... für Leser und Schreiber.  

Ein Urlaub zu dritt (Trilogie einer Kleinstadt - Teil 3)

183
184 Stimmen
   
© Klaus Asbeck   
   
In dem schönen und friedvollen Städtchen, von dessen Be-wohner wir schon einige kennengelernt haben, lebt auch der von allen geschätzte Witwer Lieberlein. Die Ehe von Herrn Lieberlein war einem tragischen Unfall zum Opfer gefallen. Er war seinerzeit allein von einem Urlaub aus Mallorca zurückge-kehrt, wo seine Frau, die in ihrer Jugend Kreismeisterin im Brustkraulen gewesen war, unter nicht gänzlich aufgeklärten Umständen vor seinen Augen nicht unweit des Strandes er-trunken war. Da Herr Lieberlein eine freundliche und zurück-haltende Art hat, die auch etwas unbeholfen wirkt, konnte er sich seinerzeit der allgemeinen Anteilnahme an seinem Un-glück sicher sein.

Nach diesem Schicksalsschlag zog sich Herr Lieberlein, des-sen Halbglatze und Bauch nun wohl aus Kummer stetig mehr Platz beanspruchten, noch mehr vom gesellschaftlichen Leben zurück, in dem bis zu jenem tragischen Unfall seine Frau ohnehin die auffälligere, vielleicht auch dominantere Rolle gespielt hatte. Und heute erinnert man sich noch gern daran - insbesondere die älteren Herren des Städtchens - wie Frau Lieberlein auf so manchem Fest zum Höhepunkt beige-tragen hatte und auch nicht selten im Anschluß daran. So erklärt es sich, daß ihr Verlust von vielen als bitter empfunden wurde. Und auf einen Ersatz mußte man lange warten.

Man mußte so lange auf den Festen ohne dieserart sinnes-anregende Höhepunkte ausharren, bis Herr Lieberlein eines Tages - offensichtlich sehr zu seiner Freude und nicht wenig später auch zur Freude von etlichen Bewohnern des Städt-chens - mit Ilona aus der Ukraine auftauchte. Herr Lieberlein ist der Drogist des Städtchens. Eines Tages mußten seine Kunden erstaunt die knappe Mitteilung an seiner Ladentür zur Kenntnis nehmen "Geschlossen wegen einer dringenden Privatangelegenheit".

Und nach ungefähr drei Wochen, wo man Herrn Lieberlein nicht zu Gesicht bekommen hatte, wurden die beiden am Bahnhof gesichtet, wie sie eilig in ein Taxi stiegen. Jene, die Ilona gesehen oder nicht gesehen hatten, beschrieben sie recht unterschiedlich, was die Neugierde geradewegs zum Brodeln brachte. Jedenfalls schien sie eher blond als dunkel-haarig zu sein. Übereinstimmung herrschte darüber, daß sie Herrn Lieberlein um Haupteslänge überragte, der ja auch eher kleinwüchsig war, indem er die 170 Zentimeter knapp ver-fehlte. Diese Länge der Dame ließ auch spekulationslos dar-auf schließen, daß sie langbeinig war. Weitere Details ent-stammten der Gerüchteküche und konnten erst nach weiteren 14 Tagen konkretisiert werden. Denn in diesen zwei Wochen hatte Herr Lieberlein keineswegs das Schild an seiner Laden-tür entfernt, wie man es hätte erwarten dürfen.

Aber dann kam der große, von jedermann - zumindest jedoch von jedem männlichen Bewohner - heiß ersehnte Augenblick, wo sich die beiden der Öffentlichkeit zeigten. Der ver-heißungsvolle und säftetreibende Frühling war bereits über das Städtchen hereingebrochen. Die Damen konnten es schon wagen, die schweren Wintersachen im Schrank zu las-sen. Und das Café am Platz hatte bereits Tische und Stühle herausgestellt. In dieser frühlingshaften Aufbruchstimmung schritt Herr Lieberlein mit seiner Ilona händchenhaltend und inniglich miteinander redend, obwohl sich bald herausstellte, daß sie der deutschen Sprache nicht mächtig war, über diesen schönen neu-renovierten Platz des Städtchens. Sie schritten auf und ab und schienen nur mit sich selbst beschäftigt zu sein.

