... für Leser und Schreiber.  

Letzte Gedanken (sorry, da gab's ein kleines Übertragungsproblem)

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©  Becci   
   
Sie lag auf dem Bett, den ganzen Tag schon. Starrte die Decke an, zählte zum hundertsten Male die zermatschten Mückenleichen und erinnerte sich daran, dass sie diese schon lange weg machen wollte. Aber das war ja jetzt egal geworden. Im Hintergrund spielte "What it's like" von Everlast, seit heute Mittag auf repeat. Immer wieder und wieder. Wenn der sein Englisch mal deutlicher singen würde, könnte sie es schon lange auswendig. Aber es passte zu ihrer Gefühlslage, diese dunkle männliche Stimme und dieser Rhythmus, der im Bauch vibrierte. Sie öffnete die Augen, die Sonne ging schon langsam unter. Sie liebte Sonnenuntergänge. Doch sie fühlte sich zu antriebslos, lustlos, aufzustehen und ihn sich anzuschauen. Es ist doch eh immer wieder das gleiche. Die Sonne geht auf und sie geht unter und dazwischen war der Alltag. Der Mann, mit dem sie zusammen war, liebte sie abgöttisch und konnte ihr alles bieten zum Leben.

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"Ich könnte dir die Welt schenken!" - "Die Welt ist nicht genug..." Dieser Satz kam beiläufig in irgendeiner Vorschau heute, ich glaube James Bond war das. The world is not enough... was nützte mir ein Mann, den ich nicht liebte? Von ganzem Herzen? Mein Verstand wollte ihn, mein Herz lehnte ihn ab. Es war jeden Tag das selbe. Man steht auf, verrichtet seinen Dienst an der Gesellschaft, verdient sich seinen Lebensunterhalt. Man geht weg, macht einen auf fröhlich, auch wenn einem nicht danach ist, man legt sich nieder. Ich liebe es zu schlafen, manche Leute meinen ja, es wäre vergeudete Zeit, für mich ist sie die Flucht aus dem Alltag. Auch wenn ich mich ganz selten an Träume erinnern kann, haben mir schon viele gesagt, ich hätte ein zauberhaftes Lächeln im Gesicht, wenn ich schlafen würde... ich weiß nicht, ob das wahr ist, ich weiß nur, dass ich seit vielen Jahren keinen einzigen Alptraum hatte. Träume haben weder anfang noch ende, vielleicht gefällt mir ja das. Bevor ich ein Buch kaufe, lese ich immer zuerst den Schluss, ich hasse es, wenn ich am Ende heulen muss. Obwohl ich mit Happy Ends auch nicht ganz zufrieden bin... es scheint sehr unrealistisch und sie machen eifersüchtig und Komplexe, weil das eigene Leben nicht so Happy-End-mäßig verläuft.

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Ihr Freund ist seit zwei Wochen im Urlaub und kommt erst in ein paar Tagen wieder. Es würde kein Happy End für ihn geben. Zumindest was das mit ihr und ihm betrifft. Sie würde aus seinem Leben verschwinden, sie hatte es sich lange überlegt, aber sie würde es tun. Daran hinderte sie auch nicht ihr Gewissen und die Tatsache dass er zu dem Zeitpunkt Geburtstag hat. Er tut ihr leid, er liebt sie wirklich. Aber seine immer gut gelaunte Art und sein dämliches Grinsen ging ihr auf die Nerven. Ob er wohl weinen würde? Wie er wohl reagiert? Sie dachte nicht gerne daran, lieber schaute sie lächelnd auf die Pistole, die auf dem Nachttisch lag. Es war alles vorbereitet. Sie hatte ihre Sachen in seiner Wohnung zusammen geräumt, damit nicht zuviel blieb, was an sie erinnerte. Das wollte sie ihm nicht antun. Der Abschiedsbrief war geschrieben, sie hatte die Schnauze voll.

