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Kopfbahnhöfe, Teil 13 - HÄSSLICHE WAHRHEITEN

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© Ingrid Alias I   
   
„Und dann verliebt er sich in so etwas wie dich?“ Regina schaut mich nun hasserfüllt an. „Nein, das konnte ich nicht dulden. Du bist total unstabil in deinen Gefühlen. Du hast mir erzählt, du wolltest kein Kind haben, weil du Angst hättest, du könntest es genauso misshandeln, wie deine Mutter dich misshandelt hat. Was zum Teufel wolltest du überhaupt von meinem Bruder? Ewige Liebe und Treue? Wer bist du, um so etwas verlangen zu können?“
Was soll das bedeuten? Ich schaue sie fassungslos an, denke nach und komme schließlich drauf:
„Du bist es, die unstabil ist! Du warst es, die mir das alles angetan hat! Warum? Was hast du gegen mich?“ Mittlerweile will ich nur noch weg von hier. Ich habe dieser Frau soviel von mir preisgegeben und das kann sie ausschlachten zu meinem Nachteil. Nein, kann sie nicht, hat sie doch schon getan.
„Im Prinzip habe ich nichts gegen dich, ich finde dich interessant und ich mag dich, aber für Hardy kommst du nicht in Betracht!“
Allmählich fällt mir vieles ein und alles fügt sich zusammen: Sie hat vorher in dieser Wohnung gewohnt, hat immer noch die Schlüssel dazu. Und sie hat bestimmt auch den zu meinem Zimmer nachmachen lassen und konnte so die verräterischen Zettel an sich nehmen. Es musste kurz vor meiner Aussprache mit Hardy geschehen sein. Aussprache? Was für ein Witz von einer Aussprache: Ich mit keinem Beweis in der Hand.
Im Januar war ich ja für eine Woche in Daarau, um meine Mutter zu beerdigen. Da hatte sie genug Zeit, um alles zu durchwühlen. Himmel, sie hat ältere Fotos von mir benutzt, um mich in der Gegend zu diffamieren. Und an meine Telefonnummern und Adressen kam sie auch ran, zum Beispiel an die von Parker und der Medusa.
Nein, es wäre so pervers und gemein, nein, das kann nicht sein ... Oder doch? Ich sollte jetzt ganz ruhig bleiben.
„Und warum komme ich nicht in Betracht?“ Meine Stimme klingt sehr höflich, denn ich reiße mich auch sehr zusammen.
„Du passt nicht zu ihm, er hat was anderes verdient“, sagt Regina sofort und ihre Stimmt klingt dabei unheilschwanger.
Ich schaue sie zwar gespannt an, bin aber zu erschöpft, um darauf etwas sagen zu können.
„Seine Exfreundin, die ist wirklich göttlich. Sie passt viel besser zu ihm als du! Sie ist so schön, so geistreich - und sie hat schon einen Sohn im Gepäck. Hardy liebt sie nicht, wird sie nie lieben - und das ist gut für ihn, denn Liebe könnte ihn verletzen.“ Wieder sieht sie mich hasserfüllt an, bevor sie fortfährt: „Aber leider Gottes liebt er dich über alles!“
Hardy liebt mich über alles und hält mich trotzdem für verrückt? Allmählich durchschaue ich dieses furchtbare Spiel. Ich muss meine Gedanken sammeln, muss alles in einen Zusammenhang bringen ...
„Du warst von Anfang an gegen mich. Du hast mir was vorgespielt in Sachen Zuneigung. Du warst immer auf der Seite von Hardys Exfreundin, hast mir aber erzählt, dass du sie nicht magst. DU warst es, die mir diese Göttin in Rot geschickt hat, um mich zu verunsichern!" Atemlos höre ich auf zu sprechen, hole tief Luft und rede dann weiter: „Und als das nicht klappte, kamen die anderen Sachen dran - und dann die Diebstähle, die ich begangen haben sollte ... Oh ja, so fein ausgeklügelt alles! Ich hatte nicht die geringste Chance, mich dagegen zu wehren.“ Ich verstumme, denn das alles ist so grässlich und irrational. Und mir fällt ein, dass ich nicht soviel quatschen sollte, denn auf der Kassette ist nur Platz für eine halbe Stunde Aufnahme.