Nach dem Erscheinen der beiden auf dem Platz waren schlagartig alle Tische des Cafés besetzt. Und wenn man jetzt erwartet hätte, daß das Erschaute diskutiert worden wäre, so irrt man sich. Es herrschte an den Tischen draußen vor dem Café nämlich eine solch angespannte Stille, daß man den Furz einer Maus als störend empfunden hätte. Denn der An-blick, dessen man da gewahr wurde, war so außergewöhnlich, daß es einem glatt die Sprache verschlug. Mal abgesehen davon, daß Ilona Herrn Lieberlein tatsächlich um Hauptes-länge überragte, und, wie bereits vermutet, ihr Körper von langen Beinen getragen wurde, die ein Minirock weitgehend bloßlegte, so drängten sich bei ihrem Anblick berechtigte Sorgen auf, was das Abschneiden der meisten Damen des Städtchens bei einem Direktvergleich betraf. Zumal ihr Körper auch noch mit auffälligen doch wohlproportionierten Run-dungen gesegnet war. Wenn das mal gutging! Und eines war schon jetzt so manchem männlichen Augenzeugen dieser lieblichen Provokation klar, daß Herr Lieberlein nämlich kaum in der Lage sein würde, seine hilflose Ilona vor den zu er-wartenden Angriffen der Damen des Städtchens allumfassend zu beschützen, und ihr in dieser fremden Umgebung das Ge-fühl von Geborgenheit zu vermitteln. Zumal die einheimischen Damen wegen ihrer bäuerlichen Abstammung bedauerlicher-weise eher gedrungen und kompakt wirkten.

Und wo immer man sich am nächsten Tag traf, beim Frisör, beim Bäcker oder in der Autowerkstatt, es gab nur dieses eine Thema aber variantenreich ausgeschmückt: Herr Lieberlein und seine neue Gefährtin. Es war schon irgendwie durchge-sickert, daß Ilona aus der fernen Ukraine stammte, was natür-lich zu weitergehenden Spekulationen und Prognosen führte, ganz abgesehen von ihrem "frivolen" Aussehen, das die Damen gar nicht genug im Detail und en Gros kritisieren konnten, womit sich die Herren allerdings erheblich leichter taten. Jedenfalls kann hier die tief eindringende Phantasie einiger Herren bezüglich dieser geradezu handgreiflichen Ver-suchung, wie sie diese Herren fast körperlich verspürten, aus moralischen Gründen und mit Rücksicht auf die Leserschaft nicht wiedergegeben werden. Ein Herr jedoch, der für seine späte romantische Ader mehr als bekannt war darf hier zitiert werden. Er machte nämlich gegenüber seinem Skatbruder die treffliche Bemerkung, die man noch lange als Poesie einstufte: "Ach, ihre vorderen Rundungen schmiegen sich so sehn-suchtsvoll aneinander, daß sie leicht den Stiel einer roten Rose festhalten würden, ohne Stacheln versteht sich."

Daß Ilona anfänglich keinen einzigen Satz in Deutsch zu-stande brachte, störte gar niemanden. Zumal auf Festlich-keiten erblickte man gerne ihren offenherzigen Charme, folgte ihrer ausdrucksstarken Händesprache oder sah in ihre be-törend großen, blauen Augen, die sich nicht selten hinter ihren langen, immer wieder nach vorne fallenden Haaren verbargen und dann von einer anmutigen Kopfbewegung nach hinten geworfen wurden. Auch ihr kehliges Gurren lenkte jegliche Aufmerksamkeit auf sich. Und danach stellte sich der eine oder andere, nicht selten leicht verwirrt, die Frage, über was man denn auf dem Fest überhaupt gesprochen habe.

Das hätte für die Einwohner des Städtchens - auch für die weiblichen - bereichernd sein können, wäre da nicht dieser Vorfall passiert.

