft hatte ihm das Schwert in seinen Rücken gerammt, sodass es sogar sein Leib durchbohrte, zog es ruckartig wieder heraus und sah dem wunderschönen Mann dabei wortlos zu, wie er kniend zu Boden sank und langsam starb.

Haremhab marschierte mit seiner Elitetruppe quer durch die riesige säulenbestückte Halle, wobei die Soldaten aufpassten, dass sie bloß nicht auf einen Teppich traten. Etliche Pfeilgeschosse steckten in den umgekippten Sitzmöbeln, brennende Matratzen und Heuballen lagen verstreut herum, überall lagen Scherben und abgebröckeltes Gestein herum. Unerträglicher, beißender Feuerrauch erfüllte den Thronsaal. Der General und seine Soldaten bekämpften die übrig gebliebenen Höflinge, die beharrt Widerstand leisteten. Kampfgeschrei und das Schaben von Schwertern erklangen. Nur zwei Leibwächter schützten ihn mit ihren Schildern, diese wiederum beschützte der General mit seinem Schwert und Streitkolben, womit er seinen Feinden die Schädel einschlug. Haremhab wanderte ständig im Kreis herum, war wachsam und streckte jeden nieder, der kein Soldat seiner Armee war.
Plötzlich erblickte er Prinzessin Iset, die auf dem Boden neben ihrer toten Lebensgefährtin Nasira kniete und weinte. In Nasiras Leib steckten einige Pfeilgeschosse. Iset hielt sich schmerzverzerrt die Hand gegen ihren Hals und keuchte. Ein Querschläger hatte sie unglücklich am Hals erwischt, ein anderer Bogenpfeil hatte ihren prallen Oberschenkel getroffen. Ihr Gewand war mit Blut getränkt. Blut quoll zwischen ihren Fingern hervor, während sie sich ihren Hals hielt. Diese Verletzungen waren nicht tödlich und eigentlich noch zu heilen, dennoch war Prinzessin Iset dem Tod geweiht, weil Haremhab nun vor ihr stand.
Iset kroch rücklings von ihm weg und fuchtelte dem General energisch mit einem Kurzschwert entgegen, welches sie einem toten Soldat abgenommen hatte. Haremhab trat gemächlich vor sie. Kaltblütig starrte er die hilflose Prinzessin mit seinen müde wirkenden Augen an, trotzdem ließ er plötzlich seine Waffen fallen.
„Lass mich bloß in Ruhe … Du-du Widerling“, röchelte sie. In ihren Augen spiegelte sich die pure Angst. „Wagt es bloß nicht, mich anzurühren, General Haremhab! Ich bin Prinzessin Iset, die-die erstgeborene Tochter des zum Gott gewordenen Amenophis III, und bin eine leibhaftige Tochter der Göttin Isis! Aton wird Euch niederstrecken, falls Ihr mir etwas antut!“, warnte sie keuchend.
Über Haremhabs Mundwinkel huschte nur ein müdes Lächeln. Er nahm die Lanze seines nebenstehenden Soldaten, holte weit aus und wuchtete den Speer in ihren Leib. Prinzessin Iset bäumte sich stöhnend auf und sackte schließlich mit weit geöffneten Augen leblos zusammen.

Die Schlacht um Achetaton war nun vorbei, doch wo waren nur König Semenchkare und Königin Meritaton geblieben? Die übrigen Rebellen ließen sich widerstandslos festnehmen und wurden, samt Sklaven und Zofen im Vorgarten an die Wand gestellt und mit dem Speer hingerichtet. Die fahnenflüchtigen Atonkrieger sowie die Aristokraten fesselten sie jedoch an Marterpfählen und verbrannten die Männer und Frauen beim lebendigen Leibe. Grausame Schreie ertönten, doch die Soldaten schauten nur regungslos zu, wie sie qualvoll starben, und empfanden dabei sogar Genugtuung, weil viele ihrer Kameraden ihretwegen getötet wurden. Währenddessen marschierten Soldaten in Gruppen durch alle Etagen und durchsuchten jeden Winkel. Ihre Sandalen klapperten auf den glatten Kalksteinböden. Sie schauten in jeden Schrein hinein und tasteten sogar die Wände nach versteckten Hintertüren ab, doch Semenchkare blieb spurlos verschwunden. Ein Hauptmann entdeckte schließlich die blutjunge Meritaton völlig verängstigt unter ihrem Bett gekauert, streckte seine Hand aus und redete beruhigend auf sie ein.
