... für Leser und Schreiber.  

Spiegelkatze

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©  Becci   
   
Ein Katzenkind sitzt minutenlang regungslos vor dem Spiegel. Ich sitze knapp hinter ihm auf meinem Bett und beobachte es. Es zuckt mit dem Schwanz. Sein Spiegelbild auch. Es steht auf, den Blick nicht von seinem Spiegelbild abgewandt. Geht auf es zu. Berührt mit der Nasenspitze den Spiegel. Stets abwehrbereit. Kampfbereit. Wenn Katzen sich unverwandt anstarren, bedeutet es Kampfbereitschaft. Jedes mal wenn die kleine Sayonara in den Spiegel schaut, schaut sie da eine Katze unaufhörlich an. Sie macht Andeutungen zu einem Buckel. Ihr Spiegelbild auch. Sie flippt aus. Wie kann es die "andere" Katze bloß wagen! Sie macht fauchend einen großen Satz zurück. Ihr Spiegelbild auch. So langsam reicht's ihr. Sie rennt gegen ihr Spiegelbild. Torkelt etwas zurück. Schüttelt verwundert ihr kleines Köpfchen. Geht seitlich an den Spiegel, so dass "die andere" Katze sie nicht sehen kann und schaut - immer nur sekundenlang - um die Ecke in den Spiegel. Und jedes Mal macht es ihr die andere Katze gleich. Fasziniert schlägt Sayonara immer wieder mit der Pfote gegen den Spiegel. Irgendwann wird's ihr zu blöd, sie faucht ein kleines Babyfauchen und macht erhobenen Schwanzes kehrt. Fühlt sich als Siegerin - die andere Katze rennt ihr schleißlich nicht hinterher. Sie, Prinzessin Sayonara, Herrscherin ihrer kleinen Phantasiewelt. Ich ruf sie leise. Lockend. Mit einem kurzen Miauen erzählt sie mir, was ihr eben passiert sei. Und schüttelt verwundert den Kopf über so wenig Respekt ihrer Hoheit. Sie einfach anzustarren. Unerhört.
Ich muss lächeln.
Sind wir Menschen nicht manchmal auch so? Denkend, dass wir provoziert würden, merken wir nicht, dass es häufig wir selbst sind, die das tun...
 

http://www.webstories.cc 06.05.2024 - 02:59:45