Reginas Mund verzieht sich zu einem scheußlichen Lächeln. Dieser Mund spuckt aus: „Ich hatte dich in der Hand, ich wusste alles über dich, über dein Verhältnis zu deiner Mutter, die dich nicht liebte - und über dein Verhältnis zu deinen früheren Männern, die du verachtet hast, weil sie dich liebten und du dich nicht für liebenswert hieltest, denn deine eigene Mutter hat dich nicht geliebt. Du hast mir über Parker erzählt und über diese Madame Medusa mit ihrem seltsamen Therapeuten, der ihr geraten hat, alte Leute anzurempeln, um ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Ich konnte Parker und die Medusa schnell ausfindig machen, in deinem kleinen roten Büchlein stehen ja alle wichtigen Telefonnummern und Adressen ...“
Irgendwas kommt mir falsch daran vor. „Moment mal“, sage ich, „die Medusa kam doch schon vorher bei unserem Wohnungsfest an, da hattest du noch gar keine Einsicht in mein kleines rotes Büchlein!“ Die findet den Therapeuten von der Medusa seltsam? Und sich selber nicht? Ich könnte diese Frau erwürgen, aber ich habe keine Kraft mehr dazu.
„Da hast du recht! Hardy hat es mir erzählt, da war er schon verliebt in dich und wollte dich wohl beschützen. Also wusste ich, dass sie eine Mitfahrzentrale hat und da es nun nicht viele davon gibt, habe ich sie ausfindig gemacht und Martina auf sie angesetzt ...“
„Wer ist Martina?“
„Tja, wer wohl? Es ist Hardys Exfreundin. Und ich habe sie auch auf deinen Exfreund Parker angesetzt. Das klappte gut, der liebt ja Frauen, vor allem, wenn sie schön sind. Martina hat ihn bezirzt und ausgefragt.“ Regina fängt an zu lachen, redet aber schnell weiter: „Und daraufhin hat er einiges über dich ausgeplappert. Über dich böse Frau!“
Ich schaue sie sprachlos an. So weit ist sie gegangen? Doch dann fällt mir ein, dass dies nur der Anfang war.
„Beide hatten noch offene Rechnungen mit dir. Parker - was für ein Idiot übrigens - wollte dich wiederhaben, nachdem diese Conny ihn verlassen hatte, aber du hast ihn verschmäht und ausgelacht. Außerdem hat er Martina erzählt, dass er dir ein Angebot gemacht hätte: Er wollte dich bezahlen, wenn er öfter mal vorbeikommen könnte, um mit dir zu schlafen. Und das war eine ausgezeichnete Information!“
Abgründe tun sich gerade hinter mir auf. Ich bin in jeden von ihnen hineingefallen. „Das ist ja wohl ein Witz! Ich habe das Angebot natürlich nicht angenommen!“
Regina unterbricht mich lächelnd: „Das weiß ich doch, meine Tony. Und Madame Medusa war sauer auf dich, weil du sie nicht mehr treffen wolltest. Sie hat Martina außerdem erzählt, dass der Dealer, der sie süchtig gemacht hat, ein Bekannter von dir war. Damit konnte ich etwas anfangen ...“ Sie lacht hämisch auf.