Der Winter war mit Schnee und Kälte in das Städtchen einge-zogen. Grund genug, ein Fest zu veranstalten, wo man alles vergessen konnte, die Winterdepression, die Wetterunbillen, die Sehnsucht nach dem zarten Frühling und meinetwegen auch die Jugendsünden. An einem Samstagabend fand sich also die bessere Gesellschaft im Gemeindesaal des Städt-chens ein, dessen Kruzifix an der Wand des Saalendes bis-lang standhaft an seinem Nagel hängen geblieben war. Aber während dieses Abends soll es heruntergefallen sein, wie der Hausmeister später berichtete.

Etwa zwanzig meist eheliche Paare nahmen an einem langen Tisch Platz, an dessen Ende sich unter dem Kruzifix der Pfarrer in einem fast zivilen Gewande hinsetzte, allein und ohne Haushälterin, versteht sich. Auf Wunsch einiger Herren mußten Herr Lieberlein und seine Ilona an der Mitte des Tisches Platz nehmen, Kegelbruder Willi zur Linken von Ilona. Dieser wich im übrigen gar nicht mehr von ihrer Seite, zumal um ihr auch in Anbetracht ihres schlechten Deutsches immerfort behilflich sein zu können. Denn im Gegensatz zu Herrn Lieberlein war Kegelbruder Willi allzeit abkömmlich, war er doch Vertreter einer Nobel-Staubsaugermarke. Somit war es ihm ein leichtes Ilona auch bei ihren Einkäufen zu be-gleiten, was offensichtlich das wohlwollende Einverständnis von Herrn Lieberlein fand.

Auch auf diesem Fest zog Ilona nahezu alle Augenpaare be-wundernd auf sich, war sie doch in einem Kosakenkleid er-schienen, das ihre Brüste gerade noch bis zu der Mindest-grenze beheimatete und den reichverzierten Faltenrock ober-halb ihrer Knie enden ließ. Und zu allem kontrastierten roman-tisch weit geschnittene, lange Ärmel.

Ein Jahrgangssekt sorgte zudem für mannigfaltige innere und äußere Befreiungen, bei der sich die Herren nach und nach ihrer Jacketts und die Damen ihrer Nerzjäckchen oder - stolen entledigten, wobei dann so manches nett anzusehendes Ge-wölbe sichtbar wurde. So versprach es alles in allem ein heite-res Zusammensein an diesem Abend zu werden. Auch der Redefluß hatte sich wieder eingestellt, denn wenngleich Ilona auch an diesem Abend der Mittelpunkt aller Aufmerksam-keiten war, so hatte man sich doch bereits an ihren ungewohnt exotischen Anblick jedenfalls soweit gewöhnt, daß der Ge-sprächsfluß nicht mehr darunter litt.

Ilona war in ein tieferes Gespräch mit Kegelbruder Willi ver-tieft, wobei sie ab und an am Sektglas nippte, und ihre freie Hand wie zufällig auf seinem Oberschenkel ruhen ließ. Dann irgendwann schob sie das Sektglas beiseite und zauberte aus ihrer kleinen Handtasche eine große Wodkaflasche hervor, die sie mit den Zähnen entstöpselte und ihr einen kräftigen Schluck entnahm. Dabei blickte sie huldvoll lächelnd in die Runde der verdutzten Gesichter. "Aber warum nicht? Andere Länder, andere Sitten.", mag dabei so mancher unter den anwesenden Bürgern wohlwollend gedacht haben. Nur die Damen gingen sofort in intensiveres Tuscheln über.

Wer weiß, ja wer weiß es, ob dieses Tuscheln der Damen der Grund dafür war, der Ilona zu der nachfolgend spontanen und folgenschweren Tat verleitet hatte. Sie stieg nämlich mit der Wodkaflasche in der Hand zuerst auf ihren Stuhl und sodann auf den Tisch, wo sie, sich zuerst ganz langsam um sich selbst drehend, mit ihrer kehligen Stimme eine alte, schwer-mütige russische Volksweise anstimmte, in die einige Herren sich anschickten einzustimmen. Doch bevor diese den richti-gen Ton gefunden hatten, waren sie von ihren Damen bereits wieder zum Schweigen gebracht worden. Die Herren übri-gens, die Ilona am nächsten saßen, und an ihr deshalb steil aufschauen mußten, haben am restlichen Abend jedoch kein gesungenes noch gesprochenes Wort mehr rausbekommen. Denn sie hätten, wie sie später berichteten, das gelobte Land erblickt.

