... für Leser und Schreiber.  

Lieber Herr Suhrkamm

165
168 Stimmen
   
©  Majissa   
   
Lieber Herr Suhrkamm,

Haben Sie recht herzlichen Dank für Ihre Absage, die mich am 18.02.2002 erreichte und bis heute leider unbeantwortet blieb.

Durch ein Versehen meiner Mitarbeiterin, die ich eigens für die Beantwortung meiner Verlagsabsagen angestellt habe, geriet Ihr Brief zu meinem größten Bedauern über einen längeren Zeitraum verlustig.

In Ihrem Schreiben bedanken Sie sich für mein Interesse an Ihrem Verlag. Es ist wirklich nicht nötig, Herr Suhrkamm, daß Sie sich so herzlich bedanken. Gerade, weil ich Ihrem Hause ein gesteigertes Interesse entgegenbringe und Ihnen auch in Zukunft meine Werke nicht vorenthalten möchte, ist es mir doppelt unangenehm, daß Sie so lange auf meine Reaktion warten mussten.

Leider wird es mir aber im Hinblick auf die hier eingehenden Flut von Verlagsabsagen nicht möglich sein, so intensiv wie gewohnt auf den Inhalt Ihres Schreibens einzugehen. Dies bedeutet kein abschließendes Urteil über dessen Qualität, sondern hat allein mit der großen Anzahl der Verlage zu tun, die ebenfalls auf meine Antwort warten. Dennoch habe ich Ihrer herzlichen Absage die gleiche sorgfältige Prüfung zukommen lassen wie Sie, lieber Herr Suhrkamm, meinem Manuskript "Weißkohl im Schnabel des Spechtes".

Zu meiner großen Freude hat Ihr Lektorat wie gewöhnlich keine Spuren auf meinen Textseiten hinterlassen. Weder häßliche Kaffeeflecken noch verwischte Zigarettenasche. Ein paar gräßliche Haarschuppen auf der ersten Seite, schon, aber im großen und ganzen erhielt ich mein Manuskript nahezu keimfrei zurück. Es liegt die Vermutung nah, daß Sie mit Handschuh und Pinzette arbeiten. Unter klinischen Bedingungen zur Substanzsicherung. Ja? Beschäftigen Sie Buchrestaurateure? Das wäre mir neu, aber im Hinblick auf die zunehmend morbide und zerfallsbedrohte Papierqualität durchaus verständlich. Sie werden mir sicher zustimmen, daß das Papier der heutigen Zeit bereits durch einen längeren Blick zu ersten Korrosionserscheinungen neigt. Deswegen benutze ich nur noch ein sehr ausdrucksstarkes, handgeschöpftes Pflanzenpapier aus Simbabwe. Doch das wird Ihnen sicher schon aufgefallen sein.

Es streichelt meine schriftstellerische Seele, daß Sie keine Bemängelungen gefunden haben. Nicht einen einzigen Federstrich, keine noch so winzige Randbemerkung. Also waren all meine Zweifel völlig unbegründet. Sie können sich unschwer vorstellen, wie nervenaufreibend es ist, den Spannungsbogen bei einem Thema zu halten, das den Weißkohl zum Gegenstand hat.

Sie schreiben mir, wie gern Sie mein Buch veröffentlichen möchten, aber nicht können, weil Sie Verpflichtungen gegenüber Ihren Hausautoren haben. Darüber hinaus bringen Sie nicht einfach nur ein Buch heraus, sondern begleiten das Werk Ihrer Autoren lebenslang. Das ist so nett, Herr Suhrkamm. Das ist wahre Treue und Philosophie. Wenn es eine Möglichkeit gibt, Hausautor bei Ihrem Verlag zu werden, so bitte ich freundlich um die Übersendung eines entsprechenden Bewerbungsbogens. Wenn die Kapazität an Hausautoren jedoch bereits erschöpft ist, dann seien Sie so freundlich, mich auf die Warteliste zu setzen. Denn irgendwann sterben sie ja auch, die Hausautoren oder werden unheilbar krank.

Gern hätte ich Ihnen ausführlicher geantwortet. Mit der Bitte um Verständnis wünsche ich Ihnen weiterhin viel Kraft für die Bewältigung all Ihrer Post und verbleibe bis zum nächsten Manuskript

Mit freundlichen Grüßen
Ihre Frau Spechtschnabel

P. S. Als anständige Ehefrau bleibt noch die Frage, ob man als Hausautorin in Ihrem Verlag in einer Wohngemeinschaft lebt oder auch ein Einzelzimmer beziehen kann.






 

http://www.webstories.cc 17.05.2024 - 14:09:48