„Himmel, von wegen Dealer, ich kannte den Typen kaum. Madame hat sich auf alles gestürzt, was ich nicht haben wollte.“
„Das interessiert jetzt keinen mehr, liebe Tony. Die Sache ist gelaufen! Wenn man jemanden mit Dreck beschmeißt, bleibt immer ein bisschen davon hängen.“
„Du bist ziemlich krank, meine liebe Exquasischwägerin“, meine Stimme will höhnisch klingen, aber es kommt sicher nur ein Krächzen heraus. „Und dieser Sieg über mich wird dir nicht bekommen. Ich werde Hardy zwar verlassen und das tut mir unglaublich weh, aber wenn er die Wahrheit erfährt, dann wird er sich von dir abwenden.“
„Ach! Was? Und woher sollte er die Wahrheit erfahren?“
„Von dir selber. Und jetzt verschwinde bitte! Ich muss noch meine Anlage einpacken.“ Ich erhebe mich vom Sofa, greife mir den großen Karton, den ich mitgebracht habe, gehe zur Anlage - den Recorder kann Regina nicht sehen, weil ich direkt davorstehe - drücke dann endgültig auf AUS und und hoffe inbrünstig, dass die Aufnahme gelungen ist.
Regina ist immer noch da, sie will wohl ihren Triumph über mich voll auskosten. Ich drehe mich zu ihr um und sage: „Du bist ja noch da, liebste Regina. Ach ja, da fällt mir noch was ein: In der Stadt Ljubljana war es wohl. Eine schöne Abtreibung hast du da vornehmen lassen, nein, ich verurteile dich nicht deswegen. Du kotzt mich einfach nur an. Scher dich zum Teufel oder direkt in die Hölle, du Ausgeburt der ... ach, wen juckt's! Geh einfach weg!“
Regina schaut mich entsetzt an, sagt kein Wort mehr und geht endlich. Erleichtert atme ich auf. Ich spule die Kassette zurück und drücke auf Play. Es hat geklappt, Regina und ich sind gut zu verstehen in allen hasserfüllten und hysterischen Tonlagen. Diese Kassette wird mich zwar nicht glücklicher machen, aber sie kann zumindest die Wahrheit verkünden. Eigentlich ist es mir egal, es ändert nichts an der Tatsache, dass ich hier fertig bin.
Wie benommen packe ich die Anlage ein. Den Tisch zerlege ich - und schaffe alles ins Auto. Ich komme mir so erbärmlich vor, so verlassen und vor allem so verraten. Der schlimmste Verrat ist aber immer noch der von Hardy an mir. Und das kann ich ihm nicht verzeihen. Tja, Regina hat ihr Werk vollbracht.
Mir fällt noch etwas ein. Ich gehe in Hardys Schlafzimmer und suche nach dem kanadischen Ice Hockey Trikot, das ich ihm vor Monaten geschenkt habe. Er sah so geil damit aus.
Ich betrachte es lange. Es ist das Symbol unserer Leidenschaft für einander. Doch dann schüttele ich den Kopf und lege es auf sein Bett, denn es soll ein Zeichen für ihn sein. Wofür? Dass er nun bei anderen Frauen anwenden darf. Das tut mir zwar weh, aber ich will keinen Liebesfetisch behalten, ich habe genug mit meinen Erinnerungen zu tun, da ist alles gespeichert, schlechtes sowie gutes. Ich werfe keinen Blick zurück. Weil ich sonst weich geworden wäre? Ja, kann sein.
Nur mein kleines Sofa bleibt vorerst hier. Vielleicht kann Ralf es irgendwann abholen. Und bei der Gelegenheit wird er Hardy auch eine Kopie von Irenes Schuldgeständnis überreichen. Es muss persönlich geschehen, denn die verrückte Regina kontrolliert bestimmt auch Hardys Post. Aber ich selber will nicht verrückt sein. Ich will ein normales Leben führen, ohne dass mich jemand für irre hält, und das kann ich in diesem Haus nicht mehr.
