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Der Poet und die Sterne

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© Mes Calinum   
   
Sie funkelten aufgeregt und der Himmel hinter ihnen war so schwarz, wie der Rachen eines ausgehungerten Bären, als der Mann durch ihre Heimat wanderte.
Er kam als Fremder in dieses Land, kam von sehr weit her. Ein Ire, so könnte man glauben, der letzte wahre Poet. Im Licht der Sterne stand er auf der Anhöhe, blickte verträumt auf den Pfad, der sich vor ihm über die Wiese schlängelte. Dieser endete vor der düsteren, schützenden Mauer eines angrenzenden Waldes. Dort wurde er bereits erwartet, mehr wusste er nicht.
Ein tiefes, inniges Treiben hatte seine Suche seit seiner Kindheit bewegt. Für den Verstand der Menschen nicht begreifbar, hielt sie ihn sicher auf seinem Lebensweg. Alles hatte er erreicht, aber er war sich dessen nicht bewusst und im Grunde war er noch zu jung, um seinem Ende jetzt schon gegenüberzustehen.
Seine Leidenschaft waren genau diese Sterne, die über ihm standen und deren Licht jetzt vor ihm auf den Boden fiel. Als kleiner Junge hatte er sie in seinen Träumen oft gesucht und dabei ein Klagelied vernommen, das von so großem Schmerz erfüllt war, dass es ihn fast in den Wahnsinn trieb. Und er schrieb darüber, wann immer er konnte, schrieb über das Land und seine Sterne. Denn wenn er die Sterne finden würde, dann konnte er das Klagelied beenden, das schon so oft sein Herz durchschnitten hatte.
Langsam zogen bunten Schleier über den schwarzen Himmel hinweg - ein kühles Blau, hoffnungsvolles Grün, dann warmes Rot. Zutiefst gerührt, sah der Poet den Lichtern des Nordens beim Tanzen zu.
Er wusste nun, dass es Zeit war zu gehen, denn näher, wie in diesem einen Augenblick, war er dem Land nie gekommen. Zielstrebig ging er voran, als das Klagelied die Stille unterbrach. Mit jedem Schritt nahmen Leid und Trauer in ihm zu, drückten ihn förmlich nieder, um seinen Weg zu erschweren.
Erschöpft gelangte er an das Ende des Pfades und stand nun erstmals an der Grenze zu seinem Unterbewusstsein, so kam es ihm jedenfalls vor, als er den Wald musterte. Trotzdem wagte er es, diesen letzten großen Schritt in die Dunkelheit zu tun und wurde angenehm überrascht, als er sein Innerstes betrat. Die Bäume warfen zwar lange, geheimnisvolle Schatten, aber alles um ihn herum war in sanftes silbernes Licht getaucht, das er am allerwenigstens erwartet hatte. Seine Furcht verflüchtige sich augenblicklich und der Schutz des Waldes beflügelte ihn, gab ihm neue Kraft dem Klagelied zu folgen.
Der schmale Weg, auf dem er sich nun befand, war von vielen kleinen Abzweigungen unterbrochen, doch der Poet ging immer nur geradeaus, denn am Ende des Weges, da musste sie auf ihn warten. Er fühlte wie nahe sie war. Ein uraltes Verlangen und Begehren, wir er es bisher selten verspürt hatte, breitete sich in ihm aus. Als könnte er ohne den Schmerz des Liedes nicht mehr existieren, als müsste er sterben, wenn es jetzt verstummte.
Und er rannte. Doch die Länge des Pfades übertraf alle seine Vorstellungen. Bald drückten seine Schuhe, seine Fußsohlen brannten und zwangen ihn zur Ruhe. Mit vor Aufregung zitternden Händen streifte er sich die Schuhe von den Füßen, sein Kopf zuckte nach oben und er lauschte - Stille.
Panik stieg in ihm auf. Plötzlich wusste er nicht mehr aus welcher Richtung er gekommen war. Er blickte sich hilflos um, während erste Tränen der Verzweiflung in ihm aufstiegen. Wohin sollte er denn jetzt gehen? Warum war sie plötzlich verstummt? Sein Blick wollte sich an den Sternen orientieren, doch das dichte Blätterdach gewährte ihm diese Hilfe nicht. Er musste seine Suche aus eigenem Antrieb beenden, so wie es ab einen bestimmten Punkt im Leben für jeden bestimmt war. Mühsam stand er auf und nahm die Schuhe in beide Hände. Der Boden des Waldes kühlte seinen geschundenen Füße, als er ziellos weiterging. Alles was er jetzt noch hörte, war sein eigener Atem.
Er gab wahrlich ein Bild der Trauer ab, ähnlich einer gescheiterten Existenz, mit gesengtem Kopf und hängenden Schultern, die schon an der Last ihrer eigenen Schuhe zusammenzubrechen drohte.
Und so merkte er nicht einmal, dass er den Wald verließ und auf einen flachen Felsvorsprung hinaustrat. Dichte Nebelschwaden zogen unter ihm durch ein verhülltes Tal und verdeckten die Sicht auf alles was darunter schlummern mochte. Nur nach oben konnte er schauen, zu seinen Sternen. Er flehte sie an ihm zu helfen, doch sie funkelten nur, ganz unschuldig. Erst eine Bewegung in seinem Augenwinkel ließ ihn den Blick wieder senken. Es war der Moment, in dem er sie zum ersten Mal sah und doch war es, als würden sie sich schon ewig kennen. Sie saß einige Meter von ihm entfernt, ihr Blick ruhte sanft auf seiner Person. So standen sie da und sahen sich an: Der Poet und die Wölfin. War sie es gewesen, die er sein Leben lang hatte rufen hören? Er versuchte zu begreifen, was er entdeckt hatte. Aber das, was die Wölfin schon ihr ganzes Leben lang wusste, das erkannte er nicht, davor fürchtete er sich, denn er liebte nur die Sterne.
Er machte unsicher einen Schritt zurück, als wollte er sie von sich stoßen. Beinahe erschrocken stand die Wölfin auf. Ein Flehen trat jetzt in ihre Augen. Sie wollte ihn bitten nicht zu gehen, ihr Leiden zu beenden, zu bleiben, wo er's doch nun geschafft hatte. Wusste er denn nicht wer sie war, wie lange sie schon auf ihn gewartet hatte?
Aber alles was er spürte, war der auffrischende Wind, der den Nebel über die Klippe und zwischen sich und die Wölfin trieb, bis sie sich kaum noch gegenseitig sehen konnten und schließlich wieder jeder für sich alleine stand. Hatte er sein Ziel aus den Augen verloren? Etwas tief in seinem Innern wollte die Hand heben, sie nach ihr ausstrecken, aber er war dafür noch nicht bereit. Sie waren beide bereits in der Dunkelheit, erneut voneinander getrennt, jeder ohne den anderen. Und das Klagen der Wölfin erhob sich erneut, drückte ihn nieder auf den feuchten Erdboden, auf dem er sich zusammenkauerte und seine Schuhe, nach halt suchend, umklammerte. Er wünschte sich, dass sie aufhören würde. Noch verstand er nicht, dass sie einst mehr gewesen war als nur eine Wölfin und er noch viel mehr war als ein Poet.
 

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