... für Leser und Schreiber.  

Angst

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©  Kersti   
   
Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch ging Lara durch die dunkle Straße. Sie hasste es, nachts alleine in der Stadt unterwegs zu sein. Leider hatte sie keine andere Wahl, da die Abendschule erst sehr spät zu Ende war, und Taxi konnte sie sich keines leisten, zumindest nicht zweimal in der Woche.
Lara hielt den Schlüssel fest in ihrer Faust, sodass die Schlüsselspitze zwischen ihren Fingern hervorragte. Ganz so, wie sie es im Selbstverteidigungskurs gelernt hatte. Immer wieder sah sie in den Schatten Bewegungen, erwartete fast, dass hinter der nächsten Ecke jemand hervorspringen würde.
„Denk dir doch nicht so einen Blödsinn aus, du versetzt dich ja nur selbst in Panik“, wies sie sich in Gedanken zurecht. Ein kleines nervöses Lächeln erschien in ihrem Gesicht. Doch schnell schüttelte sie den Kopf und setzte wieder eine grimmige Miene auf. Bloß nicht lächeln, das könnte ja von jemanden als Ermutigung verstanden werden. Festen Schrittes und scheinbar sehr selbstbewusst ging sie weiter.
Plötzlich packte sie jemand am Arm. Zu Tode erschrocken zuckte Lara zurück. Wirre Gedankenfetzen schossen durch ihren Kopf. Vor ihrem inneren Auge tauchten schreckliche Bilder von verstümmelten und geschändeten Körpern auf, dazu Schlagzeilen wie „Junge Frau auf dem Nachhauseweg vergewaltigt!“, „Mord und Totschlag in unserer Kleinstadt!“
„Hast du vielleicht ein bisschen Geld für mich?“ Diese mühsam hervorgelallten Worte schlugen ihr mit einer übelriechenden Fahne entgegen. Angeekelt wandte sie sich ab und kramte ein paar Münzen hervor. Schnell ging sie weiter. Wieder schüttelte sie den Kopf über sich. „Ich muss aufhören mit den schrecklichen Gedanken. Was soll in dieser Kleinstadt schon mehr passieren, als von einem Sandler angeschnorrt zu werden?“ Sie versuchte sich in positive Stimmung zu versetzen. „Jetzt ist es ja nicht mehr weit, und daheim wartet schon Klaus mit dem Essen auf mich.“ Vor ihren Augen tauchte ihre gemütliche Küche auf, mit gedecktem Tisch und dem warmen Essen darauf. Fast konnte sie es riechen und die Vorstellung drängte die Schreckensbilder in ihrem Kopf etwas zurück. Und wirklich, da war schon ihre Gasse und jetzt nur noch ein paar Meter durch den dunklen Hauseingang (die lauernden Bilder wurden noch mal drohend deutlich). „Das wäre ja wirklich tragisch, kurz vor der Haustür überfallen zu werden“, lachte sie über sich selbst. Trotzdem beeilte sie sich sehr mit dem Aufsperren des Haustors und atmete erst auf, als sie es wieder hinter sich verschloss. Schon war sie vor ihrer Wohnungstür angelangt, und nun waren die Schreckensbilder wirklich weg.
„Hallo Schatz!“ rief sie in die Wohnung, „Ich bin zu Hause!“ „Hallo Schatz!“ kam die Antwort aus der Küche. Hungrig und erleichtert zog sie ihre Jacke aus. „Ich bin so froh, endlich zu Hause zu sein.“ Mit diesem Satz öffnete sie die Tür zur Küche und erstarrte vor Entsetzen. Vor ihr auf dem Boden lag Klaus in einer sich langsam ausbreitenden Blutlache. Sie wollte schreien, aber der Mann, der plötzlich hinter ihr war, presste schnell seine Hand auf ihren Mund und flüsterte ihr ins Ohr. „Ich bin auch froh, dass du endlich da bist.“

 

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