-*-*-
Die entlarvende Kassettenaufnahme besticht durch eine hervorragende Soundqualität. Alles ist gut zu hören, was Regina und ich ersprochen haben. Ersprochen ... hört sich an wie sprachlich Ausgekotztes. Freund Ralf macht ein paar Kopien davon, denn die werden wir nötig haben. Seltsam, dass mich alles im Nachhinein nicht befriedigt, nichts ist zu ändern, die Vergangenheit ist wie in Beton gegossen, man kann zwar versuchen, sie abzumildern, indem man in diesem Beton herumbohrt, aber das bringt nichts, die Vergangenheit ist unabänderlich.
Ralf wird Hardy diese Kassette persönlich übergeben. Die beiden sind ja Freunde. Es tut mir zwar weh, dass Hardy auf diesem Weg erfahren muss, was in Wirklichkeit passiert ist, aber auch das ist unabänderlich.
Ralf schellt ein paar Tage später bei mir an und ruft nach oben hin: „Komm runter, ich habe dein Sofa im Lieferwagen!“
„Ich komme!“ Gemeinsam tragen wir das Sofa in den ersten Stock.
„Und wie war es?“, frage ich Ralf zaghaft, nachdem wir das Sofa ins Wohnzimmer gehievt haben.
„Es war schon schlimm“, sagt Ralf. „Hardy war total entsetzt, als er die Aufnahme hörte. Und er tat mir leid.“
„Du wirst jetzt vielleicht lachen, aber mir tut er auch leid“, sage ich und fange an zu weinen.
„Komm schon Tony, er muss dir nicht leid tun, er hat an deinem Verstand gezweifelt, er hat die Aussage seiner verrückten Schwester höher gestellt als deine. Und das habe ihm auch klar gemacht. Ach ja, übrigens sind Hardy und ich jetzt keine Freunde mehr.“
Das muss ich erstmal sacken lassen - und sage schließlich: „Du musst diese Freundschaft nicht beenden. Ihr beide habt euch doch gut verstanden und ich will auf keinen Fall zwischen euch stehen.“
„Tony, lass es sein. Natürlich haben wir uns gut verstanden, so von Mann zu Mann, aber du bist mir viel wichtiger als er. Und das weißt du auch.“
Stimmt ja, Hardy hat behauptet, dass Ralf in mich verliebt wäre. „Weiß ich das? Ach Ralf, du kannst doch jede Frau haben. Was ist denn mit Andrea? Ich glaube, sie mag dich sehr.“
„Ich mag sie auch, und im Bett ist sie große Klasse.“
„Und wo ist das Problem?“, frage ich neugierig.
„Das Problem ist: Ich liebe sie nicht.“
-*-*-
Ich melde das Telefon an, igele mich in meiner Wohnung ein und mache die Tür nur auf, wenn ich genau weiß, wer kommen wird. Das sind Ralf und Andrea. Und oft auch meine Schwester Donni. Alle versuchen mich zu trösten, aber das ist schwer. Ich bin in einem dunklen Tunnel gefangen, kein Licht am Ende des Tunnels ist zu sehen, nur Finsternis egal in welcher Richtung. Dementsprechend ist mein Gemütszustand, und ich befürchte, dass ich sie alle deprimiere.
Trotzdem geben sie sich viel Mühe mit mir. Auch Rupert und Betty, meine Freunde noch zu Parkers Zeiten kommen manchmal zu Besuch. Sie haben immer zu mir gehalten, auch in meinen schlechteren Zeiten, als ich mich von Parker trennte. Aber jetzt erlebe ich wirklich schlechte Zeiten.
Einmal - es ist an einem Mittwoch - schellt es. Könnte es Hardy sein? Er versucht dauernd, mich telefonisch zu ereichen. Die Nummer steht zwar noch nicht im Telefonbuch, man kann sie aber über die Auskunft erfahren. Doch wenn ich seine Stimme höre, lege ich sofort auf. Es hat doch keinen Sinn. Aber stimmt ja, Ralf wollte heute vorbeikommen. Also mache ich die Tür auf.
Und erstarre, denn es ist Hardy, der heraufkommt.