In dem Maße, wie Ilona singend ihre Drehbewegungen be-schleunigte, widersetzte sich der Saum ihres Rockes der Schwerkraft und stieg unaufhaltsam hoch und höher, bis er eine wellige Scheibe bildete und nichts mehr, und zwar gar nichts mehr verbarg.

Der Pfarrer verließ daraufhin fast sofort den Raum. Und Herr Lieberlein und Kegelbruder Willi holten die vor Vergnügen laut lachende Ilona vom Tisch runter und trugen sie überstürzt aus dem Raum, ohne sie vorher auf die Beine gestellt zu haben.

In den nächsten Tagen ereigneten sich in dem Städtchen eine Reihe seltsamer Dinge. Das Harmloseste darunter war noch, daß die Brötchen des Bäckers plötzlich versalzen waren. Schlimmer war jedoch, was dem Apotheker passiert war, denn er hatte anstatt eines Beruhigungsmittels ein Abführmittel ausgegeben. Und bei einem Ehepaar, das bis dahin als mustergültig glücklich gegolten hatte, beantragte der Ehe-mann die Scheidung mit der Begründung, daß er es in seiner Ehe nicht mehr aushalte. Kurz darauf fuhr der Fahrschullehrer mit seinem Wagen stumpf vor eine Mauer, wobei er noch glimpflich mit dem Schrecken davon gekommen war. Auf die Frage seiner Versicherung nach dem Unfallhergang konnte er jedoch keine erklärende Antwort geben.

Jene Vorfälle und überhaupt diese neue unaussprechbare Veränderung in dem bislang so friedvollen Städtchen nährten in dem Vorsitzenden des Stadtrates die Befürchtung, daß fortan der Frieden in seiner Kleinstadt auf das höchste ge-fährdet sei. Deshalb berief er eine außerordentliche Rats-sitzung ein. Die Ratsmitglieder, zu denen auch Herr Lieberlein gehörte, ahnten durchaus, um was es dabei ging. Sie ver-standen jedoch so ziemlich kein Wort von dem, was der Vor-sitzende zum Ausdruck bringen wollte. Unterbrochen von vielen "Hmhms" und "Ähhs" erschien es ihnen geradewegs so, als würde der Vorsitzende rückwärts sprechen. Doch dann fand dieser plötzlich auf wundersame Weise zu seiner allge-mein verständlichen Ausdruckskraft zurück, indem er sagte: "Wir kommen nun zur Abstimmung. Wer für den Antrag ist, hebe seine Hand." Keine Hand wurde sichtbar. Unbeirrt fuhr er fort: "Wer dagegen ist, halte seine Hand hoch." Keiner erhob die Hand. Worauf der Vorsitzende dann feierlich erklärte: "Ich stelle hiermit also fest, daß der Antrag einstimmig angenom-men ist." Am Sitzungstisch machte sich eine lautlose Unruhe bemerkbar, die wohl daher rührte, daß die Ratsmitglieder sehr intensiv nachdachten, bevor sie wortlos auseinander gingen.

Herr Lieberlein eilte nach Hause, umarmte flüchtig seine Ilona, die gerade vor dem Garderobenspiegel eine neue Frisur aus-probierte, und rief seinen Kegelbruder Willi an. Ihm unter-breitete er den Vorschlag, ob er sich ihnen nicht zu einem kurzen Erholungsurlaub in die Türkei anschließen wolle. Über-rascht fragte Kegelbruder Willi darauf zurück: " Also ein Urlaub zu dritt?" Und als dies Herr Lieberlein freudig bestätigte, machte das den Kegelbruder Willi doch etwas unsicherer, was seine hilflosen Einwände bestätigten. Diese räumte Herr Lieberlein jedoch spontan und fast befehlend mit dem über-zeugenden Argument aus der Welt, daß sich Kegelbruder Willi natürlich von ihm als eingeladen betrachten dürfe. Es verging dann auch keine Woche, da saßen die Drei im Flugzeug nach Antalya, der türkischen Riviera.

