... für Leser und Schreiber.  

Nachtschatten

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© Robert Meyer   
   
Es ist dunkel. Die Nacht hat die Welt in die Umarmung ihrer schwarzen Arme genommen. Die Farben sind erstickt und nur hier und da können sie in kleinen Inseln aus Licht atmen, an deren Ufern ein lautloser Kampf stattfindet. Langsam schlendere ich von Meer zu Land, versinke im Meer der Dunkelheit und werde an die Strände des Lichts gespühlt. Ein kleiner Punkt wandert mit mir, mal heller, mal weniger hell, der sich kaum selbst aus der Finsternis reißen kann. Es ist nich kalt, dennoch fröstelt mich. Denn das Meer der Dunkelheit ist kein ruhiger Ozean, sondern eine sturmgepeitschte, pulsierende See. Kurz reißt eine kleine Flamme mein Gesicht aus den Schattten, dann trage ich wieder den leuchtenden Punkt. Leise, um nicht aufzufallen, gehe ich weiter, doch jedesmal, wenn mein Fuß vom Land aufs Wasser tritt, zögert er. Nur einen Augenblick, doch lange genug, daß ich es merke. Ich versuche, die düsteren Gedanken zu vertreiben, versuche die Laute der Nacht mit meinem eigenen Lärm zu übertönen, doch wenn ich verstumme, bricht die schreiende Stille wie eine riesige Flutwelle über micht. Beklommenheit macht sich breit. Ich befehle meinen Beinen nicht mehr zu zögern, und sie gehorchen. Der Takt meiner Schritte wird schneller, und ein gleichmäßiger, harter Ton durchschneidet die Ruhe der Nacht. Doch das Echo meiner Tritte ist mir ein unsichtbarer Verfolger. Immer schneller wird er, bis ich mir sicher bin, daß er hinter mir her rennt. Langsam komme ich meinem Ziel näher, einer Mauer, hinter der ich mich vor der Nacht verstecken kann, und mich in Licht baden. Doch je näher ich der Sicherheit bin, desto klarer wird es mir. Weder Angst, noch das Böse kommen aus der Nacht, sondern aus mir. Dennoch weiß ich, daß es auch nächstes mal wieder genauso sein wird, denn wenn es dunkel wird, traut sich mein Inneres heraus.
 

http://www.webstories.cc 28.04.2024 - 22:11:34