„Nehmt meine Hand, Hoheit. Es ist vorbei, Ihr seid jetzt in Sicherheit.“
Haremhab schloss seine Augen und dachte nach. Wo würde sich ein Atonjünger bloß verkriechen? In den tiefsten Kellergemächern sicherlich nicht, wenn ihm genau bewusst wäre, dass er dem Tod niemals entkommen würde. Er würde doch eher hoch oben nahe seinem Gott sterben wollen, vorzugsweise im Osten, wo die Sonne jeden Morgen ihr Antlitz offenbarte. Sogleich eilte General Haremhab mit seiner Elitetruppe die Wendeltreppe des Ost-Turms hinauf und rüttelte, oben angekommen, zornig an der verschlossenen Tür. Er ersparte sich jedes Wort, dass er augenblicklich aufmachen müsste, und trat stattdessen beharrlich mit seinen Männern gleichzeitig gegen die Tür. Immer und immer wieder.
Semenchkare war schwer verwundet, denn er hatte sehr viel Blut verloren. Er keuchte und fasste nach dem Pfeil, welcher in seiner Schulter steckte und versuchte diesen herauszuziehen, aber die Schmerzen waren für ihn einfach zu unerträglich, um diese Prozedur selbst auszuführen. Vom Schmerz geplagt brach er das Geschoss wenigstens ab und schrie dabei laut auf. Schweiß rann von seiner Stirn und vermischte sich mit der Schminke seiner Augenlider. Er zitterte und seine Wahrnehmung entschwand ihm langsam. Das Leben begann allmählich aus ihm auszuweichen.
Die verflüssigte Schminke lief wie schwarze Tränen über seine Wangen. Semenchkare, der König von Ägypten, war endgültig verloren. Die verriegelte Tür erzitterte mit jedem Schlag – Amun pochte mächtig an dieser Tür und gleich würden sie erscheinen.
BUMM … BUMM … BUMM, donnerte es gleichmäßig an der Holztür, die bedrohlich erzitterte. Semenchkare sah entsetzt zu, wie die Scharniere der Tür vibrierten und sich allmählich lockerten. Ängstlich verkroch er sich in die hinterste Ecke, zog seinen Dolch aus der Scheide und hielt die messerscharfe Klinge keuchend gegen seinen Bauch. Seine Augen waren weit geöffnet und spiegelten die pure Entschlossenheit wider. Haremhab sollte sich wenigstens nicht damit rühmen dürfen, dass er den König von Ägypten eigenhändig umgebracht hatte.
WUMM … WUMM … WUMM, dröhnte es, dann brach die Tür schließlich auf. Haremhab stand mit finsterem Blick vor dem König, der sich in die hinterste Ecke verkrochen hatte, und deutet wortlos mit seinem Schwert auf ihn. Doch Semenchkare lächelte nur keuchend.
„Ich diente dem allmächtigen Aton, sowie meinem Pharao Echnaton. Mögen dich die Geister der Duat eines Tages verschlingen, du elendiger Hurensohn!“, waren seine letzten zornigen Worte, bevor Semenchkare sich selbst die Dolchklinge in seinen Leib rammte.

Nachdem es General Haremhab endlich gelungen war, die Tür aufzubrechen, betrachtete er verächtlich Semenchkares gekrümmten Leichnam.
„Schafft diesen elendigen Feigling hinaus, aber lediglich seinen Kopf. Spießt ihn, wie auch den Schädel der Prinzessin Iset auf einen Pfahl direkt am Nilufer auf. Jeder Handelsmann und jeder Fischerbursche soll sehen, was einem Landesverräter blüht“, sprach er besonnen. „Der Rest von ihnen soll auf diesem Schandfleck der Welt vermodern, oder mögen sich die Ratten und Geier ihre Bäuche an ihnen verderben. Ist mir ebenso recht.“
Haremhab drehte sich zu guter Letzt seinen Soldaten zu, bevor er die Wendeltreppe hinunterstieg und lächelte verschmitzt.