Zuerst stockt mir der Atem, aber ich bezwinge das mühsam. „Was willst du“, frage ich ihn freundlich.
„Ich will dich nur sehen“, sagt er.
„Und nun hast du mich gesehen, also kannst du wieder gehen.“
Er kommt auf mich zu, und für einen endlos langen Augenblick fühle ich wieder diese Anziehungskraft, diese Faszination, die er einmal auf mich hatte und die er immer noch auf mich hat. Ich schmiege mich an ihn und denke für eine kurze Weile an an die Lust und die Ekstase, die er mir bereitet hat. Aber es geht nicht mehr, das mit ihm. Ganz langsam und behutsam löse ich mich aus seinen Armen.
„Wie geht's denn deiner Schwester?“, frage ich ihn. Gut, dass die mir eingefallen ist. Aber ich hätte auch so den Dreh gekriegt. Hardy ist Vergangenheit, zwar eine schillernde und leidenschaftliche Vergangenheit, aber ich muss über ihn hinwegkommen.
„Meine Schwester hat sich in psychologische Betreuung begeben“, sagt Hardy.
„Ach ja? Klapsmühle wäre besser gewesen. Könntest du den Proff von mir grüßen? Er weiß es ja wohl auch mittlerweile und das tut mir leid, denn ich habe ihn sehr gerne.“
„Das werde ich tun, meine Süße.“ Er schaut mich an und sein verlangender Blick macht mich fast wahnsinnig.
„Und wenn wir jetzt woanders wohnen würden, wir beide? Irgendwo, wo meine Familie uns nicht erreichen kann?“ Hardy schaut mich nun bittend an.
Ein furchtbarer Zwiespalt tobt in mir, ich habe ihn liebgehabt - und ich werde ihn immer liebhaben auf eine irre Weise. Und er tut mir so furchtbar leid. Himmel, warum hat er diese fatale Anziehungskraft auf mich? Doch mit ihm leben kann ich nicht mehr. Hilfe, meine Stirn schmerzt. Und außerdem bekomme ich keine Luft mehr, aus meiner Kehle will kein einziger ... Laut ... heraus. Ich will Luft haben, kriege sie nicht, keuche vor mich hin und glaube, dass ich ersticke. Krampfhaft schnappe ich weiter nach Luft und kriege sie endlich ... zumindest stückweise. Merkt Hardy gar nichts davon?
Irgendwann kann ich fast wieder normal atmen. So eine Erfahrung möchte ich nie wieder machen. Liegt es an Hardys Gegenwart? Stockend sage ich: „Es wird immer eine verrückte ... Stalkerin geben, die sich in unser Leben einmischt ... und es zerstören will. Oder deine verrückte Schwester, denn das ist sie: Verrückt! Tut mir leid, Hardy. Ich hab dich lieb, das ... weißt du, und du bist bis jetzt der ... einzige gewesen. Aber diesen Druck kann ich auf Dauer nicht ... aushalten, er würde mich zerstören.“ Immer noch muss ich tief ein- und ausatmen und keuche dabei vor mich hin.
Er schaut mich an, und ich kann seinen Blick kaum ertragen. Aber ich muss ihn ertragen können. Ich sollte jetzt etwas erfinden, damit er mir nicht mehr nahe kommen kann. Denn wenn ich mich wieder auf ihn einlasse, dann endet es nicht gut.
„Ich werde von hier fortziehen, nämlich zu meinem Vater. Die Katzen werden sich dort wohler fühlen als in dieser kleinen Wohnung.“ Ich kann wieder ruhig atmen. Oh Gott, wie komme ich denn auf so etwas? Ist doch völlig absurd. Oder habe ich im Unterbewusstsein schon daran gedacht? Ich fahre fort: „Ich glaube, Kiddie wird dich vermissen, aber bald kann er ja wieder hinaus und Mäuse killen.“
Die Tür zum Schlafzimmer ist geschlossen, dort wo die Katzen auf meinem Bett schlummern. Also kann Kiddie nicht herauskommen und sich auch nicht an Hardys Beine schmiegen. Kiddie liebt Hardy ... Nein, die Tür bleibt geschlossen. Auch für mich, die sich an ihn schmiegen will.