Nachdem man eine überaus angenehme Flugzeit miteinander verbracht hatte, in der Ilona kaum ihre Aufregung verbergen konnte, was spätestens im Heben und Senken ihrer Brüste augenfällig wurde, landete man wohlbehalten auf dem Flug-hafen dieser Region, nachdem das Flugzeug noch eine Gratisrunde über einer türkisfarbenen Bucht gedreht hatte. Am Hotel angekommen brach Ilona in einen Begeisterungsruf über die schöne Lage des luxuriösen Hotels mit dem herr-lichen Blick über eine Bucht aus, die von Felsen und in seiner Mitte von weißem Sandstrand eingerahmt war. Damit den Gästen aber nicht das Schwimmen im Meerwasser zugemutet werden mußte, verfügte das Hotel über zwei große Süßwas-serpoolanlagen, aus denen auf kleinen Inseln Palmengruppen empor wuchsen. Auch Kegelbruder Willi konnte nicht umhin, die Großzügigkeit der Hotelanlage und die von Herrn Lieberlein lobend hervorzuheben. Worauf Letzterer nur be-scheiden lächelnd entgegnete, daß es für alle ein besonderer Urlaub werden solle.

Herr Lieberlein hatte zwei Appartements im zehnten Stock ausgesucht, um einen weiten Blick über das Meer zu haben, wie er meinte. In ihrem Appartement angekommen, schmiegte sich Ilona an ihren Gönner, wobei sie - mittlerweile bereits in gebrochenem Deutsch - auf ihn niederblickend schnurrte, welch einen großartigen Mann sie doch habe, woraufhin Herr Lieberlein ihr, sichtlich zufrieden mit sich, ihren wohlgeformten Hintern tätschelte.

Kurz darauf traf man sich zum Mittagessen. Und nachdem man sich einigermaßen von dem exotischen Anblick des Buf-fets erholt hatte, ging man daran Pläne zu schmieden, und vage das zum Ausdruck zu bringen, wozu man Lust empfand. Ilona, die einen halben Koffer mit Bikinis ausgefüllt hatte, so daß es in dem Heimatstädtchen keinen einzigen Bikini mehr zu kaufen gab, bekundete ihre Absicht tagsüber am Strand zu weilen. Und Kegelbruder Willi schloß sich diesem Ansinnen ohne Zaudern an. Nur Herr Lieberlein war etwas zögerlich. Ihm liege dieses am Strand Rumhängen nicht so sehr. Er wolle doch erst mal die nahe Stadt besichtigen, um vielleicht auch einen schönen kleinen Teppich für das Badezimmer zu erstehen. Was die beiden anderen nicht wissen konnten, war der Umstand, daß Herr Lieberlein gar keine Badehose einge-packt hatte.

Am nächsten Tag gingen die beiden jedenfalls schon morgens zum Strand, und Herr Lieberlein fuhr in die nächste Stadt, von der er am späten Nachmittag zurückkehrte, um den ange-nehmen Aperitif zu dritt auf der großen Terrasse des Hotels nicht zu verpassen. Dabei erzählte in erster Linie Herr Lieberlein von seinen Eindrücken und Erlebnissen des Tages, wobei jedermann klar war, daß die beiden Strandbesucher nicht so viel erzählen konnten. Auch die drei folgenden Tage verliefen nach dem gleichen Muster, womit jeder der Drei zu-frieden war.

Am fünften Tag war Herr Lieberlein etwas früher zurückge-kehrt. Und Ilona, die gerade aus der Dusche kam, hörte Herrn Lieberlein am Telefon in Englisch, das sie auf der Schule ge-lernt hatte, die Worte sagen: "Nein, zu teuer. Gut, einver-standen. Wann?" Sie fragte ihn, wobei noch der eine oder andere Wassertropfen an ihrem schönen Körper runterperlte, ob er gerade eine Teppich gekauft habe. Er bejahte dies. Und sie wollte natürlich Näheres über seine Farben, Muster und seine Größe wissen. Doch Herr Lieberlein entgegnete mit diesem unerschöpflichen Lächeln nur, daß sie bald zu seiner Besichtigung Gelegenheit bekommen würde. Damit begnügte sie sich, zumal ihr schon das Tanzvergnügen zu spätabend-licher Stunde im Kopf herumging. An diesem Abend trug sie ein dünnes, weißes, langes, ihren Körper umfließendes Kleid, das zur Abwechslung den ganzen Rücken so weit freiließ, daß die beiden unteren Grübchen ins Freie lächelten. In artiger Abwechslung tanzten Herr Lieberlein und Kegelbruder Willi mit dieser wunderschönen, großgewachsenen Frau. Und beide wurden von ausnahmslos allen anwesenden Männern um dieses weibliche Juwel beneidet.