„Hiermit erlaube ich euch allen, Trophäen zu sammeln. Seine Finger, die sind immerhin Gold wert, und mit seiner Haarmähne und seinem Schwanz kann man in einer Schenke durchaus Anerkennung ernten und Freibier ergattern.“
Die Soldaten lachten laut auf, dann stürzten sie sich gleichzeitig auf Semenchkares Leiche und erleichterten ihn gierig von seinen wertvollen Körperteilen.
Es knisterte und krachte laut. Aus allen Fensteröffnungen von Per-Aton schlugen mächtige Flammen heraus. Dunkle Rauchschwaden zogen über das Wüstengebiet. Achetaton war nun endgültig gefallen und zerstört. Ein Hauptmann trug Meritaton aus dem brennenden Palast auf seinen Armen hinaus. Plötzlich knallte es hinter ihnen gewaltig. Gesteinsbrocken flogen umher und ein dunkler Rauchpilz stieg empor – der Kompoststall war explodiert.
Das hübsche Mädchen schäkerte mit ihm, himmelte diesen starken Soldaten an, umklammerte seinen Hals und küsste ihm zum Dank ihrer Rettung auf die Wange. Der Hauptmann lächelte verlegen, immerhin war Meritaton eine Royale und absolut tabu für ihn. Was für eine bezaubernde Schönheit sie einmal werden würde, zuckte es durch seine Gedanken, als er die junge Königin vor der Stadtmauer wieder absetzte. Die mittlerweile Fünfzehnjährige wirkte für ihr Alter sehr erwachsen, wusste dies und winkte dem Hauptmann absichtlich mit einem verführerischen Blick zu, bevor sie erhaben in die Sänfte stieg, welche sie zum Hafen bringen würde. Die Sonnenbarke wartete bereits darauf, das königliche Mädchen wieder zurück nach Memphis zu bringen. Königin Meritaton seufzte, als sie ihrem Helden nachwinkte. Noch ahnte sie nicht, dass ihre Heirat mit Semenchkare annulliert und sie weiterhin eine Prinzessin bleiben würde.
Sogleich eilten dutzende Handwerkertruppen und Wasserschlepper in die Geisterstadt hinein, mit dem Befehl, das noch vorhandene Feuer zu löschen und all das Blattgold von den Kuppeldächern und Inneneinrichtungen der Paläste sowie des Atontempels abzukratzen. Edelsteine, eben alles was wertvoll war, sollte selbstverständlich ebenfalls eingesammelt werden. Außerdem erhielten sie die Anweisung, die Namen des Echnaton sowie die des Semenchkare aus allen Obelisken und Steintafeln zu tilgen. Die Existenz dieser Könige musste unbedingt der Nachwelt vorenthalten werden. Niemand sollte je erfahren, dass diese Könige über Ägypten geherrscht hatten.

„Dank der schicklichen Strategie und des unerschütterlichen Mutes von General Haremhab ist die Schlacht um Achetaton nun siegreich geschlagen worden, und die Gerechtigkeit der Maat hat somit ihren Sieg errungen. Der falsche König von Ägypten, der sich die Vormundschaft des rechtmäßigen Thronfolgers ergaunern wollte, damit er über Kemet regiere, wie es ihm beliebt, ist nun tot und die Prinzessin Iset bezahlte für ihren Verrat an das schwarze Land ebenfalls mit ihrem Leben. Nun kann der Prinz, unser zukünftiger Pharao Tutanchamun, in der neuen Hauptstadt Memphis gekrönt werden. Im Namen des Amun: Ewig lebe unser Pharao Tut-anch-Amun, ewig lebe unser Volksheld Haremhab!“, verkündeten die Laufboten im ganzen Land auf den Marktplätzen aller Städte, woraufhin das Volk kreischend applaudierte.