Hardy schweigt. Ich möchte ihn berühren, ihn umarmen, ihn küssen, mit ihm ins Bett gehen, mich ihm hingeben. Aber es geht nicht, es darf nicht gehen. Ich halte mich mühsam zurück, das tut weh und wird wahrscheinlich für eine lange Zeit noch wehtun.
Hardy versteht. Er kommt auf mich zu und küsst mich auf die Stirn. Und wieder kommen Erinnerungen hoch. Dieser obligatorische Kuss auf die Stirn, wie habe ich den gehasst am Anfang, und jetzt ist er nur noch eine Erinnerung an bessere Zeiten. Ich weiche zurück, ich will das nicht, obwohl alles in mir danach verlangt.
„Bitte Tony! Du weißt ja, es liegt in meiner Familie, nur eine einzige Frau lieben zu können. Und die bist du.“
Mit allerletzter Kraft sage ich: „Ich empfinde das gleiche für dich, aber manchmal reicht Liebe eben nicht aus.“
Er lässt mich zögernd los, geht langsam zur Tür und sagt: „Grüß Kiddie von mir und mach es gut, Tony.
„Warte noch“, sage ich. Er stutzt und sieht mich gespannt an.
Ich laufe ins Wohnzimmer und hole einen Briefumschlag. Hardy nimmt ihn, zieht mich noch mal kurz an sich - und geht dann endgültig.
Allein seine Berührung bringt alte Gefühle in mir hoch. Oh Gott, er ist weg. Wieder fange ich an, nach Luft zu schnappen. Habe ich das wirklich so gewollt? Nein, habe ich nicht, aber ich kann nicht anders. Meine Stirn tut wieder weh, ich werfe mich auf mein Bett und fange an zu schluchzen. Meine große Liebe hat mich verlassen, weil ich es so wollte.
Zweifel befallen mich. Habe ich das Richtige getan? Hätte ich vielleicht kämpfen sollen? Nein, ich hätte verloren, so oder so. Ich, beziehungsweise mein schwaches Selbstbewusstsein wäre daran zugrunde gegangen.
Durch Zufall schaue ich auf den Kalender an der Wand und erkenne, dass heute der 15. März ist. Das Datum kommt mir bekannt vor. Und dann fällt es mir ein: Hardy hat heute Geburtstag. Oh nein! Mein Schluchzen geht in hemmungsloses Weinen über und ich kann gar nicht aufhören damit.
Ich hatte ja gehofft, die Wunde würde allmählich zu einer Narbe werden, die dann irgendwann verblasst. Nichts ist verblasst, alles ist noch da. Meine Gefühle für ihn, meine Liebe zu ihm. Und vor allem der Schmerz, ihn verloren zu haben. Ich muss an den Brief denken, den ich ihm gab. Darin steht nichts Neues, dafür aber Endgültiges:

Mein Psy San,
es tut mir unendlich leid. Aber so? Nein, so geht das nicht. Du hast mir nicht geglaubt, als ich deinen Glauben an mich brauchte.
Du hast mir nicht vertraut, hast meinen Geisteszustand in Frage gestellt, als ich dich brauchte.
Ich wollte dich nie verlassen, mein Psy San, aber ich werde mich nicht zwischen dich und deine Familie stellen. Ich würde zwischen Mühlsteinen zermahlen werden. Ja, es tut mir weh, verdammt weh, unendlich weh, aber ich kann nicht anders.
Lebe dein Leben, mein Psy San, es wird auf jeden Fall gut sein - auch ohne mich.
Tony, deine Süße

Zu Teil 14: - DER MAI MACHT MANCHES NEU
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