Am kommenden Morgen wollte Herr Lieberlein etwas später in die Stadt fahren, so daß sich ihm Ilona noch in ihrem leuch-tend rosa Bikini präsentieren konnte, bevor sie mit Kegel-bruder Willi zum Strand ging. Man mußte sich wirklich wun-dern, wie so wenig Bikini so viel weibliche Formen bändigen, wenn auch nicht bedecken konnte. Selbst der immer so sehr beherrschte Herr Lieberlein schien einen Augenblick lang beim Anblick von soviel Urweib geblendet. Wenn die Ur-Eva auch nur annähernd so sehr viel Ur-Weib wie dieses Ur-Weib hier gewesen war, dann in der Tat war der Sündenfall ein un-vermeidbares Ereignis gewesen, also force majeure.

Es mag nach dem Fortgang von Ilona und Kegelbruder Willi wohl eine knappe Stunde verstrichen gewesen sein, da trat Herr Lieberlein auf den Balkon des Appartements und suchte mit einem Fernglas den Horizont nach Schiffen ab. Dann be-trachtete er damit das Strandleben, wobei ihn die mannig-faltige Nacktheit nicht interessierte. In einer kleinen Felsen-bucht, die nur von hier oben einsehbar war, verfing sich sein Blick an einem leuchtend rosa Gegenstand und an zwei Men-schenleibern daneben, die sich rhythmisch im Sand bewegten. Herr Lieberlein setzte das Fernglas ab, ging zum Telefon und beschloß danach, sich den Tag in der Weitläufigkeit der Hotelanlage zu vertreiben.

Beim gemeinsamen Abendessen machte Herr Lieberlein den Vorschlag, am kommenden Tag doch mal gemeinsam in die Stadt zu fahren, wo dann auch Ilona den gekauften Teppich anschauen könne, bevor er nach Deutschland geschickt würde. Dabei nahm er Ilonas Hand und streichelte sie sanft. Der Vorschlag wurde von den beiden anderen begeistert auf-genommen. Und alle waren zufrieden und freuten sich auf diesen Ausflug. Welch ein schöner Urlaub! An diesem Abend ermunterten die beiden Freunde Ilona, ihnen doch mal etwas mit ihrer schönen Stimme vorzusingen. Ilona schritt zum Mikrofon der Musikkapelle. Und als sie das Mikrofon in Händen hielt, erscholl bereits ein lautstarker Beifall. Mit ihrer kehligen, dunklen Stimme sang sie nach langer Zeit zum ersten Mal wieder ein russisches Lied, das Erinnerungen aus ihrer Kindheit in ihr aufstiegen ließ. Nach einem tosenden Beifall, und nachdem sie wieder am Tisch Platz genommen hatte, wischte Herr Lieberlein liebevoll in ihrem Gesicht die Spuren ihrer Tränen weg. Aber beim Tanzen eroberte sie dann bald wieder die schier grenzenlose Lebensfreude.

Am nächsten Morgen fuhr die Drei dann ein Taxi in die nächste Stadt und ließ sie vor einem Straßencafé aussteigen, dessen Name Herr Lieberlein dem Chauffeur als Ziel genannt hatte. Dort nahmen sie an einem Tisch Platz und bestellten sich natürlich einen türkischen Kaffee. Nach einer Weile des zwanglosen Plauderns sah Herr Lieberlein auf seine Uhr, deutete auf ein Teppichgeschäft auf der gegenüberliegenden Straßenseite und bemerkte zu Ilona, daß sie sich bei Nennung seines Namens dort den von ihm gekauften Teppich ansehen könne, während Kegelbruder Willi und er selbst hier auf sie warten würden.