Im tosenden Applaus betrat der Wesir Eje den Balkon des Königspalastes von Memphis und ließ sich wie einen wahren König feiern, obwohl der Applaus eigentlich dem Pharaonenpaar gewidmet war. Der Jubelschrei abertausender Menschen erklang. Eje fühlte sich mächtiger, als je zuvor. Mit der Vormundschaft des jungen Pharaos hatte er erreicht, dass er das ägyptische Reich regieren konnte. Eje war nun der eigentliche Herrscher über das Weltreich Ägypten. Er streckte seine Arme auseinander – sein weinrotes Gewand breitete sich wie die Flügel des Horus auseinander –, woraufhin das Volk noch lauter jubilierte. Hinter ihm traten Pharao Tutanchamun und die Große königliche Gemahlin Anchesenamun händchenhaltend hervor und bestiegen zögerlich das aufgebaute Podium, damit das Volk ihr neues Königspaar in ihren prachtvollen Gewändern bestaunen konnte. Tutanchamuns zylindrische Pschent-Krone musste sogar extra für den Siebenjährigen angefertigt werden, genauso wie Anchesenamuns blaue Königinnenkrone. Der kleine Pharao blickte gelangweilt auf seine Sandalen und wackelte mit seinen Zehen. Dann zog er an Ejes Gewand und blickte zu ihm hinauf.
„Ehrenwerter Eje, wann darf ich denn wieder in meinen Park gehen? Ich möchte meine Giraffen und meine Elefantenbabys füttern.“
Der Wesir packte unauffällig seine kleine Hand, wobei er dem Volk triumphierend zuwinkte, und drückte ihn vorsichtig von sich weg. Er beugte sich zu dem neu gekrönten Pharao hinunter, flüsterte ihm etwas ins Ohr und schob ihn näher zu seiner Gemahlin heran, wobei er sanft gegen sie stieß und seine Krone dabei etwas verrutschte. Tutanchamun richtete sogleich seine rote Pschent-Krone. Die dreizehnjährige Anchesenamun war euphorisch und winkte dem johlenden Volk freudenstrahlend zu. Die Jugendliche war völlig überwältigt. Unzählige Wimpel, Fahnen und Banner, auf denen Glückwünsche geschrieben standen, wedelten ihr wie ein Meer bunter Schmetterlinge entgegen. Der kleine Tutanchamun dagegen schmollte und blickte scheu auf die Bevölkerung hinab. Die kreischende Menschenmasse behagte ihm nicht und am liebsten hätte er sich hinter seiner Halbschwester versteckt.
„Ani, wie lange müssen wir denn noch bleiben?“, stöhnte er gelangweilt, wobei er sehnsüchtig auf seine Gemahlin blickte. „Spielst du nachher wieder mit mir Schiffe? Ich lasse dich diesmal sogar gewinnen. Bei Amun, ich verspreche es dir!"
Königin Anchesenamun beugte sich zu ihrem kindlichen Gemahl herunter und kicherte ihm vergnügt ins Gesicht.
„Sieh doch nur, Tut, all die vielen Menschen!“, sprach sie mit ihrer piepsigen Stimme, wobei sie ihn aufgeregt rüttelte. „Ganz Ägypten ist gekommen, um uns zu sehen. Ganz Ägypten!“
Hinter ihnen standen ihre vier Schwestern und die zahlreichen Vettern und Cousinen, ebenfalls feierlich angezogen. Besonders musterte Prinzessin Meritaton, die einstige Königin von Ägypten, die neu gekrönte Große königliche Gemahlin mit neidischen Blicken. Finster kniff sie ihre Augen und dachte sich: Ich bin die älteste Tochter, nur mir steht die Krone zu. Ich hasse meinen Vater, ich hasse meine Mutter … und ich hasse Anchesenamun.
Vergessen waren nun die Unruhen, vergessen der Aufstand in Amarna, wie auch der Gott Aton und Pharao Echnaton in Vergessenheit geraten waren. Und dass einmal ein Pharao namens Echnaton und König Semenchkare je existiert hatten, würde man erst über 3.300 Jahre später erfahren, dann, wenn das Grab des Tutanchamun entdeckt wird.
 

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