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Was hatte das Leben auch für einen Sinn? Es gab Tage, da sah ich alles wie durch einen Nebel, völlig unrealistisch. Wie so ein außenstehender Zuschauer, der mit der restlichen Welt nichts zu tun hätte. Ich war schon immer ein wenig anders, dass wusste ich. Tiefgründig, nachdenklich, philosophisch, optimistischer Pessimist.
Die Menschheit war wie ein Haufen Ameisen, die riesige Städte bauen, sich gegenseitig umbrachten und die nur so wimmelte von schwanzgesteuerten Idioten und zickigen Schlampen. Aber irgendwie muss sich ja der Fortpflanzungsinstinkt durchsetzen. Für jedes Kilo Mensch mehr auf der Welt gibt es ein Kilo weniger Tier und Pflanze. Selbstzerstörung pur, bin auch mal gespannt, wann der Krieg ums Wasser losgeht. So wie mein Mathelehrer immer gemeint hat, der uns alles andere, nur nicht Mathe, beibrachte. Ich finde es sollte ein Fach in der Schule geben, das Allgemeinwissen heißt, vielleicht hätte ich ja dann mehr in Mathe geblickt... wer weiß.

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Inzwischen war es zappenduster und sie stand auf, um ein paar Teelichter anzumachen. Das letzte Mal. Das letzte Mal würde sie hier liegen und in dem Schein der Teelichter Musik hören. Sie hatte auch ihrer Mutter einen Brief geschrieben, sie würde es verstehen. Ihrer besten Freundin hat sie auch einen geschrieben, den ganzen Tag heute war sie am Schreiben gewesen. Ihre beste Freundin wird sie wohl nicht verstehen. Warum sie dieses Leben aufgibt; sie, die einen lieben Freund hat, der sie anhimmelt, einen guten, wenn auch todlangweiligen Job and so on. Aber ihre Freundin hatte sie auch schon damals komisch angeschaut, als sie ihr erzählt hatte, dass sie das Gefühl hatte, nur ein Zuschauer zu sein. Dass sie alles so unklar und vernebelt wahrnahm, wie durch einen Schleier. Das versteht wohl niemand, der es nicht schon durchgemacht hatte. Manche weniger und manche mehr, wie sie, die es einfach nicht mehr aushalten konnte. Alltag. Mainstream. Sie fuhr mit den Fingern über die Pistole, sie war schön, irgendwie. Morgen wird alles anders. Sie ging zum Kleiderschrank. Was wohl anziehen sollte? Irgendwas hübsches, in dem sie sich wohlfühlte. Wird es im Himmel über den Wolken kalt sein oder eher warm? Sie musste lachen, dumme Frage, die entschied sich für eine fliederne Caprihose und ein sexy Top. Schließlich wollte sie ja gut aussehen, dachte sie augenzwinkernd. Aber vorher musste sie noch was erledigen, sozusagen um ihr Vorhaben zu unterstreichen, für sie persönlich. Sie nahm die Pistole, freute sich regelrecht darauf, bekam auf einmal richtig gute Laune. Sie ging ins Bad, da gäbe es die wenigste Sauerei. Die Pistole war noch nicht mal geladen, schon fing sie vorfreudig an zu kichern. Wie ein kleines Schulmädchen, das was verbotenes tut. Richtig kindisch, aber das war ihr egal. Sie stellte sich lachend vor den riesigen Spiegel an der Badtür und spürte die kalte Mündung an ihrer Schläfe. Genoss das wohlige Kribbeln im Bauch, schloss die Augen und drückte ab.










[s.u.]























Kaltes Wasser spritzte in alle Richtungen, ihr Gesicht wurde ganz nass. Sie öffnete die Augen wieder, sah lächelnd in den Spiegel und legte die Spritzpistole auf den Badewannenrand. Morgen früh um 4 würde ihr Flugzeug losfliegen, Richtung Spanien. Sie würde neu anfangen. Genug Geld hatte sie ja gespart. Nach ihrem symbolischen Tod fühlte sie sich wie von einer schweren Last befreit. Ein neues Leben, sie freute sich darauf. In ein paar Stunden würde sie in den Sonnenaufgang fliegen.



[sorry, da gab es irgendwie ein problem mit dem übertragen... kritik willkommen!]
 

http://www.webstories.cc 29.04.2024 - 21:38:06