Nach ungefähr einer halben Stunde es Wartens machte Kegelbruder Willi Herrn Lieberlein auf den doch sehr langen Verbleib von Ilona aufmerksam, so daß sich beide entschlos-sen nach Ilona zu sehen. Aber in dem Geschäft, wo sie freundlich von dem Inhaber begrüßt wurden und ihnen ein Tee angeboten wurde, war von Ilona keine Spur zu sehen. Und es war Kegelbruder Willi, der sich bei dem Inhaber aufgeregt danach erkundigte, wo denn die blonde große Dame ge-blieben sei, die vor geraumer Zeit sein Geschäft betreten habe. Aber dieser entgegnete, daß er mit Ausnahme der Ent-gegennahme eines telefonischen Anrufes in seinem hinteren Büro die ganze Zeit im Verkaufsraum gewesen sei und eine große blonde Dame nicht gesehen habe. Und auf die weitere Frage von Kegelbruder Willi, ob das Geschäft noch einen zweiten Ausgang habe, bejahte der Inhaber dies, und zeigte den beiden Herren diesen, der auf einen düsteren Hinterhof führte. Aber dieser war menschenleer. Wieder in den Laden zurückgekehrt, schlug Kegelbruder Willi vor, die Polizei zu verständigen, die dann auch kam. Es waren zwei Polizisten, die sich im Geschäft umsahen und sich auch die Pässe der beiden Deutschen zeigen ließen. Sie befragten die beiden nach allen Einzelheiten, wobei der Ladeninhaber, der fließend Deutsch und Englisch sprach, dolmetschen mußte. Sodann gingen sie alle gemeinsam in das gegenüberliegende Straßencafé, um den Kellner zu befragen, der die Drei zuvor bedient hatte. Aber dieser war nicht auffindbar. Und auch mit der ausführlichen Beschreibung von ihm konnten weder der Cafébesitzer noch der andere Kellner etwas anfangen. Das nahmen dann die Polizisten zum Anlaß, allen Beteiligten zu befehlen, sofort auf ihrer Wache zu erscheinen, wobei sie die beiden Pässe einbehielten.

Auf der Fahrt zur Polizeiwache blickte Kegelbruder Willi, der bislang ausnahmslos für sie beide gesprochen hatte, Herrn Lieberlein an, der offensichtlich unter einem schweren Schock stand, denn seine Augen blickten teilnahmslos ins Leere. Er fragte Herrn Lieberlein schließlich in das Schweigen hinein, wie sich dieser fühle, und erhielt darauf zur Antwort: "Sie war sehr schön." Auf der Wache wiederholte sich die Fragerei mit dem gleichen niederschmetternden Ergebnis. Die beiden Deutschen wurden sodann aufgefordert, sich zum Hotel zu-rückzubegeben und sich dort zur Verfügung zu halten.

Im Hotel angekommen, konnte noch am gleichen Tag der für diese Gegend zuständige deutsche Generalkonsul verständigt werden, der zusagte, sofort die Deutsche Botschaft in Ankara von dem Verschwinden von Ilona zu verständigen und einen Mitarbeiter vorbeizuschicken.

Nach vier Tagen des langen Wartens wurde Herr Lieberlein von der Deutschen Botschaft darüber informiert, daß selbst die türkische Geheimpolizei bislang nichts über den Verbleib seiner Lebensgefährtin Ilona in Erfahrung gebracht habe, was bedenklich stimme, aber nicht mutlos mache.

Nachdem eine weitere Woche ergebnislos verstrichen war, regte der deutsche Generalkonsul in Abstimmung mit der Bot-schaft an, die beiden sollten zurück nach Deutschland fliegen, wie es dann auch geschah. In Deutschland angekommen, mußten sich die beiden sodann den höflichen aber bestimmten Fragen der deutschen Polizei stellen, wobei diese leicht der Wahrheit gemäß beantwortet werden konnten, mit Ausnahme jener Frage an Kegelbruder Willi, wie sein Verhältnis zu Ilona gewesen sei. Die Polizei vergaß aber nach dem Verbleib des Teppichs zu fragen, der zwar bezahlt aber nie bei Herrn Lieberlein angekommen war.
 

http://www.webstories.cc 30.04.2024 - 06:09:45